Dancing With The Elephant

  • Dazu passt ganz gut der Artikel von Joe Vogel, von 2010: Der kulturelle Missbrauch Michael Jackson's :

    Zitat

    David Yuan behauptete in seinem 1996 geschriebenen Essay „Der berühmte Freak: Michael Jacksons grotesker Ruhm“, dass Michael Jackson der festgelegte Freak unserer Zeit sei. Keine andere öffentliche Person der Welt rief einen derartigen Level an Lächerlichmachen, extremster Musterung und „Hyper-Infrage-stellen“ hervor. Bereits 1985 wurde Jackson von der Klatschpresse als „W****J****“ bezeichnet, einer Bezeichnung, die er hasste. In der Presse wurde er stets mit „bizarr“, „verrückt“ und „exzentrisch“ beschrieben. Tatsächlich wurde kaum etwas, was er Mitte der 80er sagte oder tat von den Medien anders bezeichnet.
    Jackson wurde ununterbrochen wegen seiner Vitiligo-Erkrankung verspottet, von der die meisten Leute glaubten, er habe diese Krankheit nicht wirklich, bis sie schließlich im Obduktionsbericht definitiv bestätigt wurde. Er wurde wegen seiner Liebe zu Tieren, seiner Liebe zu Kindern und seiner Liebe zu unserem Planeten verspottet. Er wurde wegen seiner Ehen, seiner Kinder und seiner Neverland-Ranch verspottet. Man machte sich über seine Sexualität, seine Stimme und sein kindliches Verhalten lustig. Selbst bei Rezensionen über seine Musik konnte man nicht widerstehen, Pseudo-Psychoanalysen und persönlichen Beleidigungen den meisten Platz einzuräumen. Kann es einen Zweifel daran geben, dass diese Behandlung durch die Medien und die Kultur größtenteils missbräuchlich war?


    Zitat

    Die Massenmedien jedoch hielten nie sonderlich viel von Jacksons „Anderssein“, genauso wie sie nie viel von den „Anderen“ hielten, von denen er in seinen Songs sprach. Sie fanden wohl eher eine einfache, profitable Geschichte – Jackson als exzentrischer „Freak“ – und an dieser Geschichte hielten sie nahezu 30 Jahre fest und sie erhöhten stets und ständig ihren Einsatz.


    Zitat

    Michael hat sooo deutliche Worte gefunden :wow:
    Hat das niemand vernommen (außer den Fans?)

    .Ja, Michael hat darauf reagiert in der Art auf der er es am besten konnte - mit seiner Musik, seinen Texten... aber da die "Nichtfans" für die eine ja schon so gründlich durch die Aussagen der Medien beinflusst waren, dass er "wako" ist etc... haben sie diese Texte dann vlt.gleich ebenso eingeordnet (falls sie überhaupt zugehört haben...) :stuhl: - sie konsumierten ja auch all diese Geschichten und Lügen (gerne), ohne zu hinterfragen...

  • Ich habe etwas Schönes gefunden, das wie ich finde gut hierzu passt:



    Learn the power of words-- to hurt or to heal. Understand the magnitude of bullying and violence with words and how it affects our society. This short film, produced by Barbara Kaufmann, included in the Words and Violence educational packet is filled with questions, each which can lead to a full in-depth discussion and be incorporated with individual activities found in this packet. With almost 7 thousand views in the original, this new version that addresses bullying in all its forms. Dedicated to Michael Jackson and Lady Diana Spencer, this film and the accompanying curriculum looks at bullying with words and how it hurts or heals not just people, but lives, reputations, careers, legacies, ecosystems and a culture and world.


    Erfahre etwas über die Macht der Worte – die verletzen können oder heilen. Erfasse das Ausmaß von Schikane und Gewalt mit Worten und wie das unsere Gesellschaft beeinflusst. Dieser Kurzfilm, produziert von Barbara Kaufmann, der im „Words and Violence Educational Packet“ inbegriffen ist, ist voller Fragen, von der jede einzelne zu einer vollständigen Diskussion führen und verbunden sein kann mit individuellen Taten aus diesem Paket.Mit fast 7000 Einblicken im Original spricht diese neue Version Schikane in all ihren Ausprägungen an. :herz: Michael Jackson und Lady Diana Spencer gewidmet :herz: betrachtet dieser Film und das begleitende Curriculum die Schikane durch Worte und wie dies nicht nur Menschen verletzt oder heilt, sondern Leben, Reputationen, Karrieren, Vermächtnisse, Ökosysteme, eine Kultur und die Welt.





    TCelOBYVpFo&feature

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

    Einmal editiert, zuletzt von Lilly ()

  • Heb sie vorsichtig hoch
    Lift Her With Care
    20/02/2013


    Joie: Willa, ich habe kürzlich über Little Susie nachgedacht, und die Worte dieses Songs haben mich wirklich erschüttert. Weißt du, dies ist ein Song, von dem ich denke, dass ihm nicht die Beachtung geschenkt wird, die er verdient, und ich denke, das kommt durch die Thematik. Es ist solch eine traurige, deprimierende und beunruhigende Sache darüber nachzudenken; niemand möchte darin gern eintauchen. Aber der Song selbst ist wahrlich schön und die Musik fesselt deine Aufmerksamkeit von Anfang an. Eigentlich ertappe ich mich oft dabei, wie ich die Melodie dieser Eröffnungstakte summe, denn sie ist einfach so betörend schön.


    Aber als ich sie vor ein paar Tagen vor mich hin sang, fing ich an, einmal wirklich den Worten zuzuhören und es ließ mich über Michael nachdenken und diese tiefe, fast empathische Verbindung, die er mit Kindern im Allgemeinen teilte, aber ganz besonders mit leidenden Kindern. Und ich spreche hier nicht einmal von den unheilbar Kranken. Wir haben alle die Bilder von Michael gesehen, wie er auf dem Bettrand von armen, kranken Kindern sitzt und ihnen den ihm in seinem Rahmen möglichen Trost bot. Er war dafür genauso berühmt wie für sein erstaunliches Talent. Aber ich spreche über jene Kinder, die auf eine andere Art leiden. Diejenigen, die missbraucht oder vernachlässigt werden. Er teilte mit ihnen ebenso eine gemeinsame Verbindung, und schrieb darüber sogar in Songs wie Little Susie und Do You Know Where Your Children Are.


    Willa: Oh, das denke ich auch, Joie. Little Susie ist „betörend schön“, wie du sagst, und auch ziemlich kompliziert – auf gewisse Art einer seiner kompliziertesten Songs – man muss sich also ein wenig anstrengen, um ihn vollkommen zu verstehen. Aber er ist auch einfach „zum-Pulsadern-aufschlitzen“-deprimierend, und ich denke, du hast Recht – er wird leicht zur Seite geschoben, weil er so aufwühlend und deprimierend ist.


    Joie: Das ist so. Und wenn du einfach nur da sitzt und den Worten zuhörst, ist es herzzerreißend. Der Song erzählt die Geschichte eines vernachlässigten kleinen Mädchens namens Susie, das grundsätzlich auf sich selbst gestellt ist. Er sagt in einer Strophe:


    Der Vater hat das Zuhause verlassen, die arme Mutter ist gestorben
    Susie ist allein zurück geblieben
    Großvaters Seele ist auch weggeflogen


    Niemand, der sich kümmert
    Einfach, um sie liebzuhaben
    Was kann ein Mensch ertragen


    Wir wissen also nicht, ob die kleine Susie in einem Heim ist oder ob ein anderes Familienmitglied eingesprungen ist. Alles, was wir wissen, ist, dass sie sehr einsam ist, und die einzige Person, die ihren Verlust empfindet ist der Mann von nebenan, wie Michael uns in dieser Strophe erzählt:


    Jeder kam um zu sehen
    Das Mädchen, das nun tot ist
    So blind starren die Augen in ihrem Kopf


    Und plötzlich sagt eine Stimme aus der Menge
    „Dieses Mädchen lebte vergeblich“
    Ihr Gesicht zeigt eine solche Qual, solch eine Anspannung


    Aber nur der Mann von nebenan
    Kannte Little Susie und wie weinte er
    Als er niederkniete, um Susies Augen zu schließen

    Wir wissen also nicht viel über sie, wir wissen nicht einmal, wie alt sie war. Alles, was wir wissen, ist, dass sie allein war und ein trauriges, bedeutungsloses Leben lebte. Verlassen von jedermann in ihrem Leben, mit der möglichen Ausnahme des Mannes von nebenan.


    Willa: Das stimmt, Joie, und diese extreme Einsamkeit – ein Kind ganz auf sich gestellt, ohne Familie, die es liebt und beschützt und für es sorgt – ist ein sehr wichtiges Element in diesem Song. Weißt du, ich wusste dies nicht, bis ich die MJ Academia Project Videos gesehen habe, aber dort wurde gesagt, dass die Lyrics von The Bridge of Sighs (Die Seufzerbrücke), einem Gedicht von Thomas Hood aus dem Jahr 1844, inspiriert wurde. Wie Little Susie ist es ein Gedicht über eine junge Frau, die vollkommen allein in der Welt ist. Hood fragt:


    Wer war ihr Vater?
    Wer war ihre Mutter?
    Hatte sie eine Schwester?
    Hatte sie einen Bruder?

    Jedoch hat diese junge Frau, anders als Susie, ein Zuhause und eine Familie, aber sie wird verstoßen, als sie schwanger wird:


    Schwesterliche, brüderliche,
    Väterliche, mütterliche
    Gefühle hatten sich verändert:
    Liebe wurde durch harte Beweise
    Ihrer hohen Bedeutung enthoben;
    Sogar die göttliche Vorsehung
    Scheint fremd geworden zu sein.

    Sie hat also eine Familie, aber die hat sich gegen sie gewendet und wie Susie (wenn auch aus anderen Gründen) findet sie sich völlig allein wieder, verletzlich und im Stich gelassen –„ Sogar die göttliche Vorsehung / Scheint fremd geworden zu sein“. In einer scheinbar ausweglosen Situation, in der sie niemanden hat, an den sie sich wenden kann, begeht diese namenlose, junge Frau Selbstmord, indem sie von einer Brücke springt und sich selbst in einem Fluss ertränkt.


    Wie Little Susie also stützt sich The Bridge of Sighs auf eine schmerzhafte, verstörende Geschichte – eine, die besonders im 19. Jahrhundert als unpassendes Thema für eine nette Unterhaltung betrachtet wurde. Aber durch die einfühlsame Darstellung der Geschichte ermutigt uns diese, uns eine Situation anzusehen, die normalerweise ignoriert werden würde und lässt uns Mitgefühl für diese zerbrechliche, junge Frau zu empfinden, die niemand tröstet und der niemand hilft. Hood schreibt in dem einzigen sich wiederholenden Vers:


    Nimm sie liebevoll hoch
    Heb sie vorsichtig hoch
    So schlank gebaut
    Jung und so hübsch

    Dies ist dem Refrain aus Little Susie sehr ähnlich:


    Sie liegt dort so liebevoll
    So schlank gebaut
    Heb sie vorsichtig hoch
    So jung und so hübsch

    In beiden Fällen fordern uns Thomas Hood und Michael Jackson dazu auf, in dieser Situation hinzusehen, über die wir vielleicht gar nicht nachdenken wollen. Und mehr als das, sie bitten uns darum, unser Herz ebenso wie unsere Augen zu öffnen und uns um jemanden zu kümmern, um den sich niemand gekümmert hat, als er noch am Leben war.

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Joie: Das ist so wahr, Willa. Und das ist etwas, in dem Michael Jackson wirklich gut war – uns aufzufordern unsere Herzen zu öffnen und uns innig um jene verlorenen und übersehenen Seelen zu kümmern, für die sonst niemand sorgt.


    Und ich mag es, dass du auf das Gedicht von Thomas Hood hingewiesen hast. Ich hatte auch keine Ahnung über Little Susies Verbindung zu The Bridge of Sighs, bevor ich die MJ Academia Project Videos gesehen habe, aber die Vergleiche und Ähnlichkeiten sind wirklich faszinierend. Ich liebe einfach die Symmetrie zwischen den sich wiederholenden Versen in Hoods Gedicht und den Strophen in Little Susie.


    Willa: Das geht mir auch so, und die Art, auf die Michael Jackson dieses ältere Gedicht heraufbeschwört, fügt den Lyrics so viel Tiefe hinzu, finde ich. Und wir können erkennen, dass er mit der Musik etwas ganz Ähnliches macht. Little Susie beginnt zum Beispiel mit einem Chor, der Pie Jesu von Maurice Duruflés The Requiem singt. Hier ist ein Link zur Mezzosopranistin Sarah Connolly, die Pie Jesu singt, was grob übersetzt „Frommer Jesus“ bedeutet:


    Ytt25RRcWGg


    Dann hören wir ein kleines Mädchen eine Spieluhr aufziehen und die Melodie von Little Susie singen – nicht die Lyrics, sondern nur die Noten. Hierauf folgen einige Takte von einem meiner Lieblingssongs, Sunrise, Sunset aus Fiddler on the Roof (Anatevka). Und dann – nahezu auf halbem Weg durch Little Susies Laufzeit von 6:13 Minuten beginnt Michael Jackson schließlich die Eröffnungszeilen zu singen. Little Susie beginnt also mit 3 Minuten musikalischer Zitate und diese musikalischen Bezugnahmen bieten einen bedeutsamen Zusammenhang dafür an, was wir darauf dann hören werden.


    Ein Requiem ist Musik, die für eine Totenmesse geschrieben wurde, welches eine sehr formale und hochgradig ritualisierte Zeremonie ist, die den Tod des Mitgliedes einer Gemeinschaft, im Allgemeinen einer bekannten Persönlichkeit, kennzeichnet. Und Sunrise, Sunset bietet uns die Begleitmusik eines Musicals für eine weitere sehr formale und hochgradig ritualisierte Zeremonie an: eine jüdische Hochzeit zur Wende des 20. Jahrhunderts in Russland. Hier ist ein Clip von Sunrise, Sunset aus der Filmversion von Fiddler on the Roof:


    nLLEBAQLZ3Q


    Michael Jackson hat also einen berührenden Song über ein kleines Mädchen geschrieben, dessen Leben unbemerkt verlaufen ist – eine einsame, unbedeutende Person, nur dem namenlosen „Mann von nebenan“ bekannt, wie du schon vorher bemerkt hast, Joie. Jedoch leitet er diesen Song ein, indem er an Rituale erinnert, die für jene abgehalten werden, die bedeutsam sind und tief verbunden mit ihrer Gemeinschaft, was wiederum den Pathos von Susies Einsamkeit noch weiter erhöht – ihres vollkommenen Getrenntsein von einer Gemeinschaft, die sie eventuell ernährt und beschützt hätte.


    Diese lange Einleitung dient außerdem genauso einer weiteren Funktion, denke ich – sie deutet an, dass Michael Jackson das Gefühl hat, dass Susie auch ein Ritual der Verabschiedung verdient hat. Und so hat er eines geschaffen – eine Zeremonie, um die Verabschiedung einer ungeliebten und ungeschützten Person durch ihre Gemeinschaft zu kennzeichnen. In diesem Sinn sind die läutenden Glocken am Schluss von Little Susie besonders bedeutsam, denn sie erinnern daran, jemandem, der als zu unbedeutend erachtet wird, ein eigenes Requiem zu geben.


    Joie: Ich stimme dir vollkommen zu, Willa. Er hat mit diesem Song von Anfang bis Ende eine sehr spezifische, sehr wichtige Aussage getroffen. Er hat versucht, uns zu zeigen, dass jeder ein ‚Verabschiedungsritual‘ verdient, wie du es genannt hast. Jeder verdient es geliebt zu werden, während er hier ist und dass seiner gedacht wird, wenn er geht. Ich glaube, dass dies ein Gedanke war, der sehr wichtig für ihn war. Wie du weißt hat unser Freund Joe Vogel dies über Little Susie in seinem Buch Man in the Music gesagt:


    Little Susie ist jedoch ein weiterer Beleg für Jacksons Bandbreite und Tiefe als Künstler. Auch dieser Song zeigt seine Verpflichtung gegenüber seiner kreativen Vision, ohne Rücksicht darauf, wen dies möglicherweise verstimmen könnte. Viele Kritiker waren einfach verwirrt darüber, dass eine „Mini-Oper“ über solch ein dunkles und übersteigertes Thema auf einer Mainstream-Popaufnahme landen konnte. „Was dies auf einem Album mit Dallas Austin und Jam and Lewis zu suchen hat, das fragen sich alle“, schrieb der Rolling Stone. Für Jackson allerdings war die Argumentation für Little Susie … ganz einfach: Er fand, dass es ein großartiges Stück war. Kommerzieller Erfolg oder Erwartungen der Zuhörer spielten keine Rolle. Was zählte war die persönliche Verbindung, die Geschichte, die Melodie.

    Abgesehen von der Melodie waren es also die persönliche Verbindung und die Geschichte, die wichtig für ihn waren. So wichtig, dass es für ihn keine Bedeutung hatte, was die Kritiker dachten oder wie die Erwartungen des Publikums aussahen. Es war die Geschichte, von der er überzeugt war, dass sie erzählt werden musste.


    Willa: Ganz genau, und ich liebe die Art, wie Joe die regelmäßig geäußerte, jedoch absolut falsche Bemerkung zurückweist, dass Michael Jackson seine Werke strikt nach den Maßstäben der Abverkaufszahlen maß. Joe schrieb und du hast es zitiert: „Er fand, dass es ein großartiges Stück war. Kommerzieller Erfolg oder Erwartungen der Zuhörer spielten keine Rolle.“


    Joie: Yeah, weißt du, ich habe diese Meinung auch nie verstanden, Willa. Alles, was du tun musst, ist wirklich einmal sein gesamtes Werk an Soloaufnahmen zu untersuchen und du wirst sehen, dass dieses falsche Argument keine Bedeutung hat. Aber Joe Vogel stellt auch heraus, was für ein wirkliches Meisterwerk dieser Song wirklich ist:


    Während Little Susie weitgehend unbekannt geblieben ist, ist es eines der ergreifendsten und einzigartigsten Songs in seinem gesamten Katalog. ‚Würde er sich jemals dafür entscheiden, kein Popsänger mehr zu sein‘, schrieb Anthony Wynn, ‚dann wäre dieser Song der Beweis dafür, dass er Filmmusik komponieren könnte und ernsthafte Aussichten hätte dafür einen Oscar zu gewinnen. Er ist traurig, tief bewegend, wunderschön‘. In der Tat bekräftigt Little Susie nochmals seine beachtlichen Fähigkeiten als Songschreiber.

    Und weißt du, Willa, es ist einfach solch eine Schande, wie wahr diese Feststellung ist. Little Susie ist außerhalb der Fanwelt nahezu unbekannt und das sollte es wirklich nicht sein. Es ist solch ein wundervoller Song, der so viel zu sagen hat.

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Willa: Das ist er wirklich, und sogar unter den Fans ist er nicht besonders gut bekannt oder beliebt. Es ist einfach kein Wohlfühlsong, egal von welcher Seite du ihn betrachtest. Aber während die Geschichte erzählt wird, vielleicht schmerzhaft anzuhören, hat er trotzdem etwas wichtig zu sagen.


    Aber ich bin fasziniert von Anthony Wynns Überzeugung, dass Michael Jackson möglicherweise ein erfolgreicher Komponist von Filmmusik gewesen wäre. Ich denke, das stimmt, teils weil seine Musik auf gewisse Art so visuell ist, worüber wir beide mit Lisha McDuff in einem Post im letzten März (Klang sichtbar machen / Visualizing Sound) gesprochen haben. Außerdem war er sehr begabt darin Musik aus vielen verschiedenen Genres zu integrieren, um dramatische Effekte zu erzielen, die sehr gut in Filmen funktionieren würden, denke ich. Und seine Musik konnte einen oft auf eindrucksvolle Weise mit sich fortreißen, wie es gute Filmmusik oft an sich hat – wie es zum Beispiel bei Sunrise, Sunset der Fall ist.


    Im Grunde ist es wirklich interessant sich Sunrise, Sunset sowohl im Vergleich zu Little Susie als auch auf seine Funktion innerhalb von Little Susie anzusehen. Es ist ein sehr wichtiges Leitmotiv in diesem Song. Michael Jackson zitiert es vier Mal: Im Intro genau vor der ersten Strophe und immer wieder nach jedem Refrain, einschließlich nach dem letzten Refrain, wo es direkt in das Läuten der Glocken führt. Und thematisch bildet Sunrise, Sunset einen starken Kontrast zu Little Susie, denn es ist ein Song, den ein Vater, eine Mutter und eine ganze Gemeinschaft singen, als eine junge Frau heiratet, das Haus ihrer Eltern verlässt und eine eigene Familie gründet. Es ist also ein Song der Liebe für eine Tochter – der Hoffnung für ihre Zukunft ebenso wie des Schmerzes darüber, sie zu verlieren – und es wird der bittersüße Lauf der Zeit zelebriert.


    Wichtig ist, dass der Mann, den sie heiratet, der eine ist, den sie liebt, einer den sie für sich selbst angenommen hat, nicht jemand, den ihr Vater ausgesucht hat. Eigentlich ist es so, nun da ich darüber nachdenke, dass da ein starker Unterton in Little Susie über die angespannte Beziehung zwischen Vätern und Töchtern besteht. The Bridge of Sighs ist die Geschichte einer jungen Frau, die ohne die Erlaubnis ihres Vaters einen Mann liebt, also wird sie von ihm und der restlichen Familie vertrieben – und ohne einen männlichen Schutz, weder vom Vater noch eines rechtmäßigen Ehemannes, stirbt sie.


    Fiddler on the Roof macht die Geschichte noch komplizierter. Es basiert auf einer Novelle, Tevye and his Daughters (Tevye und seine Töchter), die von einem jüdischen Milchmann und seinen fünf Töchtern handelt, und sie konzentriert sich auf die Frage, wem es erlaubt sein soll, ihre künftigen Ehemänner aussuchen zu dürfen. Die älteste Tochter liebt einen armen Schneider, nicht den reichen Fleischer, dem Tevye sie versprochen hat. Aber er erkennt, dass sie ihn liebt und nach einem Gewissenskampf gibt er ihm seinen Segen und seine Unterstützung. Sunrise, Sunset ist ihr Hochzeitslied, in diesem Sinne also stellt es den genauen Gegensatz zu The Bridge of Sighs dar.


    Tevyes zweite Tochter entfernt sich noch weiter von seinen traditionellen Glaubensätzen, indem sie sich in einen politisch Radikalen und jüdischen Studenten von außerhalb verliebt. Es ist schwer für ihn, aber er respektiert den jungen Mann und weiß, seine Tochter liebt ihn, und wieder gibt er seinen Segen. Aber dann verliebt sich seine dritte Tochter in einen jungen Russen, der nicht jüdisch ist, und Tevye kann dies nicht akzeptieren. Als sie mit diesem jungen Mann durchbrennt, verstößt Tevye sie – er ist tieftraurig deswegen, aber trotzdem sagt er seiner Familie, dass sie „für uns gestorben ist. Wir wollen sie vergessen.“ Sie fleht ihn an „Ich bitte dich uns zu akzeptieren“, aber er kann nicht. Er sagt: „Wenn ich das versuche und mich so weit verbiege, zerbreche ich“. So endet sie also von ihrer Familie im Stich gelassen, obwohl sie, anders als die junge Frau in The Bridge of Sighs, einen Ehemann hat, der ihr zur Seite steht.


    Es ist für mich sehr interessant, das Michael Jackson die Geschichte von Little Susie sorgfältig vor dem Hintergrund dieser anderen Geschichten von jungen Frauen, die von ihren Vätern angenommen oder verstoßen werden, platziert. Wie du vorher bereits gesagt hast, Joie, Susie wurde von ihrem Vater im Stich gelassen, und ihre Mutter und ihr Großvater sind gestorben, also hat sie keine Familie und keinerlei männlichen Schutz – und ohne ihre Unterstützung stirbt sie. Wenn wir also eine feministische Annäherung an Little Susie vornehmen, gibt es eine subtile, aber starke Kritik an seinem patriarchalischen Modell, in dem Mädchen und sogar junge Frauen ohne männlichen Schutz und deren Unterstützung nicht überleben können. Wir können dies buchstäblich so interpretieren, dass hier ein Vater oder Großvater oder Ehemann oder im weiteren Sinne das Gesetz des Vaters gemeint ist, welches Institutionen mit einbezieht, die die männliche Macht wie die der Familie, der Kirche, der Polizei, des Militärs, der Medien, der Geschäftswelt untermauern. Und natürlich hinterfragte Michael Jackson regelmäßig alle diese Machtinstitutionen und widerstand ständig sowohl seinem eigenen Vater (im wörtlichen Sinn) als auch dem Gesetz des Vaters (im übertragenen Sinn). Die Interpretation von Little Susie scheint auf diese Art also zu seiner Sichtweise und auch zu seinem Glaubenssystem zu passen.


    Joie: Wow, Willa. Ich glaube nicht, dass ich Little Susie jemals an den Gedanken geknüpft hätte, Autorität oder männliche Macht zu hinterfragen, wie du es genannt hast. Aber das ist eine wirklich faszinierende Interpretation; Danke für diesen Gedankenaustausch! Und mir gefällt, was du gesagt hast über den starken Unterton der belasteten Beziehung zwischen Vätern und Töchtern in Little Susie, und ich denke, du triffst damit den Nagel auf den Kopf. Wenn wir den Lyrics zuhören, können wir vermuten, dass die Dinge sehr viel anders für Susie verlaufen wären, wenn ihr Vater zu Hause geblieben und Teil ihres Lebens geblieben wäre. Ganz sicher wäre sie nicht ganz allein gewesen, nachdem ihre Mutter und ihr Großvater gestorben waren. Vielleicht hätte sie ein glücklicheres Leben gehabt und wäre nicht so vernachlässigt worden, wenn ihr Vater und ihre Mutter zusammenbleiben und ihr so eine liebevolle, stabile Umgebung hätten schaffen können. Wir können uns eine Welt vorstellen, in der die kleine Susie eine glückliche Kindheit mit zwei glücklichen, liebenden Eltern hat. Aber traurigerweise sollte das nicht ihr Schicksal sein.


    Und du hattest Recht, als du sagtest, dass dieser Song sogar unter Fans nicht wirklich bekannt oder beliebt ist, weil es einfach kein Wohlfühlsong ist. Aber es ist ein wirklich eindringlicher Song, und ein wunderschöner dazu, der mehr Aufmerksamkeit verdient, als er jemals bekommen hat.



    :herz: :herz: :herz:

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Musik ist wirklich was Wunderbares...


    Danke Lilly für die schöne Übersetzung :kiss: .
    Du findest die richtigen Worte uns diesen Dialog zwischen Willa und Joie nahezubringen.
    Ich finde es auch immer sehr erfrischend, dass diese Gespräche ganz spontan wirken. Wir erleben wirklich eine Unterhaltung und hören die spontanen Gedanken dazu und wie sie sich entwickeln.
    Dazu die Videos, die gerade heute musikalsich sehr intensiv für mich sind.


    Und dann Little Suzie.
    Ich habe während des Lesen versucht mich zu erinnern, wie es war beim ersten Mal hören.
    Der Song hat mich schon immer hypnotisch gefangen genommen. Ich verstand auch den Text den Michael singt soweit, dass es um den Tod eines Mädchens geht (damals war mein Englisch noch mehr verkümmert und ich verstand die Worte nicht durchgehend).


    Mich würde interessieren wie jemand Little Suzie hört der den Text nicht versteht, also nur auf der Ebene des Klangs.


    Trotz allem... für mich war der Song nie deprimierend, das sehe ich anders als die beiden.
    Berührend ist das Wort, das ich wählen würde. Gerade das Intro transportiert natürlich die Charakeristik eines Requiems, doch für mich ist das nicht bedrückend sondern in seiner Tiefe sehr schön.
    Und dann die Schritte des Mädchens, das Aufziehen der Spieluhr, das Mitsummen...
    Schon haben die Töne einen in einen Film gezogen, der vor dem Auge abläuft. Bei mir in schwarzweiß. Ein Mädchen mit einem karierten Kittelschürzenkleid, heruntergerutschten schmuddeligen Kniestrümpfen und zwei geflochtenen Zöpfen, solche, denen man ansieht, dass es lange her ist, dass sie jemand liebevoll gekämmt hat.
    Dann Michaels Gesang. Seine Stimme ist so intensiv... und wunderschön. Doch wie gesagt, für mich nicht deprimierend. Nachdem ich wusste wovon der Song handelt, dachte ich immer ich sollte betroffener sein und ihn nicht so schön finden.
    Doch er ist wie eine warme Decke, die um den geschundenen Körper gelegt wird. Wie der Mann der ihr die Augen schließt und um sie weint.
    "Lift her with care..." - Das tut Michael mit seiner Stimme. :love:


    Jetzt darüber zu lesen... die tiefe Bedeutung eines anonym gestorbenen (und gelebten) Lebens der Entbehrung, eines Kindes das unbeschwerte Jahre, Spiel und Liebe erfahren hätte sollen... Dieses Leben zu ehren und ihm die Zuwendung zukommen zu lassen, die ein jedes Leben verdient...
    ...das ist doch wunderschön.
    Darin liegt auch so viel Hoffnung für mich, nämlich dass es nie zu spät ist.
    Für mich ist es keine Frage, dass diese Liebe auf energetischer Ebene ankommt und die Macht hat zu heilen. In dem Fall sogar mehr uns die Zurückgebliebenen, als die Seele die nun sowieso befreit und ohne Schmerz und Bedauern ist.
    Das ist auch so typisch Michael. Er kümmert sich!
    Auf die Frage: "Who Cares?" Kann man antworten: "Michael did!"
    Ihn kümmerten diese Schicksale, die anonymen die millionenfach passieren und er hielt inne und schuf diesen Song. Er breitete eine Decke über sie. Für mich tun sowas Engel.


    Ich finde es i-wie sehr schön dieses Gespräch und diesen Song heute geschenkt bekommen zu haben. :Tova:
    Morgen ist mal wieder der 25. und ich weiß, all unsere Gedanken, unsere Liebe und der Wunsch Michael in eine Decke zu hüllen, seine Prüfungen zu durchleben, mit ihm zu fühlen, sie ihm abnehmen zu wollen, ihn nicht zu vergessen (natürlich auch mit ihm zu lachen und uns von seiner Energie infizieren zu lassen) - all das kommt nicht zu spät.
    Es ist unser Requiem...


    Ich kann mir vorstellen wie wichtig ihm dieses Stück war, wie er ihm mit geschlossenen Augen gelauscht hat, immer wieder, beim Verfeinern bis zur Perfektion, wie ihn das erfüllt hat und glücklich gemacht hat und welches Geschenk er an uns ist.


    Danke. :flowers:


    Und irgendwie ist er auch die 'Antwort' auf Will You Be There -



    Lift me up slowly


    Carry me boldly


    Show me you care...

    Einmal editiert, zuletzt von Sky* ()


  • :Tova: …wow…das ist sehr passend :kiss:


    Ich fand Little Susie auch immer sehr schön – gerade weil es ein sehr gefühlvolles, trauriges Lied ist, aber ich höre es immer gerne und es ist eines der Lieder, wo ich Michaels Stimme einfach wunderschön finde :wolke1: … vlt. ist es das, was sky so treffend formuliert hat

    Zitat

    Doch er ist wie eine warme Decke, die um den geschundenen Körper gelegt wird.


    Was es mir auch immer „leicht“ machte, das Lied zu hören – ich fand es auch nie deprimierend, es klingt nach ganz viel Liebe…sehr eindringlich aber auch sehr sanft und zärtlich…liebevolles kümmern -wenigstens nach dem Tod... das hat natürlich schon was trauriges - aber auch was sehr tröstliches...


    Und während dem MurrayProzess – als diese Bilder von Michael auftauchten—verband ich sie sofort mit den Zeilen von Little Susie… ;(


    Thematisch erinnert mich Little Susie ausserdem sehr an einen anderen Song von Michael – der aber bis jetzt unveröffentlicht ist..nur den Text kennen wir:
    Michael Mckeller
    Hier mit Scripten von Michael und Übersetzung..
    http://www.mjjackson-forever.c…ight=mc+keller#post176533
    ..es zeigt mir auch, wie sehr sich Michael mit dem Thema Vernachlässigung/Einsamkeit/Ungeliebtsein (oder sich so zu fühlen)..beschäftigt hat – und wie sehr er es wohl nachfühlen konnte…


    Dann ist da noch das Foto zu Litte Susie im HIStory Booklet –es ist von Gottfried Helnwein aus einer Fotoserie von 1972 – „Lichtkind“ – und ich denke (natürlich!!) dass Michael diese Bilder alle ansah—und sehr bewußt eines daraus wählte…


    Hier noch eine Auskunft von Helnwein zu diesen Bildern:
    HELNWEIN: Bei diesen Bildern ist es so wie bei meinen Kinderbildern, daß die Augen zum Beispiel bandagiert sind und die Ohren und Teile des Gesichts. Ich habe den Eindruck, daß die meisten Menschen nichts sehen und unfähig sind, zu hören oder etwas wahrzunehmen. Das ist eine Fähigkeit, die mehr und mehr, systematisch über Generationen hinweg, durch komplizierte Erziehungsprogramme zerstört werden soll. Ich glaube nicht, daß es eine Evolution ist, die einfach passiert, sondern daß daran gearbeitet wird: Die Herrschenden, egal wie sie sich nennen, sind immer daran interessiert, Untertanen zu haben, die nichts hören, nichts sehen und vor allen Dingen keinen eigenen Willen haben. In der ganzen Geschichte kenne ich nur Herrschaftssysteme, die ihre gesamte Intelligenz und Macht aufbieten, um Leute blind, taub und verfügbar zu machen. Wenn sich zum Beispiel sechs Millionen Menschen gelbe Sterne annähen und jahrelang in endlosen Reihen in Schlachthäuser treiben lassen, zeigt dies, daß man ihnen schon lange vorher ihren eigenen Willen genommen hatte - und wenn alle anderen nichts davon bemerkt haben, beweist das, daß sie blind und taub waren.
    http://www.helnwein-museum.com/article3762.html



    Dann habe ich noch einen interessanten Vergleich gefunden, zwischen diesem Foto und der Zeichnung, die Michael selbst gemacht hat, für Childhood:



    "Central to both Little Susie and Childhood are the artworks which are featured in the accompanying booklet to the HIStory album; Gottfried Helnwein's 1972 photograph titled "Lichtkind" (Child of Light) which is titled Little Susie and an undated and untitled drawing by Jackson, which includes the handwritten lyrics of Childhood (Michael Jackson. HIStory booklet. Sony BMG pg. 37 and 34).
    Helnwein's photograph recreates a crime scene, in which an unidentified child's body lays on a decaying wooden floor, a lone penny positioned beside her. The unconscious child's head and eyes are heavily bandaged, her dress, seems new and unworn, and recently placed on her tiny frame, while light, seemingly from above, accentuates her wrists and closed eyes.Thematically similar, Jackson's drawing is of a saddened child, obediently seated in the corner of a forgotten room, whose small body leans towards the wall for protection. The depicted child tightly grasps onto a microphone, which is attached to a ceaseless electric cord that weaves itself outside the room, to the outside world, a place the child is hopelessly trying to resist."

    [url]http://www.helnwein-archive.com/577/an_appreciation_of_little_susie_by_michael_jackson.html?section=[/url]


    Zitat

    Aber ich bin fasziniert von Anthony Wynns Überzeugung, dass Michael Jackson möglicherweise ein erfolgreicher Komponist von Filmmusik gewesen wäre. Ich denke, das stimmt, teils weil seine Musik auf gewisse Art so visuell ist,


    Das erinnerte mich an eine Aussage von David Michael Frank, der sich 2009 mit Michael traf um seine geplante klassische Musik zu arrangieren..


    „Es ist ganz wunderbare Musik. Ein Stück hat einen irischen Charakter. Ich schlug vor, dass wir eine keltische Harfe einsetzen könnten. Das Stück klingt wie wunderschöne Filmmusik in sehr traditionellen Akkorden und sehr klangvollen Melodien. Eines der Stücke hörte sich ein bisschen wie eines von John Barry an, wie ‚Out of Africa’ – wie eine John Barry Partitur. Ich konnte mit meinem ‚inneren Ohr’ dramatische Streicher und Waldhörner im Gleichklang hören.“

  • ..wow..ihr beiden..sky und maja..ihr macht da weiter...wo Willa und Joie aufgehört haben...bin grad sprachlos, habe feuchte Äuglein und muss gleich nochmal lesen und auf mich wirken lassen....DANKE :drück::blume:

    Ich aber gelobte mir,
    mich niemals abstumpfen zu lassen
    und den Vorwurf der Sentimentalität
    niemals zu fürchten.

    Albert Schweitzer

  • Das kann nicht alles sein
    That ain’t what it’s all about
    06/03/2013


    Willa: Also Joie, vor einigen Wochen sprachen wir darüber, dass Michael Jackson eine Verbindung zwischen seinem schöpferischen und seinem spirituellen Leben gesehen hat, etwas, über das wir uns bereits einige Male unterhalten haben. Aber weißt du, er sah auch eine Verbundenheit zwischen seiner Kreativität, seiner Spiritualität und seiner Körperlichkeit, speziell der Bewegungen seines Körpers als Tänzer. Er schien eine tiefe Verbindung zwischen spiritueller Energie, schöpferischer Energie und physischer Energie, einschließlich der sexuellen Energie, zu spüren.


    All dies lässt sich mir die Frage stellen – wie wird Sex und sexuelle Energie in Michael Jacksons Werk dargestellt, was bedeutet es, und hat es vielleicht unterschiedliche Bedeutungen zu unterschiedlichen Zeiten? Was bedeutet es zum Beispiel, wenn er in Don’t Stop til You Get Enough oder in Give in to Me oder Superfly Sister oder Break of Dawn über Sex singt? Was bedeutet es, wenn er während der Panterszene in Black or White seinen Reißverschluss hochzieht? Und was bedeutet es genau, wenn er tanzt und sich in den Schritt fasst?


    Joie: Hmm. Alles sehr gute Fragen, Willa. Aber weißt du, ich meine mich erinnern zu können, wie Michael Oprah erzählte, dass er wirklich nicht darüber nachdenken würde, wenn er tanzte und dass die ganze Sache mit dem Crotch Grabbing von ganz allein passiere und nichts zu bedeuten habe. Ich glaube, er sagte, er sei „dem Rhythmus ausgeliefert“ oder so ähnlich.


    Willa: Nun, ich denke, das ist wahr, Joie, aber ich glaube nicht, das das die ganze Wahrheit ist. Ich glaube, manchmal tanzte er und er verlor sich wirklich so sehr in der Musik und Bam! Er betonte eine Tanzsequenz mit einem Crotch Grab wie mit einer Art Ausrufezeichen am Ende eines Satzes. Aber ich denke auch, dass er manchmal entschied, dass er dieses Ausrufezeichen mochte und nahm es bewusst in seine Choreografie auf.


    Wir haben also diese amüsante Tanzszene in This is it, in der zwei Frauen mittleren Alters einer Gruppe junger männlicher Tänzer die korrekte Technik des Crotch Grabbing beibringen und ich muss sagen, über diese ganze Szene kann ich mich kaputtlachen. Zuerst ist da diese russische Ballettausbilderin, Irina Brecher, die erklärt, auf welche Art die Bewegungen, die sie gerade ausführen, mit denen von Baryshnikov verglichen werden können:


    „Ich hab’ dich gesehen! Du machst es so hier. Was soll das sein? Das ist russisch! Dies ist russisch. Baryshnikov macht es also so wie dies hier, und ihr, Jungs,. macht es so wie dies. Dieselbe Sache.“

    Dann hilft ihnen die assistierende Choreografin Stacy Walker ihre Technik zu perfektionieren. Sie sagt „Und noch einmal“ und sie greifen sich alle gemeinsam in den Schritt. Und sie sind alle so ernst dabei – es bringt mich einfach zum Lachen. Dann demonstriert sie die korrekten Bewegungen beim Crotch Grab, während sie sagt:


    Wir gehen gerade hoch und runter, richtig? Ich denke nicht, dass es etwas anderes außer einer Handbewegung ist … Ich denke, das ist geschmeidiger, versteht ihr, was ich meine? Ich meine, bei mir ist ja gar nichts, was ich bewegen könnte …“


    Das ist so eine lustige Szene! Ich habe solch eine Freude daran, aber ich mag es auch, zu sehen, wie vertrauensvoll und voller Respekt diese talentierten, jungen Tänzer gegenüber diesen älteren Frauen sind. Es ist wirklich wunderbar. Diese lustige, kleine Szene zeigt uns also mehrere wichtige Dinge: dass der Crotch Grab ein beabsichtigter Teil der Choreografie war, dass er wirklich nicht sexuell im herkömmlichen Sinn gemeint war (und Michael Jackson hat immer gesagt, dass er es nicht war), und dass er ganz sicher nicht Dominanz gegenüber Frauen zeigen sollte. Diese zwei Frauen waren schließlich die Unterrichtenden! Und sie handhabten es auf eine sehr spaßige, fröhliche Art und Weise.


    Joie: Nun, ich finde es sehr lustig, dass wir eine Diskussion über Crotch Grabbing führen!


    Willa: Ach komm, Joie. Dies ist eine äußerst wissenschaftliche Diskussion!


    Joie: Uh huh. Aber ich muss sagen, dass ich deiner Meinung bin, Willa. Ich glaube, dass er den Crotch Grab wie ein Ausrufezeichen einsetzte, und dieser so wirklich zu einer Art unverkennbarer Bewegung wurde – oder zu einer seiner typischen Bewegungen, denn wir wissen alle, da gab es einige.


    Willa: Das stimmt. Wie diese Bewegung, die Moonwalk genannt wird und die ein wenig Aufmerksamkeit erhielt …


    Joie: Yeah. Oder der verdrehte Leg Kick. Aber er wird inzwischen wirklich mit dem Crotch Grab identifiziert. Wann immer wir einen anderen Sänger und Tänzer sehen, der diese Bewegung ausführt, verbinden wir dies in Gedanken sofort und für immer mit Michael Jackson.


    Aber du hast etwas gesagt, das ich wirklich interessant finde. Du sagtest, der Crotch Grab war nicht sexuell gemeint und dass Michael immer behauptete, dass er nicht sexuell gemeint sei. Der Grund dafür, warum ich diese Behauptung interessant finde ist, dass ich denke, dass die meisten Leute einfach immer genau das Gegenteil annahmen. Ich denke, für den größten Teil der Welt lag der Grund, warum der Crotch Grab als so kontrovers und provokativ angesehen wurde, genau darin, dass sie dem eine sexuelle Bedeutung beigemessen hat, die Michael niemals beabsichtigte.


    Willa: Nun, jetzt bringst du mich zum Nachdenken, Joie – was habe ich gemeint, als ich sagte, es war nicht sexuell gemeint? Hmmm … Jetzt, wo ich darüber nachdenke, scheint es mir zu absolut, denn offenbar liegt darin eine sexuelle Bedeutung, aber vermutlich meinte ich, dass es für mich nicht erotisch erscheint in dem Sinne, dass er nicht versucht, dadurch ein sexuelles Gefühl hervorzurufen oder eine sexuelle Situation anzudeuten – jedenfalls nicht, solange es sich nicht um diese Art wellenförmigen Crotch Grab wie in dem Billie Jean Segment in This is it handelt. Meine Güte! Nun, das ist sexuell! Also wusste er ganz sicher, wie er es auf anzügliche Art hätte machen müssen, wenn er dies gewollt hätte, aber er hat das nie auf der Bühne getan, niemals. Diese Szene in This is it war zweifellos eine Sache zum Spaß, um die Crew, besonders die jungen Tänzer, bei den Proben zu erfreuen. Er hat niemals etwas Derartiges bei einer wirklichen Vorstellung gemacht.


    Stattdessen war es fast immer nur ein schnelles Ausrufezeichen, wie wir schon gesagt haben, und wie es mir scheint, mehr um einen künstlerischen Impuls ausdrücken als einen sexuellen Drang, obwohl es schwierig ist, dies vollkommen voneinander zu trennen, denn er schien eine starke Verbindung zwischen Kreativität und sexueller Energie zu spüren. Wir haben darüber ein wenig im Rahmen von Give In to Me im vergangenen April gesprochen.


    Aber es gibt noch ein weiteres Element, das darin besteht, dass der Crotch Grab mir immer irgendwie auch wie eine Art politisches Statement vorkommt, gerade auch weil er es ungeachtet der Kontroverse trotzig beibehalten hat. Du weißt, er war ein sehr sexy schwarzer Mann – ein Sexidol sogar – in einem Land, das sich sehr unbehaglich mit der Sexualität schwarzer Männer fühlt, und ich denke, er spürte sehr großen Druck, seine Sexualität deshalb zurückhalten zu müssen. Und in dieser Hinsicht fühlte sich der Crotch Grab für mich immer irgendwie so an, als könnte er sich auf gewisse Weise seine Sexualität und seinen eigenen Körper wieder zurückerobern. Es ist so, als würde er die Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass er nicht nur einen wunderschönen, talentierten, erstaunlichen, sondern eben genauso auch einen sexuellen Körper hat.

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Joie: Ich glaube, du bist da einer Sache auf der Spur, Willa. Es könnte außerdem für ihn eine Art gewesen sein, der Welt in gewisser Weise den Stinkefinger zu zeigen. Ich möchte jetzt hier nicht derb werden, aber der Griff in den Schritt wurde noch nie wirklich als feine Geste angesehen. Eigentlich war es so, lange bevor Michael es für sich angenommen und in eine unverwechselbare Tanzbewegung verwandelt hat, dass wenn ein Typ sich in den Schritt greift, dies entweder als Beleidigung gesehen wurde (wenn es gegenüber einem anderen Mann ausgeführt wurde) oder als sehr anstößige Geste (bei Ausführung gegenüber einer Frau). Also passt dein Vorschlag, dass es politisch motiviert sein könnte, hier wirklich genau. Es könnte definitiv als trotzige, ‚Leck mich am Arsch’-Geste betrachtet werden.


    Willa: Wow, das stimmt, Joie. Es ist lustig, ich habe niemals bisher darüber nachgedacht, aber du hast Recht, es kann definitiv auf diese Art interpretiert werden. Und er bringt diesen Impuls hin und wieder zum Ausdruck, wie wir es in Scream sehen. Und es gibt da diese Zeile in Shaquille O’Neals Rap in 2Bad:


    (Ich) greif mir in den Schritt, verdrehe mein Knie, dann hat er bei mir verspielt
    Mike ist böse. Ich bin böse. Und du?


    Grab my crotch, twist my knee, then I’m through
    Mike’s bad. I’m bad. Are you?

    2Bad als Ganzes ist eine Erklärung, dass er sich nicht brechen oder beugen lassen wird – „Ich stehe, obwohl du mich trittst“ (I’m standin’ though you’re kickin’ me) – und diese Zeile ist ganz speziell eine trotzige Aussage.


    Joie: Das ist wirklich eine trotzige Aussage, Willa. Im Grunde ist der gesamte Song ziemlich trotzig, das stimmt. Aber ich möchte fragen, ob wir noch einmal zu der ursprünglichen Frage zurückkommen könnten. Du fragtest, was es bedeutet, wenn Michael über Sex singt in seinen Songs und wie sich diese sexuelle Energie in seinen Werken ausdrückt? Also, offenbar denke ich daran, dass du ein paar Gedanken hierzu hast.


    Willa: Ich weiß nicht, ob ich wirklich Gedanken oder irgendwelche bestimmten Schlussfolgerungen dazu habe – nur eine Menge Fragen. Ich erkenne, dass Sex auf so viele verschiedene Arten in seinen Werken repräsentiert wird, und ich frage mich, wie das alles zusammenpasst. Was fängt man zum Beispiel mit den sexuellen Hinweisen im Panther Dance an? Dieser ganze Abschnitt ist ein starker Protest gegen Rassismus, aber er beinhaltet einige ziemlich deutliche sexuelle Gesten – viel deutlicher, als die Kritiker bis dahin von Michael Jackson gewohnt waren, das ist mal sicher. Es gab eine Menge Kritik darüber, als Black or White zum ersten Mal ausgestrahlt wurde. Da gab es einen Song, den viele Kritiker als etwas interpretierten, worin es um Harmonie zwischen den Rassen ging, und plötzlich zerschlägt Michael Jackson in dem Panther Dance Abschnitt Glas, zieht seinen Hosenschlitz zu und greift sich ziemlich deutlich in den Schritt. Warum ist das da so? Wie deutest du das?


    Joie: Nun, ganz ehrlich, ich bin nicht sicher, wie ich es deuten soll. Aber du liegst absolut richtig damit, wenn du sagst, dass es sehr viel deutlicher war als Kritiker es von ihm gewohnt waren, und manchmal denke ich, dass es genau der beabsichtigte Zweck war. Vielleicht wurde es einfach deshalb so gemacht, um die Dinge ein wenig aufzurütteln. Wenn du darüber nachdenkst, fand es zu einer Zeit statt, als Michael einige Veränderungen durchmachte. Er war aus seiner langen und erfolgreichen Zusammenarbeit mit Quincy Jones ausgebrochen und er übernahm das Zepter und produzierte sich selbst, und er war erpicht darauf neue Dinge auszuprobieren, neue Produzenten, neue Sounds. Und das daraus entstandene Album, Dangerous, vermittelt deswegen ein wirklich kantigeres Gefühl. Vielleicht also wollte er einfach etwas Ausgefalleneres machen. Und seien wir ehrlich, dieser Panther Dance ist ganz sicher ausgefallen.


    Aber ich möchte auch die Tatsache herausstellen, dass die rassistischen Beleidigungen, die im Panther Dance auf dem Auto und dem Gebäude geschrieben stehen, eigentlich nicht in der ursprünglich weltweit ausgestrahlten Originalversion zu sehen waren. Sie wurden nach dem anfänglichen Aufruhr über die „verstörende Gewalt und die simulierte Masturbation“ hinzugefügt. Ich war eigentlich nie davon überzeugt, dass dieser Abschnitt des Videos als Protest gegen Rassismus gemeint war. Vielleicht war es das, aber es fühlte sich für mich nicht so an. Wie deutest du das?


    Willa: Wirklich? Wow, das überrascht mich, Joie. Für mich ist es so, dass die hinzugefügten Parolen an der Bedeutung überhaupt nichts ändern, sie machen nur deutlicher, was sowieso schon da ist. Ich meine, der Titel des Songs heißt Black or White, und die Lyrics handeln davon, gegen Rassenvorurteile aufzustehen – er bezieht sich sogar speziell auf den Ku-Klux-Klan (KKK), als er singt „Ich habe keine Angst vor Laken“. Als er also „KKK“ und „Neo-Nazi“ und das Hakenkreuz-artige Graffiti hinzufügte, fühlte es sich für mich passend an und schien sich genau einzufügen. Wie siehst du das?


    Joie: Nun, das ist wahr, es fügt sich genau ein. Aber, ich weiß nicht; ich vermute, ich habe es einfach immer als nachträglichen Einfall gesehen, als einen Versuch die Kontroverse zu schlichten. Aber was du gerade gesagt hast, ergibt auch sehr viel Sinn, nämlich dass es gemacht wurde, um sozusagen die Intention des Künstlers zu verdeutlichen. Du hast wahrscheinlich Recht.


    Willa: Naja, es ist durchaus zweideutig. Da wird während Black or White den ganzen Song hindurch ständig Glas zerbrochen, beginnend mit dem zerbrechenden gerahmten Poster und dem explodierenden Fenster im Eröffnungsabschnitt, also kann die Gewalt durch das zerbrechende Glas verschiedene Dinge bedeuten. Im Grunde ist der gesamte Panther Dance ziemlich mehrdeutig, mit so vielen faszinierenden Elementen und so vielen verschiedenen Arten, auf die man sich ihm nähern und ihn interpretieren kann.


    Es beginnt mit dem Panter, der in einen Keller hinunter geht, genau wie Michael Jackson in seiner Rolle vor der ersten Tanzsequenz in You rock my world, und in beiden Fällen besteht dadurch die Andeutung, dass wir in einen unterirdischen Bereich gehen, sowohl buchstäblich, als auch im übertragenen Sinn, in das Unterbewusste. Er verwandelt sich zurück in einen Menschen und wird sofort von einem Scheinwerfer eingefangen. Für mich fühlt sich dies nicht so sehr an wie ein Scheinwerfer auf einer Bühne, sondern eher wie ein Scheinwerfer in einem Gefängnis oder bei einem Verhör, und die Gitterstäbe vor den Fenstern und dem Türdurchgang verstärken diesen Gedanken. Aber er nimmt in diesem Scheinwerferlicht trotzdem eine Pose ein, mit einer Hand in seinem Schritt. Dann macht er sich gerade, steht aufrecht, und eine Katze springt aus einer Mülltonne, was interessant ist, denn Michael Jackson ist regelmäßig symbolisch mit Katzen verbunden. Immerhin war er gerade ein Panter.


    Die Katze ist also aus dem Sack, oder raus aus der Mülltonne, und es gibt einem das Gefühl, als ob einige Aspekte von Michael Jackson selbst befreit wurden. Er zieht sein Hemd zurück wie ein Revolverheld, der sich gleich ein Duell mit dem Stadtmarschall liefern wird, und ein unheimlicher Wind bläst hinter ihm, der den Eindruck vermittelt, als würde er Raum und Zeit wechseln. (Zum Beispiel bläst ein ähnlicher Wind hinter ihm, als er die Tür zum Club 30s in Smooth Criminal öffnet, ein Wind, der ihn zurück in Dem Bones Café in The Band Wagon bringt.) Er beginnt mit einer Tanznummer, die die Vorstellung an die lange Geschichte des Tanzes in den Vereinigten Staaten an die Oberfläche holt, dann jaulen er und der Panter einstimmig, und da beginnt der Abschnitt, der die Kritiker in Aufruhr versetzt hat.


    Joie: Ich mag die Art, wie du das ausdrückst, Willa. Dass einige Aspekte von Michael Jackson selbst befreit wurden. Und ich denke, du hast damit wirklich mein Gefühl getroffen, das mich befällt, wann immer ich den Panther Dance ansehe. Du hast mich gefragt, wie ich es interpretiere, und du wärst überrascht, wenn ich sage, dass ich dem niemals eine Art von rassenbezogenem Protest zugeschrieben habe. Aber ich denke, du hast den Grund dafür gerade berührt. Weil es sich für mich so anfühlt, als wäre Michael entfesselt und frei. Es ist eine sehr leidenschaftliche, ausdrucksvolle Tanzsequenz, in der uns das Vergnügen zuteil wird, einen der großartigsten Tänzer der Welt beobachten zu dürfen, wie er einfach … loslässt! Wir genießen vier glückselige, verblüffende (und ja, erotische) Minuten mit Michael Jackson, in denen er das tut, was nur Michael Jackson kann. Und für mich … gibt es daran nichts, was rassisch motiviert ist. Es ist wunderschön, es ist ein Fest, es ist lebendig! Es ist der Ewige Tanz der Schöpfung, über den er immer wieder in Dancing the Dream spricht, und das zu beobachten ist pure Freude!

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Willa: Oh, ich stimme dir vollkommen zu, Joie! Aber ich denke auch, dass es besonders bedeutsam aufgrund der Tatsache ist, wer er war und aufgrund der kulturellen Position, die er besetzt hat.


    Wir leben in einem sehr seltsamen Zeitalter, in dem wir als Kultur sowohl übersexualisiert, als auch überaus verklemmt sind. Es ist eine abenteuerliche Kombination. Und ich denke, Michael Jackson fühlte das sehr viel intensiver als die meisten von uns aufgrund seiner einzigartigen Position als erstes schwarzes Teenidol – als ein Sexsymbol, das eindeutiges Begehren weckte in weißen Frauen, schwarzen Frauen, Frauen vieler Rassen. Das war eine potentiell explosive Situation, und er musste sehr vorsichtig damit umgehen, wie er sich in der Öffentlichkeit darstellte. Er war ganz offensichtlich sehr sexy auf der Bühne, aber fernab der Bühne stellte er sicher, dass die Leute – speziell weiße Leute – das Gefühl hatten, er sei „sicher“, asexuell. Ich erinnere mich sogar an eine Verspottung in Saturday Night Live, in der Eddie Murphy einer Michael-Jackson-Puppe die Hose herunterzieht und dies als Beleg dafür nutzte, dass er asexuell sei – ohne Geschlechtsorgane.


    Der Panther Dance fühlt sich wie eine dramatische Abweichung von alldem an. Er fordert seine Sexualität zurück – er ist schwarz, schön und sexuell – aber das heißt nicht, dass er vorhat viel Zeit mit Groupies zu verbringen. Mit anderen Worten, sich der sexuellen Unterdrückung zu widersetzen scheint nicht zu bedeuten, ein Leben mit One Night Stands zu befürworten. So singt er in Superfly Sister:


    Steck ihn rein
    Zieh ihn raus
    Das kann nicht alles sein


    Er spricht also nicht über stumpfsinnigen Sex. Wie wir bereits einige Male besprochen haben scheint er in Sexualität mehr zu sehen als nur einen physischen Akt. Stattdessen scheint er zu sagen, dass wir unsere Sexualität als einen Teil unseres ganzen Seins zurückerlangen sollten, so dass unsere Sexualität nicht etwas ist, dass nur hinter verschlossenen Türen stattfindet, sondern dass es in uns als ganzheitliche Person eingebunden sein sollte – in kreativer, emotionaler, psychologischer Hinsicht.


    Wenn ich also betrachte, wie Sexualität im Panther Dance dargestellt wird, dann ist der bedeutendste Part für mich nicht der Abschnitt des „Loslassens“, der die Kritiker so aufgeregt hat – obwohl das bedeutsam ist – sondern die Sequenz der „Integration“ / der Einbeziehung, die sofort danach passiert. Er steht dabei auf dem Bürgersteig, während dieser ätherische Wind bläst, und die Kamera fährt an ihm vier Mal vorüber, als er seine Hände mehrfach von seinem Herzen hin zu seiner Leiste streicht, sie sichtbar zusammenführt, sie einbezieht.


    Joie: Nun, das ist eine interessante Interpretation, Willa. Und es scheint mir, als seien unsere Vorstellungen gar nicht so weit voneinander entfernt. Du scheinst den Panther Dance als eine mutige Aussage zu sehen, unsere Sexualität zurückzuerlangen. Während der Panther Dance für mich eine sexuell sehr aufgeladene, unglaubliche Tanzsequenz ist. Eine, deren Ausführung Michael Jackson ein Gefühl der Lust verschafft. Tanzen einfach nur aus reiner Freude am Tanzen.


    Willa: Eigentlich sehe ich das Zurückerlangen der Sexualität nur als einen Aspekt davon – für mich geht es wirklich um die Zurückerlangung des ganzen Selbst und seines Körpers, einschließlich seiner Sexualität. Aber ich liebe es, was du gerade gesagt hast, Joie, und ich denke, du liegst richtig, wir sind nicht weit voneinander entfernt, und ich glaube, du hast deinen Finger genau auf den zentralen Punkt gelegt – es ist Freude.


    Ich bin der Meinung, dass wir im Panther Dance Michael Jackson sehen, der all die kulturellen Erzählungen, die ihm und seinem Körper auferlegt wurden zurückweist – Vorstellungen darüber, was es bedeutet ein Mann (oder eine Frau) zu sein, was es bedeutet, schwarz (oder weiß) zu sein, was es bedeutet normal (oder unnormal) zu sein, was es bedeutet cool (oder uncool) zu sein, was es bedeutet begehrenswert (oder nicht begehrenswert) zu sein, was bedeutet liebenswert (oder nicht liebenswert) zu sein – ein Mensch der Liebe wert (oder nicht wert) zu sein. Er weist dies so sehr von sich, dass er die einengenden, auf seinem Körper verewigten Erzählungen in Stücke schlägt, genauso wie er die hässlichen, einengenden Erzählungen zertrümmert, die auf dem Glas geschrieben stehen.


    Und wenn wir hinter all diese Etikettierungen und Vorurteile und falschen Ideologien schauen, dann finden wir etwas so Einfaches und doch so Grundlegendes – einen Menschen, der in seinem Körper wohnt und darin Freude findet. Wie du es so wunderschön gesagt hast, Joie: „Es ist wunderschön, es ist ein Fest, es ist lebendig! Es ist der Ewige Tanz der Schöpfung.“




    :herz: :herz: :herz:

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Hallo Lilly :flowers:
    Da beschenkst Du uns mit dieser Übersetzung an Deinem Gebutstag :kiss: Danke schön :flowers:



    Der Dialog ist durchaus interessant, doch ich muss sagen in diesem Fall hätte der Panter-Dance etwas weniger Spontanität und mehr Tiefgang verdient, finde ich.
    Und ich muss sagen, hier im Forum sind dazu schon wesentlich tiefgehendere Gedanken niedergeschrieben. Ich verweise sehr gerne auf den 'I hear your Voice now' Thread (Zur Zeit vergraben unter 'Alles Andere').
    Die liebe Zoey hat da ein paar wirklich lesenswerte Gedanken zu einigen Songs verfasst, die auch diskutiert wurden.
    Und eine Sternstunde ist für mich ihr Eintauchen in Black or White und den Panther-Dance. :perfect:
    Enjoy it :hkuss:
    I hear your voice now... Michael Jackson's Texte und Videos und ihre (verborgene) Botschaft



    PS: Der ganze Thread kann zu einigen Diskussionen von Willa und Joie als super Ergänzung gesehen werden. :zwinker:






    Sky* :Tova:

  • Zitat

    Ich verweise sehr gerne auf den 'I hear your Voice now' Thread


    ...oh, ja...danke an die Erinnerung, Zoeys Panther Dance - Analyse ist klasse... :daumen::herz:


    Hier im..post 453.. ging es auch schonmal ausführlicher über den Pantherdance - es war wohl in dem aktuellen Post nicht das "Hauptthema"...
    (EDIT: es ist Post 253..Danke sky :) ..link weiter unten..))


    Aber was auch immer klasse ist - und wo es auch sehr viele Infos, Ideen, Gedanken in alle mögliche Richtungen gibt, sind die Kommentare, die unter dem jeweiligen Beitrag von Willa und Joie zu finden sind. Es ist so, das dort die Gedanken der beiden weiter diskutiert werden, und da kommt dann vieles dazu - ganz verschiedenes - was sie oben im Post nur angestossen haben. Die Kommentare sind jedoch ziemlich umfangreich, weshalb man die nicht auch noch alle mit übersetzen kann . aber man sollte versuchen, sie auf jedenfall mit zulesen.


    Ich fand in den Kommentaren zu diesem Beitrag u.a. den Hinweis auf Shiva - Lord of The Dance.... der den Tanz der Schöpfung tanzt... sehr spannend.


    ...auch, weil Michael sich sicher damit beschäftigt hat - die Bhagavad-gita gelesen hat... Mudras verwendet... ich finde diese Zusammenhänge einfach spannend... und unendlich interessant.


    Hier kurz was über Shiva...
    Shiva ist auch ein großer Tänzer. Er wird König des Tanzes (Nataraja) genannt, aber sein Tanz ist nicht Tändelei, sondern ein Schöpfungsakt - er schafft und zerstört die Welt zugleich in diesem kosmischen Tanz.


    Das Nataraja-Bildnis zeigt Shiva mit vier Händen und zwei Beinen in Tanzposition stehend.


    Er hält eine Trommel (Damaru) in der oberen rechten Hand und Feuer in seiner linken. Die untere rechte Hand befindet sich in der Stellung des ,,abhaya-Mudra" (schutzgebende Geste und Zeichen von Furchtlosigkeit). Die linke Hand weist auf den erhobenen linken Fuß. Sein linker Fuss steht auf dem Kriegsfisch-Dämon.


    In der Regel wird diese Darstellung von einem Feuerkreis umgeben. Shiva tanzt jeden Abend, um die Leiden von Geschöpfen zu lindern und um die Götter zu unterhalten, die sich am Kailash-Berg einfinden.


    Shivas Tanz symbolisiert einen unaufhörlichen Prozess von Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung.


    Die Trommel repräsentiert den Schöpfungston und das Feuer versinnbildlicht die Flammen, die am Zeitenende die Welt zerstören. Seine anderen zwei Hände, die Segen, Wohltaten und Schutz gewähren, wenden sich an die Anhänger und ermuntern sie, Schutz zu den Füssen des Herrn zu suchen.


    Der Dämon, auf dem Shiva steht, symbolisiert die Unwissenheit, die uns unser Gleichgewicht und unsere Bewusstheit verlieren lässt. Shivas Tanz führt zu einem Himmel der Seligkeit, in dem sich das Ego auflöst. In seinem ,,Tandava"-Tanz zerstört Shiva den Dämon der Unwissenheit zum Wohle der Anhänger, die sich ihm ganz hingeben.


    Zitat

    Es ist wunderschön, es ist ein Fest, es ist lebendig! Es ist der Ewige Tanz der Schöpfung, über den er immer wieder in Dancing the Dream spricht, und das zu beobachten ist pure Freude!


    “Consciousness expresses itself through creation. This world we live in is the dance of the creator.
    Dancers come and go in the twinkling of an eye but the dance lives on.
    On many an occasion when I am dancing, I have felt touched by something sacred.
    In those moments, I felt my spirit soar and become one with everything that exists.
    I become the stars and the moon. I become the lover and the beloved.
    I become thevictor and the vanquished. I become the master and the slave.
    I become the singer and the song. I become the knower and the known.
    I keep on dancing then it is the eternal dance or creation.
    The creator and creation merge into one wholeness of joy.
    I keep on dancing...and dancing...and dancing. Until there is only...the dance.”

    Einmal editiert, zuletzt von maja5809 () aus folgendem Grund: EDIT ...Korrektur... :)

  • Maja, schön dass Du Shiva hier reinträgst :Tova:
    Der Hinweis auf ein Gespräch der beiden zum Panter-Dance, kannst Du da noch mal die richtige Ziffer des Posts nennen :kicher: , oder den Titel. Ich würde es gerne nachlesen.

    ... tanzt jeden Abend, um die Leiden von Geschöpfen zu lindern und um die Götter zu unterhalten,...

    Ja, das tut er :love:


    Dieser Gedanke gefällt mir auch sehr:

    Zitat

    DerPanther Dance fühlt sich wie eine dramatische Abweichung von alldem an.Er fordert seine Sexualität zurück – er ist schwarz, schön und sexuell –aber das heißt nicht, dass er vorhat viel Zeit mit Groupies zu verbringen. Mit anderen Worten, sich der sexuellen Unterdrückung zu widersetzen scheint nicht zu bedeuten, ein Leben mit One Night Stands zubefürworten.

    Zitat

    Er spricht also nicht über stumpfsinnigen Sex. Wie wir bereits einige Male besprochen haben scheint er in Sexualität mehr zu sehen als nur einen physischen Akt. Stattdessen scheint er zu sagen, dass wir unsere Sexualität als einen Teil unseres ganzen Seins zurückerlangen sollten, so dass unsere Sexualität nicht etwas ist, dass nur hinter verschlossenen Türen stattfindet, sondern dass es in uns als ganzheitliche Person eingebunden sein sollte – in kreativer, emotionaler, psychologischer Hinsicht.

    Der Aussage die Sexualität als eine Kraft zu sehen, die zu einer ganzheitlichen Person einfach dazu gehört, gefällt mir auch.

    Zitat

    Er steht dabei auf dem Bürgersteig, während dieser ätherische Wind bläst, und die Kamera fährt an ihm vier Mal vorüber, als er seine Hände mehrfach von seinem Herzen hin zu seiner Leiste streicht, sie sichtbar zusammenführt, sie einbezieht.

    Diese Geste als eine Zusammenführung von Herz und Sexualkraft zu sehen, finde ich auch klasse. Die 4malige Wiederholung unterstreicht doch wirklich die Wichtigkeit der Aussage und ist bei Michael :herz: eben nicht nur eine mehrmalige Darstellung einer provokanten Geste.

    Zitat

    Währendder Panther Dance für mich eine sexuell sehr aufgeladene, unglaubliche Tanzsequenz ist. Eine, deren Ausführung Michael Jackson ein Gefühl derLust verschafft. Tanzen einfach nur aus reiner Freude am Tanzen.

    Genau, die Freude schöpft aus derselben Quelle und er gibt diese Freude an uns weiter. Im übertragenen Hinsicht ist der Tanz absolut 'befruchtend'.

    :pp:

    Neulich habe ich hier ein Zitat gelesen wie Michael :herz: diese Glückseligkeit beim Tanzen empfindet, ich finde es gerade nicht. Es sagte all das aus, was wir beim Zuschauen sehen können und ich freue mich, dass ihm Tanz diese Glückseligkeit beschehrte :love: .
    Andere irdische Freuden scheinen daneben zu verblassen und doch bleib Michael auch immer ein Mensch, der sich kindgleich an den kleinen Wundern des Lebens erfreuen konnte und in den Farben des Sonnenunterganges alle Perfektion und Freude der Schöpfung wahrnahm.


    :herzi:

  • Zitat

    Der Hinweis auf ein Gespräch der beiden zum Panter-Dance, kannst Du da noch mal die richtige Ziffer des Posts nennen


    :-D ..uups.. das war wohl erstmal nix...Post 253 sollte das heißen...
    jetzt mit link:


    Ich höre lieber beide Seiten der Geschichte
    25/04/2012
    http://www.mjjackson-forever.c…=panther+dance#post172793


    Zitat

    Neulich habe ich hier ein Zitat gelesen wie Michael diese Glückseligkeit beim Tanzen empfindet,


    ...ich weiß nicht ob du das hier meinst:
    (audio-chat)


    Michaels Sicht von spiritueller Energie:


    Anthony: Glenn von Toronto, (Kanada) fragt, “Fühlst du eine bestimmte spirituelle Energie, wenn du performst? Fühlst du dich mit einer höheren Quelle verbunden? Denn das ist es, was du viele fühlen lässt, wenn sie dich Live sehen.”


    Michael: Das ist es genau. Du bist mit einer höheren Quelle verbunden, und du gibst dich genau mit dem Augenblick hin und du wirst eins mit – du weißt – dem Spirit. Nicht, um es religiös oder irgendwie klingen zu lassen, aber es ist sehr spirituell…ähnliche wie Religion, und es ist ein Gott gegebenes Geschenk und du gehst einfach mit. Und ich bin geehrt, dass ich es bekommen habe. Und, uh, es macht Spaß eins mit dem Publikum zu werden. Es ist eine Einheit, weißt du?

  • Maja, Du wandelndes Zitate-kon :doppelv:
    Das ist auch ein schönes Zitat. Ich meinte das andere :hihi1: . Ich glaube es waren zwei die das Thema betrafen. :herzi:
    Doch auch dieses drückt es ähnlich aus. :danke:


    EDIT: Gefunden :headbang:

    Zitat

    "Ich bin davon gefangen, wie in einer Trance. Ich fühle alles nur noch, ich höre es nicht mehr.
    Ich mache alles aus dem Gefühl. Es macht dich völlig leer. Ich schwebe über allem. Deshalb liebe ich das, denn du kommst an einen Ort, der nichts und niemand dir geben kann. Alles [um mich herum] ist weg, es ist wie der Punkt ohne Wiederkehr. Es ist wundervoll - du hebst ab..."
    Michael Jackson

    2 Mal editiert, zuletzt von Sky* ()

  • In meinen Adern spüre ich das Geheimnis
    20/03/2013

    Willa: Eins der Dinge, die ich am meisten an dieser Gemeinschaft, die sich hier auf dieser Website entwickelt, liebe, ist die Bandbreite der Sichtweisen, die die verschiedenen Leser in die Diskussion einbringen – Fans, Künstler, Akademiker und Fachleute aus so vielen verschiedenen Fachrichtungen und mit so vielen kulturellen Hintergründen, die alle die Liebe zu Michael Jacksons Werken teilen, genauso wie auch die Einblicke in das, was ihn und seine Werke so bedeutend und so fesselnd gemacht hat. Ich liebe dieses faszinierende Mosaik verschiedener Perspektiven, und ich habe während dieser vergangenen 18 Monate so viel gelernt aus den Kommentaren, die ihr alle mit uns geteilt habt.


    Diese Woche wollten Joie und ich über Michael Jacksons Spiritualität sprechen und wie sie in seinen Werken sichtbar wird. Wir haben dieses Thema schon früher berührt – zum Beispiel in den Posts über Don‘t Stop til You Get Enough und Dancing the Dream im letzten Frühjahr. Jedoch wollten wir diese Woche diesen Gedanken auf eine tiefergehende Art untersuchen. Und glücklicherweise hat jemand aus unserer Gemeinschaft uns eine Menge Gedanken darüber mitzuteilen!


    Leider kann sich Joie uns diese Woche nicht anschließen – sie arbeitet an einem aufregenden persönlichen Projekt. Aber ich freue mich sehr, dass Eleanor Bowman, die sich regelmäßig auf unserer Website beteiligt, sich bereit erklärt hat, mitzumachen. Eleanor hat in den frühen 1990er Jahren mit dem Costa Rica‘s National Institute für Artenvielfalt zusammengearbeitet und wurde, mit ihren Worten, „mehr und mehr besorgt über den negativen Einfluss unseres Lebensstils auf die übrige Natur, und mehr und mehr verwirrt darüber, warum diese Bedenken nicht viel weitgehender geteilt wurden, wo es doch so offensichtlich war, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern“. Sie begann sich zu fragen, ob unsere Glaubensüberzeugungen eine Rolle dabei spielen, wie unser Verhalten gegenüber der Natur geformt wird, und sie schloss sich der theologischen Fakultät an, um diese Frage zu untersuchen. Sie schloss ihre theologischen Studien mit einem Magistergrad ab und ihre wissenschaftliche Abschlussarbeit konzentrierte sich darauf, inwieweit Vorstellungen von spiritueller Erhabenheit die Beziehung unserer westlichen Kultur zur Natur geformt haben. Sie arbeitet zur Zeit an einem Buch, dass diese Themen anspricht – Beyond Transcendence: Seeking a Sustainable Relationship with Nature (Über Transzendenz hinaus: Auf der Suche nach einer nachhaltigen Beziehung mit der Natur).


    Wichtig ist, Eleanor sieht Michael Jackson als Verkörperung eines ganz anderen spirituellen Modells – nämlich dem der Immanenz (als seinem Wesen innewohnende Eigenschaften als Gegenbegriff zur Transzendenz) viel eher als der Transzendenz – das uns möglicherweise unsere Beziehung zur Natur auf eine andere Art und Weise sehen lässt. Ich bin so fasziniert davon! Danke, dass du heute hier bist, Eleanor!


    Eleanor: Hi, Willa. Danke für die Einladung in deine laufenden Diskussionen über Michael Jackson, sein Leben und seine Kunst. Du versorgst deine Besucher mit interessanten Einblicken und Informationen, und dazu hat dein Blog eine warmherzige und fürsorgliche Gemeinschaft gebildet, in dem sich M.J.‘s L.O.V.E. ausdrückt – und ich bin dankbar daran teilhaben zu dürfen.


    Willa: Ich bin auch sehr dankbar für diese Gemeinschaft und denke, das ist ein wirkliches Dokument für die Kraft von Michaels Jacksons Werken – besonders, dass sein Werk so viel Bedeutung hat für Menschen mit so vielen verschiedenen Hintergründen. Deine Wertschätzung für Michael Jacksons Spiritualität scheint zum Beispiel stark von deinem Wissen über Theologie beeinflusst zu sein, worüber ich selbst sehr wenig weiß. Das ist einer der Gründe, warum ich ganz besonders gespannt darauf bin deine Gedanken zu hören!


    Bevor wir also darüber sprechen, wie du Michael Jacksons Spiritualität in den Begrifflichkeiten dieser zwei Modelle einordnest, habe ich mich gefragt, ob wir damit beginnen können, erst einmal zu klären, was du genau meinst mit Transzendenz und Immanenz. Wie würdest du diese zwei Modelle beschreiben? Worin bestehen die Unterschiede, und warum ist der Unterschied bedeutend?


    Eleanor: Bevor ich auf deine Frage bezüglich Immanenz und Transzendenz eingehe, muss ich sagen, dass ich ein wenig Schwierigkeiten habe über Michael Jacksons Spiritualität als von dem Begriff „Spiritualität“ zu sprechen, da dieser Begriff ein fremdes Konzept für mich ist, und MJ ist die letzte Person in der Welt, die ich als spirituell beschreiben würde – geschweige denn „Spiritualität“ zu haben.


    Willa: Wirklich? Wow, ich bin überrascht! Warum sagst du das, Eleanor? Ich frage mich gerade, ob ich mich vielleicht nicht gut ausgedrückt habe oder ob ich die Frage nicht auf die richtige Art gestellt habe.


    Eleanor: Nein, nein. Das ist es nicht. Meine Reaktion bezieht sich auf meine eigenen eigentümlichen Probleme mit dem Konzept der Transzendenz und wie sie sich zu dem Gedanken der Spiritualität verhält. Aber, auf gar keinen Fall „disse“ ich MJ. Jeder, der meine Kommentare gelesen hat, weiß, dass ich einer von MJ‘s größten Bewunderern bin.


    Willa: Ja, ich weiß – das ist ein Grund dafür, dass ich gerade so verwirrt bin.


    Eleanor: Verständlich. Weil die meisten Leute mit einer spirituellen Person einen guten Menschen assoziieren, und MJ war bewiesenermaßen ein sehr guter Mensch wie auch ein großartiger Künstler. Gleichwohl bewundere ich MJ wegen seiner „Verkörperung“ – seiner Körperlichkeit – mehr als für seine Spiritualität. Und ich denke, um deine Frage anzusprechen und zu klären, was ich mit Transzendenz meine (einem anderen Wort mit einer sehr positiven kulturellen Assoziation) und ihm die Immanenz gegenüberzustellen, kann ich auch meine Probleme damit erklären, Michael Jackson mit dem Begriff Spiritualität zu belegen.


    Wenn ich die Begriffe „transzendent“ und „immanent“ benutzte, dann nutze ich sie als Beschreibungen für eine Weltsicht und ein Wertesystem. Eine transzendente Weltsicht und Wertesystem trennt das Geistig-Seelische vom Materiellen und siedelt das Heilige oder die höchste Wertschätzung außerhalb der materiellen Welt an, in Geistiges, indem sie der Natur und der Welt ihren Wert entziehen, was der Grund dafür ist, warum ich, mit meinen Anliegen in Bezug auf die Umwelt, zu dem Schluss gekommen bin, Transzendenz als bedrohlich zu sehen und dem Begriff „Geist“ mit Misstrauen zu begegnen.


    Wenn man die westliche Kultur mit den Begriffen der Transzendenz analysiert, dann liefert das eine Erklärung dafür, warum wir als eine Kultur solch ein ausbeuterisches Verhalten gegenüber der Natur und der materiellen Welt angenommen haben. Und „transzendente Ausbeutung“ hört nicht bei der Natur auf. Es geht in die gleiche Richtung, wenn wir den Geist sauber vom Körper trennen, und wir messen dem Geist einen höheren Wert bei als dem Körper.

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Willa: Das ist wahr, Eleanor. Es erinnert mich an etwas, was Thomas Edison einst gesagt hat. Er war ein notorischer Workaholic, der jeden Tag viele Stunden im Labor verbrachte, und ein Reporter fragte ihn einmal, womit er sich etwas Bewegung verschaffen würde. Edison antwortete, dass die einzige Sache, wofür er seinen Körper gebrauchen würde der sei, seinen Geist von einem Ort zum anderen zu tragen.


    Eleanor: Ganz genau! Ich habe noch nie davon gehört, aber das beschreibt es perfekt.


    Willa: Es verdeutlicht wirklich die Spaltung in Geist und Körper, nicht wahr? Und ich denke, eine Menge Leute teilen diese Einstellung – nicht nur, dass Geist und Körper getrennt sind, sondern, dass der Geist das ist, was wichtig ist und der Körper nur ein unvollkommenes Gefäß, das den Geist festhält und transportiert.


    Eleanor: Richtig. Mit der Betonung auf unvollkommen! Und sie bevorzugen die Dinge und Menschen, die mit dem Geistigen verbunden werden gegenüber dem, was mit dem Körper und der Natur verbunden ist. Zum Beispiel betrachten sie / wir Vernunft getrennt von Gefühlen und schätzen sie als höherwertig ein, und die Menschheit (Homo Sapiens, die weise Spezies) getrennt von der Natur und höherwertig als diese (geistlose) Natur. Wenn man dies erweitert, resultiert jede Zuordnung zum Physischen, dem Körper, der Natur – mit Materie – in der Abwertung ganz spezifischer Typen von Menschen und Arten der Arbeit.


    Willa: Ich stimme zu, welches ein Grund dafür ist, dass historisch gesehen Frauen, rassische Minderheiten und Mitglieder der Arbeiterklasse abgewertet wurden, um deinen Ausdruck zu gebrauchen – weil sie nämlich historisch gesehen mit körperlicher Arbeit, besonders Arbeit, die das tägliche Versorgen des Körpers beinhaltet, Dinge wie Kochen und Ernährung des Körpers, Kleidungsherstellung und den Körper warm und sauber zu halten, den Körper, seine Wunden und Behinderungen zu behandeln, Windeln zu wechseln und für die Körper von Kindern zu sorgen oder für die der Älteren und Gebrechlichen. Jene Menschen in einer privilegierteren Position – im allgemeinen ist damit die großbürgerliche Klasse gemeint, weiß und männlich – wurden historisch gesehen mit dem geistigen Leben und mit Arbeit, die so weit wie möglich entfernt ist vom tatsächlichen menschlichen Körper assoziiert.


    Eleanor: Ich weiß. So frustrierend und unfair. Weil, wenn du wirklich darüber nachdenkst, sind genau diese Arbeiten einige der wertvollsten auf dem Planeten; sie sind für das Überleben von entscheidender Bedeutung. Aus meiner Sicht ist Transzendenz also gefährlich für die Gesundheit des Planeten und all seiner Bewohner. Und das ist der Grund, warum ich vorsichtig damit bin, den Begriff „Geist“ zu benutzen, da er den Gedanken einer dualen Realität zu verstärken scheint, in der Natur und jene, die mit Natur und dem Körperlichen verbunden sind, als wertlos erachtet werden.


    Willa: Das ist interessant, Eleanor. Und ich beginne das Problem meiner Fragestellung zu erkennen und warum du sagtest Michael Jackson wäre die „letzte Person in der Welt, die ich als spirituell beschreiben würde“, obwohl mich das immer noch irgendwie schockiert.


    Eleanor: Nun, natürlich ist das schockierend. Es geht gegen jedes Quäntchen von allem, das zu glauben und wertzuschätzen uns gelehrt wurde. Aber ich bin der Meinung, dass MJ in seinem Leben und seiner Kunst die immanente Weltsicht versinnbildlicht und personifiziert und sich für sie einsetzt hat – was der Grund dafür ist, warum seine Werke so erschütternd sind, so durch und durch gehen! Er ist wahrhaftig radikal. Er ändert auf radikale Art und Weise unsere Wahrnehmung der Realität. Als Künstler und als Mensch verkörpert er eine neue Weltsicht und ein neues Wertesystem: Er, er selbst, ist die Materialisierung einer heiligen Energie. Er ist „die Inkarnation der Immanenz“. Er ist „Seine Immanenz“ Michael Jackson.


    Willa: Im Gegensatz zu Seiner Eminenz, dem Kardinal von New York oder Chicago, wo „Eminenz“ betont, dass diese Figuren getrennt von uns sind und über uns stehen. Das ist ein wundervoller Titel, Eleanor, und ich liebe diese Sichtweise von Michael Jackson, dass er Geist und Körper integriert und die Wertschätzung zur materiellen, natürlichen, physischen Welt wiederherstellt.


    Eleanor: Nun, ich bin selbst ziemlich davon angetan. Und, wie es in der Diskussion zu MJ’s Crotch Grabs in „Das kann nicht alles sein“ herausgestellt wurde, können wir außerdem die Sexualität mit in das einbeziehen, was es bedeutet vollständig menschlich zu sein als Gegensatz dazu, Sexualität als ein Zeichen für eine Art menschlicher Schwäche zu sehen. Es ist diese perfekte Einbeziehung, seine Immanenz, die seinen Werken so viel Authentizität verleiht und seiner Kunst ihre unglaubliche emotionale Kraft, die ihn von all den anderen Tänzern auf der Bühne unterscheidet.


    Im Gegensatz zur Transzendenz bezieht sich die Immanenz auf eine Weltsicht, die das Heilige und die Werte in der Materie findet. In einer immanenten Realität hat der Begriff des „Geistig-Seelischen“ (Spirit) keine Bedeutung, weil Werte und das Heilige nun verstanden werden als Bestandteil von Materie, speziell der Natur und des Körpers. Da gibt es keine Grenzziehung zwischen Geist und Körper, zwischen Vernunft und Gefühl, Menschheit und Natur, kein Wertesystem, das automatisch den Wert von Menschen höher als einschätzt als die Natur, oder Weiße über Schwarze stellt, oder Männer über Frauen oder geistige Berufe über körperliche Arbeit. Immanenz wirft das Konzept von Rassismus oder Sexismus über den Haufen – und die Annahme, dass Menschen das Recht haben die Natur auszubeuten.


    Für mich repräsentiert MJ, mit allem was er war und tat, diese Weltsicht, diese neue Wahrheit. Und es ist die Wahrheit in seinen Werken, die ihnen so viel Schönheit verleihen. Wenn ich Michael Jackson betrachte verstehe ich zum ersten Mal in meinem Leben, was Keats gemeint hat, als er sagte:


    „Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit ist Schönheit – das ist alles
    Was wir wissen auf Erden, und alles, was wir wissen müssen.“


    „Beauty is truth, truth beauty – that is all
    Ye know on earth, and all ye need to know.”

    Willa: Oder wie Emily Dickinson schrieb: “Ich starb für die Schönheit“ und die Person in dem benachbarten Grab antwortet:


    „Und ich für die Wahrheit – die zwei sind eins;
    Wir sind Brüder,“ sagte er.

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Eleanor: Ja. Ganz genau. Und seine wunderschöne Wahrheit, seine wahre Schönheit sind ein Ausdruck tiefer und wahrer Gefühle, mutig enthüllt in seiner Musik, seinem Tanz, seiner Kunst. Er gibt eine zutreffende Beurteilung der Welt ab, in der wir leben und ihrer Unausgewogenheit und er zeigt uns den Weg, wie wir unsere Welt – und Weltsicht – wieder in die Balance, die sie verloren hat, zurückbringen können: er bringt den Wert zurück in die Materie und die Natur und den Körper und Frauen und farbige Menschen und alles und jeden, dem unsere Kultur den Wert abgesprochen hat. Und, wie in diesem Blog festgestellt wurde, zahlte er einen hohen Preis für seine Standhaftigkeit.


    Willa: Ja, das hat er.


    Eleanor: Für mich sagt dies alles der Earth Song. Es ist so erstaunlich. In der Nacht, nachdem er gestorben war, als ich ein MJ Video nach dem anderen auf YouTube angesehen habe, entdeckte ich Earth Song. Ich war überwältigt. In diesem einen Werk drückte er aus, was ich jahrelang versucht hatte zu sagen … und so viel mehr. Für mich ist es das radikalste seiner Werke, denn es ist nicht weniger als eine Anklage der transzendenten Weltsicht und ihres Wertesystems.


    In wenigen geschickten Formulierungen skizziert er einen Überblick über unsere globale Tragödie, drückt tiefe Trauer aus über den Schaden, den wir selbst unserer Erde zufügen – eine Trauer vermischt mit dem Mitgefühl für Menschen, denen erst die Konsequenzen ihrer eigenen selbstzerstörerischen Taten bewusst geworden sind, Taten, deren Umkehrung irgendwie jenseits ihrer Kontrolle zu sein schienen. Und, wie so oft in seinen Werken, ist da diese Mischung von herzzerreißender Traurigkeit und schmerzgeplagter Wut. In der Komplexität seiner Lyrics und der Musik enthüllt es ein tiefes Gefühl des Verrats, das sehr persönlich ist.


    Im Earth Song spricht MJ niemand anderen als den konventionellen jüdisch-christlichen Gott an – den transzendenten Geist selbst – das „Du“, das seinen einzigen Sohn betrogen hat, der (fast) Abraham betrogen hat und dessen Weltsicht / Wertesystem uns im Stich lässt. Er spricht den über allem stehenden Gott an, die Schwierigkeiten anzuerkennen, in denen die Welt sich befindet – die Unordnung, für die die transzendente Weltsicht und deren Wertesystem weitgehend verantwortlich sind.


    Was ist mit dem Sonnenaufgang?
    Was ist mit dem Regen?
    Was ist mit all den Dingen
    Von denen du gesagt hast, wir würden sie bekommen?
    Was ist mit Schlachtfeldern?
    Gibt es eine Zeit dafür?
    Was ist mit all den Dingen
    Von denen du gesagt hast, die für dich und mich bestimmt sind?
    Hast du jemals aufgehört zu bemerken
    All das Blut, das wir schon vergossen haben?
    Hast du jemals aufgehört zu bemerken
    Die schreiende Erde, die weinenden Ufer?


    Was hast du der Welt angetan?
    Sieh, was du getan hast.
    Was ist mit dem Frieden
    Den du deinem einzigen Sohn versprochen hast?
    Was ist mit blühenden Feldern?
    Gibt es dafür eine Zeit?
    Was ist mit all den Träumen
    Von denen du gesagt hast, wir würden sie (erfüllt) bekommen?
    Hast du jemals aufgehört zu bemerken
    All die toten Kinder des Krieges?
    Hast du jemals aufgehört zu bemerken
    Die schreiende Erde, die weinenden Ufer?

    Willa: Das ist so interessant, Eleanor. Ich habe diese Zeilen immer ganz anders interpretiert – nicht als an Gott, den christlichen Gott, gerichtete Fragen, sondern als Fragen an uns und unsere Vorfahren. Schließlich sind unsere Vorfahren diejenigen, die die Sichtweise entwickelt und an uns weitergegeben haben, nämlich dass die Natur einfach etwas ist, das wir ausnutzen dürfen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Sie begründeten die industrielle Revolution. Sie holzten die Wälder ab. Sie jagten Tiere bis zu deren Ausrottung. Mit anderen Worten, sie hinterließen uns das sehr zerstörerische Erbe, das wir heute erfüllen.


    Wenn ich aber jenen Lyrics, die du gerade zitiert hast, mit deinen Gedanken im Sinn zuhöre, dann springt mich eine Zeile regelrecht an: „Was ist mit dem Frieden / Den du deinem einzigen Sohn versprochen hast?“ Das deutlich wirklich an, dass er Gott anspricht – ganz speziell Gottvater – nicht wahr?


    Eleanor: Nun, als ich es das erste Mal hörte, habe ich es so empfunden (und es ist immer noch so). Und es hat mich wirklich umgehauen. Schließlich ist es niemand geringerer als Michael Jackson, der es anscheinend „kapiert“ hat. Und der anscheinend all die komplizierten Emotionen, die ich gefühlt habe, verstand und ausgedrückt hat. IN EINEM EINZIGEN SONG. So viele Jahre habe ich an Transzendenz geglaubt … und dann plötzlich eines Tages tat ich es nicht mehr. Und das mich erdrückende Gefühl war das des Betrogenseins. Ich erkannte es darin, dass ich immer versucht habe ein guter Mensch zu sein und das Richtige zu tun, und ich handelte im Grunde trotzdem gegen die besten Interessen des Planeten und gegen mich selbst als Frau – und gegen die Gesellschaft im Allgemeinen. Und in jenem Moment verlor ich auch jegliches Vertrauen, das ich bisher in den jüdisch-christlichen Gott hatte, denn für mich repräsentierte dieser jüdisch-christliche Gott, als ein Symbol und eine Persönlichkeit in einem Buch, nicht länger das, was zum Wohlergehen aller beiträgt. Es war sowohl ein schrecklicher, als auch ein befreiender Moment. Ich ging zum Theologieunterricht, teilweise um zu sehen, ob ich mit meinem Urteil richtig lag oder wenn das nicht der Fall wäre, ob ich einige Überreste meines christlichen Glaubens retten könnte, aber niemand war jemals fähig „die Wege von Gott in Einklang zu bringen“ mit der Natur oder Frauen – oder mir selbst. Und ich war dann mehr denn je davon überzeugt, dass ich auf dem richtigen Weg war (aber ich ging in eine sehr liberale Theologieschule).

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

    Einmal editiert, zuletzt von Lilly ()

  • Für mich ist der Earth Song sowohl eine Klage, als auch eine Anklage. Michael Jacksons Klage gilt nicht nur dem, was wir der Natur zufügen, sondern auch, was wir einander zufügen und was jene, die die Macht haben, denen antun, die weniger mächtig sind.


    Hey, was ist mit gestern?
    (Was ist mit uns?)
    Was ist mit den Meeren?
    (Was ist mit uns?)
    Die Himmel stürzen auf uns herunter
    (Was ist mit uns?)
    Ich kann nicht mal atmen
    (Was ist mit uns?)
    Was ist mit Gleichgültigkeit?
    (Was ist mit uns?)
    Ich brauche dich
    (Was ist mit uns?)
    Was ist mit dem Wert der Natur?
    Es ist der Leib unseres Planeten
    (Was ist mit uns?)
    Was ist mit den Tieren?
    (Was ist mit uns?)
    Wir haben Königreiche in Staub verwandelt
    (Was ist mit uns?)
    Was ist mit den Elefanten?
    (Was ist mit uns?)
    Haben wir ihr Vertrauen verloren?
    (Was ist mit uns?)
    Was ist mit weinenden Walen?
    (Was ist mit uns?)
    Wir verwüsten die Meere
    (Was ist mit uns?)
    Was ist mit den Waldwegen?
    Abgebrannt trotz unserer Bitten?
    (Was ist mit uns?)
    Was ist mit dem heiligen Land
    (Was ist damit?)
    Zerrissen aus Überzeugung?
    (Was ist mit uns?)
    Was ist mit dem gewöhnlichen Menschen?
    (Was ist mit uns?)
    Können wir ihn nicht befreien? …

    Während er seine Sorgen für die Erde, die Natur und die Menschheit so eng in einen einzigen Themenstrang verwebt – die Themen der Umweltzerstörung und der Unmenschlichkeit von Mensch zu Mensch, unsere Kriege gegenüber der Natur und gegen einander – dadurch drückt er aus, dass diese zwei Tragödien in Beziehung miteinander stehen, dass sie einer einzigen Quelle entspringen – dem transzendenten Gott der jüdisch-christlichen Tradition, dessen Weltsicht und Wertesystem seinen einzigen Sohn an das Kreuz führte, dessen Weltsicht und Wertesystem Abraham an den Rand des Abgrunds brachte und dessen Weltsicht und Wertesystem den Planeten zerstören und uns in Richtung Selbstzerstörung führen. Earth Song ist sowohl eine Anerkennung der fatalen Situation, in der wir uns befinden, als auch die Erkenntnis, dass wir alle betrogen wurden.


    Und wenn er ausruft „Was ist mit uns?“, dann stellt er damit nicht nur sich selbst auf eine Stufe mit den Entmachteten und Vertriebenen, sondern uns alle, seine Zuhörer.


    Willa: Das sehe ich auch so – er zwingt uns, ihre Sorgen anzuerkennen und bittet uns, uns ihrer Sorgen anzunehmen. Mit anderen Worten gibt er denen Stimmlosen eine Stimme – „den Entmachteten und Vertriebenen“ deine Worte zu leihen – einschließlich der Tiere wie auch den unterdrückten Menschen. Und wieder bin ich getroffen von dem Bezug auf Abraham (Was ist mit Abraham?“) und „dem Heiligen Land / Zerrissen aus Überzeugung“, was deine Interpretation unterstützt.


    Der Bezug auf Abraham ist besonders interessant, weil, so wie ich mich an die Geschichte erinnere, Gott zu Abraham kommt und ihn bittet, seinen Sohn Isaak zu opfern – mit anderen Worten stellt er ihn vor die Wahl zwischen seinem physischen, materiellen, verkörperten Sohn und einem vergeistigten, nicht körperlichen Gott. Abraham wählt das Geistige gegenüber dem Physischen und baut einen Altar, auf dem sein Sohn getötet werden soll, obwohl Gott in letzter Minute seine Hand festhält. Abraham hat sich selbst geprüft – er hat die richtige Wahl getroffen – also erlaubt Gott seinem Sohn zu leben. Ich kann erkennen, wie die Geschichte von Abraham auf verschiedenen Ebenen sehr verstörend für Michael Jackson gewesen sein muss und es knüpft sehr eng an deine Interpretation von Earth Song an.


    Eleanor: Ja. Ich denke, die Geschichte von Abraham ist schwierig für viele Menschen – besonders für MJ.


    Obwohl da so viel Wut und Schmerz im Earth Song ist, gibt es auch Hoffnung, aber diese Hoffnung wird nur im Film sichtbar, in dem gezeigt wird, wie Michael die Erde und die Natur zurück ins Leben singt. Ich liebe es dies anzusehen, weil, ganz ehrlich, ich glaube, dass seine Musik, seine Kunst, sein ganzes Sein eine neue Art zu enthüllen und auszudrücken darstellt, wie man Dinge sehen kann – eine neue Weltsicht und ein neues Wertesystem – die genau das erreichen können. Wenn wir die Natur zu uns sprechen lassen, wenn wir unsere Herzen öffnen können, denke ich, wird sie uns den Weg zeigen, denn ich glaube, ganz tief drinnen hat die Natur in jeden Menschen einen Trieb gepflanzt, der uns das kollektive Überleben steuern lässt, und wenn sich eine Lebensgestaltung gegen unser Überleben richtet, werden wir instinktiv reagieren und versuchen, den richtigen Kurs einzuschlagen.


    Willa: Ich liebe diesen Teil des Earth Song auch, und das ist eine wundervolle Art es zu beschreiben, Eleanor – er singt wirklich „die Erde und die Natur zurück ins Leben“. Ich denke, es ist besonders bedeutend, dass dieser Teil die Zerstörung, deren Zeuge wir im ersten Teil des Videos waren, wieder rückgängig macht – der gefällte Baum richtet sich selbst wieder auf und wird wieder Teil des Blätterdachs, die Stoßzähne des Elefanten bilden sich wieder und er wird wieder lebendig, der tote Zivilist öffnet seine Augen. Und etwas ganz Spezielles scheint die Veränderung zwischen der Zerstörung, die wir in der ersten Hälfte beobachten können, und der Heilung und Wiedererweckung, die wir in der zweiten Hälfte sehen, zu bewirken – all die Menschen schieben ihre Hände in den Erdboden und verbinden sich so wieder mit der Materialität der Erde.


    Eleanor: Den Teil hatte ich ganz vergessen. Das ist so perfekt. So wesentlich. Es besteht kein Zweifel, er war ein Genie.


    Diese neue Art die Dinge zu sehen wird ebenfalls in Planet Earth erklärt, das von einem vollkommen anderen emotionalen Ort kommt, aber dieselben Themen anspricht. Michael Jackson bezieht sich auf die traditionelle, westliche, philosophische Sichtweise gegenüber Materie (eine Sicht der Natur veredelt und unterstützt durch die Denker der Aufklärung), als er fragt, ob die Erde, die materielle Welt


    Eine Wolke aus Staub
    Eine unwichtige Erdkugel, die dabei ist kaputt zu gehen,
    Ein Stück Metall mit der Verpflichtung zu rosten
    Ein Stück Materie in einer sinnlosen Leere
    Ein einsames Raumschiff, ein großer Asteroid


    Kalt wie ein Fels ohne Farbe
    Zusammengehalten durch ein wenig Klebstoff


    ist.Und einfach und direkt wird dies entkräftet: „Etwas sagt mir, dass dies nicht stimmt.“


    In Planet Earth feiert MJ die der Erde innewohnenden Werte und nimmt seine eigene, tiefe Verbundenheit und Einheit mit der Erde und seine Verpflichtung gegenüber der Natur in Anspruch. Entgegen dem traditionellen Glauben ist die menschliche Rasse, zu der auch Michael Jackson gehört, nichts Getrenntes oder Höheres als die Natur, sondern ein integrierter Bestandteil der Natur. Ich liebe wirklich die folgenden Zeilen:


    In meinen Adern spüre ich das Geheimnis
    Von Zeitkorridoren, Geschichtsbüchern
    Lebenslieder der Ewigkeit pulsieren in meinem Blut
    Haben den Rhythmus von Ebbe und Flut getanzt
    Deine nebligen Wolken, dein elektrischer Sturm
    Waren aufgewühlte Stürme in meiner eigenen Form …

    Und er führt eine neue Beziehung zur Natur ein und formt diese – die des Liebenden zum Geliebten, eher als des Besitzers zum Besitz oder des Masters zum Sklaven. In Planet Earth liebt und schätzt Michael Jackson die Erde.


    Sorgst du dich, nimmst du teil
    An den tiefsten Emotionen meines eigenen Herzens
    Mit sanfter Brise, schmeichelnd und völlig
    Lebendig mit Musik, meine Seele tief bewegend.


    Planet Erde, sanft und blau
    Mit meinem ganzen Herzen liebe ich dich.

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson