Dancing With The Elephant

  • Willa: Ich weiß genau, was du meinst, Joie. Jedes mal, wenn ich dieses Video ansehe, lässt es mich fragend zurück: Wer ist diese Frau? Oder wie der Titel sagt: Wer ist es?


    Wie wir ja schon viele Male zuvor besprochen haben, beginnend mit den My Baby Posts damals im August, sehen wir immer wieder in Michaels Werken dieses doppelte Szenario, bei dem er sich in einer romantischen Beziehung befindet, die zugleich auch seine Beziehung zu seinem Publikum darstellt. Und ich empfinde es ganz stark, dass wir diese doppelte Beziehung hier auch wieder haben. Er liebt eine Frau, die sich ständig verändert, und er weiß nicht wirklich, wer sie ist – und wow, das passt so auf sein Publikum. Im Grunde genommen umfasst sein Publikum Menschen, die ihn lieben, aber auch Musikkritiker, die ihn nicht verstehen, die ihn ziemlich zusammenstauchen, und auch Vertreter der Musikindustrie, die ihn nur benutzen und Geld mit ihm machen wollen, und gelegentliche Fans, die ihn nur so lange mögen, wie er als cool gilt und sich gegen ihn wenden, sobald er es nicht mehr ist, und sogar die Hasser, die ihn ganz offen nicht mögen.


    Erinnere dich, dieses Video wurde 1992 produziert, genau bevor der Belästigungsskandal ausbrach. Wir neigen dazu, zurückzublicken und zu denken, dass alles wunderbar war vor 1993 und schrecklich hinterher, aber das ist nicht wahr. Die Gegenreaktion begann vor 1993. In der Tat glaube ich, dass das ein Grund dafür ist, dass so viele Leute willens waren, die falschen Anschuldigungen, die auf solch fehlerhaftem Beweismaterial basierten, zu glauben: weil nämlich die Gefühle der Öffentlichkeit ohnehin schon wirklich verwirrt und kompliziert waren an dem Punkt. Eine Menge Leute wünschten sich, er wäre der engelgesichtige Junge der Jackson 5 geblieben, aber er war erwachsen geworden und ein extrem machtvoller und reicher junger Mann mit geschätzten 500 Millionen Dollar auf der Bank. Und seine Erscheinung veränderte sich weiter – genau wie bei der Frau in Who Is It. Also da begann dieses verstörende Gefühl, dass wir diesen Jungen mit dem süßen Gesicht, der vor unserer Nase erwachsen geworden war, nicht wirklich kannten. Wir dachten, wir kennen ihn, aber taten wir das wirklich? Genauso wie er dachte, er würde die Frau in Who Is It kennen, aber tat er das wirklich?


    Eigentlich hört sich das ziemlich verrückt an, aber je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto mehr denke ich, dass die Situation dieses Mal umgekehrt ist, und die Frau in Who Is It ist er, Michael Jackson.


    Joie: Das klingt überhaupt nicht verrückt, Willa. Tatsächlich habe ich genau das Gleiche gedacht!


    Willa: Wirklich? Ich mache mir immer Sorgen, dass du denkst, ich würde spinnen, und ich bin jedes Mal so dankbar, dass du das nicht tust. Aber es gibt da eine Menge Parallelen zwischen ihnen, stimmt’s? Im Grunde genommen basiert ihre Karriere als Callgirl darauf, ihre Kunden zu erfreuen, genauso wie seine Karriere als Entertainer darauf basiert, sein Publikum zu erfreuen. Sie verändert ständig ihre Identitäten, um die Anforderungen verschiedener Kunden zu erfüllen. Du weißt ja, zu verschiedenen Zeiten in seiner Karriere wurde er durch diverse Gruppen als zu sehr Mainstream, zu ausgefallen, zu populär, zu paranoid, zu sanft, zu wütend, zu Schwarz, zu Weiß, zu vorhersagbar, zu ungreifbar, zu eifrig, sein Publikum erfreuen zu wollen, zu fern gegenüber seinem Publikum zu sein, usw. kritisiert.


    Es beeindruckt mich wirklich, dass sie als Callgirl eine Art Künstlerin – eine Trickbetrügerin ist. Genauso wichtig ist, dass das, was sie ihren Kunden „verkauft“ der intimste Teil von ihr selbst ist. Ich denke, der Grund dafür, warum seine Werke die Leute so eindringlich bewegen, ist der, dass wenn du mit ihm auf einer Wellenlänge bist, du seine innersten Gefühle fühlst, die er vor dir enthüllt – all seine Freuden und Ängste und Hoffnungen. Und durch seine Kunst stellt er seine privaten Gedanken und Emotionen raus auf den Marktplatz und macht sie für ein Publikum, das ihn vielleicht oder vielleicht auch nicht versteht und ein Urteil über ihn abgibt, erreichbar. Für mich ist das solch eine unglaublich mutige Tat, aber es muss auch schrecklich schmerzhaft für ihn gewesen sein – besonders weil er sich aufrichtig um sein Publikum kümmerte.


    Und so glaube ich, dass er sich stark mit dieser Frau in Who Is It identifiziert, ein sehr erfolgreiches Callgirl, das den „Fehler“ macht, sich in einen Kunden zu verlieben, genauso wie er ein sehr erfolgreicher Entertainer war, der den „Fehler“ machte, sich aufrichtig um sein Publikum zu kümmern. Und ich denke, das ist ein Grund, warum ich eine so große Sympathie für sie empfinde, wann immer ich das Video ansehe.


    Joie: Willa, ich denke, du hast damit den Nagel auf den Kopf getroffen und ich bin genau der gleichen Meinung. Und ich denke, Who Is It ist tatsächlich eines seiner feinsten Videos aus genau dem Grund. Es ist absolut brillant! Wenn du einfach nur dem Text des Songs zuhörst, führt es dich nicht wirklich zu dieser Art der Handlung. Der Song deutet an, dass es sich hier um einen Mann handelt, der entdeckt hat, dass seine Frau eine Affäre mit einem anderen Mann hat. „Wer ist es?“ singt er. „Ist es ein Freund von mir? Ist es mein Bruder?“ Der Song selbst ist ziemlich eindeutig. Aber der Short Film ist sehr viel komplexer als das.


    Wie du sagst, identifiziert er sich mit der Frau im Video, und er möchte eindeutig, dass wir über ihre Unzulänglichkeiten hinwegsehen, Sympathie und Mitgefühl mit ihr empfinden und die Zwangslage sehen, in der sie sich befindet. Sie „steckt fest“ in ihrem Leben, wie du schon sagtest. Sie hat nicht viele Möglichkeiten. Und wie ich es kürzlich beobachtet habe, kann ich nicht anders, als mich zu fragen, ob Michael versucht hat, durch dieses Video eine Botschaft zu vermitteln. Die Botschaft, dass er und diese Frau wirklich überhaupt nicht so verschieden sind. Sie ist da draußen und gibt alles, was sie hat den zwielichtigen Leuten, für die sie arbeitet genauso wie den tatsächlichen Kunden selbst. Und in einem sehr realen Sinn war Michael in exakt derselben Lage. Da draußen alles zu geben – den Verantwortlichen der Musikindustrie, den Kritikern, den Hassern und den Fans. Und ich bin sicher, dass es wahrscheinlich Zeiten gab, zu denen er sich fühlte, als „stecke er fest“ in seinem Leben, so wie es bei der Frau im Video ist. Und ich denke, auf eine gewisse Art … zu einem bestimmten Zeitpunkt … fühlen wir wahrscheinlich alle zu gewissen Zeiten in unserem Leben auf diese Art. Also ist sie wirklich jemand, dem wir uns verbunden fühlen.

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  • Willa: Da stimme ich zu. Und natürlich ist eine der beeindruckendsten Ähnlichkeiten zwischen ihr und Michael Jackson als öffentliche Person ihre sich ständig verwandelnde Erscheinung. Wie du vorhin bereits herausgestellt hast ändert sich ihre Erscheinung dramatisch von Alex zu Diana zu Celeste zu Eve – eigentlich ändert sich ihr Äußeres so radikal, dass du kaum sagen kannst, dass es sich um dieselbe Person handelt. Es geht immer nur um die Haare und das Make Up, aber die Veränderungen sind unglaublich.


    Und natürlich veränderte sich Michael Jacksons Erscheinung ebenso dramatisch – so dramatisch, dass eine Menge Leute darauf bestanden, er müsste sich weitreichenden plastischen Operationen unterzogen haben, sogar obwohl er wiederholt gesagt hat, dass es nicht stimmt, und seine Mutter hat es nach seinem Tod bestätigt. So wie die Frau in Who Is It ging es immer nur die Haare und Make Up. Hier ist als Beispiel mein Lieblingsfotovergleich von 1987 und 2003:


    mpoeticaumjvq40g3x.jpg (Habe leider nur das Buchcover als einstellbares Bild gefunden sch%C3%A4m.gif )


    Auf den ersten flüchtigen Blick sieht er auf diesen zwei Bildern total unterschiedlich aus. Wenn wir uns aber die Zeit nehmen und tatsächlich die strukturellen Linien seines Gesichtes betrachten, dann sind diese identisch, auch wenn 16 Jahre vergangen sind. Wenn du die Details in seinem Gesicht auf dem linken und die auf dem rechten Foto nachzeichnest und übereinanderlegst, werden sie deckungsgleich sein. Er sieht völlig unterschiedlich aus, aber wie bei der Frau in Who Is It, sind es nur die Haare und Make Up.


    Joie: Es sind nur die Haare und Make Up, Willa. Und im Fall von Michaels vielen Bildern kommen noch die Beleuchtung und der Kamerawinkel und der Gesichtsausdruck dazu. Mein Lieblingsfotovergleich ist das zusammengesetzte Foto vom Vindicating Michael Blog, bei dem sie ein Bild von 1988 (aus der Bad Ära) und ein Bild von 2007 (vom Ebony Foto Shoot) genommen und zusammengesetzt haben.


    mj-photo-comparision-1988-2008.jpg


    Dieses zusammengesetzte Bild zeigt eindeutig, dass sein Gesicht exakt dasselbe ist; es gab keine dramatischen Veränderungen. Die Augen, die Nase, die Wangenknochen, die Kinnlinie, Lippen und Kinn. Alles exakt das gleiche. Und die zwei Bilder liegen fast 20 Jahre auseinander! Wenn das nicht der Beweis dafür ist, dass er die Wahrheit gesagt hat, wenn er sagte, er hätte nichts anderes außer einigen Eingriffen an seiner Nase und seinem Kinn vornehmen lassen, dann weiß ich es auch nicht.


    Willa: Ich bin so froh, dass du dieses zusammengesetzte Foto erwähnt hast, Joie, denn es demonstriert wirklich etwas Wichtiges: Während die öffentliche Wahrnehmung und die Interpretationen seines Gesichtes sich dramatisch von 1988 bis 2007 änderten, änderte sich sein wirkliches Gesicht nicht. Es waren immer nur die Haare und Make Up und die Kraft der Beeinflussung. Aber während die Frau in Who Is It ihre Erscheinung verändert, um ihre Kunden zu erfreuen, muss Michael Jackson offenbar andere Motive gehabt haben, denn seine „Kunden“ waren nicht erfreut. Er forderte sein Publikum wirklich heraus, und eine Menge Leute mochten das nicht und waren erstaunlicherweise wütend über sein verändertes Äußeres.


    Wenn man es in diesem Zusammenhang betrachtet, dann ist das Ende von Who Is It sehr ergreifend, denke ich. Die Alex / Diana / Celeste / Eve-Rolle versucht, sich aus ihrem falschen Leben zu befreien und dem Protagonisten ihr „wahres Gesicht“ zu enthüllen. Sie erreicht sein Grundstück ohne das perfekte Make Up, das perfekte Haar, die glamouröse Kleidung, ohne die majestätische Haltung. Dies ist für mich die „wirkliche“ Person, deren Namen wir nicht wissen – die Person hinter der Maske. Aber sie kommt zu spät. Er ist gegangen. Sein Assistent schüttelt den Kopf, als sie fragt, ob sie ihn sehen kann und dann schleudert er ihr all die falschen Visitenkarten entgegen: Alex, Diana, Celeste, Eve und noch mehr. In Wirklichkeit zwingt er sie, diese falschen Identitäten einzugestehen.


    Sie geht zurück zu ihrem Leben, dem sie entfliehen wollte. In unserem letzten Bild von ihr liegt sie auf dem Schminktisch, während sich dieselbe Gruppe über sie beugt, um ihre Identität wieder einmal herzustellen. Und dann, in einem klassischen Michael Jackson Moment, dreht sich die Perspektive plötzlich und wir, das Publikum, liegen auf dem Tisch und sehen auf zu den Leuten, die sich über sie / uns beugen. Wir sind sie geworden.


    Für mich ist diese plötzliche Wandlung der Perspektive, die uns an ihre Position platziert, exemplarisch für Michael Jackson. Sogar während er uns hinführt, mit dem gebrochenen Herzen des Charakters mitzufühlen, ermuntert er uns auch dazu, genauso ihren Blickwinkel einzunehmen. Wir sehen diese sich wandelnde Perspektive durch sein ganzes Werk hindurch, von Ben über Dirty Diana zu Whatever happens. In Ghosts nimmt er uns sogar in die Psyche des Bürgermeisters (die Tom Sneddon Rolle) und zeigt uns die Situation aus seiner Perspektive, was in meinen Augen eine unglaubliche geistige Großzügigkeit zeigt. Er zwingt uns unaufhörlich die Situationen aus mehreren Perspektiven zu betrachten, einschließlich Sichtweisen, die vorher kaum in Erwägung gezogen wurden, und ich liebe das. Ich habe es immer geliebt, seit ich neun Jahre alt war.

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  • Joie: Weißt du, eines der Dinge, die ich an diesem Video am faszinierendsten finde, Willa, ist die Tatsache, dass wir hier nicht wirklich viel von Michael sehen. Und die Gründe dafür sind wirklich irgendwie geheimnisumwoben. Es gibt eine Menge widersprüchlicher Informationen, die darüber im Internet kursieren, dass viele Fans glauben, dass dieses Video eigentlich vom amerikanischen Fernsehen verbannt wurde, und die allgemein anerkannte Geschichte ist, dass Michael äußerst beschäftigt mit der Dangerous Tour war zu jener Zeit und einfach nicht die Zeit hatte, sich ganz der Produktion des Videos zu widmen, so dass es ohne seinen kreativen Input hergestellt wurde.


    Ich bin nicht sicher, ob das stimmt, aber es gibt zwei Dinge, die ganz sicher sind. Das erste ist, der Song Who Is It war niemals für die Veröffentlichung als Single in den Vereinigten Staaten vorgesehen, aber Michaels spontane a cappella Darbietung als Beatbox Version während des Oprah Winfrey Interviews am 10. Februar 1993 weckte das Interesse der Öffentlichkeit daran. Nachfragen, diesen Song zu spielen, kamen bei allen Radiostationen im ganzen Land an. Also entschied Sony, den Schritt zu machen und es statt Give In To Me, welches als nächste U.S. Single vorgesehen war, zu veröffentlichen. Im Grunde führte Michael deswegen das Video für diesen Song während des Oprah Interviews ein.)


    Die zweite Sache, die sicher ist, ist dass, aus welchem Grund auch immer, ein Michael Jackson Impersonator – E’Cassanova – angeheuert wurde, um gewisse Szenen fertigzustellen und wenn du ganz genau all die Szenen von Michael in der Limo betrachtest und wie er im Flugzeug liegt am Schluss, kannst du deutlich sehen, dass er es nicht ist.


    Willa: Willst du mich auf den Arm nehmen? Das ist ein Impersonator? Woher weißt du das alles, Joie? Du bist wirklich unglaublich, wie eine lebende, atmende Michael Jackson Enzyklopädie. Du erstaunst mich immer wieder.


    Joie: Du bist so lustig! Dieser Teil ist ziemliches Allgemeinwissen.


    Willa: Wirklich? Okay, ich habe vollständig die Erinnerung daran verloren, denn ich habe keine Ahnung.


    Joie: Aber ab hier wird es verwirrend … Die Leute sagen, der Impersonator wurde genommen, weil Michael zu beschäftigt mit der Tour und allem war, um das Filmen zu Ende zu bringen, jedoch entstand das Video tatsächlich 1992. Nun, ich bin nicht sicher, in welchem Monat es produziert wurde, es debütierte in England am 13. Juli 1992. Das bedeutet, dass das Filmen vor Juli stattfand, und die Dangerous Tour begann am 27. Juni 1992. Und während er ganz sicher ziemlich beschäftigt mit den Proben und Vorbereitungen bis zum Startdatum der Tour war, bin ich nicht sicher, ob ich ihnen die ganze ‚zu beschäftigt, um den Film abzuschließen‘-Story abkaufen soll.


    Aber die Fakten werden noch komplizierter, denn am 14. Juli, genau einen Tag nach dem Debüt in England, zog Michael das Video zurück, weil er unzufrieden mit der Bearbeitung und mit der frühen Veröffentlichung des Films war. Ich denke, dies könnte der Grund für die Gerüchte sein, dass das Video vom amerikanischen Fernsehen „verbannt“ wurde, aber die simple Tatsache ist die, das dieses Video niemals in den Vereinigten Staaten veröffentlicht wurde.


    Als Sony einmal die Entscheidung für die Veröffentlichung der Single in Amerika getroffen hatte, arbeiteten sie mit MTV zusammen und veranstalteten einen Wettbewerb, bei dem die Fans ein Video für den Song kreieren konnten. Also war in den Vereinigten Staaten das begleitende Video eine Compilation früherer MJ Videos und Performance Clips. Das wirkliche Video war ist den USA nicht erhältlich, bis es auf der Dangerous: The Films DVD am 23. November 1993 veröffentlicht wurde.Aber die Frage, die mir nicht aus dem Kopf geht, ist Warum? Das Video für diesen Song war offensichtlich bereits fertiggestellt zu dem Zeitpunkt, als Sony die Entscheidung traf, den Song als Single in Amerika zu veröffentlichen. Sie trafen die Entscheidung in Folge auf das Oprah Interview (10. Februar 1993) und veröffentlichten die Single am 31. März 1993. Aber das Video war bereits in England am 13. Juli 1992 ausgestrahlt worden. Also warum es hier nicht auch einfach veröffentlichen?

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  • Willa: Das ist seltsam. Warum der große Aufruhr für ein Video, wenn es doch schon eins gab – ein wirklich faszinierendes – das im Regal wartete?


    Aber ich bin immer noch stutzig wegen des Impersonators am Ende. Das ist einfach verwunderlich. Wer macht so etwas? Wer heuert einen Impersonator an, um ihn in seinem Video nachzustellen? Und gerade Michael Jackson, dessen Videos nicht nur einfach Marketingwerkzeuge für seine Songs sind – sie sind handwerklich exquisite Kunstwerke. Eine solche Abkürzung zu nehmen, missachtet alles, was ich über ihn als Künstler weiß. Das macht keinen Sinn.


    Aber weißt du, wenn wir uns dies auf eine andere Art ansehen – wenn wir es auf das Thema bezogen betrachten – bringt ein Impersonator am Schluss eine ganz andere Bedeutungsebene und Faszination in dieses Video. Denk darüber nach. Wir haben eine weibliche Rolle, die ständig ihre Identität ändert – und deswegen verurteilt wird – und wir als Publikum fühlen uns konstant unwohl durch ihre veränderte Erscheinung und die wiederkehrende Frage „Wer ist es?“ Und dann sind die Schlussszenen mit Michael Jackson, aber es ist nicht wirklich Michael Jackson? Es ist ein Michael Jackson Impersonator? Ich meine, im Ernst, wie perfekt ist das denn? Er ist so endlos faszinierend für mich, auf so vielen Ebenen. Gerade wenn du denkst, du hast nun alles herausgefunden, dann bringt er wieder eine überraschende Wendung. Wer ist es, in der Tat.


    Diese Situation mit dem Impersonator erinnert mich an ein wunderbares Zitat von Bill Bottrell, wie er die Entstehung des „White Rap“ in Black or White beschreibt:


    Ich erzählte Michael, dass wir einen Rap brauchen, und wir holten Rapper wie L.L. Cool J and the Notorious BIG, die auch an anderen Songs arbeiteten. Irgendwie hatte ich aber keinen Zugang zu ihnen für Black or White. … Also schrieb ich eines Tages den Rap – ich wachte auf am Morgen und vor meiner ersten Tasse Kaffee begann ich aufzuschreiben, was ich hörte. …Das ist die Art, wie er es macht, es scheint wie Zufall, aber es ist, als ob er Dinge durch Weglassen geschehen lässt. … Ich dachte nicht so viel an White Rap, also holte ich Bryan Loren, um meine Worte zu rappen … aber er fühlte sich unwohl als Rapper. Das Ergebnis war, dass ich am selben Tag, nachdem Bryan gegangen war, mehrere Versionen, mit einer festen, aufnahm und sie Michael am nächsten Tag vorspielte und er sagte „Ohhhh, ich liebe es, Bill, ich liebe es. Das soll das eine sein.“ Ich meinte „Nein, wir brauchen einen richtigen Rapper,“ aber als er erst einmal meine Version gehört hatte, hatte er sich darauf festgelegt und wollte niemand anderen in Erwägung ziehen.


    Wie Ultravioletrae vor einigen Wochen so brillant in einem Kommentar zum Thema „Was macht einen Songschreiber aus?“ über das wichtige Element des White Rap in Black or White erläutert hat. Sie schrieb, „Der Teil des White Rap in Black or White nutzt Schwarzen Hip Hop, aber lässt ihn eine Weiße Perspektive durchlaufen, Bill Bottrells Wohlfühl-Lyrics und Performance. Der vorangegangene Part „I am tired of this devil“ nutzt weißen Hardrock und Heavy Metal, aber lässt es durch eine Schwarze Perspektive und die Frustration der Rassenungerechtigkeit laufen. Er vertauscht hier absichtlich die musikalischen Codes und versucht, all diese Sichtweisen auf eine sehr über-ethnische Art in eine einzige Betrachtung zu integrieren.“Also benötigt Michael Jackson wirklich einen „White Rap“ für diesen Teil, aber er arbeitet mit einem Producer, der eindeutig einen Widerwillen gegen „White Rap“ hat. Aber auf geniale Art bringt er ihn dazu, es für ihn zu kreieren. Wie Bottrell sagt „Das ist die Art, wie er es macht, es scheint wie Zufall, aber es ist, als ob er Dinge durch Weglassen geschehen lässt.“ Ich liebe das Zitat, und ich kann mir die Situation richtig vorstellen. Irgendwie gehen alle diese großartigen Rapper im Studio aus und ein, und sie sind alle eifrig und willens, auf einem Michael Jackson Album zu erscheinen. Jedoch sind sie alle auf mysteriöse Weise nicht verfügbar für diesen speziellen Song – wie Bottrell sagt „Irgendwie hatte ich aber zu ihnen keinen Zugang zu ihnen für Black or White.“ – also muss er es am Ende selbst machen. Tut mir leid, aber das ist brillant.


    Joie: Stimmt; es ist brillant.


    Willa: Ich sehe genau dasselbe Szenario von „er lässt Dinge geschehen durch Weglassen“ in den Schlussszenen von Who Is It. Es macht auf so vielen Ebenen Sinn, einen MJ Impersonator diese Szenen darstellen zu lassen, so macht sich der wirkliche Michael Jackson einfach unerreichbar, während diese Szenen gefilmt werden. Plötzlich ist er zu beschäftigt, kann nicht kommen, Studiozeit ist unglaublich teuer, sie können nicht warten, und sie sind gezwungen, einen Impersonator zu nutzen. Brillant.


    Joie: Du kannst Recht haben deswegen, Willa. Es wäre sicherlich eine interessante künstlerische Überlegung, oder? Und es legt völlig das Gerücht aus dem Internet lahm, dass Michael keine kreative Kontrolle über diesen Short Film hatte. Das Video wurde von dem Filmregisseur David Fincher gemacht, der 2008 Der seltsame Fall des Benjamin Button und 2010 The Social Network, neben vielen anderen gedreht hatte. Er drehte auch zahlreiche Musikvideos für alle von Madonna und Paula Abdul über die Rolling Stones zu Nine Inch Nails. Seine Liste von Video Credits ist genauso beeindruckend wie seine Film Credits, und wir alle wissen, dass Michael es immer mochte, nur mit den Besten auf ihrem Gebiet zu arbeiten.


    Willa: Oh, ich denke, er war sehr involviert in Who Is It, von der konzeptionellen Entwicklung durch die ganze Produktion. Es ist einfach zu sehr er, bis hin zu den sich verändernden Kameraeinstellungen – es trägt ganz und gar den Stempel seiner Persönlichkeit und seiner künstlerischen Vision. Alles was du zu tun hast, ist es dir anzusehen und dann kannst du sagen, dass er sehr eingebunden war in die Erschaffung dieses Videos.


    Und er hätte nicht erlaubt, dass es auf der Dangerous: The Short Films DVD erscheint, wenn er nicht ernsthaft zufrieden damit gewesen wäre. Jeder weiß, wie akribisch er war. Wir haben alle die Geschichte gehört, wie er und Quincy Jones und andere sich versammelt haben, um dem letzten Schnitt des Thriller Albums zuzuhören – und er mochte es nicht, und weigerte sich so lange, es zu veröffentlichen, bis es seine Anforderungen erfüllte. Ich weiß nicht, was damals alles vor sich gegangen ist, als das Who Is It Video herausgegeben und zurückgezogen und wieder veröffentlicht wurde – du weißt viel mehr darüber als ich, Joie – aber ich bin überzeugt, dass dieses Video wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient, als es bekommen hat, und es verdient einen Platz neben seinen besser bekannten Filmen.




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    Einmal editiert, zuletzt von Lilly ()

  • :danke::gruß: Hallöchen.... :wave:
    Sorry, wenn ich hier jetzt einfach mal dazwischenplatze mit meinem Posting! Aber: ich kann einfach nicht anders, als ein TAUSENDFACHES DANKESCHÖN an Lilly, Biba, Maja und alle anderen Übersetzer-Feen in diesem Thread und im ganzen Forum auszusprechen. Ich bin zwar erst auf Seite 7 dieses Threads (was nicht an meiner Unfähigkeit, schnell zu lesen liegt, wohl eher daran, dass ich viele Überlegungen von Willa und Joe so dermaßen interessant finde, dass ich sie mehrmals lesen muss) ....... :aha: Wahnsinn, dass Lilly, oder wer auch immer, diesen Blog gefunden hat und ihn auch noch regelmäßig und gerne übersetzt :ilem::danke:


    Ich hab mir vor ein paar Tagen M. Poetica heruntergeladen (aufgrund des Threads), aber ich muss gestehen, dass dieses Buch für mich nur vollständig ist, wenn man den Blog "Dancing with The Elephant" quasi nebenher noch liest. Für mich gehört beides einfach zusammen. Ich habe soviel gelernt in diesen paar Tagen, in denen ich diese beiden Themen verfolge. Ich höre die CDs quasi mit anderen Ohren.... :ff::wäh::pong::pomp: Nicht, dass ich die Botschaft hinter den Songs bisher nicht verstanden hätte, doooch....das habe ich schon! Aber ich habe niemals auf die Kleinigkeiten, Hintergrundgesänge, Tonabfolgen oder gar den Zusammenhang zur amerikanischen Rassengeschichte gehört oder gedacht....niemals....war mir völlig fremd und neu....diese threads sind mein persönliches "Man in the mirror" :spiegel: - erstmal erschreckend, aber dann als "Wird aber Zeit, meine Liebe!!!" empfunden!. Ich kann und MUSS Willa, Joei und all den lieben Übersetzerinnen leider virtuell nur ein einfaches :danke: -Schildchen auf den Bildschirm schmeissen. Leider..... Real würde ich Euch jetzt richtig dolle drücken!!!! :gruppenk:


    p.s.: Huch..... ist doch ein wenig länger geworden, als ich eigentlich vor hatte.....sorry! :tüte:

  • Hi peppermint :victory: , knuddel dich zurück :drück: Schön, dass du da bist!!
    Ja, die zauberhafte Lilly übersetzt den Blog jede Woche :kiss: und obendrein auch noch richtig flott :daumen: . Als ich noch als Besucher ab und an durch diverse Foren gestreift bin und dann hier entdeckt habe, dass der Elephant-Blog und M.Poetica übersetzt werden, hab ich mich sofort angemeldet. :kicher: In beidem hatte ich mich total wiedergefunden, da mich schon immer die Bedeutung von Michael Jackson fasziniert hat, von der ja kaum jemand spricht oder was wissen will, eher wird sie verleugnet und ich wollte verstehen warum, denn eigentlich ist sie doch offensichtlich... Willa (und Joie und Joe und Charles und all die anderen User) dröseln das geradezu hermeneutisch immer wieder etwas weiter auf und oft hab ich das Gefühl, dass sie das, was mir als wirre Gedanken so durch den Kopf spukt, ordentlich zu Papier bzw. zu Bildschirm gebracht haben oder den eigenen Gedanken einen entscheidenden Anstoß oder eine neue Wende oder eine zusätzliche Ebene oder eine Bestätigung ermöglichen. Überhaupt tun die Ernsthaftigkeit und Tiefe, mit der sich hier an Michael, sein Werk und seine Wirkung herangetastet wird, einfach nur gut. :perfect: Irgendwie war das ja längst überfällig (für den Mensch Michael Jackson kommt es natürlich viel zu spät :wimmer: ) und so sieht die Welt wieder etwas "normaler" aus - der Spuk ist vorbei, jetzt aber mal ernsthaft: WAS WAR DAS?? WER WAR DIESER MANN UND WAS WAR DA MIT UNS LOS?? Dass sie dabei auch ihren Spass haben, macht das Ganze nur noch schöner!

    :herz: Michael Jackson - forever the King of Pop. A genre of music. Mainly, a beautiful human being. :herz:
    es ist, was es ist... sagt die liebe


  • :huch: Who Is It...das video ist mir auch immer noch ein Rätsel..ich muss es mir unbedingt nochmal ansehen, jetzt, unter den neuen Aspekten von Willa und Joie. Der Song ist einer meiner Lieblings Songs..einer von denen, wo so viel zu hören ist, dass man jedesmal was neues findet..aber Song und Video zu verbinden, fand ich immer schwer..
    Die Sache mit dem Impersonator schockt mich jetzt aber..dass hab ich (mal wieder) garnicht gewußt..und ich hätte es auch nicht geglaubt, auf so eine Idee wär ich garnicht gekommen, dass es wirklich sein kann. Und der Gedanke von Willa wäre eine Erklärung, aber trotzdem bleibt es seltsam...


    Ich weiß noch, dass mal jemand zu einem Foto, das wo "Michael" da liegt und schläft, geschrieben hat, es sei ein Fake...und ich dachte noch, Blösdinn, das ist doch schliesslich aus dem Video von WII.. :kicher: ..toller Beweis, wenn das so ist.. Auch darauf muss ich mal dringend achten...ich komm nur gerade nicht dazu, es auf der DVD anzusehen...

  • Round Table:Das MJ Academia Project
    08/03/2012


    Willa: Vor einigen Wochen hatten Joie und ich eine faszinierende Unterhaltung mit dem Autor Joe Vogel und dem Aufklärungsjournalisten Charles Thomson über Michael Jackson als Songschreiber. Diese Unterhaltung konzentrierte sich auf die musikalischen Aspekte seines Songschreibens, also entschieden wir uns, noch einmal über Michael Jackson als Lyriker zu sprechen. Als wir jedoch beim Gespräch zusammensaßen, nahm es sofort eine ganz andere Wendung und entwickelte sich in eine Richtung, die niemand von uns erwartet hatte, aber sehr interessant für jeden von uns war. Hier ist die Diskussion, die dann folgte …



    * * *


    Charles: Habt ihr die Michael Jackson Academia Project Videos gesehen? Sie sind großartig. Joe sprach in der letzten Runde davon, dass Michaels Lyrics nicht immer so groß wie seine Kompositionen waren, aber diese Videos liefern sehr starke Gründe dafür, dass seine Lyrics eigentlich sehr viel aufschlussreicher und scharfsinniger sind, als die Leute ihm zugebilligt haben – besonders auf dem HIStory Album.


    Joe: Ich habe jahrelang behauptet, dass das HIStory Album einige von Michaels mutigsten und stärksten Werken enthält. Es ist sowohl sein persönlichstes, als auch sein politischstes Album. Ich muss etwas klarstellen, weil du seine Lyrics erwähnt hast: Meine Einwand ist nicht der, dass Jacksons Lyrics nicht „so groß wie seine Kompositionen“ sind. Meine Begründung ist, dass seine Lyrics durch den stimmlichen Ausdruck erhöht werden, unterstützt von seiner nonverbalen Stimmgebung, und dass sie sich dazu noch durch die visuelle Darstellung und Repräsentation steigern. Also denke ich, diese Aspekte seines künstlerischen / kreativen Ausdrucks müssen von den vielen Kritikern, die Jackson als Songschreiber abqualifizieren, mit ins Kalkül gezogen werden.


    Wenn man nun die MJAP Videos betrachtet, gibt es definitiv Dinge, die ich an dem, was sie tun, mag. Sie nehmen MJ’s Werke ernst, was eine gute Sache ist und unterstützen eine eingehende Deutung seiner Werke (ich habe tatsächlich nie die Namen der kapitalistischen Tycoons, die in Money erwähnt werden, gehört). Auch sind sie sehr gut gemacht. Allerdings für die ganze Recherche, die eindeutig für sie aufgewendet wurde, machen sie einige Dinge, die mir ein wenig verwirrend für ein „Academia Project“ erscheinen. Zum Beispiel fügen sie ihrer Arbeit nicht ihre Namen bei, und so wie ich es verstehe, sind sie nicht einer Universität oder akademischen Organisation angegliedert. Auch nennen sie keine Quellen, die bereits dieselbe Information / Interpretation in ihren Videos veröffentlicht haben, was sehr wichtig wäre, wenn sie außerhalb der MJ Fan Community ernst genommen werden sollen.


    Joie: Ich muss sagen, dass ich Joe in diesem Punkt zustimme. Ich verstehe nicht, warum diejenigen, wer auch immer hinter diesen MJAP Videos steht, so zögern, sich selbst zu offenbaren. Es ist fast so, als würden sie sich verstecken, und ich denke, Joe hat Recht, wenn er sagt, dass sie nicht damit rechnen können außerhalb der MJ Fan Community ernst genommen zu werden, wenn sie nicht willens sind, hinter ihrer Arbeit zu stehen. Im Augenblick rennen die Videos, so großartig sie auch sind, offene Türen ein, um es mal so auszudrücken.


    Joe: Also, ich denke, in gewisser Weise fehlen ihnen Zusammenhang und Nuancierung. Zum Beispiel lassen sie es so aussehen, als wäre MJ tief in der Black Power Bewegung der 60er/70er Jahre verwurzelt gewesen. In einem der Videos wird impliziert, dass MJ ein Mitglied oder Anhänger der Black Panther Party gewesen sei; in einem anderen zitieren sie Louis Farrakhan, den Anführer der Nation of Islam und einer Person mit einer Ideologie, die weit entfernt ist von Michaels. MJ glaubte tief an soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, befürwortete aber niemals Schwarze Überlegenheit, Antisemitismus oder Gewalt.


    Willa: Das ist wirklich interessant, Joe, denn ich finde nicht, dass diese Videos so etwas aussagen, und meine Reaktion darauf ist völlig anders. Wenn die vorherrschende Geschichte in den Medien vielleicht gewesen wäre, dass Michael Jackson ein wütender Schwarzer Mann gewesen sei, dann würde ich zustimmen, dass sie ihn als zu drastisch porträtiert haben. Aber das ist nicht der Fall. Das vorherrschende Bild in den Medien ist, dass er ein zutiefst verstörter Schwarzer Mann gewesen sei, der sich seiner Rasse schämte – einem schockierend falschen Image. Also glaube ich, sie bieten hier ein stark benötigtes Gegengewicht an.


    Joe: Ich denke, da ist etwas Wahres dran, Willa. Sicherlich gab es ernsthafte Missverständnisse und falsche Geschichten über Jacksons rassenbezogenes Erbe und wie dies seine Identität und seine Arbeiten durchdringt. Aber für mich sollte das Gegengewicht nicht in der Ideologie bestehen, die auf einer Linie mit Farrakhan und den Black Panther liegt. Es sollte ihn als einen komplexen afroamerikanischen Künstler darstellen, der sich geweigert hat, in eine Schublade gesteckt zu werden, der uns mit seinen Werken ständig herausgefordert, provoziert und inspiriert hat. Auf gewisse Art spüre ich, dass die MJAP Videos das tun, aber auf eine andere Weise fühlen sie sich ein wenig vereinfachend und reduktiv an.


    Willa: Wow, Joe, meine Reaktion war genau gegenteilig. Ich habe gedacht, dass es wirklich interessant war, dass das Academia Project die Verbindung mit dem Black Panther Symbol und den Clip über Louis Farrakhan aufgezeigt hat, gerade weil sie so anders sind oder weil sie ideologisch so anders wahrgenommen werden als Michael Jackson.


    Mit anderen Worten, Louis Farrakhan und Michael Jackson sind zwei bedeutende kulturelle Persönlichkeiten, die typischerweise jeweils an zwei gegenüberliegenden Enden eines Spektrums liegen: Farrakhan wird als zutiefst umstritten, als ein Separatist, porträtiert, während Michael Jackson als Integrationsfigur, die eigentlich Weiß sein wollte, dargestellt wird. Es ist eine grauenhafte Verzerrung dessen, was er wirklich war, aber es ist so da draußen. Für mich bedeutet das, wenn ich einen Hinweis auf eine Gemeinsamkeit gebe, zwingt das die Leute wirklich, ihre vorgefassten Meinungen über beide in Frage zu stellen. Aber zu zeigen, dass sie eine Gemeinsamkeit teilen, heißt nicht, dass sie gleich sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand Michael Jackson mit Louis Farrakhan verwechselt. Ich sehe so etwas nicht.

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    Emily Dickinson

  • Charles: Ich denke, wenn du einem Song wie They Don’t Care About Us zuhörst, da spricht Michael über Rasse in einer eindeutigen ‚sie und wir‘-Bedeutung. Es steht genau da in der Überschrift. Er stellt dem ‚uns‘ (us) die Untergeordneten – dem ‚sie‘ (they) - Establishment - gegenüber. Er macht auch durch weitere Lyrics in dem Stück deutlich, dass das ‚wir‘ die rassische Minderheit ist. „Schwarzer Mann, Erpressung / Wirf den Bruder ins Gefängnis (Black man, blackmail / Throw the brother in jail)“ „Ich bin es leid, ein Opfer der Schande zu sein / Du wirfst mich in einen Topf mit einem schlechten Ruf ( I’m tired of being a victim of shame / You’re throwing me in a class with a bad name)“. Die Nutzung der Radio Polizeimeldung über den jungen Schwarzen Mann, der von der Polizei aufgrund einer missverstandenen Identität getötet wurde, verstärkt diese Position noch.


    Dann siehst du die zwei Videos, die diesen Song begleiteten. Die Gefängnisversion zeigt die Insassen, die fast alle Schwarz sind. Es gibt Bilder vom KKK. In der Brasilversion geht er im Stechschritt und macht den Nazigruss. Er steht auf einem Balkon und bietet einen Song dar, der in Teilen auf Martin Luther Kings ‚I Have A Dream‘-Rede basiert. Da ist wenig Platz für Interpretation, außer dass sich Jackson gegen Rassismus äußert und sich selbst als Schwarzen Mann und damit als Opfer identifiziert.


    Er wiederholte diese Meinung ziemlich oft in späteren Jahren. Da war der Höhepunkt 2002 mit Al Sharpton, wo er die Musikindustrie scharf kritisierte, die Schwarzen Künstler zu zerreißen und die Medien anklagte, ihre Innovationen ihren Weißen Zeitgenossen zuzuschreiben. Dann gab es das Jesse Jackson Interview, in dem er sehr eloquent über die Jack Johnson Geschichte sprach und sich selbst mit anderen Schwarzen Koryphäen verglich, die zur Zielscheibe des Establishments geworden waren.


    Und zu guter Letzt möchte ich sagen, dass Michael Jackson widersprüchliche Ideologien zum Thema Rasse deutlich gemacht hat. Auf der einen Seite sprach er oft darüber ‚farbenblind’ zu sein oder dass er Menschen aller Rassen zusammenbringen möchte. Auf der anderen Seite zeigten viele seiner Songs und seiner öffentlichen Reden und Interviews nach den Anschuldigungen 1993 einen tiefen Glauben daran, dass Rassismus sehr wohl noch am Leben sei und er ein Opfer davon. Er schien nach 1993 ‚streitbarer’ diesem Thema gegenüber zu sein. Seine Musik sprach von Polizeigewalt, Zielscheibe des FBI zu sein, der Staatsanwalt stecke mit dem KKK unter einer Decke, die Medien ‚lügen, um die Rasse zu beschämen’. Während seines Prozesses und sogar bei der Ankündigung zu den This is it Konzerten gab er den Black Power Gruß. Er umgab sich selbst mit der Nation of Islam – geführt durch Farrakhan.


    Ich denke, es ist sehr schwierig, die Schlussfolgerungen des MJAP auf dieser Grundlage nicht zu beachten. Ich kann auch nicht der Bemerkung zustimmen, dass sie ihre Werke nicht mit Referenzen versehen. Das meiste davon scheint aus Büchern zu stammen, die sie explizit nennen in den Videos.


    Joe: Ich möchte erklären, was ich damit meine, wenn ich sage, dass sie sich in ihren Arbeiten nicht auf Bezugsquellen beziehen. Wenn sie sagen, dass MJ’s Earth Song Video durch einen sowjetischen Propagandafilm, der irgendwie ähnlich aussieht, inspiriert wurde, möchte ich mir einfach als Forschender ansehen können, wo sie diese Information entdeckt haben. Kommt es von einem Interview? Haben sie Zugang zu seinen Archiven? Oder ist es eine auf Tatsachen beruhende Vermutung, die auf anderen Informationen basiert? (Die Verbindung zum Triumph des Willens / The Triumph of the Will ist offensichtlicher.)


    Charles: Die Ähnlichkeiten sind so verblüffend, dass es mich glatt umgehauen hat, als sich herausstellte, dass es nicht nur ein Einfluss war. Michael ist nicht mehr am Leben, also ist es sehr wahrscheinlich, dass wir es niemals sicher wissen werden, aber wenn das Earth Song Video und die Konzert Performances nicht auf diesem Sowjet Film basieren, dann ist das ein gespenstischer Zufall.


    Joe: Es gibt einige faszinierende Ähnlichkeiten, aber ich würde sagen, es steht 50/50. Michael hatte ein riesiges Videoarchiv und einen persönlichen Archivar, also könnte ziemlich sicher die Möglichkeit bestehen, so etwas zu verifizieren.


    Hier noch ein weiteres Beispiel zum Zitieren: Vieles von dem, das sie in Black or White untersuchen, wurde bereits zuvor geschrieben (von Armond White, mir selbst und anderen). Also wäre es die Gepflogenheit unter Akademikern, die Gedanken, die bereits formuliert wurden, zu würdigen, damit sie nicht als Plagiat bestraft werden. Natürlich, wenn diese Videos in erster Linie als „Fan Videos“ beabsichtigt sind, ist dieser Kritikpunkt weniger relevant.


    Nun, Charles, lass mich noch mal zurückgehen zu dem Punkt, den du erwähnt hast bezüglich MJ und Rasse / Rassismus: Ich widerspreche nicht der Tatsache, dass Jackson politisch drastischer und unverblümter in seiner späteren Karriere wurde. Es ist keine Frage, dass er gegen institutionellen Rassismus und Unterdrückung und Ungerechtigkeit im Allgemeinen kämpfte. Wo ich dem MJAP (und dir) nicht zustimmen kann, ist die buchstabengetreue Interpretation. Zum Beispiel sehe ich, wie er sich symbolisch in einen Black Panther verwandelt, nicht dass er heimlich an Treffen der Black Panther teilnahm und diskrete Codes an eine spezielle politische Gruppe aussandte. Ähnlich wie bei They Don’t Care About Us denke ich, dass er sich mit den Unterdrückten identifiziert und die Wahrheit ausspricht gegenüber den Mächtigen, ungeachtet der Hautfarbe oder Nationalität. Es ist etwas Grundsätzliches, aber es hat nichts mit der Nation of Islam oder Louis Farrakhan (einem Mann, der bekannt dafür ist, ein Rassist, homophob und Antisemit zu sein, und viele glauben, er sei zumindest zum Teil für die Hinrichtung von Malcolm X verantwortlich) zu tun.


    Wie ich schon weiter vorne gesagt habe, ich denke, es gibt eine Menge, das man an diesen Videos mögen kann – ich denke, sie haben eine Menge Potential – aber speziell um Menschen außerhalb der Fangemeinde zu erreichen (wenn das das Ziel sein sollte) glaube ich, sie könnten von etwas mehr Nuancierung profitieren.


    Joie: Noch einmal, ich kann Joe hier nur komplett zustimmen; ich denke, das erste MJAP Video machte einen großen Sprung, indem es andeutete, dass Michael ein Mitglied der Black Panther Party gewesen sei oder sie und Louis Farrakhan wenigstens unterstützt habe, einfach weil er sich am Schluss des Black or White Videos in einen Panther verwandelt. Und in They Don’t Care About Us „identifiziert er sich definitiv mit den Unterdrückten“, wie Joe es gesagt hat, aber „die Unterdrückten“ gibt es in vielen Farben. Wie Willa und ich in unserer Unterhaltung über They Don’t Care About Us diskutiert haben, behandelt dieser Song / Short Film(s) nicht nur einfach das Thema Schwarz oder Weiß. Es beschäftigt sich mit so viel mehr – Armut, dem Missbrauch der Menschenrechte, und ja, Rassismus. Und er ging sehr viel entschiedener mit Rassenthemen um nach 1993 und ich stimme zu, dass er sich durch das System sehr schikaniert fühlte. Wie hätte er nicht so empfinden sollen? Aber ich glaube nicht, dass es eine versteckte Verbindung zur Nation of Islam oder zu Louis Farrakhan enthüllt.

    The truth must dazzle gradually
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  • Willa: Aber sagen diese Videos das denn? Ich denke das nicht. Sie enthalten einen Ausschnitt von Farrakhan in der Arsenio Hall Show, in der er sagt „Michael entwickelt sich politisch. Und er möchte seine politische Reife gemeinsam mit seinem Vermögen dazu nutzen, sein Volk zu unterstützen.“ Das ist es. Für mich zeigt das, dass Louis Farrakhan eine Meinung hat – eine positive Meinung – über Michael Jacksons Arbeit und Aktivitäten, aber es unterstellt nicht mehr als das.


    Und ich denke nicht, dass sie andeuten „er habe heimlich an Versammlungen der Black Panther teilgenommen“ oder irgendetwas Ähnlichem, wie du erwähnt hast, Joe. Ich lese das überhaupt nicht aus den Videos heraus. Für mich ist Michael Jacksons Werk ein unglaublicher Teppich, der Fäden aus vielen verschiedenen Quellen verwebt. Und das erste Academia Project Video beleuchtet einiges der Black Panther Symbolik in seinen Werken und verfolgt ein paar dieser Fäden. Ich denke, das ist faszinierend, und es hilft mir, einen Teil des Teppichs wahrzunehmen, den ich vorher nie betrachtet hatte. Aber ich habe niemals gedacht, dass sie sagen, er sei buchstäblich ein Black Panther gewesen. Ich sehe das einfach nicht.


    Joie: Nein, ich sage nicht, dass diese Videos das andeuten. Ich denke das nicht. Ich stimme nur einfach nicht mit Charles’ Einschätzung überein, dass es schwerfällt, die Schlussfolgerungen des MJAP in dieser Angelegenheit nicht zu beachten.


    Das sagt auch aus, dass ich die Videos auf ihre eigene Art wirklich wundervoll finde. Sie sind sehr gut recherchiert und gut durchdacht. Wer immer dahinter steckt, hat offenbar eine große Portion an Zeit und Anstrengung darein gesteckt, und sie könnten ein großes Potential haben, wenn sie die richtigen Leute erreichen würden. Genau jetzt beschränken sie sich darauf, die Runde in der MJ Fangemeinschaft zu machen, was gut ist, denn es gibt immer noch viele Fans da draußen – speziell die Neueren – denen vielleicht das Ausmaß dessen, durch das Michael hindurch musste, nicht so bewusst war, und wie verzerrt die Medienberichterstattung war. Aber um wirklich effektiv die Diskussion über ihn zu verändern, müssen die Videos ein breiter angelegtes Massenpublikum erreichen.


    Joe: Dies sind sehr gute Punkte, Joie. Ich denke, ich hoffe zumindest, meine konstruktiven Kritikpunkte sprechen genau das an, worüber du sprichst: glaubwürdiger werden, so dass sie ein breiteres Publikum erreichen können. In der Tat denke ich, dass dieses dritte Video von ihnen das bei Weitem beste war. Also lass mich nochmal auf etwas zurückkommen, was Willa gesagt hat. Du erwähntest, dass das Zitat von Farrakhan interessant sei, weil es positiv über Michaels Werke und Aktivitäten spricht. Ich stimme tatsächlich mit fast allem überein, was Farrakhan in diesem Ausschnitt sagt. Aber, noch einmal, für mich geht es um Glaubwürdigkeit. Farrakhan zu benutzen, um einen Standpunkt aufzuzeigen wird für 99 % der Leute eigentlich in die entgegengesetzte Richtung arbeiten.


    Bei dem Black Panther Material würde ich persönlich eher die Möglichkeit für eine nuancierte Interpretation in einem seriösen akademischen Kontext sehen. Ich denke, dies stellt eine fesselndere Interpretation bereit, wenn sie darüber schreiben, wie Jackson gewisse Symbole in ihre gegenteilige Bedeutung dreht (á la HIStory Teaser und Riefenstahls Triumph of the Will).


    Joie: Ich stimme dir zu bei dem, was du gerade über Farrakhan und Glaubwürdigkeit gesagt hast. Die Sache ist die, dass ihn zu sehen viele Leute abschalten lässt und er dazu benutzt wird, um einen Standpunkt herzuleiten oder zu versuchen, andere von einem Standpunkt zu überzeugen, was riskant und kontraproduktiv sein kann.


    Willa: Er ist wirklich polarisierend, und ich verstehe, was du und Joe sagt, Joie. Aber wie ich vorher gesagt habe, denke ich, dass es wirklich interessant und lohnenswert ist, Michael Jackson und Louis Farrakhan gegenüberzustellen, gerade weil sie so unterschiedlich sind. Es ist, wie Michael Jackson auf den Stufen des Weißen Hauses mit Ronald Reagan zu sehen. Meine Reaktion ist jedes Mal, Wow, was für ein Kontrast! Jedoch teilten sie eine Gemeinsamkeit. Dieses Bild führt mich aber nicht dahin, anzunehmen, dass Michael Jackson ein heimlicher Konservativer ist und der Republikanischen Partei insgeheim Geld zuschanzt. Überhaupt nicht. Und ich denke das auch nicht über Farrakhan und die Nation of Islam.


    Es stimmt, dass Louis Farrakhan einige Dinge gesagt hat, denen ich absolut nicht zustimme. Das hat übrigens auch Ronald Reagan getan. Aber ich denke nicht, dass die Antwort darauf ist, Farrakhan in eine Schublade zu stecken und so zu tun, als würde er nicht existieren. Stattdessen denke ich, dass es unglaublich ist, dass eine Person sowohl auf Ronald Reagan, als auch auf Louis Farrakhan, Nelson Mandela und Elizabeth Taylor, auf Fans von den USA bis Japan, von Afrika bis Irland eingewirkt hat. Das ist wundervoll für mich.


    Charles: Ich denke nicht, die MJAP Videos würden in irgendeiner Weise implizieren, Michael Jackson würde heimlich an Black Panther Meetings oder etwas in der Art teilnehmen. Ich denke, sie demonstrieren, dass seine Werke, sogar vor den Anschuldigungen, mit politischen und rassenbezogenen Kommentaren durchzogen waren, was von den Kritikern vollständig ignoriert wurde.


    Willa: Ganz genau.


    Charles: Ich finde auch, dass die Nutzung von Farrakhan als Quelle nicht jeden überzeugen kann, denn der Mann hat sich wiederholt als Rassist und Spinner gezeigt. Ich erinnere mich, dass ich vor einiger Zeit ziemlich alarmiert war, als Fans eine circa einstündige „Predigt“ von Farrakhan über Michael Jackson in der Kirche herumreichten. Während der Rede deutete er They Don’t Care About Us als einen gezielten Angriff auf Jüdische Menschen und rühmte Michael dafür, den Mut zu haben, seine antisemitische Meinung kundzutun. Aber Farrakhan ist nur eine von mehreren Quellen, die von den MJAP Erschaffern herangezogen werden, um die Ansichten zu unterstützen, und ich stimme ihm sicherlich zu, dass Michael Jacksons Behandlung zumindest teilweise rassistisch motiviert war. Wenn die ganze Sache an Farrakhan hängen würde, wäre es eine andere Sache – aber das ist nicht der Fall.


    Ich finde auch, dass es in den Lyrics von TDCAU nicht um eine spezielle Rasse geht. Die Zeile „Schwarzer Mann, Erpressung / Wirf den Bruder ins Gefängnis (Black man, blackmail / Throw the brother in jail)“ ist ziemlich unverblümt, besonders im Zusammenhang mit der Polizei Radiobotschaft am Beginn des Titels und den Kommentaren durch den Rest des Albums, solche wie „Unter der Kapuze / Leg ihn herein, wenn du kannst … Im Dunkeln / Stich ihm in den Rücken / In das Gesicht / Um zu lügen und die Rasse zu beschämen (In the hood / Frame him if you could … In the black / Stab him in the back / In the face / To lie and shame the race.)“

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    Einmal editiert, zuletzt von Lilly ()

  • Willa: Aber in den Videos – besonders in der Gefängnisversion – machen die Bilder diese Lyrics komplizierter. Die meisten der Gefangenen sind Schwarz, aber einige sind Weiß oder Indianer oder gehören einer anderen Minderheit an. Die meisten der Wächter sind Weiß, aber einige sind Schwarz. Und ich bin wirklich getroffen von der Tatsache, dass als er wütend wird und den Schlagstock eines Wächters zur Seite schiebt, dieser Wächter ein Schwarzer ist. Das sagt mir, dass der Rassismus, den er bekämpft, wie du sagst, ein Rassismus der Institutionen ist, und er stellt sich jedem entgegen, der diesen institutionellen Rassismus unterstützt, ungeachtet der Tatsache, ob dieser Weiß oder Schwarz ist. Er bewertet Menschen nach ihrer Meinung und nach ihren Taten, nicht nach ihrer Hautfarbe, und das ist eine Botschaft, die er stets sein ganzes Leben lang ausgedrückt hat.


    Da sind auch wochenschauartige Bilder von einigen ziemlich grausamen Gewaltszenen – so grausam, dass MTV sich weigerte, diese Version vor 21 Uhr abends zu zeigen. Und während viele dieser Szenen Bilder des Ku Klux Klan oder Rassengewalt Weiß gegen Schwarz zeigen, gibt es genauso Szenen eines Weißen LKW-Fahrers, der während der Rodney King Unruhen von einem jungen Schwarzen Mann massiv geschlagen wird. Und einige der anschaulichsten Szenen sind Dokumente aus Südostasien. Also nochmal, er bekämpft Rassismus, aber nicht in einer vereinfachten Art und Weise von Schwarz gegen Weiß.


    Und ich denke auch nicht, dass die Lyrics im simplifizierenden Schwarz gegen Weiß gemeint sind. Hier sind jene berüchtigten Lyrics, die so schrecklich missinterpretiert wurden durch einige direkte Menschen wie Steven Spielberg und Louis Farrakhan (die ein merkwürdiges Gespann bilden):


    Schlag mich, hass‘ mich
    Du kannst mich niemals brechen
    Befiehl‘ mir, reg‘ mich auf
    Du kannst mich niemals töten


    Nenn‘ mich Jude, verklag‘ mich
    Ihr setzt mir alle zu
    Tretet mich, verletzt mich
    Mach mich nicht zu Schwarz oder Weiß


    Ganz eindeutig kämpft er gegen Antisemitismus in diesen Lyrics, und ich glaube, deswegen ist es so ärgerlich, dass er deswegen des Antisemitismus bezichtigt wurde. Also hier geht es nicht nur um Rasse. Und als er sich mit Führern im Kampf für Gerechtigkeit identifiziert, sagt er „Wenn Roosevelt leben würde / Würde er dies nicht zulassen“. Das nächste Mal singt er diese Strophe und ersetzt „Roosevelt“ durch „Martin Luther“, und suggeriert damit, dass die Fackel der Bürgerrechte von vielen Händen getragen und weitergereicht wurde, inklusive Franklin Delano Roosevelt ebenso wie Martin Luther King, Jr. Also ich denke, es ist eine Übersimplifizierung, dieses Werk einfach auf Wir gegen Sie zu reduzieren. Wie Michael Jackson selbst sagt „Mach mich nicht zu Schwarz oder Weiß (Don’t you black or white me)“.


    Joe: Genau, Willa. Das ist das, wovon ich denke, dass es so wichtig ist: Michaels kreatives Leben und Arbeiten bedeutet für mich die Überwindung dieser hermetisch abgeschlossenen Gegensätze. Er bietet immer diese wechselnde Spannung. Er schob sein Publikum ständig weiter, sogar in seinen Protest Songs, um zu zeigen, welche verschiedenen Gesichter Unmenschlichkeit, Engstirnigkeit und Ungerechtigkeit haben kann. Er rief nicht nach „Black Power“, um „White Power“ (Weiße Macht) zu ersetzen. Das ist die Art, wie die Bushs und die Farrakhans die Welt sehen. Wir gegen sie. Weiß gegen Schwarz. Christen gegen Muslime. Es ist sehr viel komplexer als das. Malcolm X begann, dies in seinen letzten Jahren zu realisieren; MLK wusste es; Michael Jackson wusste es. Er kannte die Geschichte der Weißen Vorherrschaft in Amerika. Er kannte auch andere Formen von Bigotterie und Grausamkeit, ob es nun gegenüber der Erscheinung, dem Geschlecht, der Sexualität, Klassenzugehörigkeit, Religion, Krankheit oder anderen Unterschieden war. Aber er kämpfte gegen eine solche Diskriminierung durch seine reichhaltige, komplexe, synkretische *) Kunst, nicht durch ideologische Dogmen.


    *) synkretisch: zusammengesetzt; Sykretismus: Vermischung religiöser Ideen der Philosophien zu einem neuen System oder Weltbild


    Link zum The MJ Academia Project: The MJ Academia Project



    herz.gif herz.gif herz.gif

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    Emily Dickinson

  • Zitat

    Und ich denke nicht, dass sie andeuten „er habe heimlich an Versammlungen der Black Panther teilgenommen“ oder irgendetwas Ähnlichem, wie du erwähnt hast, Joe. Ich lese das überhaupt nicht aus den Videos heraus. Für mich ist Michael Jacksons Werk ein unglaublicher Teppich, der Fäden aus vielen verschiedenen Quellen verwebt. Und das erste Academia Project Video beleuchtet einiges der Black Panther Symbolik in seinen Werken und verfolgt ein paar dieser Fäden. Ich denke, das ist faszinierend, und es hilft mir, einen Teil des Teppichs wahrzunehmen, den ich vorher nie betrachtet hatte. Aber ich habe niemals gedacht, dass sie sagen, er sei buchstäblich ein Black Panther gewesen. Ich sehe das einfach nicht.

    ...so hatte ich das auch verstanden. Ich denke, gerade mit Farrakhan muss man aber schon vorsichtig sein, ich hatte auch mal ein video angesehen, was so toll beginnt, wie er über Michael spricht...und irgendwann kippte es, :huch: er instrumentualisierte ihn, er unterstellete ihn seiner eigenen ziemlich radikalen Ideologie, die aber bestimmt nicht die von Michael ist..das hat mich wirklich abgeschreckt...


    ..im blog sind zu diesem Thema des Academia Projects auch ganz interessante Kommentare zu finden...

  • Ähnlich wie bei They Don’t Care About Us denke ich, dass er sich mit den Unterdrückten identifiziert und die Wahrheit ausspricht gegenüber den Mächtigen, ungeachtet der Hautfarbe oder Nationalität.

    So verstehe ich es auch und er nimmt Bezug auf verschiedene Facetten der immer gleichen Herr-Knecht-Auffassung, die Menschen aller Hautfarben und Nationalitäten von der Welt oder der Menschheit als solcher haben (können). Insbesondere unterdrücken wohl ALLE Völker ihre Kinder :peterpan: (vermutlich liegt da die Wurzel des Übels) und es kümmert tatsächlich noch immer zu wenige :thumbdown: (etwa, was künftig für sie von dieser Welt noch übrig bleibt...).

    :herz: Michael Jackson - forever the King of Pop. A genre of music. Mainly, a beautiful human being. :herz:
    es ist, was es ist... sagt die liebe


  • :doppelv:

    Zitat

    ich hatte auch mal ein video angesehen, was so toll beginnt, wie er (Farrakhan) über Michael spricht...und irgendwann kippte es, a045.gif
    er instrumentualisierte ihn, er unterstellete ihn seiner eigenen ziemlich radikalen Ideologie, die aber bestimmt nicht die von Michael ist..das hat mich wirklich abgeschreckt...

    Ich habe den/einen Ausschnitt auch gesehen- entweder nur die Stelle bevor es kippt, oder ich habe es damals nicht wirklich verstanden :-D . (Ich meine es war im Beweise-Th.) Damals hat mich der politische Bezug und wie 'die' Black Community das wahrnimmt, sehr geflasht. I-wie hatte ich vorher eher den Eindruck, dass die Black Community Michael seine äußerlichen Veränderungen und nicht klare politische Stellungnahme übel nahm. Dann zu hören was er 'ihnen' bedeutete und wie sehr er politisch war, fand ich i-wie erstaunlich und eine Erkenntis bezüglich der Tiefschichtigkeit seiner Songs, die mir vorher verborgen blieb.
    Aber Du hast Recht Maja, es ist nicht 'die' community, sondern nur Farrakhan der Michael instrumentalisiert hat und mit den Ideologien für die der Typ steht, sogar missbraucht. Ich finde es unglücklich dass er zu seiner schwersten Zeit nach diesem Strohalm der NOI gegriffen hat und bin froh das T. Mesereau das beendet hat. :gebet: Es war der total 'flasche' Strohhalm (für mich ein Indiz WIE verzweifelt Michael zu der Zeit gewesen sein muss ;( ).
    Es ist auch sehr interessat zu lesen wie Armond White ihn über die Jahre als Künstler wahrgenommen hat und entgegen der bekannten Presse, zwar durchaus kritisch gesehen, aber gewürdigt hat und nicht platt abgeurteilt und abgeschrieben. (Auch wenn ich nicht alles was er so schreibt unterstütze :-D )
    Denn:

    Zitat

    Er schob sein Publikum ständig weiter, sogar in seinen Protest Songs, um zu zeigen, welche verschiedenen Gesichter Unmenschlichkeit, Engstirnigkeit und Ungerechtigkeit haben kann. Er rief nicht nach „Black Power“, um „White Power“ (Weiße Macht) zu ersetzen.Das ist die Art, wie die Bushs und die Farrakhans die Welt sehen. Wir gegen sie. Weiß gegen Schwarz. Christen gegen Muslime. Es ist sehr viel komplexer als das. Malcolm X begann, dies in seinen letzten Jahren zu realisieren; MLK wusste es; Michael Jackson wusste es. Er kannte die Geschichte der Weißen Vorherrschaft in Amerika. Er kannte auch andere Formen von Bigotterie und Grausamkeit, ob es nun gegenüber der Erscheinung, dem Geschlecht, der Sexualität, Klassenzugehörigkeit, Religion, Krankheit oder anderen Unterschieden war. Aber er kämpfte gegen eine solche Diskriminierung durch seine reichhaltige, komplexe, synkretische *) Kunst, nicht durch ideologische Dogmen.

    Zitat

    Und ich bin wirklich getroffen von der Tatsache, dass als er wütend wird und den Schlagstock eines Wächters zur Seite schiebt, dieser Wächter ein Schwarzer ist. Das sagt mir, dass der Rassismus, den er bekämpft, wie du sagst, ein Rassismus der Institutionen ist, und er stellt sich jedem entgegen, der diesen institutionellen Rassismus unterstützt, ungeachtet der Tatsache, ob dieser Weiß oder Schwarz ist. Er bewertet Menschen nach ihrer Meinung und nach ihren Taten, nicht nach ihrer Hautfarbe, und das ist eine Botschaft, die er stets sein ganzes Leben lang ausgedrückt hat.

    Das ist das was ganz klar bleibt und was zählt. :nick:
    Sky* :wave:

  • Ich fühle mich immer, als würde mich jemand beobachten – Teil 1
    I Always Feel Like Somebody’s Watching Me – pt. 1
    15/03/2012


    Willa: Wie wir schon so oft besprochen haben, Joie, war Michael Jackson einfach ein erstaunlicher Künstler – der bedeutendste Künstler unserer Zeit, wie ich glaube. Auch war er eine formende, kulturelle Persönlichkeit, deren Kunst tiefgreifende kulturelle Änderungen mit sich brachte. Durch seine Kunst war er fähig, einige unserer am tiefsten verwurzelten kulturellen Erzählungen zu überarbeiten, besonders Erzählungen über rassenbezogene Unterschiede, und grundlegend zu beeinflussen, wie wir als Volk auf diese Erzählungen reagieren. Als Künstler drückte er sich also nicht nur selbst kreativ aus. Er war auch sehr darauf fokussiert, welche Wirkung seine Kunst auf sein Publikum hatte.


    All dieses hat mich an die vielen Male denken lassen, bei denen er ein Publikum auf der Leinwand in seine Videos eingebunden hat. Manchmal ist dieses Publikum Teil des Ganzen – am berühmtesten sind die zwei sich bekämpfenden Gangs, die sich dem großen Tanzensemble in Beat it anschließen. Andere Male sind sie nur Beobachter, wie die Gangmitglieder in Bad oder die Dorfbewohner in Ghosts oder die Clubmanager in You rock my world. So oder so bin ich getroffen davon, wie oft er uns als Publikum positioniert, so dass wir ihm faktisch über die Schultern eines Leinwandpublikums hinweg zusehen.


    Joie: Das stimmt, Willa; es ist ein Muster, das er oft benutzt. Aber ich bin begeistert von dem, was du gerade über das Bad Video gesagt hast. Die Gangmitglieder, oder Tänzer, nehmen aktiv teil. Aber es sind die drei sogenannten „Freunde“, die einfach da stehen und zusehen. Ich vermute, ich hab‘ sie einfach nicht als Gangmitglieder betrachtet, vielmehr als junge Rabauken, die denken, sie wären böse. Möchtegern-Schlägertypen.


    Willa: Interessant, Joie. Ich habe niemals wirklich vorher darüber nachgedacht, aber du hast Recht. Ich habe die Tänzer auch nicht als Gangmitglieder gesehen. Ich betrachte sie als Tänzer, erfundene Tänzer. Die ganze Tanzsequenz spielt sich in seiner Vorstellung ab. Aber ich neige dazu, die drei Freunde, die den Überfall planen, als Gangmitglieder zu sehen – tatsächlich beziehe ich mich sogar auf sie in der Art – aber du hast Recht, das sind sie nicht. Sie sind nur „junge Rabauken, die denken, sie wären böse“, wie du sagst.


    Und das ist eine wirklich wichtige Unterscheidung, denn der ganze Sinn von Bad besteht darin, neu zu definieren, was es bedeutet „böse“ zu sein, was es genau ist, mit dem sich die drei Freunde herumschlagen. Bedeutet es respektiert zu werden, weil du hart bist – „Möchtegern-Schlägertypen“, wie du sie nanntest? Oder kannst du auch „böse“ auf eine andere Art sein und aus anderen Gründen respektiert werden? Das ist das ausschlaggebende Thema im Zentrum von Bad, und es ist ein hervorragendes Beispiel, das Michael Jackson hier benutzt, um eine kulturelle Geschichte umzuschreiben. Und ich glaube, die Anwesenheit dieser drei Freunde als Leinwandpublikum sind entscheidend, um den Gedanken zu vermitteln.


    Zu Beginn des Films sehen wir die drei Freunde, wie sie dem Hauptcharakter Daryl ihre Definition von „böse“ versuchen aufzuzwingen. Er beginnt mitzuziehen, sogar obwohl er weiß, dass es falsch ist, weil er ihren Respekt will. Aber dann kommt die große Tanzsequenz, in der ihnen eine neue Definition von „böse“ mitteilt. Er offenbart ihnen, dass er ein Künstler ist – ein unglaublicher Sänger und Tänzer, der die Leute durch seine Kunst sowohl herausfordern, als auch bewegen will. Seine Freunde beobachten all dies und schlagen dann ihre Hand in seine ein. Dieser Handschlag ist der Höhepunkt des Films, meiner Meinung nach, denn das ist der Moment, als seine Freunde die äußerst wichtige Entscheidung treffen, seine Neudefinition zu akzeptieren. Also hat er einen völlig neuen Weg gefunden, den Respekt seiner Kumpel zu erlangen – nicht indem er hart ist und belanglose Straftaten begeht, sondern indem er sein Talent und seine Kreativität entwickelt und ausdrückt. Und ich glaube, dass das Leinwandpublikum die Antwort vorwegnimmt, die er sich auch von uns als Publikum wünscht. Er möchte, dass wir die Neudefinition auch akzeptieren, genauso wie es das Leinwandpublikum tut.


    Joie: Das sehe ich genauso; er nimmt das Leinwandpublikum als Modell für das Verhalten, das er von uns als Nichtleinwandpublikum erwartet. Es ist wirklich klassisch Michael Jackson. Ich glaube, in den meisten seiner Short Films war es jedes Mal sein Ziel, dass wir über die Bedeutung rätseln. Wenn du darüber nachdenkst, war in fast jedem Video irgendwo eine Botschaft oder eine Lektion versteckt, und es ist unser Job als Publikum, herauszufinden, worin diese Lektion oder Botschaft besteht. Und in den Videos, die ein Leinwandpublikum haben, können wir normalerweise die beabsichtigte Lektion durch die Beobachtung der Reaktionen dieses Publikums ablesen.


    Willa: Das ist eine interessante Sicht, Joie. Also kann das Leinwandpublikum auch als ein Interpretationswerkzeug gesehen werden, das uns hilft, die Bedeutung des Videos herauszufinden. Das ist wirklich interessant.


    Joie: Es ist interessant, nicht wahr? Weißt du Willa, meine Lieblingsvideos mit einem Leinwandpublikum sind diejenigen, die Konzertmaterial enthalten: Give In to Me, Dirty Diana und Come together. Das sind drei meiner Favoriten und ich denke, das kommt daher, weil Michael auf der Bühne sowieso so elektrisierend zu beobachten war. Also sind diese Videos, die eine Art „inszenierten“ Konzertauftritt auf einer Bühne beinhalten, wirklich interessant zu beobachten für mich. Es ist, als würde er auf einem schmalen Grat wandern zwischen einer Live-Performance und einer geschriebenen Rolle. Ich finde das faszinierend. Ich denke auch, dass es sehr interessant ist, dass diese Konzertvideos diejenigen unter seinen sexiesten sind, und ich denke, dass hat eine Menge damit zu tun, dass er auf der Bühne immer sehr natürlich sexuell war.


    Willa: Oh, das ist ganz meine Meinung! Und das ist eine interessante Unterscheidung zwischen den Mitschnitten aus seinen Livekonzerten und den Konzerten, die als Teil eines Videos „inszeniert“ wurden. Ich habe darüber vorher noch gar nicht nachgedacht. Aber während sie eher subtil sind, kannst du starke Argumente dafür liefern, dass seine Konzertvideos ebenso eine wichtige politische Botschaft haben – eine Botschaft, die noch einmal verstärkt wird durch das Leinwandpublikum. Wie wir schon vorher besprochen haben, war er ein Sexsymbol – das erste Schwarze Teenidol – zu einer Zeit, als von Schwarzen Männer nicht erwartet wurde, in der Öffentlichkeit sexuell aufzutreten. Sie sollten diesen Teil von sich unterdrücken. Und wow, er hat es provoziert!


    Und nochmal, dieses Leinwandpublikum – das eine Menge schreiender, in Ohnmacht fallender, weinender Frauen aller Rassen beinhaltet – stellt für uns ein Modell dafür dar, wie wir reagieren sollen. Wir sollen nicht schockiert sein oder erschrocken oder uns bedroht fühlen durch einen sexy jungen Schwarzen Mann, der sich direkt vor uns sein Shirt aufreißt. Wir sollen die Rassenvorurteile der Vergangenheit beiseitelegen und einfach diesen erstaunlicherweise wunderschönen Körper schätzen. Und das taten wir! Jeder von uns – Schwarz, Weiß, Asiatisch, alle Rassen. Er schrieb die kulturelle Erzählung komplett neu. Genauso wichtig ist, er revidierte auch die emotionale Reaktion, die sowohl Frauen als auch Männer gegenüber dieser kulturellen Erzählung hatten.

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  • Joie: Das stimmt. Und das führt wieder zurück zu dem, was ich gerade gesagt habe darüber, dass es eine versteckte Botschaft oder eine Lektion in jedem Short Film gibt. Und du hast es gerade ausgeführt, ich denke, die Hauptlektion all dieser Performancevideos ist, jene Rassenvorurteile zu durchbrechen und diese spezielle kulturelle Erzählung umzuschreiben.


    Weißt du, Willa, was ich mich frage, denkst du, dass andere Künstler – hauptsächlich heutige populäre Musiker – jemals im Blickfeld haben, wie ihre Musik und ihre Videos, oder sogar ihr Image, nicht nur ein Publikum, sondern die ganze Welt um sie herum beeinflussen? Weil ich denke, dass sich Michael dessen sehr bewusst war, und ich glaube, er konzentrierte sich ganz aktiv darauf, wie du vorher schon sagtest. Aber bei sehr vielen der heutigen Künstler habe ich dieses Gefühl nicht.


    Willa: Oh, ich weiß nicht. Ich denke, einige jüngere Künstler befassen sich sehr leidenschaftlich mit sozialem Wandel, entweder ganz ausdrücklich – wie Will.i.am’s Yes We Can-Video, das Barack Obama während der letzten Präsidentschaftskampagne unterstützt hat – oder eher subtil wie Lady Gagas Born This Way-Video. Ich weiß, wir beide sind hierzu nicht einer Meinung, aber ich sehe ihr Video als direkten Nachfolger von Can You Feel It, sowohl visuell, als auch thematisch. Beide kämpfen gegen die vielen Ausprägungen von Vorurteilen, aber während bei Can You Feel It der Rassismus im Blickfeld steht, fokussiert Born This Way Homophobie und die tiefsitzenden Vorurteile rund um Sexualität.


    Joie: Gut, du hast Recht; wir haben eine völlig unterschiedliche Meinung zu diesem Video, und ich vermute, ich bin direkt darauf zugesteuert. Aber lassen wir Lady Gaga und Will.i.am mal beiseite, ich sehe eine Menge populärer Künstler genau jetzt da draußen, von denen ich denke, dass sie sich keine wirklichen Gedanken darüber machen, wie ihre Musik die Welt beeinflusst. Ich möchte niemandem zu nahe treten, also werde ich nicht diejenigen nennen, die mir sofort einfallen … aber du weißt, was ich sagen will, stimmt’s?


    Willa: Ich vermute ja, obwohl du so viel mehr als ich über derzeitige Musik weißt. Sehr viel mehr. Ich bin da völlig raus. Aber Künstler entwickeln sich mit der Zeit, also speziell bei jungen Künstlern vermute ich, dass ich einfach warten werde und sehen, was passiert. Michael Jackson wurde offensichtlicher politisch mit der Zeit, und das wird bei ihnen vielleicht auch so sein. Und während ich Werke wie Earth Song liebe, das sowohl bewegend, als auch bedeutungsvoll ist, kann ich auch immer noch eine gute Performance wie Rock with you genießen, einfach nur wegen seiner Musik und seiner Stimme und seinem Tanz – und ich weiß genau, dass wir beide bei diesem Video gleicher Meinung sind!


    Joie: Oh man, nur die Erwähnung dieses Videos verwirrt mich so, dass du es kaum glauben wirst! Das einzige andere Video, das mich auf diese Art berührt, ist Blood on the Dance Floor, aber ich schweife mal wieder vom Thema ab!


    Du weißt, eine andere Sache, die ich an den Performance Videos oder an Konzertfilmen liebe, ist das Getöse der Menge. Es ist so anders, als wenn man eigentliches Konzertmaterial anschaut. Wie in Another part of me sind die Aufnahmen der Menge viel ungestellter und „real“, denn wir beobachten ein tatsächliches Publikum, das gerade ein wirkliches Michael Jackson Konzert erlebt. In den anderen drei Performance Videos – Give In to Me, Dirty Diana und Come together – ist das Publikumserlebnis weniger authentisch, sehr viel mehr vorbereitet, aber immer noch mindestens genauso interessant für das Nichtleinwandpublikum. Aber was alle vier dieser Konzertfilme gemeinsam haben, ist das ehrfurchtgebietende Getöse der Menge. Ich finde, es ist wirklich interessant, dass alle vier Filme grundsätzlich auf die gleiche Art enden. Ungeachtet dessen, was auf der Bühne passiert, die jubelnde Menge kann über das Ende hinaus gehört werden. Die einzige Ausnahme ist bei Give In to Me, bei dem das Getöse der Menge in den Drum Rhythmus des Songs ganz am Ende übergeht.


    Willa: Das ist ein interessanter Punkt, und wir verlassen Give In to Me mit einem ganz anderen Gefühl deswegen, denke ich – auf gewisse Art etwas unheimlich und verwirrend. Weißt du, jetzt wo wir über laute Menge am Ende dieser Videos sprechen, erinnert mich das daran, dass Beat it auf dieselbe Art endet. Wir sehen Beat it immer nicht als einen Konzertfilm, weil er erzählend ist: Er erzählt eine Geschichte und wir sind in der Geschichte gefangen und neigen dazu, zu vergessen, dass es eine Performance für ein Publikum ist. Aber ganz am Ende des Videos, als der Konflikt gelöst ist und alle Gangmitglieder tanzen, fährt die Kamera zurück und wir sehen, dass sie auf einer Bühne sind, und wir hören das Publikum kreischen und klatschen.


    Joie: Stimmt, Willa. Ich habe daran gar nicht gedacht, aber das stimmt. Wir sehen das Leinwandpublikum nicht wirklich, aber hören es ganz am Ende des Videos. Eine wirklich interessante Perspektive für ein Ende, findest du das nicht auch?


    Willa: Es ist sehr interessant, ich denke, weil es umgestaltet, was wir gerade gesehen haben. Es war gar nicht dafür gedacht, als Szene aus dem wirklichen Leben interpretiert zu werden – eine Fehlinterpretation, auf die viele Kritiker hereingefallen sind, als sie es „naiv“ und „unrealistisch“ bezeichneten – sondern als inszenierte Performance, und das ändert, wie wir es interpretieren sollen. Die Geschichte, deren Zeuge wir waren, sollte gar nicht als realistisch oder als Live Act gesehen werden, sondern als eine Geschichte – eine moralische Erzählung – dies ist bewusst so für uns kreiert worden, und die Leute, die wir dabei beobachtet haben, sind gar keine Gangmitglieder, sondern Tänzer und Künstler. Indem er dieses Video auf diese Art mit einem auf ihre Performance reagierenden Publikum enden lässt, betont er, dass dies ein Kunstwerk ist, und er fordert uns damit auf, darüber als Kunst mit einem Zweck und einer Botschaft nachzudenken.

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    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Joie: Außer, dass die Leute, die wir gesehen haben, in Wirklichkeit Gangmitglieder sind; vergiss das nicht.


    Willa: Oh ja, das stimmt!


    Joie: Es ist wahr, dass da über 20 professionelle Tänzer dabei waren, viele von ihnen spielen eine wichtige Rolle in dem Video, aber viele von ihnen, die als Statisten im Hintergrund den „Kampf“ beobachten, waren tatsächliche Mitglieder der Crips und der Bloods – zweier berüchtigter, rivalisierender Street Gangs aus Los Angeles, und die Location, in der das Video wegen höherer Authentizität gedreht wurde, war eine berüchtigte Gegend. Obwohl also dieser spezielle Kampf extra für uns als „Performance“ dargestellt wurde, stellten diese zwei Gangs einen sehr realen Konflikt nach, in den sie bereits seit vielen, vielen Jahren eingebunden waren. Ich finde das wirklich interessant, denn vielleicht ist dieses Wissen Teil der Botschaft oder die versteckte Lektion in diesem Short Film. Durch den Einsatz des lauten unsichtbaren Publikums am Schluss zwingt er uns dazu, dies als reine Darstellung zu sehen, wie du sagst. Aber indem er reale Gangmitglieder mit sozusagen ihrem natürlichen Verhalten einsetzt, zwingt er uns dazu, zu realisieren, dass diese Art Konflikte im „wirklichen Leben“ tatsächlich überall in den Städten im ganzen Land vorkommen.


    Willa: Das ist ein ausgezeichneter Punkt – es ist, als würde er wirklich auf der Leinwand nachstellen, was er gerne im realen Leben sehen würde, sowohl für jene von uns, die diese Performance ansehen, als auch für die Gangmitglieder, die daran teilnehmen. Jene Gangmitglieder haben wirklich mit den gegnerischen Gangmitgliedern zusammengearbeitet, um diesen Film mitzugestalten, also wird die Botschaft des Films noch einmal auf einem anderen Level dargestellt.


    Joie: Das ist so wahr, und diese zwei rivalisierenden Gangs haben wirklich einen temporären Waffenstillstand für ihren Konflikt ausgerufen, so dass sie an den Filmaufnahmen für dieses Video teilnehmen konnten. In der Tat sagte der Regisseur des Videos, Bob Giraldi, einmal in einem Interview http://www.boardsmag.com/artic…090707/giraldibeatit.html , dass er dachte, die Idee, wirkliche Gangmitglieder zu nutzen sei verrückt, aber Michael sei unerbittlich deswegen gewesen und suche immer nach Wegen, wie er Frieden stiften könne. Also wollte er offensichtlich diesen Kurzfilm dafür nutzen, den Gangmitgliedern zu zeigen, dass Kämpfen nicht der einzige Weg ist und dass sie zusammenarbeiten könnten, wenn sie es wirklich wollten. Ich denke, das ist Genialität.


    Willa: Das ist es wirklich, und ich empfinde das besonders, nachdem ich dieses Interview gelesen habe. Das ist faszinierend. Ich habe das bisher nicht gelesen, aber ich liebe die Stelle, wo der Interviewer fragt „Wie habt ihr die echten Gangmitglieder gecastet?“ und Bob Giraldi sagt:


    Es war Michael. Er ging nach draußen und ging sie alle durch, und ich vermute, die für Gangs zuständige Abteilung des LAPD (Los Angeles Police Department) und er versicherten ihnen, dass dies mit ausreichender Polizeipräsenz eine kluge und wohltätige Sache sei; sie dorthin zu bringen, damit sie einander mögen (lernen) und für zwei Tage miteinander rumhängen während des Videodrehs. Ich mochte den Gedanken nicht, denn es war schwer genug, Schauspieler und Tänzer zu führen, ganz zu schweigen von Gangstern.


    Kannst du dir vorstellen, Ärger zu haben mit der Gangabteilung des LAPD und nicht zu wissen, was als nächstes passiert, und dann kommt jemand herein und fragt, ob du in einem Michael Jackson Video mitspielen willst? Wie surreal ist das? Es ist aber auch ein sehr Michael-Jackson-typisches Szenario, Gangmitglieder zu haben, die Schauspieler darstellen, die Gangmitglieder spielen. Wir sehen diese lustigen Arten von loopingartigen Verdrehungen während seines ganzen Werks, besonders bei Vorstellungen von Identität. Und es auch sehr üblich bei ihm, die Illusion der Realität zu durchbrechen wie er es am Schluss von Beat it macht und uns zeigt, dass alles nur eine Performance war.


    Joie: Du hast Recht, Willa; das ist etwas, das wir von ihm bei mehr als einer Gelegenheit sehen. Und nächste Woche schauen wir uns einige weitere Beispiele dieses Tricks in seinen Werken an.


    Willa: Stimmt. Wir machen weiter und sehen, wie er ein Leinwandpublikum in einigen seiner späteren Videos nutzt. Es ist ein erzählerisches Mittel, das er oft in seinen Werken einsetzt, wie du sagst, aber ich denke, es auch noch mehr als das. Wie wir in diesen Videos mit einem Leinwandpublikum erkennen, sind seine Werke nicht einfach nur Kunst. Es ist Meta-Kunst. Es ist Kunst über Kunst. Sein Werk ist sehr selbstreflektierend – das ist eines der Dinge, das so faszinierend daran ist – und durch seine Videos, ganz besonders, erzählt er von der Funktion von Kunst und ihre Fähigkeit, ein Publikum zu beeinflussen und es (und uns) vielleicht dazu zu bringen, Dinge auf eine andere Art zu sehen. Ich glaube, Michael Jackson erschuf nicht nur einfach Kunst; er kreierte eine neue Poetik im Sinne der Bedeutung einer neuen Theorie über Kunst als Mittel, um Wahrnehmung zu verändern und weitreichenden sozialen Wandel hervorzubringen. Und wir können ihn bei der Formung dieses Prozesses durch sein Leinwandpublikum beobachten.



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  • Ich fühle mich immer, als würde mich jemand beobachten – Teil 2
    I Always Feel Like Somebody’s Watching Me – pt. 2
    21/03/2012


    Joie: In der vergangenen Woche haben wir eine Diskussion begonnen über Michaels regelmäßige Einbeziehung eines Leinwandpublikums in viele seiner Kurzfilme und wie er dieses Leinwandpublikum nutzte, um eine gewisse Stimmung zu vermitteln oder um uns ein Verhalten vorzugeben, das er sich von uns, dem Nichtleinwandpublikum, wünschte. Und während unserer Diskussion waren Willa und ich sehr überrascht, herauszufinden, dass da so viele Grundlagen gibt, die man über dieses Thema berichten kann. So viele eigentlich, dass wir keine andere Wahl hatten, als dies in zwei Posts aufzuteilen.


    Also möchten wir diese Woche weitermachen und da anknüpfen, wo wir mit unserer Unterhaltung aufgehört haben darüber, wie oft Michael die Illusion der Realität in seinen Videos durchbrochen hat, so wie wir herausgefunden hatten, wie er es in Beat it tat. Die Tänzer machen ihre Sache, während die Gangmitglieder zusehen und dann fährt die Kamera zurück, um zu enthüllen, dass sie tatsächlich nur auf einer Bühne stehen, und wir hören die Geräusche des unsichtbaren Leinwandpublikums, das deutlich macht, dass es sich hierbei um einen Bühnenauftritt gehandelt hat.


    Willa: Genau Joie, und er tut dies in einer Menge seiner Werke, sogar wenn es gar kein Leinwandpublikum gibt. Er möchte uns hineinziehen – in eine Geschichte oder eine Erfahrung eintauchen lassen – und uns dann daran erinnern, dass es nur eine Performance ist. Black or White ist vielleicht das beste Beispiel. Er bricht ständig die Illusion der Realität in diesem Video: Nach fast jeder Szene enthüllt er, dass sie auf einer Klangbühne gedreht wurde. Und in der großen Unterbrechung in der Mitte – bevor die Panther Szene beginnt – fährt die Kamera wieder zurück, um uns die Filmcrew zu zeigen und wie der Regisseur ins Bild kommt, um mit der Schauspielerin zu reden, die uns etwas gezeigt hat. Wir sollen nicht vergessen, dass dies eine Darstellung ist.


    In Remember the Time wird er noch deutlicher bei der Betonung, dass er ein Darsteller ist. Eigentlich konzentriert sich die Handlung ganz und gar auf das Verhältnis zwischen dem Darsteller und seinem Publikum. Ein ägyptisches königliches Paar langweilt sich und möchte unterhalten werden, aber sie sind skrupellos gegenüber denen, die versuchen sie zu erfreuen. Ein armer Entertainer wird geköpft; ein anderer wird den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Also wird ganz deutlich, wenn du als Performer überleben willst, musst du dein Publikum erfreuen. Michael Jackson gelingt es in seiner Rolle, die Königin zu erfreuen – und wie er es regelmäßig in seinen Werken tut, stellt er die Beziehung zwischen sich und seinem Publikum, der Königin, als Liebesbeziehung dar. Aber während die Königin zufrieden ist, ist es der König nicht. Er wendet sich sogar gegen Michael Jackson in seiner Rolle, gerade weil die Königin so angetan von ihm ist. Ganz klar, das Leben eines Performers ist nicht gerade leicht.


    Joie: Das ist interessant, Willa. Ich habe noch nie bei Remember the Time in Hinsicht eines Leinwandpublikums gedacht, aber ich finde, es passt. Der König und die Königin sehen sich verschiedene Performer an, suchen nach jemandem, der sie unterhält, also sind sie hier in der Tat das Publikum!


    Willa: Das sind sie, und sie sind nicht gerade ein sehr liebevolles Publikum – zumindest nicht ganz. Seine Beziehung mit seinem Leinwandpublikum ist ziemlich kompliziert, genau wie seine Beziehung mit der realen Öffentlichkeit wirklich kompliziert war. Wir haben hier zwei verschiedene Elemente seines Publikums – dargestellt durch den König und die Königin – die auf sehr unterschiedliche Arten auf seinen Auftritt reagieren, und jeder für sich ist durch einen komplexen Mix von Emotionen motiviert. Die Königin langweilt sich und verfällt ihm, weil sein Auftritt sie amüsiert, aber sie ist unberechenbar. Sie könnte leicht ihre Meinung ändern. Der König ist ebenfalls anfänglich von seiner Performance angezogen, aber dann beobachtet er, wie die Königin reagiert und wendet sich gegen ihn.


    Und natürlich passierte etwas sehr Ähnliches ebenso außerhalb der Leinwand mit dem Publikum. Michael Jackson erschien zuerst als dieses süße kleine Energiebündel singend und tanzend mit den Jackson 5, und eine Menge Leute waren von der puren Freude daran gefesselt. Und dann wurde sein Ruhm immer größer und größer mit Off the Wall und natürlich Thriller, und ein großer Teil der Bevölkerung war komplett vernarrt in ihn – wie die Königin. Aber zur selben Zeit begannen die Kritiker, sich gegen ihn zu wenden – so wie der König – und die Hasser tauchten plötzlich auf, gemeinsam mit den Leuten, die einfach zu cool waren, um jemand so Populären zu mögen.


    Ich weiß nicht, ob du Freunde wie diese hast, Joie, aber ich kenne Leute, die äußern sich überschwänglich über einige neue unentdeckte Talente, und dann wenden sie sich gegen sie, wenn sie zu populär geworden sind. Ich habe Freunde, die liebten REM, als sie in kleinen Clubs in Athens, Georgia spielten, verloren dann aber das Interesse, sobald sie einen großen Namen hatten. Sie liebten Bruce Springsteen, als er noch ein dürres Kind aus New Jersey war, schüttelten dann aber den Kopf und sagten, er hätte sich irgendwie „ausverkauft“, als er Muskeln aufgebaut hatte und als Stimme der Arbeiterklasse bekannt wurde.


    Joie: Yeah, ich kenne solche Leute. Einen ganz besonders, der die Band Journey mochte, als sie noch nicht erfolgreich waren. Aber ab der Minute, in der sie Steve Perry als Leadsänger anheuerten und die Gruppe plötzlich Hits hatte, mochte er sie plötzlich nicht mehr. Sie waren zu populär, zu „kommerziell“. Ich verstehe so etwas überhaupt nicht.


    Willa: Ich verstehe das auch nicht – Künstler sind nachdem sie populär werden genauso talentiert wie vorher – aber ich sehe diese Geschichte immer und immer wieder: mit Charlie Chaplin und Elvis und Barbra Streisand und The Beatles, und nun mit Justin Bieber. Und ich sehe Michael Jackson, der dieses Phänomen in Remember the Time untersucht. Also macht er dieses Mal etwas ein wenig anders mit seinem Leinwandpublikum. Er führt uns nicht vor, wie er möchte, dass wir reagieren. Stattdessen reflektiert er unsere Emotionen, so dass wir gezwungen sind, sie anzusehen und über sie nachzudenken, auf einer bewussten Ebene.

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  • Joie: Hmm. Ich hätte niemals diese Verbindung hergestellt oder davon auf diese Weise gedacht. Aber wie ich schon sagte, ich habe überhaupt noch nie jemals über Remember the Time gedacht, dass es ein Leinwandpublikum beinhalten könnte, also das verschlägt mir die Sprache. Du hast mir gerade einen völlig neuen Weg gezeigt, wie man über diesen Short Film denken kann.


    Aber weißt du, es gibt noch einige andere Videos, von denen ich vorher auch niemals gedacht habe, sie hätten ein Leinwandpublikum. Eins davon ist You Rock My World. Aber ich vermute, du sagst, dass die Clubbesitzer und Clubmanager in diesem Fall das Publikum sind. Übrigens übernimmt er es selbst, in diesem Video auf die Bühne zu gehen. Sie haben ihn nicht danach gefragt, ob er auftritt. Eigentlich sehen die Clubmanager eher so aus, als wollten sie ihn töten in der Minute, als er den Laden betritt, also wollen sie ihn nicht auf der Bühne. Aber er betritt sie einfach und liefert trotzdem einen spontanen Auftritt ab.


    Willa: Das ist interessant, Joie, und es stellt auf interessante Arten Verbindungen zurück zu Remember the Time her. Ich habe bisher nicht über diese beiden Videos im Vergleich nachgedacht, aber es gibt einige markante Parallelen zwischen ihnen. Wie wir im letzten Herbst schon besprochen haben, scheinen die Clubmanager und Clubbesitzer in You rock my world die Manager und den CEO von Sony zu repräsentieren, während die Stammkunden – besonders die Angebetete im grünen Kleid – die Öffentlichkeit zu repräsentieren scheinen. Und beide Gruppen beobachten ihn, als er auftritt.


    Also hat er, wie in Remember the Time, ein geteiltes Publikum. Die Angebetete fühlt sich zum Performer hingezogen, genau wie die Königin in Remember the Time, und die Clubmanager fühlen sich dadurch sehr bedroht, genau wie der König. Die Clubmanager benehmen sich, als würde die Frau ihnen gehören, und als sie sehen, dass sie sich von seinem Auftritt angezogen fühlt, beginnen sie ihn zu schikanieren und zu verspotten, indem sie sagen „Das war alles? Das ist alles, was du hast? Das ist gar nichts. Du bist gar nichts. Komm schon, großer Mann, zeig mir alles, was du kannst.“ Und das hebt einen wichtigen Unterschied zwischen diesen zwei Videos hervor. Während der König sein Talent zu respektieren scheint, sogar obwohl er sich dadurch bedroht fühlt, tun dies der Clubbesitzer und die –manager nicht – was sehr aussagekräftig ist, wenn sie wirklich das Sony Management zu jener Zeit darstellen sollen.


    Joie: Das sind augenöffnende Beobachtungen, Willa. Ich habe niemals vorher diese Parallelen zwischen den zwei Videos gezogen.


    Willa: Habe ich auch nicht, bis du You rock my world erwähnt hast, während ich immer noch an Remember the Time gedacht habe. Aber ich erkenne, warum das eine dich an das andere erinnert hat, denn in Hinsicht auf das Leinwandpublikum sind sie sich wirklich sehr ähnlich.


    Joie: Yeah, es ist interessant, wie meine Gedanken die Verbindung im Unterbewusstsein hergestellt haben, nicht wahr? Weißt du, ein weiteres Video, bei dem ich niemals an ein Leinwandpublikum gedacht habe, bevor ich M Poetica gelesen hatte und vor unseren anschließenden Unterhaltungen darüber ist The way you make me feel, aber du erklärst, wie die Gruppe von Typen an der Straßenecke redet und sogar die Gruppe Mädchen auf der gegenüberliegenden Straßenseite den Protagonisten beobachtet, wie er versucht, das Objekt seiner Zuneigung dazu bringen kann, mit ihm zu sprechen. Sie alle werden zu seinem Publikum ebenso wie zu seiner Anfeuerungsgruppe.


    Willa: Oh, The way you make me feel ist einfach faszinierend für mich! Da geht so viel vor sich in diesem Video. Und du hast Recht, die Leute auf der Straße feuern ihn an, als er die wunderschöne junge Frau zu beeindrucken versucht, aber genauso beurteilen sie ihn auch. Es ist wirklich interessant, wie er das alles aufgebaut hat. Und dann, als er einmal anfängt, Verbindung zu der jungen Frau aufzunehmen und sich um sie zu kümmern, fühlt er sich ziemlich unwohl dabei, all diese Augen auf sich gerichtet zu sehen, während sie ihn dabei beobachten, wie er versucht, eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Es ist alles so öffentlich, und er wünscht sich mehr Ungestörtheit. Er singt „Das geht niemanden etwas an außer mich und My Baby“. Also gibt es in diesem Fall ein Leinwandpublikum, das mehrere verschiedene Funktionen zu erfüllen hat, und eine davon ist, zu zeigen, wie aufdringlich es sich anfühlt, ein Publikum zu haben, wenn du dir einen privaten Moment wünschst.


    Joie: Es fühlt sich zeitweise sehr aufdringlich an, sogar für uns – das Nichtleinwandpublikum – wenn wir ihn dabei beobachten, wie er das Mädchen umwirbt. Wir atmen regelrecht leichter, als er sie schließlich auf eine Art private Veranda lockt, so dass sie da sitzen und für sich sein können. Aber das ist nur für einen kurzen Moment so, denn sie läuft ihm wieder davon. Und dann gibt es diese Spannung, die wir spüren, als er sich seinen Freunden im Schatten anschließt und diesen sehr ursprünglichen Tanz für sie tanzt, und da ist ein kleines bisschen Unbehaglichkeit dabei, wieder einmal, denn es ist nicht so privat, wie es sein sollte.


    Willa: Das ist richtig – ich habe wirklich das Gefühl, dass er sich wünscht, seine Beziehung zu ihr könnte vertraut und privat sein, also verschwindet er. Und dann, als sie nach ihm sucht, kommt das Leinwandpublikum nicht nur ungelegen. Es wirkt bedrohlich. Wir sehen eine Reihe männlicher Gesichter, die uns direkt anstarren – er platziert uns in ihre Position (die der Frau), so dass wir erleben, was sie erlebt – und alle diese männlichen Gesichter starren uns direkt an. Es ist sehr verunsichernd, denke ich. Sogar das Gesicht des Polizisten wirkt bedrohlich.


    Joie: Und dann atmen wir – das Nichtleinwandpublikum – am Ende einen kollektiven Stoßseufzer der Erleichterung aus, als sie ihn in ihre Arme schließt.


    Willa: Ganz genau. Und ich denke, es ist von großer Bedeutung, dass das Leinwandpublikum zu diesem Zeitpunkt gegangen ist.


    Joie: Oh, diese Verbindung habe ich vorher nie hergestellt. Du hast Recht! Dies ist ein sehr interessanter Einsatz des Leinwandpublikums, denke ich, weil er es benutzt, um die Spannung während des ganzen Films zu anzufachen.


    Willa: Oh, ich liebe das! Ich habe daran nicht ganz so in der Art gedacht, Joie, aber ich denke, du hast Recht – ich denke, das Leinwandpublikum „heizt die Anspannung an“ in diesem Video.


    Joie: Im Kontrast dazu nutzt er das Leinwandpublikum in einem anderen Short Film Say, Say, Say mit Paul McCartney auf genau gegensätzliche Weise – um ein Gefühl de Unbeschwertheit zu vermitteln.In diesem Video gibt es mehrere verschiedene Formen eines Leinwandpublikums, und jedes von ihnen unterstützt auf seine Art das Gefühl des Wohlwollens und der Unbeschwertheit. Das erste ist eine Menge von Zuschauern, die offensichtlich vom „Mac und Jack“ Zaubertrank über’s Ohr gehauen wurde. Nur dass sie nicht wissen, über’s Ohr gehauen worden zu sein, also fühlen sie sich alle glücklich und aufgeregt wegen dieses neuen Produktes. Das zweite Leinwandpublikum, das wir hier sehen, ist eine Gruppe von Kindern und Arbeitern des Kinderheims, für das der Erlös des Wundertrankbetruges bestimmt ist. Unser Hauptdarsteller springt vom Wagen und „Mac“ und seine Frau – die Erwachsenen, die sich um das Geschäft kümmern – händigen den Arbeitern des Kinderheims das Geld aus, während „Jack“ – Michaels Rolle – sofort die Kinder um sich versammelt; sie folgen ihm, direkt als er vom Wagen gesprungen ist, wie dem Rattenfänger. Die Arbeiter sind natürlich erfreut über das Geld, während die Kinder sich freuen über „Jacks“ Anwesenheit; er unterhält sie, balanciert auf dem Zaun, tanzt für sie herum. Am Schluss dieser kleinen Aufführung für die Kinder verbeugt er sich sogar – um herauszustellen, dass dies eine Performance war. Dann springen sie zurück auf den Truck, und so schnell, wie sie gekommen sind, fahren sie auch schon wieder weiter.


    Das letzte Leinwandpublikum, das wir in diesem Video sehen können, ist die Menge, die im Saloon sitzt und der „Mac and Jack“ Vaudeville Show zusieht. Diese Show ist voll von so viel Spaß und Humor, dass die zuschauende Menge nicht anders kann, als amüsiert zu sein von ihren Possen, und wir – das Nichtleinwandpublikum – können ebenfalls nicht anders, als zu lächeln, wenn wir es sehen.

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