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„Renee, wir verstehen Dich ja. Hier gibt es sicher Niemanden im Raum, der nicht von dem Schicksal der kleinen Elf ergriffen ist, doch wie stellst du Dir das vor? Du sagtest, man würde nach ihr suchen… Eine Blutelf inmitten Untoter ist nun mehr als auffällig.“
Schon am nächsten Tag war Renee ins Rathaus zum hohen Rat gerufen worden, um über den weiteren Verbleib von Kìara zu beraten. Schon als sie eintrat und in ernste Gesichter blickte, wusste sie es würden weitere Probleme auf sie zukommen.
Man legte ihr Nahe, das Elfenkind aus der Stadt zu bringen, natürlich *nur* zum Schutze des Kindes. Renee konnte nur verständnislos den Kopf schütteln.
„Die Kleine ist gerade sechs Jahre alt und hat gestern erst ihre Mutter verloren!“ hilflos hob sie die Arme, ließ sie jedoch wieder sinken.
„Das ist uns durchaus bewusst, wir alle haben Nessa die letzte Ehre erwiesen, nachdem wir davon erfahren haben. Doch es ändert nichts an den Tatsachen, dass dieses Kind Gefahr mit sich zieht!“ entgegnete Magistrat Sevren
„Ihr habt einer Frau die letzte Ehre erwiesen, die ihr nicht einmal kanntet, obwohl sie hier Jahrelang ihre Ausbildung absolviert hat, Sevren. Euch kümmert das Schicksal Anderer doch gar nicht, ihr seid nur auf Euerem eigenen Wohl bedacht. Glaubt ihr, ihr werdet noch lange eine solche Position innehalten können, wenn Bekannt wird, dass ihr ein kleines Mädchen, dessen Mutter ermordet wurde, davon gejagt habt? Eine Vollwaise?“ [i]Mit jedem Satz wurde Renee´s Stimme fester, auch lauter. Sie konnte diesen egozentrischen Politiker noch nie ausstehen.
„Keiner von uns will das Kind davon jagen…“
„Wie wollt ihr es sonst nennen, Sevren?“ fiel Renee ihm ins Wort. Die Anderen Mitglieder hatten bisher stumm auf ihren Stühlen gesessen, das Gespräch der Beiden gebannt verfolgend.
Sevren stand auf, wohl um seiner Größe mehr Gewicht zu geben, beugte sich mit dem Oberkörper nach vorn, die Hände auf den Tisch gestützt, Renee nun ebenfalls böse betrachtend.
„Ich finde nun gehst du entschieden zu weit, Renee! Was der Kleinen und ihrer Familie zugestoßen, ist sehr bedauerlich. Doch wir können und werden die Verantwortung für dieses Elfenkind nicht übernehmen! So haben wir es beschlossen!“ Sevren wollte sich gerade wieder hinsetzen, als von der Tür aus eine Stimme ertönte:
„Wir aber nicht! Wir haben dies nicht beschlossen!“
Als Renee sich umdrehte, traute sie erneut ihren Augen nicht. Austil de Mon, seines Zeichens Kriegerlehrer stand am Eingang und nicht nur er. Renee erkannte Frauza, Johaan von der königlichen Apothekervereinigung, Schwester Neela, Coleman Heller und noch viele Andere.
Magistrat Sevren stand mit offenem Munde da, brauchte einige Zeit bis er seine Stimme wieder fand.
„Ihr seid Euch gar nicht der Gefahren bewusst, die dieses Kind mit sich bringen könnte! Wollt ihr…“ erneut wurde er unterbrochen, diesmal von Austil de Mon.
„Niemand wird kommen, diesem Kinde zu schaden. Sollen sie es doch versuchen, wir werden sie erwarten! Die Horde lässt Niemanden der Seinigen im Stich!“ hinter ihm ertönte ein zustimmendes Gebrüll. Austil drehte sich zu der Menge um: “Für die Horde!“ schrie er der Menge entgegen… *Für die Horde* bekam er einstimmig zurück. Dann wurde es still und alle Augen ruhten auf Sevren, der wie erstarrt das Geschehen beobachtete. Nun fehlten ihm gänzlich die Worte, so etwas hatte er noch nicht erlebt.
Als das Schweigen unerträglich wurde, winkte Sevren nur ab und verliess wütend das Gasthaus.
Renee atmete erleichtert auf, dankte jedem Anwesenden für die ihr erwiesene Hilfe. Zwar konnte sie sich denken, das Sevren das nicht so ohne weiteres auf sich sitzen lassen würde, doch nun da sie sicher sein konnte, dass die Bewohner von Brill um der Gefahr wussten und bereit waren, dem Kinde beizustehen, war diese Tatsache nur ein kleines Übel.
Sie lud alle am darauf folgenden Tag zu einem Schmaus ein. Nun jedoch wollte sie schnellstmöglich zu Kìara, welche das Zimmer seit der Beerdigung nicht mehr verlassen hatte.
Vor der Tür angekommen wollte sie gerade drei Mal klopfen, doch dann hielt sie inne. Würde dies Kìara nicht an Nessa erinnern? Wiederum dachte das Mädchen eh momentan an nichts Anderes und würde sie so nicht zeigen, dass sie die Anweisungen der Mutter auch noch weiterhin bestand hätten?
Sie klopfte also drei Mal an die Tür, fragte sogleich auch, ob sie eintreten dürfe. Ein zaghartes *Ja* war die Antwort.
Das Mahl, welches Renee vor ein paar Stunden auf den Tisch gestellt hatte, war nicht angerührt worden. Kìara lag angezogen auf dem Bett und starrte gen Decke. Langsam ging Renee auf das Bett zu, legte sich neben Kìara ~ sagte kein Wort, nahm die Kleine nur in den Arm. Kìara kuschelte sich eng an Renee an.
„Glaubst du er wird mich holen, Renee?“ ihre Stimme klang leise. Renee streichelte ihren Arm. „Gerade war ich auf einer Versammlung, da waren alle Bewohner von Brill, die allesamt versprachen auf Dich aufzupassen. Du brauchst also keine Angst haben. Wir passen alle auf Dich auf!“ den eigentlichen Grund dieser Versammlung und den wütenden Abgang des Magistrates verschwieg sie natürlich.
Kìara hob den Kopf, so als wollte sie in Renee´s Gesicht lesen, ob diese denn die Wahrheit sagte. Dann kuschelte sie sich erneut bei Renee ein und fragte nach einer weiteren kleinen Weile
„Warum passiert das Alles? Nur weil mich eine Allianerin damals angegriffen hat? Ich verstehe das nicht, Renee…“ Renee brauchte eine Weile, bis sie das Wort *Allianerin* zuordnen konnte. Von einem solchen Angriff hatte Nessa ihr gar nichts berichtet. Doch war es spät und sie wollte Kìara nicht mehr danach fragen, nahm es sich jedoch für die nächsten Tage vor. So schüttelte sie nur den Kopf und nahm Kìara ein wenig fester in ihre knochigen Arme.
„Versuch zu schlafen, Kleines. Ich werde bei Dir bleiben und auf Dich aufpassen. So wie ich es deiner Mama versprochen habe….“
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