Danke für die Empfehlung. Woher willst du wissen, dass ich das nicht schon längst getan habe? Meinst du jetzt im Speziellen die Erziehungsmethoden der Schwarzen, oder die Erziehungsmethoden in den 60er, 70ern generell? Ich könnte noch die 50er hinzufügen, aus der Generation bin ich nämlich, könnte also zu allen Jahrzehnten eigene Erfahrungen beitragen, was ich aber nicht tun werde. Aus der Tatsache, dass ich das von mir empfohlene Buch "Hört ihr nicht die Kinder weinen" gelesen habe, kannst du schließen, dass ich mich mit der Thematik beschäftigt habe, und es ist nicht das Einzige.
Wenn ich ganz ehrlich bin, vermitteln mir Deine Beiträge das nicht so ganz, bzw. erwecken bei mir den Eindruck, genau die Problematik der Eziehung in den 50-70er Jahren, in Gänze zu ignorieren. Ich kann nur das beurteilen was ich hier lese.
Nein, es ist keine Vorbedingung vor dem Gericht gestanden zu sein um zu erleben wie Michael und sein Vater miteinander umgingen um darüber reden zu können aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Du Michael das von Dir mehrfach zitierte Buch, direkt vor die Nase gehalten hättest.
Denn das Du Alice Miller gelesen hast glaub ich sofort, Du vetritts ihre Ansichten sehr deutlich.
Sie hat meiner Ansicht nach auch durchaus einige beachtenswerte Bücher verfasst, sich aber dann leider immer mehr verstrickt und sich letztendlich immer wieder neu erfunden oder wie auch immer man das nennen möchte. Damit will ich ihre Verdienste und ihr Engagement bezüglich des Kampfes gegen Kindesmissbrauch nicht schmälern, aber der Grad zwischen Engagement und Fanatismus war, meines Erachtens, leider überschritten.
Zum besseren Verständnis für diejeniegen die sich nicht so intensiv mit ihren Veröffentlichungen befasst haben, mal ein Artikel ÜBER Frau Miller:
Die fixe Idee -- Alice Miller und das Kindheitsdrama
Von Peter Haffner
Den Gefallen, eine verpfuschte Kindheit einen vergleichsweise geringen Preis für ein künstlerisches Werk zu heißen, braucht man Alice Miller nicht zu tun. Denn nicht einmal das Gegenteil von dem, was sie behauptet, kann richtig sein. In der Deutung literarischer Texte aus der Kindheitsgeschichte ihrer Verfasser, die sie 1983 in «Du sollst nicht merken» begonnen hat, hat die nach Frankreich emigrierte Schweizer Psychologin in nachfolgenden Büchern wie «Der gemiedene Schlüssel» und «Das verbannte Wissen» eine gedankliche Schlichtheit erreicht, die sich selbst denunziert.Jeder Roman wird zum Schlüsselroman und sie zur ersten, die durchs Schlüsselloch gucken darf. Josef K. aus Kafkas «Prozess» ist aus dieser Perspektive so gut «das Kind», wie es der Landvermesser K. im Roman «Das Schloss» ist, wobei in ersterem «der Prozess» generell «die Eltern» bezeichnet, während im zweiten «die Mutter» exklusiv mit dem «Schloss» gemeint ist, worin K. vergeblich einzudringen versucht, um bei der Schlossherrschaft (richtig: «den Eltern») vorzusprechen. Damit ist der wohl rätselhafteste Autor der Moderne auch schon abgehandelt.Kaum besser ergeht es Nietzsche, der, «hätte er als Kind einfach schluchzen dürfen», nicht der geworden wäre, der er ist - «die Menschheit wäre um einen Lebensphilosophen ärmer, aber dafür wäre der Mensch Nietzsche um sein ganzes Leben reicher geworden». Wer nicht nur dessen Philosophie für etwas Schwieriges gehalten und «die Verwirrung auf (sein) eigenes -Konto?» genommen hat, dem erweist Alice Miller mütterlichen Trost und Rat. «Man muss nur», sagt sie über den von Frauen erzogenen Verächter des Christentums, «für das Wort <Christentum> <meine Tanten> oder <meine Familie> einsetzen, und die massiven Angriffe