Greg Tate: Sein Ehrgeiz und sein Bedürfnis, die Hindernisse zu überwinden, die von seiner Hautfarbe herrührten brachten ihn dazu, das Gesicht, das Aussehen und die Rolle zu erfinden, die wir aus der Thriller-Ära kennen. Ich glaube Michael hat sich in diesem Spiel bis zu einem gewissen Grad selbst reingelegt, er ist zu tief in diese Rolle hineingeraten und hat sich selbst dabei verloren. In der letzten Phase seiner Karriere, versuchte er sich wiederzubeleben, zu reanimieren, sich erneut zu verwandeln, für ein letztes Mal. Wir hörten die Ankündigung, dass Michael Jackson riesige Konzerte geben will und dachten: „Oh je, der arme Kerl hat total den Verstand verloren!“ Er war seit Jahren nicht auf Tour gewesen und hatte auch keine erstzunehmende Musik mehr gemacht, geschweige denn ein ganzes Album. Seit Jahren lieferte er nur Futter für die Boulevard-Presse, es schien der verzweifelte Versuch zu sein, schnell zu Geld zu kommen. Und die Leute schlossen Wetten ab, ob er je eins dieser Konzerte geben würde
Margo Jefferson: Psychoanalytisch betrachtet kann man sagen, dass er nicht wie sein Vater oder ein anderes Familienmitglied aussehen wollte, eine wirkungsvolle Art, um sich an einem Elternteil, das grausam zu einem war, zu rächen. Man löscht die Beweise der Abstammung aus dem eigenen Gesicht. Dann nahm es eine andere Dimension an, er sah sich selbst als Kunstwerk. Er wollte unsterblich werden und flüchten, vor dem Altern, vor der Zeit und vor Kritik. Er fühlte sich von den meisten Menschen entfremdet, das hatte damit zu tun, wie er aufgewachsen war, wie er sein Leben lebte und wie all das seine Psyche beeinflusste. Er war ziemlich isoliert, ein Getriebener und eine Art Experimentator, der sich selbst dazu benutzte, ein neues Wesen zu erschaffen. Nach und nach, angefangen von seinem Gesicht, bis hin zu seinem Kleidungsstil, entstand ein absolut außergewöhnlicher Mensch, der nur mit anderen Kontakt aufnahm, wenn die seine Bedingungen akzeptierten. Als das losging, waren die Medien wie besessen, das Verlangen nach einer dramatischen Geschichte war ungeheuer groß. Wir sind ja wie hypnotisiert von Sexskandalen, sie machen einen sehr großen Prozentsatz in Filmen und Büchern aus. Michael wurde also zum Gegenstand einer der wichtigsten Themen in der amerikanischen Kultur, des Sexuellen, des Kindersexskandals.
Jochen Leuschner: Wenn sich jemand durch chirurgische Eingriffe vermeintlich schöner macht, dann sollte das ja eigentlich, wenn es funktioniert, dazu führen, dass man sich freut, wenn man sich zeigen darf, aber bei ihm hatte man den gegenläufigen Eindruck. Selbst wenn man sich sehr privat, oder privat getroffen hat, er kam nur in vollem Make-up. Die Frage hinterlassend, was er zu verbergen hatte. Schon damals gab es eine Menge Zynismus gegenüber dem Künstler, von Leuten die eigentlich bei ihm in der Mannschaft spielten, den ich nicht für möglich gehalten hätte. Das hat mich schockiert, das muss ich ganz ehrlich sagen. Da sprach man quasi, in seinem eigenen Boot sitzend, über das Szenario nachdem der Karren untergegangen ist. Anfang der 90er gab es in Amerika die ersten Vorwürfe mit diesem Kindesmissbrauch und als das mehr Substanz bekam und die ersten Anklagen ins Haus standen und die Presse reagierte, war das für mich so, als würde der erste Dominostein in Amerika fallen. Dann gab es ja diese Anklage in Amerika mit dem wahrscheinlich größten Fehler, aus meiner unbedeutenden Sicht, das finanziell zu satteln, d. h. also den vermeintlich erfolgreichen Versuch, das Problem aus der Welt zu schaffen mit einem dicken Scheck. Und die ganze Welt hat es letztlich so interpretiert, dass er sich das Schweigen quasi erkauft hat. Damit war er verurteilt. Also nicht vor Gericht, aber in den Augen der Öffentlichkeit, in den Augen vieler Menschen hat er das dann quasi zugegeben. Davon hat er sich nie mehr erholt. Er hatte Existenzängste zum Schluss, also wirkliche Existenzängste, er hatte Phantasien, dass er in die private Insolvenz geht. Das hat ihn aus meiner Sicht auch in dieses Wahnsinns-Projekt getrieben, wo er diese 50 Shows da in London performen wollte.