Dancing With The Elephant

  • das "Typische" an Michael ist doch, dass er immer wieder überrascht und überraschen will, immer was zeigen, was noch nie da war und sich selbst neu erscheinen lässt.


    Ich habe diese Paare und ihre zum Teil zerstörerische Leidenschaft sehr wohl in dem Video wahrgenommen, die eine Frau ist übrigens Siedah Garrett.


    Für mich ist die blanke animalische Begierde Teil der Liebe, Teil des Geschlechtsaktes, auch bei Menschen, die sich lieben, und auch bei Menschen, die einfach nur eine sexuelle Beziehung haben.
    Ich finde, es kann sehr entspannend sein, einfach nur harten Sex zu haben, ohne zu versuchen, den andern zu verstehen.
    Ich glaube, das ist hier gemeint, Liebe ist manchmal romantisch und mit tiefen Gefühlen verbunden, manchmal einfach nur der pure Trieb. Beides darf sein, sogar bei ein und demselben Paar, aber auch bei einer einzelnen kurzen Beziehung. So ist das Leben, so ist die Liebe, so ist der Trieb.
    Ob es bei Michael selbst auch manchal so war, wissen wir nicht, ich glaube aber schon.
    Auf jeden fall hat er das sicher oft in seiner Umgebung in der Musikerszene beobachtet und im Lied verarbeitet.


    Andere in Extase versetzen , das konnte er, auf jeden Fall auf der Bühne, mit seinem Publikum. Ja, auf dieser Ebene passiert das auch. Don't try to understand me, just simply do the things, I say. Das macht mich ungeheuer an, und das ist was, was ihn glaub ich, auch sehr erregt hat: dass er die Massen in der Hand hatte und sie im tiefsten Innern auf einer triebhaften, emotionalen Ebene getroffen hat.
    Extase ist nur möglich, wenn man das Hirn ausschaltet, also das "Verstehen". Bliss and Extasy!!

    You were the rhythm,
    You were the sound of a crescendo,
    You showed us Heaven and Light,
    you faced the fear.


  • Andere in Extase versetzen , das konnte er, auf jeden Fall auf der Bühne, mit seinem Publikum. Ja, auf dieser Ebene passiert das auch. Don't try to understand me, just simply do the things, I say. Das macht mich ungeheuer an, und das ist was, was ihn glaub ich, auch sehr erregt hat: dass er die Massen in der Hand hatte und sie im tiefsten Innern auf einer triebhaften, emotionalen Ebene getroffen hat.
    Extase ist nur möglich, wenn man das Hirn ausschaltet, also das "Verstehen". Bliss and Extasy!!

    Das ist sehr treffend formuliert.. :stern:
    Wobei das über die Bühne weit hinaus geht und ganz zeitlos ist und bliss sich sehr vielfältig zeigen kann (so vielfältig wie Michael selbst!). Ich meine, ich weiß wovon Du sprichst :angel: , ohne Michael je auf der Bühne gesehen zu haben.
    Sky*

  • das ist ja auch grad das so Unglaubliche, Umwerfende, das man das sogar auf Videos erleben kann, wie muss das erst live gewesen sein !!! Nur so kann ich mir den Himmel vorstellen :wolke1::nick::puah:

    You were the rhythm,
    You were the sound of a crescendo,
    You showed us Heaven and Light,
    you faced the fear.


  • Hast du immer noch Angst?
    12/04/2012


    Willa: Ein kürzlich erschienener Artikel “Who Is Peter Pan,” in The New York Review of Books erwähnt Michael Jacksons Identifikation mit Peter Pan und er lässt ganz lässig diese kleine Bombe fallen:


    Gelegentlich übernachteten Jungen in Jacksons Haus; er war zweimal angeklagt, sie missbraucht zu haben, wurde aber nie verurteilt. Heute stimmt man darin überein, dass er unschuldig war.


    Joie, ich sollte begeistert sein, dass die Leute endlich zur Besinnung kommen, und ich bin es auch. Aber ich muss zugeben, dass ich herumtobe, seit ich es gelesen habe, und murmele jedem, der zuhört etwas über die wankelmütige öffentliche Meinung ins Ohr. Als er starb, bestand die überwiegende „Übereinstimmung“ darin, dass er schuldig gewesen war. Wenn er auch nicht genau der Kindesbelästigung schuldig war, obwohl die meisten Leute dachten, er sei es, so war er doch verdächtig verrückt und fast sicher wegen irgendetwas schuldig. Jetzt, drei Jahre später, „stimmt man darüber überein, dass er unschuldig war“. Warum dieser Sinneswandel? Es sind keine signifikanten neuen Beweise aufgetaucht. Es gibt keinen logischen Grund für die Leute, ihre Meinung zu ändern, aber sie haben es dennoch getan. Millionen von Menschen haben ihre Meinung geändert. Warum?


    Joie: Ich weiß es nicht, Willa, aber ich verstehe genau, warum du so aufgebracht darüber bist. Es ist sehr erschütternd zu wissen, dass dieser wunderbare Mann, der immer nur Liebe in seinem Herzen und Mitgefühl für seine Mitmenschen hatte, so gequält und ausgelacht und falsch angeklagt wurde während seines Lebens. Aber nun, wo er tot ist, haben so viele von denen, die ihn schlecht gemacht haben, ihren Ton geändert. Jetzt, da es viel zu spät ist.


    Willa: Ich weiß. Ich fühle einfach dieses tiefe Bedauern darüber, dass der Wandel nicht stattfinden konnte, als er noch am Leben war. Aber das Ärgerlichste daran ist, dass es gar nicht möglich war, weil sein Tod überhaupt erst das ist, was diesen Wandel hervorgerufen hat. Es gibt gar keinen logischen Grund dafür, dass sich die öffentliche Meinung gerade jetzt verändert. Die Leute ändern nicht ihre Meinung wegen überraschender neuer Beweise. Der einzige Unterschied zwischen heute und vor drei Jahren ist, dass er nicht mehr da ist. Er musste erst sterben, bevor die öffentliche Meinung sich ändern konnte. Und für mich persönlich ist der am meisten erschütternde Aspekt, dass er es gewusst hat – er wusste, dass er sterben muss, bevor sich die Einstellung der Menschen ändern würde. Er hat es uns in Ghosts erzählt.


    Ghosts ist solch ein faszinierender Kurzfilm in so vielerlei Hinsicht. In M Poetica habe ich gesagt, dass es wie ein Seminar über Kunsttheorie ist, und das ist es wirklich. Wir können es als Ausgangspunkt benutzen, um in einige wirklich faszinierende Theorien einzutauchen, genau wie etwa Lewis Hydes Gedanken über Tricksterfiguren oder Elaine Scarrys Gedanken über den Körper oder Julia Kristevas Gedanken über das Abartige oder Mikhail Bakhtins Gedanken über Karneval und die Macht des Grotesken, um autoritäre Machtstrukturen auseinanderzubrechen und herauszufordern. Das ist einer der Kerngedanken von Ghosts. Wir könnten Monate damit verbringen, nur um über diesen einen Kurzfilm zu reden.


    Aber wir können Ghosts auch als künstlerische Antwort auf die Anschuldigungen und den Skandal von 1993 sehen, und das ist die Herangehensweise, die ich in dieser Woche vornehmen möchte. Da gibt es so viel in Ghosts, was sich direkt auf das, was 1993 passierte und auf den darauf folgenden Medienfeuersturm, bezieht.


    Joie: Du hast Recht, Willa. Sowohl der Song, als auch der Short Film handeln gewissermaßen nur von den Vorgängen rund um den Erpressungsversuch von 1993, und es ist nicht einmal versteckt; es spielt sich genau vor unseren Augen auf der Oberfläche ab. Alles, was man tun muss, ist einfach nur, seine ganze Aufmerksamkeit darauf zu lenken, beginnend mit den drei Songs, die er ausgesucht hat, um auf den Short Film selbst aufmerksam zu machen – Is it scary, Ghosts und 2Bad.


    Willa: Das ist wahr – alle drei Songs befassen sich sehr deutlich mit den Anschuldigungen von 1993 – und die Handlung von Ghosts verstärkt das noch. Es beginnt mit einer Horde wütender Dorfbewohner, die in das Haus eines Künstlers, eines Maestros, eindringen. Er hatte sich mit einigen der Kinder aus dem Dorf angefreundet und ihnen Geistergeschichten erzählt, und die Dorfbewohner denken, das sei unangemessen. Wie eine Mutter aus dem Dorf es ausdrückt „Schämen Sie sich nicht? Junge Leute sind so leicht zu beeindrucken.“


    Und natürlich, das spiegelt genau das wider, was in der Realität passierte: Er war ein Künstler, der enge Freundschaften mit Kindern hatte, und viele Leute dachten, das wäre unpassend. Und sie antworteten darauf, indem sie sich einen Hausdurchsuchungsbefehl verschafften und in sein Zuhause eindrangen.


    Joie: Weißt du Willa, es ist sehr schwierig, Ghosts anzusehen und nicht diese Parallelen zu seinem wirklichen Leben zu sehen. Wenn du dem, was in seinem Leben vor sich ging, irgendwie ein bisschen Aufmerksamkeit geschenkt hast – und machen wir uns doch nichts vor, die Welt konnte gar nicht anders, als dies zu verfolgen, denn die Medien waren besessen von „dem Skandal“ – dann muss man sich gar nicht fragen, woher er seine Inspiration für diese Handlung bekommen hat. Es spiegelt genau das, was ihm passiert ist, und ich denke, es ist wunderbar, dass er diesen Weg wählte, um seine Enttäuschung auf so eine kreative Art und Weise zu kanalisieren. Und ich denke auch, das sagt eine Menge über seinen Charakter aus, nämlich dass den Willen hatte, seinen persönlichen Schmerz zur Schau zu stellen, mit der Aufgabe, dem Rest von uns etwas zu zeigen.


    Willa: Ich stimme dir zu, Joie. Ich denke, er musste mit sehr vielen Gefühlen klarkommen, als er an diesem Film arbeitete. Aber er half uns als Publikum ebenso, mit unseren Gefühlen klarzukommen. Als Künstler hatte er sich tiefgreifend dem sozialen Wandel verschrieben, er hat nicht einfach nur seine Gefühle ausgedrückt durch dieses Werk. Er war ebenso daran interessiert, wie seine Arbeit uns als Publikum beeinflusste, und wie sie uns half, unsere Gefühle zu verarbeiten – wie es unsere Emotionen hervorrief und neu ausrichtete und unsere Wahrnehmung änderte, wie wir vor ein paar Wochen bereits in unseren Post über das Leinwandpublikum besprochen haben. Und die Art, wie er dabei in Ghosts vorgeht, ist faszinierend.


    Als die Dorfbewohner in das Haus des Maestros eindringen, ist das erste, was er tut, ihnen mit einer furchteinflößenden Maske gegenüberzutreten: Statt sein Gesicht zu sehen, sehen sie einen Schädel. Sie ringen nach Luft und weichen voller Schrecken vor ihm zurück. Aber sobald sie zurückweichen, lüftet er die Maske und enthüllt, dass es nur eine Verkleidung ist. Die Dorfbewohner seufzen auf vor Erleichterung, fangen an, sich wieder zu entspannen und nähern sich ihm wieder auf eine freundlichere Art an.


    Es ist sehr interessant, was da passiert, sowohl dramaturgisch, als auch psychologisch. Die Dorfbewohner fallen in sein Haus ein, was eine sehr aggressive Handlung ist, aber er dreht die Dynamik sofort um, so dass sie diejenigen sind, die sich bedroht fühlen – nicht er – und dann entfernt er die Bedrohung, so dass sie sich auf gewisse Art sogar dankbar ihm gegenüber fühlen. Wichtig ist, dass die Dorfbewohner in sein Haus eindringen, weil sie ihn als eine Art Monster sehen – die Art, die Kinder verletzen würde – und er antwortet darauf, indem er ihnen gegenüber als Monster auftritt. Also erweckt er durch die Maske genau die Emotionen, die sie ihm gegenüber sowieso schon fühlen. Aber dann enthüllt er, dass es nur eine Illusion ist: Er ist kein Monster. Also gibt es da eine sehr schnelle Auf-und-Abbewegung zwischen Krise und Erlösung, die auf mehreren verschiedenen Ebenen funktioniert.

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  • Joie: Hmm. Ich habe das niemals vorher untersucht, aber du hast Recht. Die Dorfbewohner stürmen sein Haus – sie sind diejenigen, die ihn bedrohen. Aber sogar bevor sie tatsächlich sein Haus betreten, fühlen sie sich schon sehr eingeschüchtert und beklommen. Sie haben ihn noch gar nicht getroffen, aber sie fürchten sich schon vor ihm; es ist alles in ihrem Kopf!


    Willa: Genau, und er reflektiert diese Emotionen durch die Maske, aber dann macht er es auf eine Art rückgängig. Also fordert er die Dorfbewohner durch die Maske dazu auf, sich emotional abzureagieren und dann gestaltet er jene Emotionen neu.


    Der Maestro und die Dorfbewohner beginnen zu reden, und während sie reden, trägt der Bürgermeister Beweismaterial zusammen. Er sagt „Wir haben eine hübsche, normale Stadt, normale Menschen, normale Kinder. Wir brauchen keinen Freak wie dich, der ihnen Geistergeschichten erzählt.“ Dann wird er aggressiver und sagt „Du bist verrückt, du bist seltsam, und ich mag dich nicht. Du machst diesen Kindern Angst, wie du hier so alleine lebst.“ Er beginnt sogar, den Maestro zu bedrohen „Zurück zum Zirkus, du Freak. Und tu dir selbst einen Gefallen, ok? Zwing uns nicht, grob werden zu müssen, denn das werden wir, wenn wir dazu gezwungen werden.“ Schließlich setzt er ihm ein Ultimatum und sagt „Gehst du jetzt, oder muss ich dir erst wehtun?“


    Joie: Das ist sehr interessant, Willa, zum Teil auch wegen der Sprache, die er in dem Dialog zwischen dem Bürgermeister und dem Maestro benutzt. Wie du herausgestellt hast, sind die Worte des Bürgermeisters sehr spezifisch. „Wir haben eine hübsche, normale Stadt, normale Menschen, normale Kinder.“ Und natürlich, das war immer die Hauptanklage, die gegen Michael selbst gerichtet wurde – er war nicht „normal“. Er wurde eigenartig und seltsam genannt. Viele Leute sahen ihn als einen „Freak“. Also, es ist sehr vielsagend, dass dies die Worte sind, die Michael für diesen speziellen Wortwechsel benutzt. Es lässt mich an Joe Vogels Artikel „Am I the Beast You Visualized: The Cultural Abuse of Michael Jackson“ (Bin ich die Bestie, die du dir vorstellst: Der kulturelle Missbrauch von Michael Jackson) denken, über den wir im November gesprochen haben und in dem Joe sich auf all diese schmerzenden Worte als „Beleidigungen“ bezieht.


    Willa: Das ist ein wirklich wichtiger Punkt, Joie, und ich denke, du liegst da richtig. Ich denke, er hat diese Worte sehr bewusst gewählt. Wie du sagst, das sind genau die Worte, die so oft gegen ihn in den späteren Jahren seines Lebens verwendet wurden. Was da also auf der Leinwand passiert, reflektiert genau das, was ihm im wirklichen Leben passierte. Genau so wie die Maske die Emotionen der Dorfbewohner auf sie zurückwirft, reflektiert seine Wortwahl unsere Emotionen zurück auf uns.


    Bedeutsam ist, dass der Maestro auf diese Aggression genauso antwortet, wie er es zuvor schon getan hat, nur dieses Mal noch intensiver: er verzieht sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit und zieht es dann herunter, so dass sein Gesicht noch einmal als Schädel erscheint. Noch einmal weichen die Dorfbewohner in Angst vor ihm zurück, so wie sie es vorher schon getan hatten. Und wieder einmal, so schnell wie sie zurückgeschreckt sind, stellt er sein Gesicht wieder her und offenbart, dass alles nur eine Täuschung war, genau wie er es zuvor schon getan hatte. Also gibt es wieder einmal die schnelle Auf- und Abbewegung von Krise und Erleichterung, die die Dorfbewohner dazu bringt, ihre Emotionen abzureagieren dadurch dass ihre Ängste hervorgerufen und auf sie zurückgeworfen werden, worauf dann die Erlösung folgt, indem gezeigt wird, dass alles nur eine Illusion ist.


    Joie: Die Botschaft hier ist eindeutig, denke ich. Er zieht die Parallelen zwischen der Rolle des Maestros und seinem eigenen persönlichen Leben. Wie du sagst, zeigt er uns also durch die Demonstration der Täuschung sehr deutlich, dass all die vermeintliche „Seltsamkeit“, die sein persönliches Leben umgibt, genau so eine Täuschung ist, und was wir – die Öffentlichkeit und die Medien – denken, was wir sehen, nicht die wirkliche Geschichte ist.


    Willa: Ich denke genauso, obwohl da auf psychologischer Ebene auch eine Menge vor sich geht. Wir können das sehen, als er dieselbe Auf- und Abbewegung der Krise und Erlösung ein drittes Mal wiederholt. Es ist dieses Mal sogar noch extremer – anstatt dass sein Gesicht zu einem Schädel wird, wird sein gesamter Körper zu einem Skelett – aber die Reaktionen der Dorfbewohner sind dieses Mal ganz anders, also gibt es da eine psychologische Verschiebung. Sie sind überrascht, aber sie sind nicht verängstigt, und sie weichen dieses Mal auch nicht zurück. Sie bleiben stehen und beobachten das, was er ihnen zu zeigen hat, und als das Skelett anfängt zu tanzen, lächeln sie und genießen die Vorstellung. Mit anderen Worten, sie reagieren nicht mehr so ängstlich auf das „Fremdartige“ und das „Seltsame“ wie sie es zuvor noch getan haben. Sie sind immer noch skeptisch, aber sie fangen an, das Andersartige etwas mehr zu akzeptieren.


    Und dann wiederholt er dieses Auf-und Abwärtsmuster von Krise und Erlösung ein viertes und letztes Mal, und dies ist das intensivste von allen: er zerstört sich selbst. Er fragt sie „Also, wollt ihr immer noch, dass ich gehe?“ Viele der Dorfbewohner, besonders die Kinder, schütteln ihren Kopf verneinend, aber der Bürgermeister bejaht es „Ja! Ja!“ Also sagt der Maestro „Gut, ich gehe.“ Er lässt sich fallen, zerstört seine Hände auf dem Boden, dann seine Arme und dann sein Gesicht. Seine Nase fällt ab, sein ganzes Gesicht fällt auseinander, sein Körper wird zu Staub, und ein unirdischer Wind bläst alles weg.


    Die Dorfbewohner sind entsetzt, aber aus einem komplett anderen Grund als vorher: nicht, weil sie Angst vor ihm haben, sondern weil sie gerade anfingen, eine Verbindung zu ihm aufzubauen, und sie sind entsetzt, dass er sich selbst zerstört hat. Also haben sich ihre Gefühle während des Verlaufs des Films einer vollständigen Umkehrung unterzogen. Er ist gegangen, also hat er getan, was sie gesagt haben, das er tun soll, weswegen sie in sein Haus eingedrungen sind, um ihn dazu zu zwingen. Aber zu diesem Zeitpunkt wollten sie gar nicht mehr, dass er gehen würde, und sobald er gegangen war, spürten sie ein Gefühl des Verlustes und wollten ihn zurück.


    Joie: Genau das, was wir jetzt erleben, wo er nicht mehr bei uns ist. Wow. Das ist sehr fesselnd, Willa. Also glaubst du, er hatte begriffen, dass sowohl er selbst, als auch seine Kunst erst nach seinem Tod geschätzt werden würde?

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  • Willa: Das glaube ich. Aber ich denke auch, dass da noch mehr vor sich geht als das. Ich kämpfe immer noch damit, es herauszufinden und es für mich zu artikulieren, aber ich komme immer wieder zu diesen Zeilen von Is it scary zurück:


    Ich werde genau das sein
    Was du sehen willst
    Du bist es, der mich verspottet
    Denn du willst
    Dass ich der Fremde in der Nacht bin


    Amüsiere ich dich?
    Oder verwirre ich dich?
    Bin ich das Biest, das du dir vorstellst?
    Und wenn du exzentrische Seltsamkeiten sehen willst
    Werde ich vor deinen Augen grotesk sein
    Lass sie alle zustande kommen …


    Also sag mir
    Ist das Realismus für dich, Baby?
    Bin ich unheimlich für dich?


    Du weißt, nachdem er gestorben war, drückten sehr viele Kommentatoren ihre Überraschung darüber aus, dass da so viel Trauer für ihn ausströmte, wenn man all die Jahre der Skandale und Kontroversen betrachtet – die Jahre der „exzentrischen Seltsamkeiten“, wie Michael Jackson sie in Is it scary nennt. Aber ich beginne gerade genau das Gegenteil zu glauben: dass die ausströmende öffentliche Trauer nicht möglich gewesen wäre ohne all diese Jahre der „exzentrischen Seltsamkeiten“. Jene exzentrischen Seltsamkeiten haben eine wesentliche Funktion – sie stellen eine Serie von Minidramen der Krise und der Erlösung bereit – genau wie die wiederholte Auf- und Abbewegung in Ghosts. Wie in Ghosts erlauben uns die exzentrischen Seltsamkeiten unsere Emotionen über ihn abzureagieren, die auf die Belästigungsanklage folgten und fordern uns dazu auf, uns da durchzuarbeiten. Als er also starb, hatten wir uns bereits mit sehr vielen dieser negativen Emotionen beschäftigt, und als er erst einmal wirklich gegangen war, offenbarte sich uns, dass diese negativen Emotionen eine Täuschung waren – wie der Artikel aus The New York Review of Books sagt „Heute stimmt man darin überein, dass er unschuldig war.“ – und wir wurden zu unseren wahren Gefühlen zurückgeführt, die uns sagen, wie viel er uns bedeutet.


    Joie: Das ist eine faszinierende Sicht auf dies alles, Willa. Ich habe das vorher nie auf diese Art gesehen.