bekommen plötzlich einen Sinn.»Alles bekommt ihren Sinn. Hatte Alice Miller anfangs immerhin noch achtzig Seiten auf Kafka verwendet, um zu belegen, was für sie ohnehin keines Beweises bedurfte, hat sie sich solcher Sorgfalt später entledigt. Obzwar sich «selten Hinweise auf die Kindheit» in den Biographien Nietzsches finden, ist sein «Werk ein hoffnungsloser und bis zur Geistesauflösung nie aufgegebener Versuch, sich vom Gefängnis seiner Kindheit zu befreien». Wenn man auch «nicht genau» weiß, «was sich gerade zu dem Zeitpunkt» der behaupteten Traumatisierung des kleinen Picasso durch eine Naturkatastrophe ereignet hat, kann sie es sich doch «gut vorstellen». Und da sie sich auch bei der Betrachtung der Bilder von Käthe Kollwitz «auf meine Weise meine Fragen beantworten» kann, verspürt sie «kein Bedürfnis mehr, das Leben dieser Künstlerin in allen Einzelheiten zu verfolgen».Ob die Belege eines vergangenen Kinder- und Künstlerlebens reichhaltig oder mager sind, die Armut ihrer Werkinterpretation bleibt stets dieselbe. In einer Art von verkehrtem Exorzismus zaubert Alice Miller ihr Kindheitsteufelchen in jedes Leben und jedes Werk, das ihr in die Hände fällt. Hatte sie einst Picasso noch als Gegenbeispiel eines glücklichen Künstlers gefeiert, «frei, verschiedene Wege auszuprobieren, sich immer wieder neu zu entdecken», so triumphierte sie bald, überzeugt, nun doch ein Kindheitstrauma geborgen zu haben: «Ich spürte das Leiden nicht nur in den Themen, sondern auch in der Wucht der Pinselbewegung.»Wer ihr nicht folgt, wird noch postum verfolgt. Nietzsche hat «unter schweren Kopfschmerzen, Halsentzündungen und rheumatischen Erkrankungen gelitten», weil die wahren Worte in seinem «Hals und Kopf steckengeblieben sind». Zweifellos als «Opfer seiner Schuldgefühle» ist Kafka «an Tuberkulose erkrankt und daran gestorben». Wie auch Galileo Galilei - zu diesem Zeitpunkt immerhin vierundsiebzig! - «erblindete, als er von der Kirche gezwungen wurde, gegen sein besseres Wissen zu widerrufen». Und da Freud, der um den Kindsmissbrauch wusste, «sich selbst verbot, die von ihm entdeckte Wahrheit auszusprechen», litt er «später am Krebs des Mundbodens», an dem er - der süchtige Zigarrenraucher - «schließlich starb».Mehrdeutigkeit als Merkmal ernstzunehmender Kunst gilt ihr nichts. Alice Millers Trivialbibliothek der Weltliteratur ist ausgelesen, bevor sie ein Buch zur Hand nimmt. Ihr geht die Lust am literarischen Spiel ab wie einer entnervten Mutter die Freude am Chaos im Kinderzimmer.Im Gegenzug verspricht sie, ganz biblische Prophetin, nichts weniger als «die Wahrheit», «verbotenes Wissen», Fakten, «deren Kenntnis der Menschheit vieles erklären und Kriege ersparen könnte». Haben wir gelernt, «uns aus dem Gefängnis unserer Kindheit zu befreien», brauchen wir keine Medikamente mehr, keine Schlaftabletten, keine schweren Operationen; es hat ein Ende mit Nationalismus, Völkermord und Religion. So verkündete sie es in der Einleitung zur 1994 erschienenen Neuauflage von «Das Drama des begabten Kindes», die in der nächsten Auflage gestrichen wurde.
Alice Millers Bestseller, die dem Suhrkamp-Verlag waschkörbeweise Leserbriefe bescheren, bedienen ein Publikumsinteresse. Wie die Autorin selber schreibt, sehen sich «die Leser bei dieser Lektüre vor ihre eigene Geschichte gestellt». Doch wenn alle glauben, als Kind misshandelt worden zu sein, werden diejenigen, die es wirklich waren, erneut zum Opfer. Nicht zuletzt um ihretwillen gilt es, auf dem Unterschied zwischen bloßen Behauptungen und bitterer Wahrheit zu beharren.
Ein Interview mit ihrem Sohn folgt im nächsten Post