Projekt Words and Violence

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  • lieben dank amidala fürs einstellen dieses tollen artikels...
    ich sitze hier mit gänsehaut und tränen in den augen :wimmer:
    und wieder mal muss ich joe vogel dafür danken, dass er VERSTANDEN hat... es tut so gut, das zu lesen und tut gleichzeitig so weh :stuhl:

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    Mit jedem Kind, das dir begegnet, ertappst du Gott auf frischer Tat.
    Martin Luther
    If I had a single flower for every time I think about you, I could walk forever in my garden. ~Claudia Ghandi

  • ich hab euch den text, den amidala eingestellt hat, mal übersetzt, damit ihn alle lesen können :Tova:


    Bin ich das Biest, das du dir vorstellst? Der kulturelle Missbrauch Michael Jacksons
    Von Joe Vogel


    In den letzten Wochen haben wir ständig gehört, dass es nicht Michael Jackson ist, der vor Gericht steht, sondern Conrad Murray. Aber wir wissen natürlich, wie die Wirklichkeit aussieht. Das hier ist der „Prozess über Michael Jacksons Tod“. Er ist, wie es immer schon war, die Hauptfigur, das aufreizende Schauspiel. Es ist Michael Jackson, der unter dem Mikroskop liegt, während wir, wieder einmal, neugierig in seinem Haus, seinen Krankenakten und seinem Körper herumschnüffeln. Und nun, da das Publikum nach Jacksons Tod größtenteils verständnisvoller geworden ist, bleibt er doch das Objekt endloser Untersuchungen und Beurteilungen.


    Spielt das denn noch eine Rolle, jetzt, da der Mensch selbst den Missbrauch nicht mehr spüren kann? Sollte es den Durchschnittsmenschen kümmern, ob eine „Berühmtheit“ wie Jackson herzlos geringschätzend behandelt wird? Projekte wie „Voices“, deren „Words and Violance“-Serie die verstörende Flugbahn unseres gesellschaftlichen Diskurs hervorhebt, sagt JA. Worte sind von Belang. Egal auf wen sie abzielen. Worte können, wie wir erst kürzlich bei jugendlichem Mobbing und Selbstmorden miterlebt haben, zu verheerenden dramatischen Ausgängen führen.


    Genauso können sie auch benutzt werden, um zu beflügeln und zu heilen.


    Michael Jackson wusste das. 1988 schloss er mit dem AIDS-Opfer Ryan White, einem Jungen aus Kokomo, Indiana, Freundschaft. White war aufgrund unaufhörlicher verbaler Attacken und Gewaltandrohungen gezwungen worden, die Schule zu verlassen. Jackson gab ihm, so White, das Gefühl, „normal“ zu sein. „Michael interessierte es nicht, welcher Rasse du angehörtest, welche Hautfarbe du hattest oder welche Behinderung“, erinnert sich Ryan Whites Mutter Jeanne. „Er liebte einfach alle Kinder.“
    White ist einer von Tausenden von „Außenseitern“, denen Jackson sich zuwandte, mit denen er Freundschaft schloss und denen er mit Liebenswürdigkeit begegnete. Er identifizierte sich mit ihnen. Er verstand ihren Schmerz und ihre Einsamkeit. Er hatte Mitgefühl mit ihrem Kampf, in einer Welt zu leben, die sich weigerte, sie so, wie sie waren, anzunehmen, ob nun wegen einer Krankheit, ihrer physischen Erscheinung, ihrer Rasse, ihrer sexuellen Orientierung oder aus anderen Gründen.


    Schon als Junge besaß Jackson dieses Einfühlungsvermögen. Hört euch den Song „Ben“ an. In der Art, wie Jackson den Song abliefert, finden sich aufrichtiger Schmerz und Mitgefühl (Sie sehen dich nicht so, wie ich dich sehe/ Ich wünschte, sie würden es versuchen). Den Song kann man als eine der ersten künstlerischen Stellungnahmen Jacksons ansehen, gesungen im Namen all derer, die ins Abseits gedrängt und missverstanden werden. Viele weitere sollten folgen.


    Jacksons Außenseiterrolle begann schon während seiner Kindheit (da es nie eine Zeit gab, in der er sich als „normal“ empfand und auch nie eine Zeit, in der er so wahrgenommen wurde). Doch die Heftigkeit der Feindseligkeiten, die ihm durch sein „Anderssein“ entgegenschlugen, wurde mit der Zeit immer stärker. David Yuan behauptete in seinem 1996 geschriebenen Essay „Der berühmte Freak: Michael Jacksons grotesker Ruhm“, dass Michael Jackson der festgelegte Freak unserer Zeit sei. Keine andere öffentliche Person der Welt rief einen derartigen Level an Lächerlichmachen, extremster Musterung und „Hyper-Infrage-stellen“ hervor. Bereits 1985 wurde Jackson von der Klatschpresse als „W****J****“ bezeichnet, einer Bezeichnung, die er hasste. In der Presse wurde er stets mit „bizarr“, „verrückt“ und „exzentrisch“ beschrieben. Tatsächlich wurde kaum etwas, was er Mitte der 80er sagte oder tat von den Medien anders bezeichnet.


    Jackson wurde ununterbrochen wegen seiner Vitiligo-Erkrankung verspottet, von der die meisten Leute glaubten, er habe diese Krankheit nicht wirklich, bis sie schließlich im Obduktionsbericht definitiv bestätigt wurde. Er wurde wegen seiner Liebe zu Tieren, seiner Liebe zu Kindern und seiner Liebe zu unserem Planeten verspottet. Er wurde wegen seiner Ehen, seiner Kinder und seiner Neverland-Ranch verspottet. Man machte sich über seine Sexualität, seine Stimme und sein kindliches Verhalten lustig. Selbst bei Rezensionen über seine Musik konnte man nicht widerstehen, Pseudo-Psychoanalysen und persönlichen Beleidigungen den meisten Platz einzuräumen. Kann es einen Zweifel daran geben, dass diese Behandlung durch die Medien und die Kultur größtenteils missbräuchlich war?


    Das Opfer dieser unmenschlichen Angriffe fühlte sich ganz sicher so. Hört euch die Texte seiner Songs an. In „Tabloid Junkie“ beschreibt er die Medien als „Parasiten“, die ihm das Leben aussaugen, während sie die allgemeine Öffentlichkeit mit stetigen Dosen von Sensationsmache betäuben und verwirren. In „Stranger In Moskow“ ist er ein Künstler im Exil, der von seinem eigenen Land, in dem er geboren wurde, aufgezehrt und wieder ausgespuckt wird. „Ich lief im Regen herum“, singt er in der Rolle eines einsamen Vagabunden, „hinter Masken/ fühle mich, als sei ich wahnsinnig“.


    In „Scream“ ist er es leid, herum geschubst zu werden, er fleht: „Oh Bruder, bitte hab Gnade, denn ich halte es nicht mehr aus.“ Der Song dient jedoch auch als Medium von Stärke und Entschlossenheit (Treten sie mich nieder, muss ich wieder aufstehen). Michael und seine Schwester Janet liefern einen heftigen Schlag gegen das System, das sie sehr richtig als korrupt und ungerecht ansehen. In einem Vers singt Janet „Ihr betreibt einen Ausverkauf von Seelen und ich mache mir Gedanken um meine.“ Es ist ein herausfordernder Song darüber, sich gegen Grausamkeiten zur Wehr zu setzen, auch wenn der Schmerz und die Empörung so tief sind, dass sie nur in einem Schrei ausgedrückt werden können, der tief aus der Kehle kommt.


    In zahlreichen Songs benutzt Jackson die Musik gleichsam als gebündelten Aufschrei all derer, die schlecht behandelt werden. In „They Don’t Care About Us“ legt er Zeugnis ab für all jene, die erniedrigt und ihrer Bürgerrechte beraubt wurden. „Sagt, was wurde aus meinen Rechten, bin ich unsichtbar, nur weil ihr mich ignoriert?“, singt er dort. In „Little Susie“ richtet er die Aufmerksamkeit auf die Not der Vernachlässigten und Verlassenen, indem er die Geschichte eines Mädchens erzählt, dessen Gabe unbemerkt bleibt, bis es tot am Fuße der Treppe ihres Hauses gefunden wird. („Hebt sie ganz vorsichtig hoch“, singt Jackson, „Blut ist in ihrem Haar“). Der „Earth Song“ liefert eine epische Wehklage im Namen unseres Planeten und seiner verwundbaren Einwohner (repräsentiert durch die leidenschaftlichen Ausrufe des Chors: Was wird aus uns?). Durch solche Songs (wie auch durch sein ganzes Leben und seine ganze Persönlichkeit) wurde Jackson zu einer Art globalem Repräsentanten der „Anderen“.

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  • Die Massenmedien jedoch hielten nie sonderlich viel von Jacksons „Anderssein“, genauso wie sie nie viel von den „Anderen“ hielten, von denen er in seinen Songs sprach. Sie fanden wohl eher eine einfache, profitable Geschichte – Jackson als exzentrischer „Freak“ – und an dieser Geschichte hielten sie nahezu 30 Jahre fest und sie erhöhten stets und ständig ihren Einsatz.


    Die fesselndste Reaktion Jacksons auf die öffentliche Wahrnehmung von ihm kommt wahrscheinlich in diesen drei Songs zum Ausdruck: „Ghosts“, „Is It Scary“ und „Threatened“. Hier hält Jackson der Gesellschaft den Spiegel vor, die ihn verachtet und er verlangt von ihr, in ihr eigenes groteskes Spiegelbild zu blicken. „Erschreckt dich das?“, fragt er. Die Songs, mit den sie begleitenden bildlichen Darstellungen, sind nicht nur extrem selbstbewusst, sie demonstrieren auch sein sehr scharfsinniges Verständnis der giftigen Mächte, die ihn umgeben und jagen.


    In dem Kurzfilm „Ghosts“ verhöhnt der Bürgermeister (eine konservative Autoritätsperson, inspiriert von DA Tom Sneddon) von „Normal Valley“ Jacksons Charakter: „Freaky Boy! Freak! Zirkusfreak!“ Interessanterweise ist es Jackson selbst, maskiert als Bürgermeister, der diese Worte sagt und man kann spüren, wie sehr er sie verinnerlicht hat. Es sind Beleidigungen, die beschmutzen und demütigen sollen (was sicher 1993 und 2005 auch der Zweck der Jagd auf Jackson war). Für den Bürgermeister ist Jacksons Anwesenheit in der Gemeinde nicht zu tolerieren. Es ist nicht so, dass Jackson irgendwem wehgetan hätte, es ist einfach, weil er anders ist und Anderssein bedrohlich ist.
    In solch künstlerischen Ausdrucksformen erkennt Jackson ganz klar, was ihm angetan worden ist. Er wurde von äußeren Mächten in eine Schublade gesteckt. Er ist ein Phantom, das sie sich in ihren eigenen Köpfen erschaffen haben, wie er in „Is It Scary“ singt. „Wenn du exzentrische Seltsamkeiten sehen willst, werde ich vor deinen Augen grotesk“. Das heißt mit anderen Worten, dass er grotesk sein wird, weil es genau das ist, „was das Publikum sehen will“. Sie wurden so konditioniert, genau das zu sehen. Später in diesem Song nimmt er die Reaktionen des Publikums vorweg, indem er fragt: „Amüsiere ich euch/oder verwirre ich euch nur/bin ich das Biest, das ihr euch vorstellt?“ Wurde er weniger als ein Mensch? Warum? Ist es seine physische Erscheinung? Seine mehrdeutige Identität? Seine ungewöhnliche Lebensgeschichte? Keine Frage, Michael Jackson war anders. Die Frage ist, warum dieses „Anderssein“ eine solch glühende Herabwürdigung und Verunglimpfung entfachte.


    Eine der bemerkenswertesten Qualitäten von Michael Jacksons Leben und Werk besteht jedoch darin, dass er sich weigerte, sein Anderssein aufzugeben. Er wird niemals „normal“, wie es, sagen wir, vom Bürgermeister von Normal Valley erwartet wird. Er passt sich keinen Erwartungen an. Lieber bleibt er sich selbst treu und stellt seine einzigartige, facettenreiche Identität zur Schau, zum Verdruss all derer, die sich wünschen, er möge in vorhersehbarere Schubladen passen. Seine Andersartigkeiten, wie Susan Fast schreibt, waren „undurchdringlich und unerschöpflich und riefen große Beunruhigung hervor. Sei doch bitte schwarz, Michael, oder weiß oder schwul oder hetero, Vater oder Mutter. Sei deinen Kindern ein Vater, aber sei doch bitte nicht selbst Kind, damit wir endlich wissen, auf wen wir unsere liberale (In)Toleranz richten sollen. Und versuch doch bitte nicht, alle gleichzeitig mit Kodes zu verwirren“.


    Selbst über zwei Jahre nach seinem tragischen Tod, scheint es so zu sein, dass die Menschen immer noch nicht wissen, was sie mit Jackson anfangen sollen. Deshalb wird er einfach auf einen „Medikamentenabhängigen“ reduziert. Herzlos pflastert ein Foto seines leblosen Körpers die Nachrichtenseiten. Ein grausames, missbräuchliches Verhalten, unter dem Deckmantel „normal“. Vielleicht nutzte Jackson deshalb einen Gruselfilm als Medium, um sich zu wehren. Es war sein Weg, den Spieß umzudrehen, um symbolisch die Welt so darzustellen, wie er sie oft empfand: monströs und grotesk. Seine „Horrorstorys“ waren sicherlich nicht dafür vorgesehen, einfach nur zu unterhalten.


    „Freaks werden Freaks genannt“, bemerkt Autor James Baldwin, „und sie werden behandelt, wie sie behandelt werden – in der Hauptsache abscheulich – weil sie Menschen sind, die tief in uns unsere grundlegendsten Ängste und Wünsche widerspiegeln.“ Doch so sehr Jackson zum symbolischen Magnet wurde, auf den diese kulturellen Ängste projiziert wurden, so war er doch auch ein Mensch aus Fleisch und Blut, der versuchte, sein Leben zu leben. Gegen Ende von „Is It Scary“ singt er: „Ich bin einfach nicht das, was ihr in mir sucht“, bevor er dem leidenschaftlichen Zuhörer offenbart: „Doch wenn ihr euch aufmacht/ die Wahrheit und Reinheit zu erkennen/ liegt sie hier in einem einsamen Herzen/ als lasst die Performance beginnen!“


    Ironischerweise finden wir diese Wahrheit und Reinheit in der Performance seiner Kunst. Hier treibt er seine Dämonen aus, dort wo seine Qual sich in schöpferische Energie verwandelt. Hier stürzen Mauern ein und Masken fallen. Für die Außenwelt mag er in Spektakel sein, eine Karikatur, ein Freak; doch hier, in seiner Musik, offenbart er letztendlich seine Seele. Er ist ein Mensch.


    Die Frage ist: Was sehen wir?


    :herz: :flowers: einen wunderbaren menschen, das ist es, was ich sehe :flowers: :herz:

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