    Willa: Weißt du, ich bin immer noch auf meinem Weg, mich durch all das durchzuarbeiten, und ich kann auch völlig falsch damit liegen, aber es fühlt ich für mich so an, als wenn etwas sehr Bedeutsames durch diese „exzentrischen Seltsamkeiten“ geschehen ist, sowohl kulturell, als auch psychologisch, und ich denke, Ghosts ist der Schlüssel dazu, das zu verstehen. Er hatte eine sehr hochentwickelte Ästhetik – ich bin überzeugt, dass sein Werk auf tiefen psychologischen Ebenen funktionierte – und er bewältigte einige sehr schwierige Themen der Gruppenpsychologie nach dem Skandal 1993. Grundsätzlich ging er mit Massenhysterie und der Angst vor dem Ungewöhnlichen um, genau wie der Maestro, und er reagierte auf eine Art, die direkt diese Gruppenhysterie ansprach.


    Seine Reaktion mag auf den ersten Blick nicht logisch sein, aber das Unterbewusstsein ist nicht logisch – oder fast, es hat eine eigene Logik, die sich von der Logik des Bewusstseins unterscheidet – und ich glaube, dass er durch seine „exzentrischen Seltsamkeiten“ direkt zum Unterbewusstsein spricht. Wie er uns in Ghosts erzählt haben diese wiederholten Minidramen der Krise und Erlösung eine sehr spezifische psychologische Auswirkung. In Is it scary sagte er uns ausdrücklich, was er zu tun beabsichtigt: „Ich werde genau das sein / Was du sehen willst“ und „wenn du exzentrische Seltsamkeiten sehen willst / Werde ich vor deinen Augen grotesk sein“.


    Joie: Ich stimme dir völlig über die Vorsätzlichkeit seiner Kunst zu, Willa, und ich glaube wirklich, dass die drei Songs in dem Kurzfilm (Ghosts, Is it scary und 2Bad) ganz bewusst ausgesucht wurden. Ich denke, wir beide könnten einen ganzen Blog – vielleicht sogar zwei – damit verbringen, nur über diese drei Songs im Detail zu reden und in welcher Beziehung sie zum Film und zu dem, was in seinem Leben zu der Zeit vor sich ging, stehen.


    Weißt du, seit wir an diesem Blog arbeiten, verstehe ich, dass es nicht wirklich viel an Michael Jacksons Kunst gibt, das nicht ganz bewusst so gemacht wurde. Er hatte normalerweise einen ganz bestimmten Grund für alles, was er tat, und es lässt mich einfach voller Bewunderung davor stehen. Würdest du nicht auch zu gerne in die Gedankenwelt eines wirklich großen Künstlers eintauchen können … nur um zu versuchen, seine Leidenschaft und das Brennen für seine Kunst zu verstehen? Dieser Gedanke ist aus irgendeinem Grund so faszinierend für mich, und ich hätte einfach so gern mit ihm über seine Kunst geredet. Ich kann einfach nicht glauben, dass so viele Journalisten, wie Bashir zum Beispiel, die wertvolle Zeit, die ihnen mit ihm geschenkt wurde, verschwendet haben, um über so triviale Dinge wie seine Hautfarbe und sein angeblich seltsames Verhalten zu sprechen. Was für eine kolossale Verschwendung von Gelegenheiten!


    Willa: Oh, ich weiß! Das ist das, was mich auch am meisten an der Bashir-Dokumentation trifft – dass ihm diese unglaubliche Möglichkeit gegeben wurde, und er sie komplett verschwendet hat. Stell dir vor, du könntest die Zeit zurückdrehen und acht Monate lang mit Van Gogh reden und ihn kennenlernen – vielleicht nicht darüber, wie er spezielle Werke interpretiert, denn Künstler neigen dazu, sehr zurückhaltend zu sein, ihr Werk mit nur einer einzigen Interpretation zu limitieren – sondern über seine Weltsicht und wie seine Kunst in diese Sicht passt. Was für eine aufregende Gelegenheit würde das sein. Und Bashir hat diese Gelegenheit erhalten und sie vollständig vertan. Und die wirklich traurige Sache daran ist, dass Bashir sein Gehirn so lange mit einer Skandaldiät gefüttert hat, dass er nicht mal merkte, dass es da draußen eine viel größere Welt gibt. Michael Jackson rang mit komplexen Themen wie sozialer Gerechtigkeit und Wahrnehmung und wie man den Sinn herausfindet, genauso wie die Fähigkeit der Kunst, grundlegend unsere Wahrnehmung der Welt zu beeinflussen und den Sinn dieser Welt zu erkennen, und Bashir verbringt die ganzen acht Monate damit, tabloidartige Fragen zu stellen. Das macht mich einfach sprachlos.


    Glücklicherweise hinterließ Michael Jackson uns sehr viele Hinweise, um uns zu helfen, Wege für die Annäherung an seine Werke zu entwickeln und seine Weltsicht zu verstehen. Und wie wir in Ghosts sehen, gibt es so viel zu entdecken und zu erforschen.



    herz.gif herz.gif herz.gif

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  • Zitat

    Ich fühle einfach dieses tiefe Bedauern darüber, dass der Wandel nicht stattfinden konnte, als er noch am Leben war. Aber das Ärgerlichste daran ist, dass es gar nicht möglich war, weil sein Tod überhaupt erst das ist, was diesen Wandel hervorgerufen hat. Es gibt gar keinen logischen Grund dafür, dass sich die öffentliche Meinung gerade jetzt verändert. Die Leute ändern nicht ihre Meinung wegen überraschender neuer Beweise. Der einzige Unterschied zwischen heute und vor drei Jahren ist, dass er nicht mehr da ist. Er musste erst sterben, bevor die öffentliche Meinung sich ändern konnte. Und für mich persönlich ist der am meisten erschütternde Aspekt, dass er es gewusst hat – er wusste, dass er sterben muss, bevor sich die Einstellung der Menschen ändern würde. Er hat es uns in Ghosts erzählt.

    ... :stuhl::rotz: ich denke auch, dass er es wußte, es ist so, als hätte er sich selbst im Weg gestanden..insofern, dass das mediengemachte Bild es für viele Menschen unmöglich machte den wirklichen Michael und sein Werk zu erkennen. So lange er da war, solange er lebte, hätte er auch weiter als Objekt für die Medienmeinungsmache herhalten müssen - das Spiel funktionierte einfach zu gut als dass es dort eine wirkliche Veränderung gegeben hätte. Und sicher war ihm das bewußt..er wußte, was er erschaffen hatte, er legte alles, seine Seele- in seine Arbeit - nicht umsonst hat er oft genug Michelangelo zitiert - und er wußte, dass das letztlich bleiben würde, und dann auch geschätzt würde, wenn nichts mehr davon ablenken würde.."when the creator ist gone"... Und das bezieht sich dann auch auf ihn als Person, bzw. auf die Wahrnehmung seiner Person, nach seinem Tod. Es gibt keine neuen Klatsch Geschichten, keine herbeigeschriebenen Skurilitäten mehr...weil das "Objekt" gegangen ist, und wenn nichts mehr ablenkt, kann sich auch die öffentliche Meinung ändern...und erkennen, was all die Jahre nicht zu erkennen war, weil die Öffentlichkeit immmerzu Dreck in die Augen geworfen bekam. Ich finde das auch heftig..es ändert sich was zum positiven...aber der Preis dafür ist unbeschreiblich hoch...und auch ich sitze hier letztlich nur deshalb jetzt vor meinem Rechner...weil er gegangen ist. :kerze:


    ...ansonsten ist das auch wieder so ein zumniederknieentoller blogbeitrag von Willa und joie...Danke fürs übersetzen :flowers:

    2 Mal editiert, zuletzt von maja5809faithkeeper ()

  • Ja, genauso ist das. Und es tut so weh. Und ich liebe ihn. Und es tut so weh. Und ich bin so glücklich. Und er wusste das alles. Und es tut so weh. Und ich liebe ihn..... und ich bin so dankbar.

    You were the rhythm,
    You were the sound of a crescendo,
    You showed us Heaven and Light,
    you faced the fear.


  • ...und auch ich sitze hier letztlich nur deshalb jetzt vor meinem Rechner...weil er gegangen ist.


    ... und irgendwie fühle ich mich deshalb immer ein wenig schuldig und frage mich immer und immer wieder: Wieso hast du das alles nicht schon viel früher bemerkt? :snüf::kerze::iwmm:

  • Er ist eine Tanzmaschine
    18/04/2012


    Joie: Willa, in der letzten Woche sprachen wir über den Short Film Ghosts, und das hat mich dazu gebracht, über die Tanzsequenzen in dem Video nachzudenken. Du weißt ja, so viele Jahre lang war Michaels Name ein Synonym für Tanz, und er wird seit langer Zeit als einer der größten Tänzer unserer Zeit anerkannt. Ich glaube, wir können lange suchen und es wird schwer, jemanden zu finden – irgendjemanden – der Einspruch gegen diese Feststellung erhebt. Sogar Leute, die sich selbst nicht als Fans betrachten, haben kein Problem damit, das zuzugeben. Tatsächlich war er die erste Person aus der Welt des Rock and Roll, die 2010 in die renommierte National Dance Hall of Fame aufgenommen wurde.


    Willa: Wirklich? Woher weißt du das alles, Joie? Du bist erstaunlich. Aber nein, ich wusste das nicht. Das ist beeindruckend.


    Joie: Yeah, es ist wirklich beeindruckend. Besonders weil diese Ehre normalerweise den klassisch ausgebildeten Tänzern aus der Welt des Balletts und des Modern Dance vorbehalten ist. Die Liste der Mitglieder führt Namen auf wie George Balanchine, Martha Graham und Bronislava Nijinska, ebenso wie Fred Astaire und Bill „Bojangles“ Robinson.


    Ich denke, einer der Gründe, warum die Leute sein Tanztalent so anerkennen, ist, dass er immer seine Short Films genutzt hat, um seine erstaunliche Fähigkeit vorzuführen, und ich liebe wirklich die große Tanzsequenz in Ghosts. Sogar obwohl die Handlung und die Dialoge das sind, was dieses Video wirklich antreibt, ist die Tanzsequenz für mich wirklich genauso wichtig. Von ganz zu Beginn an, wo er seine „Geisterfamilie“ den eindringenden Dorfbewohnern vorstellt über den bedrohlichen Angriff auf den Bürgermeister bis zu dem fast engelhaften Abschluss, bei dem die Geister in Ehrfurcht von der Decke herabschweben. Ich denke, das ist eine der komplexesten Tanzsequenzen, die wir jemals in einem Michael Jackson Video gesehen haben, und ich liebe es, wie er die Hintergrundmusik benutzt hat, um die Stimmung des Tanzes währenddessen zu verlagern – von leichtherziger zirkusähnlicher Unterhaltung über sehr bedrohlich bis fast ätherisch. Es macht einfach so viel Spaß dazusitzen und es anzuschauen; ich liebe es, dieses Video einzuschalten und mich wirklich darin zu versenken.


    Willa: Oh, ich bin ganz deiner Meinung! Die Tanzsequenzen sind faszinierend, und du hast Recht – sie treiben uns wirklich durch eine breite Palette von Emotionen. Ich wünschte mir, ich wüsste mehr über Tanz, so dass ich mir noch mehr dessen bewusst sein könnte, was da passiert und besser verstehen würde, was er tut und warum. Er hatte drei Choreographen, einschließlich Travis Payne, die mit ihm und den anderen Tänzern an diesem Film arbeiteten, aber die Credits sagen „Alle Tanzsequenzen konzipiert und inszeniert von Michael Jackson“. Und du kannst die Führung seiner Vision in diesen Tanzsequenzen eindeutig fühlen – sie verkörpern durch körperliche Bewegung einige der zentralen Themen des Films. Und dieser erste Tanz, als all die Geister und Untoten hinter ihm tanzen, fühlt sich so anders an als jede andere Tanzsequenz, die er je gemacht hat.


    Du weißt, er wollte wirklich jeden Tanz so entwickeln, dass er genau zu dem passte, was er in diesem speziellen Stück zu vermitteln versuchte. In einem MTV Interview von 1999 beschrieb er, wie er und Michael Peters die große Tanzsequenz mit den Zombies in Thriller choreografiert haben:


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    „Es war eine heikle Sache, daran zu arbeiten,“ sagt er, weil Zombies sich auf eine solch steife und unnatürliche Art bewegen würden – sie trapsen herum auf ihren untoten Beinen und können kaum gehen. Er sagt weiter: „Ich erinnere mich, dass meine ursprüngliche Annäherung daran war ‚Wie lasse ich Zombies und Monster tanzen, ohne dass es lustig aussieht?‘“ Er ging das Problem an, indem er sich in seiner Vorstellung selbst in den Körper eines Zombies versetzte und sich auf diese Art da durcharbeitete. Wie er sagt: „Ich kam mit Michael Peters in den Raum, und er und ich stellten uns zusammen vor, wie sich diese Zombies bewegen sollten.“


    Und sie lösten das Problem auf brillante Art. Wenn du dir die große Tanzsequenz in Thriller ansiehst, fühlt es sich so richtig an, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schwierig es gewesen sein muss, einen Tanz für untote Beine zu choreographieren. Er und die anderen Zombies bewegen sich wirklich, also macht es Spaß, das anzuschauen, aber da gibt es einige unverwechselbare Gesten, die lebhaft den Gedanken vermitteln, dass es sich hier um steife, leichnamartige Körper handelt.


    Joie: Und weißt du, es ist nicht etwas, über das die meisten Leute nachdenken würden. Aber allein die Frage zu stellen „Wie lasse ich Zombies und Monster tanzen, ohne dass es lustig aussieht?“ zeigt das, was aus ihm solch ein brillantes Talent macht – diese Aufmerksamkeit für das Detail ist unglaublich. Er näherte sich bei allem, was er tat mit derselben besessenen Aufmerksamkeit für Details. Es ist wirklich erstaunlich, wenn man darüber nachdenkt! Ich liebe es einfach, als er sagt, dass er sogar bei Proben soweit gegangen und mit Michael Peters zusammen mit Monster Make-up erschienen war, um sich besser in die Rolle hineinversetzen zu können und die Vorstellung auf diese Art zu erleichtern, wie diese untoten Kreaturen sich bewegen und tanzen würden. Die Hingabe zum Detail ist der Schlüssel.


    Willa: Das stimmt. Ich denke, diese subtilen Kleinigkeiten wie diese zusammen mit der Fähigkeit, sich in seiner Vorstellung in die emotionale und körperliche Lage deiner Rolle zu versetzen, ist das, was große Tänzer, große Schauspieler, große Künstler ausmacht. Ich erinnere mich, einmal einen Artikel über Baryshnikov gelesen zu haben, als er noch sehr jung war. Er musste, glaube ich, die Rolle eines Spielzeugs tanzen, das langsam zum Leben erwacht, aber er wirkte lustlos auf der Bühne. Sein Ausbilder hielt die Musik an und fragte, ob etwas nicht stimmte, und er sagte, Nein, es ist einfach noch nicht lebendig geworden. Ich liebe das! Er schleppte sich über die Bühne, weil er vollständig in die Rolle eingetaucht war und sich vorstellte, wie es sein würde, in einem hölzernen, mechanischen Körper zu stecken und noch keinen lebenden Körper zu haben. Wie würden sich deine Arme und Beine bewegen, wenn sie noch nicht am Leben wären?Michael Jackson besaß dieselbe Vorstellungskraft, ganz ernsthaft eine Rolle zu verkörpern und sich in einer Art und Weise zu bewegen, die vermittelte, er sei wirklich ein Zombie oder ein Gangster und ein Bürgermeister, der gezwungen ist, gegen seinen Willen zu tanzen. Er beschreibt das Tanzen als Bürgermeister in The Making of Ghosts bei 6 ½ Minuten.

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  • Joie: Weißt du, was ich an diesem Clip liebe, Willa, ist die Tatsache, dass er, obwohl er zu seinem neuen Video interviewt wird, er komplett in der Rolle bleibt wegen der ganzen Aufmachung und das Interview als Bürgermeister führt – mit der Stimme, dem Verhalten und allem! So lustig.


    Willa: Ich liebe das auch! Und dann beginnt er zu zucken und sich zu bewegen, und es sieht wirklich so aus, als würde etwas in ihm an seinen Muskeln ziehen und ihn zwingen, zu tanzen. Und dann lässt er sich wirklich da reinfallen und beginnt zu grooven, aber da ist immer noch dieser Widerstand des Bürgermeisters gegen den Tanz. Es ist einfach aufregend, ihn davon reden zu hören, was passiert, während er es macht, und so lustig zu beobachten, wie er es zustande bringt.


    Ich erkenne etwas Ähnliches, aber noch ein wenig komplizierteres in der großen Tanzsequenz in Ghosts. Er erschafft einen Tanz, der angemessen für diese Rollen ist – für Geister und Untote – aber er kreiert auch einen Tanz, der eine bedeutende thematische Funktion erfüllt dadurch, dass er das Groteske erweckt. Er deutet das Groteske während Ghosts auf viele verschiedene Arten an: Durch die Verzerrung seines Gesichtes, als er anfangs mit den Dorfbewohnern konfrontiert wird, durch den lachenden Narren mit seinem klingelnden dreizipfligen Hut, durch die respektlosen Untoten, die den Bürgermeister herausfordern, durch das Auf-und-Ab-Tanzen an der Decke. Und er erweckt es auch durch die Tanzschritte selbst. Da gibt es jede Menge gespreizte Beine und diese jagenden spinnenartigen Hüpfer und Seitwärtsbewegungen, die wir ihn noch niemals vorher haben machen sehen.


    Joie: Das stimmt, es gibt eine Menge wirklich ganz anderer, bedrohlicher, sogar fast unheimlicher Bewegungen darin. In Thriller, obwohl sie da tanzende, untote Zombies darstellen, fühlt sich der Tanz trotzdem leichtherzig an, soft-horror-mäßig. Aber in Ghosts wirkt die gesamte Tanzsequenz viel dunkler und furchteinflößender wegen der einzigartigen Choreografie.


    Willa: Daran habe ich noch gar nicht gedacht, aber es ist irgendwie verstörend, oder? Einfach, weil es so anders ist als jeder andere Tanz, der mir einfällt. Ich kann mich nicht daran erinnern, je einen Tänzer gesehen zu haben, der seinen Körper auf diese Art bewegt hätte. Und weißt du, während du Menschen aus der ganzen Welt so viele unverwechselbare Michael Jackson Tanzbewegungen machen siehst, siehst du sie nicht diese Bewegungen mit den gespreizten Beinen aus Ghosts machen. Ich habe diese Bewegungen niemals außerhalb dieses Films gesehen, und vielleicht deswegen, weil sie so nervenaufreibend anders sind.


    Da passiert so viel in diesem Film und in den Tanzsequenzen, und es gibt einige subtile Gesten, die mich wirklich auf interessante Art regelrecht anspringen. Zum Beispiel beginnt er die erste Tanzsequenz, indem er diese ganzen Untoten zusammenruft, damit sie mit ihm tanzen, und dann wischt er mit seinem Handrücken über seinen Mund. Er nutzt diese selbe Geste in Bad, nachdem er die in seiner Vorstellung existierenden Gangmitglieder / Künstler zusammengerufen hat, um ihn bei der dortigen großen Tanzsequenz zu unterstützen. Und die Rolle des Macauley Culkin macht dasselbe im Intro von Black or White, genau bevor die elektrische Gitarre so laut loskracht, dass er dadurch seinen Vater zurück nach Afrika zu den Ursprüngen von Musik und Tanz schickt.


    Diese kleine Geste scheint in allen drei Fällen dieselbe Bedeutung zu haben. In allen dreien wird eine ziemlich machtlose Einzelperson mit der Bedrohung durch Gewalt konfrontiert, und in allen drei Fällen stellt er sich dieser Bedrohung entgegen und begegnet ihr durch Kunst: mit Musik und Tanz. Es ist fast so, als würde Michael Jackson sein eigenes Vokabular an Gesten erschaffen, so dass wenn wir ihn in Ghosts mit dem Handrücken über seinen Mund wischen sehen, wir das Echo aus seinen früheren Filmen spüren und schon irgendwie wissen, was jetzt kommt.


    Joie: „Sein eigenes Vokabular an Gesten.“ Ich mag das!


    Willa: Du weißt, was ich meine, stimmt’s? Es ist einfach so faszinierend für mich, was er da tut – wie er unterschwellige Gesten wie diese benutzt, um eine Absicht rüberzubringen, aber ohne es auszusprechen. Er macht etwas Ähnliches zu Beginn des Skeletttanzes. Wie wir in der vergangenen Woche schon besprochen haben, haben die Dorfbewohner sehr widerstreitende Gefühle gegenüber dem Maestro – sie sind sich nicht sicher, ob sie ihm trauen können oder nicht – also reflektiert er dies auf sie zurück, indem er sich unvertraut macht, als Skelett, aber dann tanzt er auf eine sehr lustige, vertraute Art, die sie wieder zu ihm hinzieht.


    Interessanterweise beginnt er den Skeletttanz, indem er mit seiner rechten Schulter zuckt – und das ist genau das, womit er den Zombietanz in Thriller begonnen hat. Und er muss in beiden Filmen mit einer ähnlichen Situation zurechtkommen. In Thriller spricht er die konfliktbeladenen Gefühle der Menschen zu ihm als unser ersten Schwarzes Teenidol an. Die Vereinigten Staaten waren und sind ein rassistisches Land mit niederdrückenden Tabus gegen gemischtrassige Beziehungen – besonders in den frühen 1980er Jahren, als Thriller entstand – und plötzlich fielen bei seinen Konzerten Millionen Teenagermädchen aller Rassen in Ohnmacht und behaupteten, dass er sexuell begehrenswert sei. Also forderte er diese Tabus wirklich heraus, und eine Menge Menschen fühlten sich deswegen sehr unwohl. Er reagierte auf diese widerstreitenden Emotionen genauso, wie er es in Ghosts tut: er macht sich selbst unvertraut – zu einem Zombie – also reflektiert er jene Gefühle auf uns zurück, aber dann tanzt er auf eine Art, die unmissverständlich Michael Jackson ist und zieht uns so wieder zu sich heran.


    Joie: Ok, du hast mich jetzt offiziell umgehauen! Ich habe nie vorher diese Verbindung zwischen dem Skeletttanz aus Ghosts und dem Zombietanz aus Thriller hergestellt. Aber du hast Recht; er beginnt beide Tänze auf genau die gleiche Art mit der Aufgabe, uns daran zu erinnern, dass er immer noch dieselbe Person ist. Wow!


    Willa: Ist es nicht faszinierend? Er haut mich einfach aus den Socken, immer und immer wieder – er ist einfach so atemberaubend brillant. Jedes Mal, wenn ich sein Werk untersuche, stehe ich wieder voller Ehrfurcht davor.


    Joie: Willa, das ist eine Feststellung, von der ich denke, dass ihr so viele von uns zustimmen können. Es versetzt mich immer in Erstaunen, dass, ganz egal, wie viele Male ich seiner Musik zugehört oder einen seiner Short Films oder Konzert Performances gesehen habe, ich immer etwas Neues entdecke, das ich nie zuvor gehört oder erfahren habe. Es ist so erstaunlich für mich.

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  • Willa: Oh, ich weiß! Und es ist für mich so interessant, wie er eine Bedeutung durch so viele verschiedene Wege gleichzeitig vermittelt. Zum Beispiel sagt er so viel durch diese zuckende Geste seiner rechten Schulter oder durch das Wischen über seinen Mund mit dem Handrücken und ganz wichtig ist, dass diese Gesten nonverbal sind. Ich frage mich, ob dies einer der Gründe dafür ist, dass seine Werke rund um die ganze Welt so populär waren – denn sogar wenn du kein Englisch sprichst und die Texte nicht verstehen kannst, kannst du immer noch seine zentralen Gedanken verstehen, weil er fähig war, diese auf so viele andere Arten auszudrücken.


    Und er nutzte die Gesten nicht nur, um Absichten und Gefühle zu vermitteln. Er nutzte sie auch, um Details einer Persönlichkeit herüberzubringen, die die Charaktere in seinen Rollen auf anschauliche Art zum Leben erweckten. In einem vor einigen Wochen geposteten In einem wunderbaren Kommentar (a wonderful comment) von Nina beschreibt sie seine Fähigkeit „einen Charakter zu skizzieren“, nur durch einige subtile Gesten:


    Einige der begabtesten Künstler können eine Rolle nur mit einigen einfachen Linien durch ein Verhalten oder eine Pose skizzieren – so dass wir zu Eingeweihten werden, wenn es um das Wesentliche im Verhalten und der Persönlichkeit einer Figur geht – Michael konnte solch eine „Charakterskizze“ nur durch Bewegung allein darstellen. Es ist gestische Ökonomie vom Feinsten – du kannst den „Charakter“ sofort erkennen.


    Nina sagt weiter:


    … er trifft genau das Verhalten eines halbseidenen Burschen, der sich in „Billie Jean“ mit einem Kamm durch’s Haar fährt, einen Gangster in „Smooth Criminal“, und einen anderen (Gangster) in „You Rock My World“, usw. Jeder dieser Charaktere besteht aus einigen wenigen grundlegenden Elementen, die uns durch sein gesamtes Repertoire vertraut sind. Aber diese Elemente werden für jede seiner Nummern neu arrangiert und in einer anderen Abfolge mit ständigen Variationen eingesetzt. Es ist kein Wunder, dass er als Pantomime mit Marcel Marceau auftreten wollte. Und in Filmstudien erkennen wir Michaels unverwechselbaren Stil, der durch sein gesamtes Schaffenswerk hindurch die Kennzeichen eines „Autorenfilmers“ trägt.


    Ninas Beschreibungen seiner „gestischen Ökonomie“ sind so interessant, und ich stimme ihr vollkommen zu in Bezug auf seine Fähigkeit, einen „Charakter zu skizzieren … nur mit einigen wenigen einfachen Linien“, so dass das Wesentliche dieser Rolle für uns lebendig wird. In Ghosts zum Beispiel stellt er also nicht einfach nur den Tanz eines ganz allgemeinen Bürgermeisters dar, der gegen sein Willen tanzen muss. Er stellt einen Bürgermeister mit einer ganz eigenen Persönlichkeit und speziellen Wünschen und Vorurteilen und Ansichten dar, einschließlich einem verzweifelten Bedürfnis, jederzeit die Kontrolle zu behalten. Und diese individualisierenden Merkmale werden uns durch simple Gesten vermittelt, so wie diese abrupte Bewegung mit seinen Händen, als sein Körper anfängt, sich zu bewegen. Er verliert die Kontrolle über seine Beine und dann über seine Hüften, als sein Körper zu tanzen beginnt, aber er versucht weiter, den Dorfbewohnern zu versichern, dass er die Situation, den Maestro, sie und seinen eigenen Körper immer noch unter Kontrolle hat.


    Joie: Willa, ich liebe den Kommentar, den du von Nina zitiert hast. Ich stimme ihr zu bei dem, was sie sagt über diese „Elemente, die für jede seiner Nummern neu arrangiert und in einer anderen Abfolge mit ständigen Variationen eingesetzt werden“. Das ist wirklich wahr, und wir können das in verschiedenen Performances seine gesamte Karriere hindurch erkennen. Einer meiner absoluten Lieblinge ist die 1995 MTV Video Music Awards Performance. Die gesamte Eröffnungsnummer ist unglaublich. Er performt ein Medley aus Don’t Stop, The way you make me feel, Scream, Beat it, Black or White und Billie Jean mit ein wenig Hilfe von seinem Freund Slash.


    Aber es ist die vollständige Aufführung von Dangerous, die aus dieser Performance etwas ganz Besonderes macht. Er singt nicht einmal live hier, aber das verzeiht und vergisst man schnell, denn der Tanz ist so spektakulär! Sogar jetzt, 20 Jahre danach, kann ich es nicht ansehen, ohne eine Gänsehaut zu bekommen. Die Art, wie er sich bewegt, ist einfach so total anders als alles andere; es ist, als wäre er aus Gummi gemacht. Sein Körper biegt und dreht und bewegt sich auf Arten, wie es normale Leute einfach nicht können. Es gab schon viele, die es imitiert haben, und ich bin sicher, es werden noch einige kommen, aber es ist eine simple Tatsache, dass sich niemand anderer so bewegt! Slash machte einmal diese Beobachtung:


    „Die Sache mit Michael ist die, dass er zweifellos einer der professionellsten, talentiertesten Performer ist, mit denen ich je gearbeitet habe. Das ganze Spektakel aber mal beiseite, letzten Endes kannst du 60 choreographierte Tänzer da oben haben und du weißt ganz genau, welcher Michael ist.“


    Ich liebe einfach dieses Zitat, denn Slash hat absolut Recht, du kannst Michael immer herauspicken, wenn er auf der Bühne zusammen mit anderen Sängern und Tänzern ist. Er bewegt sich einfach anders als jeder andere. Und ich liebe ganz besonders, dass dieses Zitat ausgerechnet von Slash kommt – jemandem, von dem du normalerweise nicht denken würdest, dass er dem Tanz seine Aufmerksamkeit schenkt, weißt du?


    Willa: Und das, was er sagt, ist absolut wahr. Wenn Michael in einer Gruppe tanzt, kannst du einfach nicht die Augen von ihm abwenden. Sogar in dem Gruppentanz in The way you make me feel, wo du nur die Silhouetten der Tänzer sehen kannst, weißt du genau, welcher er ist und musst ihn einfach beobachten.


    Und natürlich hat er auch Lob von Fachleuten bekommen, die sehr viel Ahnung vom Tanzen haben – Leute wie Fred Astaire, Gene Kelly, Debbie Allen und Michael Flatley, wie Jacksonaktak vor einigen Monaten in einem Kommentar (a comment) bemerkt hat. Ich liebe diese Textstelle, die sie von Baryshnikov zitiert hat:


    Woran sich Baryshnikov sich am deutlichsten erinnert ist „… sein simpler, federnder Gang über die Bühne, das war das, was am schönsten und fesselndsten war, wie er seine Hüften schwingt und seine Ferse nach vorne kickt. Das ist das, was er für mich verkörpert: Dieses außergewöhnliche Vertrauen in seinen Körper als Tänzer. Du möchtest sagen ´Wow, dieser Typ, was für eine Katze; er kann sich wirklich auf seine ganz eigene Art bewegen.`“


    Direkt als ich dies gelesen hatte, konnte ich mir sofort diesen „simplen, federnden Gang“ so gut vorstellen. Ich liebe diesen Gang, und es ist so unverwechselbar Michael Jackson. Wir sehen Schnipsel davon während des MTV Medleys, das du so liebst, Joie. Er geht auch so als Skelett in Ghosts, und sogar als Skelett ist es so unverwechselbar er. Es ist einfach so voller Freude und sorglos, und wie Baryshnikov schon sagt, es spiegelt sein „außergewöhnliches Vertrauen in seinen Körper als Tänzer“ wider.


    Joie: Yeah, das ist ein großartiges Zitat von Baryshnikov, und du hast Recht. Er hat sehr viel Lob von vielen aus der Gemeinschaft der Tänzer erhalten. Von den groß gefeierten und hoch angesehenen bis hin zu den Neulingen – wie all diese jungen Tänzer am Anfang von This is it. Du weißt ja, während eines Interviews im Making of Thriller spricht Michael Peters darüber, dass Michael niemals in seinem Leben auch nur eine offizielle Tanzstunde genommen hat, und doch war er bei den Tanzproben mit all diesen klassisch ausgebildeten Tänzern zusammen, die jahrelang Tanz studiert hatten, und er hielt nicht nur einfach mit ihnen mit, sondern er tanzte sie förmlich an die Wand. „Es ist einfach etwas, mit dem du geboren wirst,“ sagte Peters. „Es ist einfach in ihm.“




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  • Ich höre lieber beide Seiten der Geschichte
    25/04/2012


    Joie: Diese Woche freuen Willa und ich uns riesig, dass sich uns wieder Lisha McDuff anschließt, die viele von euch als Ultravioletrae aus dem Kommentarteil kennen. Sie wird mit uns gemeinsam über Black or White sprechen, einem Song und einem Video, die für sie eine ganz besondere Bedeutung haben.


    Willa: Also Lisha, im Februar hast du einen faszinierenden Kommentar über Michael Jacksons komplexe Annäherung an die Komposition von Songs gemacht und dabei Black or White als Beispiel genannt. Hier ist das, was du gesagt hast:


    Der Weiße Rap-Teil in Black or White nutzt Schwarzen Hip Hop, lässt ihn aber durch eine Weiße Perspektive laufen, Bill Bottrells Wohlfühllyrics und –performance. Der vorangegangene Teil „Ich bin dieses Teufels müde / I’m tired of this devil“ nutzt Weißen Hardrock und Heavy Metal, sieht ihn aber durch eine Schwarze Perspektive und durch die Frustration über Rassenungerechtigkeit. Er vertauscht hier absichtlich die musikalischen Codes mit dem Versuch, all diese Perspektiven in einer einzigen transethnischen Sichtweise (die Art, wie er seinen Körper benutzt) zu integrieren. Er wählt völlig eigenständig die Perspektiven aus, die er zu nutzen wünscht und drückt dadurch auf geniale Art das Schwarz-Weiß-Thema in diesem Song aus.


    Ich bin so fasziniert hiervon, und würde hier wirklich gern ein weniger tiefer eintauchen, so dass ich es besser verstehe. Kannst du noch ein bisschen detaillierter erzählen, was du aus diesen beiden Teilen heraus hörst?


    Lisha: Diese zwei Abschnitte in Black or White haben so viel für mich offenbart, nicht nur, wie brillant und akribisch genau dieser Song ausgearbeitet ist, sondern auch über Michael Jackson als Musiker und Komponist und all die guten Kräfte ringsum auf diesem Planeten. Es ist solch ein aufregendes Konzept: Black or White repräsentiert buchstäblich eine „Schwarze und Weiße“ musikalische Perspektive. An jeder beliebigen Stelle in dem Song wird dem Hörer gleichzeitig ein „Schwarzer oder Weißer“ musikalischer Gedanke angeboten, und zwar auf eine Art, die beide Traditionen umspannt und ehrt. Es schlägt vor, über unsere falschen Einteilungen und ethnischen Begrenzungen hinauszugehen. Aber gleichzeitig spricht der Song einige sehr ernste Themen an und fordert den Zuhörer wirklich auf einer eher subtilen Ebene. Es geht eine Menge vor sich in dem Song und in dem Film, und man lässt sich leicht täuschen durch seine trügerische Einfachheit.


    Zuerst mal war ich einfach nur neugierig auf die Struktur des Songs. Da gibt es zwei „Middle 8“ Abschnitte in dem Song, was einfach bedeutet, dass es zwei Teile in der Mitte des Songs gibt, die jeder für sich 8 Takte lang sind. Die Funktion eines „Middle 8“ ist, einen neuen musikalischen Gedanken einzuführen, der auf die Wiederholung der letzten Strophe und des Refrains vorbereitet. Ich spreche über „I’m tired of this devil“ und die Teile des „White Rap“. Es gibt zwar keine festen und strengen Regeln für Songstrukturen, aber es ist eigentlich Standard, nur eine „Middle 8“ zu haben, nicht zwei.


    Willa: Und wir nennen diese „Middle 8“ normalerweise Bridge, richtig? Aber dies ist nicht nur eine lange Bridge – eine „Middle 16“ gewissermaßen. Es sind eigentlich zwei separate Bridges, die einander in einer sehr anspruchsvollen und interessanten Art gegenüber gestellt sind. Ist das die korrekte Art, es so zu sehen?


    Lisha: Ja, das stimmt. Diese Abschnitte fungieren als eine Bridge, die zur letzten Strophe und dem Refrain führt und sie sind bezeichnenderweise sehr unterschiedlich voneinander und vom restlichen Song. Als ich nachgesehen habe, ob ich verstehen würde, warum es zwei Abschnitte wie diese gibt, begann ich zu realisieren, dass es ein absichtlicher Versuch ist, die musikalischen Codes zu vertauschen, die mit „Schwarzen oder Weißen“ musikalischen Stilen verbunden sind. Diese geniale Idee drücken auf so wundervolle Art auch die Lyrics und die bildliche Darstellung, die wir im Kurzfilm sehen, aus. Die Musik selbst drückt die Botschaft des Songs aus: „Es spielt keine Rolle, ob du Schwarz oder Weiß bist.“ / „It don’t matter if you’re black or white.“)


    „I’m tired of this devil“ wird im Stil von Hard Rock und Heavy Metal gesungen, was überwiegend von Weißem Publikum gehört wird. Gemäß dem hauptsächlich an Black or White beteiligten Mitarbeiter, Bill Bottrell, hatte Michael sehr konkrete Vorstellungen über diese Teile, sogar beim Komponieren des genauen Heavy Metal Gitarrensolos, wobei er Bottrell jeden Rhythmus, jede Note und jeden Akkord vorsang. Das musikalische Feeling wird hier abrupt sehr dunkel, und die Lyrics sind direkt und auf den Punkt. Aber sie kommen nicht aus der Sicht des Weißen musikalischen Stils, der hier geboten wird. Die Lyrics kommen aus der Schwarzen Perspektive von Frustration und dem Schrecken der Rassenungerechtigkeit, beschwören sogar das Bild des KKK mit einem Bezug zu „Laken“:


    Ich bin dieses Teufels müde
    Ich bin dieser ganzen Sachen müde
    Ich bin dieses ganzen Geschäftes müde
    Geh, wenn es hart auf hart kommt


    Ich fürchte mich nicht vor deinem Bruder
    Ich fürchte mich nicht vor Laken
    Ich fürchte mich vor niemandem
    Mädchen, wenn es gemein wird


    Der nächste Abschnitt ist ein Hip Hop Rap, ein Schwarzer musikalischer Stil, aber die Rap Lyrics sind unmissverständlich Weiß im Ton und der Perspektive – sie wurden geschrieben und ausgeführt von Bill Bottrell. Dieser Rap-Teil fliegt auf eine komplett andere Höhe, als wir erwarten würden. Die Botschaft ist erhebend und inspirierend und im Shortfilm wird es durch Macauley Culkin als Playback gesungen (lip-synced), demselben Weißen Kind, das in dem Eröffnungsdrama erscheint. Anstatt in einer blütenweißen Vorstadtumgebung wie zuvor zu erscheinen, befindet sich das Kind nun in einem urbanen Schmelztiegel und seine Kleidung und sein Verhalten signalisieren Schwarz:


    Schutz für Gangs, Clubs und Nationen
    Die Leid in menschlichen Beziehungen verursachen
    Es ist ein Grabenkampf auf globaler Ebene
    Ich würde lieber beide Seiten der Geschichte hören
    Du siehst, es geht nicht um Rasse, nur um Orte
    Die zeigen, woher dein Blut kommt
    Wo dein Platz ist
    Ich habe das Helle dunkler werden sehen
    Ich werde mein Leben nicht damit verbringen, eine Farbe zu sein


    Joie: Lisha, ich muss einfach mal sagen, dass ich es liebe, wenn du über Michaels Werke sprichst, denn du bringst immer eine einzigartige Perspektive in die Unterhaltung. Wie Willa schon beim letzten Mal, als wir mit dir sprachen, gesagt hat, ist es so, als würdest du uns Einlass gewähren in eine Welt, zu der wir allein keinen Zutritt hätten, da wir keine ausgebildeten Musiker sind, so wie du es bist. Diese ganze Diskussion der zwei Middle 8 Abschnitte in Black or White fasziniert mich total, und es ist so anspruchsvoll und komplex, wie du es von einem „Popstar“ nicht erwartest

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  • Lisha: Es ist sehr intelligent, oder? Wir sind in der glücklichen Lage, einen Bericht aus erster Hand darüber zu haben, wie diese Aufnahme entstanden ist durch ein Interview, das Bill Bottrell für Sound on Sound im Jahr 2004 gemacht hat. Es scheint, als wenn die Nutzung von „Schwarzen und Weißen“ Sichtweisen schon länger ein Gedanke von Michael war, beginnend mit seiner Wahl von Bill Bottrell als Co-Producer für Black or White. Bottrell erklärt:


    „Als Co-Producer war Michael immer bereit, zuzuhören und setzte sein Vertrauen in mich, aber er war die ganze Zeit auch so etwas wie mein Ratgeber. Er wusste, warum ich da bin und was er, neben all den anderen Songs, die er aufnahm, von mir brauchte. Ich war ein Einfluss, den er auf andere Weise nicht bekam. Ich war der Rocktyp und auch der Countrytyp, so wie kein anderer.“


    Bottrell war aus dem einen Grund ausgewählt worden, Black or White mit zu produzieren und diese Rock / Country Perspektive in den Song zu bringen. Also wurde die musikalische Idee von Schwarz und Weiß von Anfang an geformt. Bottrell beschreibt diesen Song so, dass er ein Südstaaten Rock Feeling hat, was erreicht wird durch seine Interpretation der Musik, die Michael komponiert hat. Er spielt den berühmten Gitarren-Riff und viele weitere Teile den ganzen Song durch. Interessant genug, es war Bottrell, der die Idee hatte, einen Rap-Abschnitt in die Mitte zu setzen, nicht Michael. Dies führte Michael zu seinem Vorschlag, einen Heavy Metal Abschnitt genau im Anschluss zu platzieren, Seite an Seite. Allerdings glaube ich nicht, dass Michael gegenüber Bottrell diese Idee für die zwei mittleren Abschnitte vollständig offenbart hat.


    Der Rap-Abschnitt war der letzte Teil des Songs, der erst nach vielen Monaten schwieriger, mühsamer und zeitraubender Arbeit vervollständigt wurde. Und während da einige ernstzunehmende Rapper im Studio ein- und ausgingen, um an anderen Werken des Dangerous Albums mitzuarbeiten, fragte Michael keinen von ihnen, an Black or White mitzuwirken. Bottrell konnte sich nicht richtig erklären, warum, als er es erläutert:


    „Die ganze Zeit erzählte ich Michael, dass wir einen Rap brauchen, und er holte all diese Rapper wie LL Cool J und Notorious BIG zu uns, die an anderen Songs mitarbeiteten. Irgendwie hatte ich keinen Zugang zu ihnen für Black or White, und es wurde immer später und später, und ich wollte, dass der Song endlich fertig wird. Also schrieb ich eines Tages den Rap – ich wachte eines Morgens auf und, bevor ich meinen ersten Kaffee trank, begann ich herunterzuschreiben, was ich hörte, denn der Song war zu jener Zeit schon seit acht Monaten in meinem Kopf, und es war eine Besessenheit, es zu versuchen und diese letzte Lücke zu füllen.“


    Bottrell entschied sich, weiter zu gehen und eine Simulation des Rapabschnittes aufzunehmen, als etwas völlig Unerwartetes passierte, die Geburt von „LBT“:


    „Es scheint wie eine Art Zufall zu sein, aber es ist, als ob er (Michael) Dinge durch Weglassen geschehen lassen würde. Es gab einfach niemanden, und es ist, als wüsste er, dass du damit zu kämpfen hast und er fordert dich damit heraus, es zu tun. Für meinen Teil denke ich nicht viel über Weißen Rap nach, also holte ich Bryan Loren ins Boot, um meine Worte zu rappen und er änderte etwas am Rhythmus, aber er fühlte sich als Rapper nicht wohl. Das Ergebnis war, dass ich es am selben Tag aufnahm, als Bryan uns verlassen hatte, ich stellte mehrere Versionen her, entschied mich für eine, spielte sie Michael am nächsten Tag vor und er meinte ‚Oooh, ich liebe es, Bill, ich liebe es. Das werden wir nehmen.’ Ich sagte: ‚Nein, wir sollten dafür einen richtigen Rapper nehmen’, aber sobald er meine Performance gehört hatte, hatte er sich schon dafür entschieden und zog gar nicht mehr in Erwägung, jemand anderen zu nehmen.“


    Wenn ihr euch jemals die Credits zu diesem Song angesehen und euch gefragt habt, wer „LBT“ ist. Jetzt wisst ihr es!


    Willa: Diese Geschichte ist zum Totlachen. Wie du so schön dargelegt hast, Lisha, er brauchte wirklich einen „Weißen“ Rap für diesen Teil als Gegengewicht zum „Schwarzen“ Rock, also ließ er einfach diese unglaublichen Rapper, die im Studio ein- und ausgingen, unerreichbar für diesen speziellen Song sein. So wie Bottrell sagt: „Irgendwie hatte ich keinen Zugang zu ihnen für Black or White.“ Schließlich ist er irgendwie gezwungen, es selbst zu machen. Diese ganze Situation ist so lustig – ich kann mir Michael Jackson richtig vorstellen wie er ihm sagtOooh, ich liebe es, Bill, ich liebe es.“ Und ich denke, Bottrell hat Recht – er lässt wirklich „die Dinge durch Weglassen geschehen.“


    Lisha: Ich könnte den ganzen Tag darüber lachen – ich finde das höchst amüsant. Und es ist einfach so ein großartiges Beispiel dafür, wie Michael vielfältige Perspektiven als Kompositionstechnik für diesen Song nutzte. Genial. Es gibt keinen besseren Weg, eine bestimmte Perspektive einzufangen, als jemanden dafür einzusetzen, der sich normalerweise aus dieser Perspektive der Musik annähert.


    Willa: Das ist eine sehr interessante Art, sich dies anzusehen, Lisha. Also, bevor man zu den anderen Teilen des Films kommt, wird das Intro in eine „blütenweiße Vorstadtumgebung“ gesetzt, wie du sagst, mit einem Archie-Bunker-artigen Vater, der aus seinem Fernsehsessel über seiner Familie thront. Die Mutter ist vollkommen still, solange er im Haus ist – und als er erst einmal weg ist, macht sie sich Sorgen darüber, wie wütend er sein wird, wenn er wiederkommt. Das ist so stereotyp Weiß und patriarchalisch.


    Joie: Das ist eine sehr amüsante Einschätzung, Willa!


    Willa: Das ist lustig, oder? Ich denke, es gibt eine Menge Humor in Black or White, aber nur sehr subtil, daher wird er oft übersehen. Der Sohn hört also oben laute Rockmusik, welche generell auch als Weiß codiert ist, genauso wie die Umgebung, aber er hat ein Poster von Michael Jackson an seiner Tür hängen, also gibt es da schon ein bisschen Zweideutigkeit. Der Vater stapft nach oben und ermahnt ihn „Stell den Krach ab!“ und schlägt dann die Tür zu. Das Poster fällt zu Boden, das Glas zerspringt – die erste von mehreren Szenen in diesem Video, in denen Glas zerspringt – und für mich fühlt es sich so an, als wäre Michael Jackson durch das zerspringende Glas befreit worden. Er ist nicht länger sicher eingeschlossen in dem Poster auf der Rückseite der Tür. Er wurde nun losgelassen, wie ein Flaschengeist.


    Der Junge reagiert auf die Forderung seines Vaters mit einer Druckwelle des Klangs von seiner elektrischen Gitarre – einer Trotzreaktion, die grundsätzlich als „Weiß“ codiert ist – aber ironischerweise lässt diese Klangwelle die Fenster dieses isolierten vorstädtischen Heims zerspringen und lässt den Vater zurück nach Afrika und zu den Ursprüngen der Musik, letztendlich auch von Hard Rock und Heavy Metal, zurückfliegen. Also werden wir unterschwellig zu der Frage gezwungen, wie wir diese Musik bezeichnen und einordnen. Nachdem er in Afrika gelandet ist, beobachtet der Vater, wie Michael Jackson mit Stammesangehörigen in traditioneller Kleidung mit Körperbemalung tanzt, aber sie tanzen zu Rockmusik, die wiederum generell als „Weiß“ codiert ist. Aber diese spezielle Musik wurde von Michael Jackson geschrieben und bildet nun den Soundtrack für Menschen in der ganzen Welt – Afrika, Indien, Nordamerika, Russland – indem sie sich ihm in ihrem traditionellen Tanz anschließen. Also ist diese Etikettierung „Weiß“ wirklich kompliziert und an so vielen verschiedenen Fronten unterminiert.

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  • Joie: Wie üblich, Willa, sind deine Beobachtungen brillant und treffen den Nagel auf den Kopf! Und wenn ich mir deine Ansichten über die Eröffnungsaufnahmen dieses Videos anhöre, beleuchtet das genau, wie kalkulierend und methodisch Michael bei jedem Aspekt dieses Projektes vorgegangen ist – sowohl im Song, als auch im Kurzfilm. Er hatte ganz offensichtlich eine Vision und eine Botschaft … eine Mission, wenn du so willst, für diesen speziellen Song und das Video, und es ist sehr interessant, zu analysieren und zu entschlüsseln, was diese Botschaft ist.


    Lisha: Du hast absolut Recht, Joie, es ist nicht einfach ein Song – es ist eine Mission! Und liebe wirklich, was du gesagt hast, Willa, darüber, dass Michael Jackson aus dem zersprungenen Posterrahmen befreit wurde wie ein Geist aus der Flasche. Er kommt mit solch einer kraftvollen, musikalischen Wucht, wenn der Song beginnt und es fängt damit an, dass wir die afrikanische Landschaft sehen. Die Gitarre führt das starke musikalische Leitmotiv ein, diesen berühmten zweitaktigen Hook, der den ganzen Song hindurch wiederholt wird. Unter die Gitarre und den begleitenden Rockrhythmus gelegt hörst du diese leichte Percussion mit einem afrikanischen Feeling, Dinge wie Kuhglocken und Shaker. Diese schlagenden afrikanisch klingenden Instrumente deuten traditionell das Gefühl von Gemeinschaft und eine ständige Einladung zum Tanz an. Wie du herausgehoben hast, baut der Short Film diese Einladung für die ganze Welt aus.


    Gemäß dem Buch der Musikwissenschaftlerin Susan McClary mit dem Titel Conventional Wisdom (Gebräuchliche Weisheit) ist „einer der bedeutendsten Fakten über die Kultur der letzten hundert Jahre, dass die Innovationen von Afroamerikanern die vorherrschende Kraft in der Musik auf der ganzen Welt sind“. Der Short Film betont diesen Punkt wirklich. Aber es wird auch etwas anderes betont, jedes Mal, wenn die Kamera wegfährt von diesen traditionellen Tanzszenen. Es wird enthüllt, dass alles auf einer Bühne stattfindet, das Künstliche der Szenen wird herausgestellt. Wir müssen uns selbst die Frage stellen, ist dies wirklich die Art, wie es ist? Tanzen wir wirklich alle so harmonisch zusammen in der ganzen Welt?


    Die Art und Weise, in der die Klänge in dem Song übereinandergelegt und platziert sind, erzählt auch eine „Schwarze oder Weiße“ Geschichte. Die Weiße dominante Kultur wird klangtechnisch repräsentiert durch den übermächtigen Gitarrenhook, aber das afrikanische Feeling der ständigen dezenten Percussionunterlegung lädt uns permanent ein, in der Gemeinschaft zu tanzen.


    Willa: Diese Art von Details sind so interessant für mich, Lisha, und ich es liebe so, wie du dies alles herausliest. Es verstärkt den Gedanken noch einmal, dass die zentralen Themen von Black or White an so vielen Fronten ausgedrückt werden – durch die Lyrics und den Tanz und die Bilder, aber auch durch die Musik selbst und wie die Musik strukturiert ist.


    Lisha: Es ist endlos faszinierend, über die Art nachzudenken, wie die Musik selbst dafür benutzt wird, die buchstäbliche Bedeutung des Songs auszudrücken. Eines der besten Beispiele dafür ist die Stelle, nachdem Michael in der ersten Strophe „we’re one in the same“ singt. Plötzlich stoppt der Gitarrenhook und der komplette musikalische Fokus liegt nun auf dem Downbeat oder dem one. Takt Eins (One) trägt nun die wörtliche Bedeutung der Einigkeit und Einheit. „Now, I believe in miracles, and a miracle has happened tonight.“ Das passiert noch einmal in dem Refrain, wenn wir hören: “If you’re thinkin’ about my baby it don’t matter if you’re black or white.“ Die Betonung auf Beat Eins ist ein klangliches Statement, um uns daran zu erinnern, dass wir eins im selben sind“. Brillant!


    Joie: Nun, das ist wirklich interessant, Lisha. Natürlich konzentrieren wir uns alle auf Takt Eins, wenn wir dem Song zuhören – wie es wahrscheinlich Michaels Absicht war. Aber ich habe niemals bemerkt, dass Takt Eins eine musikalische Repräsentation unseres Einsseins ist. Unserer Einheit. Das ist wahrlich faszinierend für mich!


    Lasst uns zu dem Endteil des Short Films kommen, dem Teil, der üblicherweise als der Panther Dance bezeichnet wird. Fast von dem Moment an, als das Video veröffentlicht wurde am 14. November 1991 wurde es aufgrund der angeblich anzüglichen Art, in der Michael tanzte und sich selbst berührte durch Kontroversen beschmutzt, ebenso wie durch die untypische Gewalt, die er darstellte. Es war so umstritten, dass viele TV Stationen nur die verkürzte Version des Videos zeigten, indem sie die Sequenz mit dem Panther Dance entfernten.


    Die interessante Sache daran ist für mich, dass, wie Willa es in anderen Diskussionen schon oft herausgestellt hat, wenn es um seine Kunst ging, Michael für gewöhnlich einen sehr speziellen Grund für alles hatte, was er tat. Er wusste, dass der Öffentlichkeit und den Messgeräten der Einschaltquoten bei dem Gedanken an sein nächstes Video praktisch der Speichel lief. Seit dem kolossalen Erfolg von Thriller und den darauf folgenden Videos für dieses Album, debütierten Michaels Short Films mit der ganzen Dramatik einer bedeutenden Hollywoodveröffentlichung. Die Leute notierten sich den Termin in ihrem Kalender und versammelten sich mit angehaltenem Atem um den Fernseher, um ein neues Michael Jackson Video anzusehen, und Black or White war keine Ausnahme. Die erste Ausstrahlung lief auf MTV, VH1, BET und Fox (es bescherte ihm seine höchsten durch Nielsen erfassten Einschaltquoten). Es wurde außerdem gleichzeitig in 27 Ländern in der ganzen Welt mit über 50 Millionen Zuschauern uraufgeführt – der höchsten Zahl, die jemals ein Musikvideo erreichte!


    Also inszenierte Michael sorgfältig alles für dieses bereitsitzende und zuschauende Publikum, wissend, dass das, was er tun würde, nicht nur Kontroversen aufwirbeln würde, sondern dass es in den kommenden Jahren ein Gesprächsthema sein würde! Und ich glaube, dass es das ist, was er mit dem Panther Dance erreichen wollte – so viel Auseinandersetzung zu erzeugen, dass er sicher sein konnte, dass dieser Song/Video und seine Botschaft niemals ignoriert oder übersehen werden konnten.


    Lisha: Ich muss sagen, dass, als ich an das Jahr 1991 zurückdachte und mir ansah, was damals um Michael Jackson los war, mir die Veröffentlichung dieses Videos so sorgfältig abgestimmt erscheint wie der Song selbst. Im Juni des Jahres gab einen ziemlichen Aufruhr, als Madonna Michael Jackson öffentlich kritisierte, indem sie sagte, er würde eine komplette äußerliche Veränderung (Makeover) benötigen. Ich erinnere mich ziemlich genau an dieses Nachrichtenthema, sogar obwohl damals kein Fan war. Nun frage ich mich, ob Michael selbst nicht Madonna dazu gebracht hat, diese Aussage zu machen, denn es brachte so viel Publicity! Schließlich hatten sie sich in dem Jahr ziemlich oft gesehen. Zwei von Madonnas Tänzern behaupteten, in Kontakt mit dem Jackson-Lager zu sein und sagten: „Wir haben die Absicht, die ganzen Stiefel und Schnallen und den Glitter loszuwerden … Wir wollen ihm einen aktuellen Street Look verpassen, der sehr What’s-happening-in-New-York-today ist.“ Dieses spornte Michaels Sprecher Bob Jones dazu an, ein Statement zu veröffentlichen, welches ihre Beteiligung daran abstritt, und er sagte etwas, das ich ziemlich faszinierend finde: „Er (Michael) hat für jedes seiner Alben einen anderen Look, den er selbst wählt. Absolut niemand legt fest, in welche Richtung Mr. Jackson geht.“

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Willa: Wow, das ist interessant, oder? Es stellt ziemlich deutlich klar, dass „sein Look“ – mit der Bedeutung der äußeren Erscheinung seines Gesichtes, seines Körpers, seiner Haare, seiner Kleidung – Teil seiner Kunst war, und er spielt darauf in dem Film ebenso an. Es gibt diese Szene mit den sich verändernden Gesichtern (morphing faces), die so interessant ist, und dann am Schluss dieses Abschnittes kommt John Landis, der Regisseur ins Bild (und unterbricht damit einmal mehr die Illusion der Realität, indem betont wird, dass dieser Film konstruiert ist, wie du zuvor schon betont hast, Lisha) und sagte zu der Schauspielerin „Das war perfekt. Wie hast du das gemacht?“ Es ist natürlich ein Scherz, aber es impliziert, dass keine Special Effects benutzt werden, um die diversen Menschen verschiedener Rassen und Geschlechter zu verändern; es soll vielmehr aussagen, dass sie einfach eine Person gefilmt haben, die sich zwischen Rasse und Geschlecht hin- und herverändert. Und natürlich wandelte Michael Jackson selbst auch zwischen den Rassen- und Geschlechtergrenzen hin und her, und eine Menge Leute fragten „Wie hast du das gemacht?“ Dies wird sofort aufgegriffen, nachdem der Panther erscheint und sich dann in Michael Jackson verwandelt. Also gibt es da eine Menge Verwandlungen – zwischen Rasse, zwischen Geschlechtern, sogar zwischen den Arten.


    Lisha: Auf den Scherz bin ich bisher gar nicht gekommen. Das ist total witzig!


    Willa: Ja, ist das nicht lustig? Ich liebe diese Zeile.


    Lisha: Ich auch, und was für ein Einblick in dieses Stück und in sein gesamtes Werk. Wenn ich zeitlich zurückgehe und mir die Bilder von ihm ansehe, die Michael für sein vorangegangenes Album Bad veröffentlicht hat, und sogar die Fotos seiner Ausflüge mit Madonna vorher in diesem Jahr 1991, sehe ich das, was wir eine „farbige Person“ nennen. In diesem Short Film jedoch steht das, was ich sehe für „Weiß“ in meinen Gedanken. Ich denke ganz ehrlich, und ich übertreibe nicht auf irgendeine Weise, dass dies wohl die bedeutendste künstlerische Kreation unserer Zeit ist. Dieser Song und das körperliche Abbild des Künstlers kommen auf diese Art zusammen … Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll … Ich stehe ehrfürchtig vor diesem genialem Einfall.


    Willa: Ich stimme dir aus ganzem Herzen zu. Er macht mich einfach fertig. Und es ist so interessant, was du gerade gesagt hast darüber, dass sein Körper irgendwie das wiedergibt, was du zuvor über die Middle 8 Abschnitte gesagt hast, wo er ein Weißes Musikgenre nimmt – Hard Rock – und es durch eine Schwarze Perspektive wiedergibt, und dann ein Schwarzes Genre – Hip Hop – und es durch eine Weiße Perspektive darstellt. An diesem Punkt seiner Karriere wurde sein Erscheinungsbild wahrscheinlich als Weiß wahrgenommen, aber er behauptete immer noch energisch seine Schwarze Identität. Also genauso wie er „absichtlich die musikalischen Codes vertauschte“ in jenen Middle 8 Abschnitten, wie du es so gut beschrieben hast, schien er absichtlich die rassenbezogenen Codes zu vertauschen – besonders die Merkmale, die auf seinen Körper geschrieben waren – und hinterfragte, wie wir sein Gesicht und seinen Körper lesen und interpretieren.


    Und wir sehen das wieder im Panther Dance, über den du gerade gesprochen hast, Joie. Sein Gesicht scheint in den ersteren Abschnitten des Videos Weiß zu sein, wie du erwähntest, Lisha, aber seine rassenbezogene „Codierung“ ist eher mehrdeutig während des Panther Dance. Als er zum Beispiel in der Pfütze kniet und sein Shirt aufreißt, würde ich nicht sagen, dass sein Gesicht oder sein Körper in dieser Szene leicht als entweder Schwarz oder Weiß identifiziert werden kann. Aber die Botschaft kommt eindeutig aus einer Schwarzen Perspektive. Es ist ein starker Protest gegen Weißen Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus und Unterdrückung.


    Lisha: Jene durchdringenden Schreie und Rufe in dieser Szene sind so ausdrucksvoll – du kannst Jahrhunderte voller aufgestauter Wut und Enttäuschung in seiner Stimme spüren, die genau darauf hinweisen. Worte und wortwörtliche Bedeutungen sind einfach nicht nötig. Du kannst es aus der Stimme und den sichtbaren Symbolen heraus verstehen, was vermittelt werden soll. Und ich denke, da geht noch mehr Zweideutiges auch musikalischer Art vor sich. Viele haben den Panther Dance als lautlosen Tanz ohne musikalische Begleitung beschrieben, aber ich sehe das wirklich anders. Ich höre komplexe Schichten von Klängen, die sich eher wie eine avangardistische Komposition anfühlen, indem sie die musikalische Wertigkeit verschiedenster Dinge erkunden wie zerbrechendes Glas, Wind und spritzendes Wasser. Es fühlt sich nach viel mehr an als einfach nur einer Klanglandschaft. Über die aufgenommenen Tanzschritte gelegt kannst du diese sehr rhythmischen, scharfen, spröden Hauchlaute oder ein kleines Flüstern hören, die als ein Percussioninstrument fungieren, um die Musik zusammenzuhalten und den Takt gleichmäßig. Es gibt noch andere „Mouth Percussion“ Klänge wie „cha“, „sss,“ „hew,“ und knallende Laute mit den Lippen. Es ist möglich, dass dieser alternative musikalische Ausdruck noch eine weitere Form von Protest ist.


    Willa: Wow! Das ist spannend!


    Lisha: Der abschließende Panther Dance ist ein kleines Meisterstück für sich, und er erzeugt solch eine perfekte Buchstütze für den Song. Die Eröffnungsszene mit seiner Weißen vorstädtischen Umgebung ergibt die eine Buchstütze und der Schwarze Panther Dance in den Straßen der Stadt die andere. Perfekte Symmetrie. Wir haben diesen „Schwarzen oder Weißen“ (black or white) Song, co-produziert durch „Schwarze oder Weiße“ Perspektiven, mit seinen „Schwarzen oder Weißen“ Mittelabschnitten, platziert zwischen diese zwei „Schwarzen oder Weißen“ Buchstützen. Es scheint nichts zu geben, das nicht bis ins kleinste Detail durchdacht wäre, um die Botschaft des Songs zu kommunizieren, einschließlich dem Künstler selbst!


    Joie: Was wieder zu dem zurückführt, was ich zuvor gesagt habe darüber, dass er immer sehr spezifische, sehr kalkulierte Gründe für alles hatte, was er tat. Wenn es um seine Kunst ging, ging er wirklich sehr systematisch und sehr bestimmt bei seiner Auswahl und bei seinen Entscheidungen vor. Bemerkenswert!







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    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • :wow:
    Ich kann gar nicht sagen wie beeindruckt ich von dem Gespräch und der Vielschichtigkeit in Black or White bin :stern: .
    Das ist wirklich einfach nur zutiefst beeindruckend. Da bleibt nur dies :beten:
    Vielen Dank für die Übersetzung liebe Lilly und dass wir damit auch all das wissen dürfen :flowers:, Sky*

  • Zitat

    Da bleibt nur dies :beten:

    ..ich bewundere Michael immer mehr - für seine Genialität...da bleibt einem nichts anderes zu tun, als vor ihm auf die Knie zu fallen, ich reihe mich mal neben dir ein, sky. :beten: . Er hat seine videos auf so vielen Ebenen mit Bedeutung gefüllt, man kann sie aus vielen verschiedenen Richtungen beleuchten, und immer findet sich die Botschaft, die er mitteilen wollte. Nichts darin ist zufällig, oder bedeutungslos..uns fehlt nur oft der Schlüssel dazu, den Code zu knacken...

  • ich schonwieder..nochmal.. :angel:

    Zitat

    Viele haben den Panther Dance als lautlosen Tanz ohne musikalische Begleitung beschrieben, aber ich sehe das wirklich anders. Ich höre komplexe Schichten von Klängen, die sich eher wie eine avangardistische Komposition anfühlen, indem sie die musikalische Wertigkeit verschiedenster Dinge erkunden wie zerbrechendes Glas, Wind und spritzendes Wasser. Es fühlt sich nach viel mehr an als einfach nur einer Klanglandschaft. Über die aufgenommenen Tanzschritte gelegt kannst du diese sehr rhythmischen, scharfen, spröden Hauchlaute oder ein kleines Flüstern hören, die als ein Percussioninstrument fungieren, um die Musik zusammenzuhalten und den Takt gleichmäßig. Es gibt noch andere „Mouth Percussion“ Klänge wie „cha“, „sss,“ „hew,“ und knallende Laute mit den Lippen. Es ist möglich, dass dieser alternative musikalische Ausdruck noch eine weitere Form von Protest ist.

    ...beim You rock my world gibt es auch diese Sequenz, wo die Musik, der Rhythmus, mit Gegenständen gemacht wird, mit Besen, Schuhbürsten, Gläsern die über die Theke rutschen..etc..bevor er dann in einen instrumentalen Percussion Rythmus über geht. Ich finde das auch sehr genial...was sagte Michael auch noch dazu..everything is music..music starts with nature...
    Ich glaube, er hörte in allem den Rythmus, die Musik in allem, was ihn umgab, und vorallem in sich selbst, als Teil von dem universalen Symphonie Orchester...ich hab mich auch immer gefragt, ob er für den Pantherdance Musik brauchte...beim filmen davon..aber ich glaube, er hatte die Musik in sich..er war sein eigenes Instrument, hat seinen eigenen Rythmus, er tanzt, und macht mit seinem Körper die Musik dazu, ergänzt durch den Rythmus der Dinge, in seiner Umgebung... :beten: das ist ziemlich...woooow... :stern::wolke1:

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  • Maja.. :kiss:

    Ich glaube, er hörte in allem den Rythmus, die Musik in allem, was ihn umgab, und vorallem in sich selbst, als Teil von dem universalen Symphonie Orchester...i

    :wolke1: So und nicht anders..

    das ist ziemlich...woooow... :stern: :wolke1:

    Absolut.. :stern: und ... *flyingintotalblisssmiley*
    Sky* :hkuss: