Dancing With The Elephant

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  • Joie: Es ist zweifellos mein Lieblingsartikel in dem Buch. Ich liebe die Art und Weise, wie du ohne Anstrengung die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den beiden aufzeigst. Du schreibst:


    „Michael Jackson, die prägende Popikone der 80er, kreierte unterdessen mit Dangerous ein Album, das so viel – oder wenig – mit Pop zu tun hat wie Nevermind. Die stilistischen Unterschiede sind offensichtlich genug. Nevermind ist im Punk Rock und Grunge verwurzelt, während Dangerous in erster Linie auf R&B und New Jack Swing basiert. Jedoch führten beide grobkörnige, neue Klänge beim Massenpublikum, das müde vom Glanz der 80er war, ein – Jacksons war urban, industriell, von der Straße beeinflusst, während Nirvanas rauer, schmuddeliger Garagenrock war. Jackson und Cobain kultivierten auch ihr Image als „Outsider“ (Außenseiter) – verwundete, empfindsame Seelen, die im Widerspruch zu der korrupten Welt um sie herum standen. Sowohl Nevermind, als auch Dangerous sind versetzt mit einem ähnlichen Gefühl der Angst und Entfremdung, mit vielen Songs, die als eine Art bekennende Dichtung funktioniert. Vergleiche Cobains Lyrics von Lithium – Ich bin so glücklich / Denn heute fand ich meine Freunde / Sie sind in meinem Kopf (I’m so happy / Cause today I found my friends / They’re in my head) – mit Jacksons aus Who Is It – Ich bin verdammt / Ich bin der Tote / Ich bin die Qual in diesem sterbenden Kopf (I am the dammed / I am the dead / I am the agony inside this dying head).“


    Dann machst du weiter und vergleichst den Black or White Short Film mit dem Smells Like Teen Spirit Video, wobei du herausstellst, dass es ungefährlich war, nicht bedrohlich gegenüber Jacksons, dessen Video für umtriebig gehalten wurde:


    „Ironischerweise war es der ‚Establishment Popstar‘, nicht die Außenseiter Grunge Band, dessen Musikvideo zensiert wurde, nachdem die Öffentlichkeit aufgeschrien hatte wegen des kontroversen Schlussteils. Smells Like Teen Spirit unterdessen hatte so hohe Drehzahlen, da es nur ein überschwängliches Lob auf MTV benötigte, so dass sie eine „komplette neue Generation als Käufer gewonnen hatten“.


    Oberflächlich gesehen schienen sie solch vollkommen gegensätzliche Instanzen zu sein; ich glaube nicht, dass irgendjemand über diesen Punkt streiten würde. Michael Jackson und Nirvana konnten nicht weiter voneinander entfernt sein, musikalisch gesehen. Aber trotzdem findet man eine Verbindung zwischen den beiden, und es funktioniert. Ich bin neugierig, sind dir diese Gemeinsamkeiten zwischen Dangerous und Nevermind sofort ins Auge gesprungen?


    Joe: Vielen Dank für die freundlichen Worte über dieses Stück. Es hat Spaß gemacht, das zu schreiben. 1991 war wahrscheinlich das aufregendste Jahr für mich in Bezug auf Musik. Vor 1991 hörte ich meistens Songs aus dem Radio oder die Alben meiner Eltern. Ich hatte eine kleine Sammlung von eigenen Kassettenaufnahmen. Aber 1991 war das Jahr, in dem ich besessen wurde von Musik, und es war der Beginn meiner lebenslangen Faszination von Michael Jackson. Ich erinnere mich genau an all diese großen Alben, die herauskamen – Dangerous, Achtung Baby, Use Your Illusion, Cooleyhighharmony, Diamonds and Pearls, Ten, Nevermind – und ich liebte jedes von ihnen. Ich kann mich immer noch lebhaft erinnern, wie es war, dies alles in meinem örtlichen Plattenladen zu kaufen und es dann zu öffnen – das Gefühl der Entdeckung und Aufregung, der Geruch des Begleitheftes, die Erwartung, sie endlich in die Stereoanlage einzulegen. Mein Bruder und ich sparten monatelang Geld, um eine Boombox (Ghettoblaster) für 50 Dollar zu kaufen. Und das war eine ganz andere Erfahrung damals, denn wir saßen dann nur in unserem Zimmer ohne irgendeine Ablenkung und hörten zu. Ich erinnere mich, das Dangerous Album bekommen zu haben und wieder und wieder Black or White gehört zu haben.


    Aber was mich irgendwie immer beunruhigt ist, dass sogar damals, 1991, als ich ein Kind war, Michael Jackson zu mögen als seltsam angesehen wurde. Alle meine Freunde standen auf Rock und Grunge – was ich ebenfalls mochte. Aber wenn man auf Michael Jackson zu sprechen kam, dann hatten sie das Gefühl, er wäre ein Freak oder zu feminin oder „schwul“. Für mich jedoch, aus welchen Gründen auch immer, war es so, dass ich sogar damals etwas Ähnliches zwischen Jackson und Cobain hören und sehen konnte. Sie kamen aus ganz unterschiedlichen Richtungen, aber da war diese Verwundbarkeit an ihnen. Wenn man mal die ganzen Images und das Marketing und das Gruppendenken, das populäre Musik oft umgibt, außer Acht lässt, dann sind da einige bemerkenswerte Ähnlichkeiten in dem, was sie ausdrücken. Bei all diesem Unsinn über Jackson, er sei bloß ein Popstar oder Entertainer, hatte ich das Gefühl, dass das, was ich an Tiefe und Breite auf Dangerous hörte, dem keine Rechnung trug. Natürlich konnte ich das zu jener Zeit noch nicht wirklich artikulieren. Aber mit den Jahren, als ich Musikkritiker erlebte, die Nirvana großzügig lobten und Michael Jackson ablehnten und diese sehr vereinfachten Behauptungen darüber aufstellten, Nevermind würde das Ende für Jackson und alles, wofür er stand, sein, da dachte ich immer, gut, wartet eine Minute – lasst uns das analysieren: Vielleicht sind die Künstler und Alben nicht genau das, was die populäre Mythologie vorschlägt. Also war es wirklich ein Versuch, ihre historischen (und geschmacksbezogenen) Rollen neu zu bewerten.


    Willa: Das ist so interessant, Joe, denn ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Ich habe Michael Jacksons Musik geliebt, seit ich neun Jahre alt war, und ich fühlte einfach Dinge in seinen Songs, die ich nicht in Worte fassen konnte. Es brauchte Jahre – etwa 20 Jahre – bevor ich zu verstehen begann und es in Worte fassen konnte, was so unwiderstehlich für mich war.


    Und Joie hat Recht – dein Nirvana Artikel ist faszinierend, besonders wie er uns zwingt wirklich darüber nachzudenken, was es bedeutet, kulturelle Normen zu hinterfragen. Wer forderte wirklich das System auf seiner tiefsten Ebene heraus: der „düstere“ Grunge Rocker oder der „harmlose, nicht-bedrohliche“ Popstar? Wie du in deinem Artikel zeigst, Joe, kann Wahrnehmung sehr irreführend sein. Und ich will Kurt Cobain in keinster Weise irgendwie verleumden. Vielmehr rede ich über die von dir so gut beleuchteten Unterschiede darüber, wie jeder von den beiden wahrgenommen wurde.


    Ich bin auch fasziniert davon, dass deine Freunde Michael Jackson als „Freak oder zu feminin oder ‚schwul’“ abgewiesen haben, denn ich hatte lange Zeit das Gefühl, dass die Herausforderung sozialer Normen über Geschlechterrollen und Sexualität die am meisten grenzüberschreitende Sache war, die Michael Jackson jemals getan hat. Weißt du, es gibt eine Menge Rockstars, die Make-up und Kleidung auf eine androgyne Weise tragen, aber dann wieder eine Art von Über-Maskulinität zum Ausdruck bringen, sogar Frauenfeindlichkeit, durch ihre Lyrics und ihr persönliches Leben, das uns alle wissen lassen soll, dass wir es hier mit richtigen Männern zu haben. Wir können es im Punk Rock über Heavy Metal bis zu Hip Hop erkennen. Es ist, als wollten sie sagen: Es ist okay, mit Geschlechterstereotypen ein bisschen zu spielen, wenn du am Ende des Tages mit einem Haufen Groupies schläfst oder Frauen „Bitches“ nennst und beweist, dass du im Herzen ein wirklicher Mann bist.


    Michael Jackson hat das nie getan. Er hat grundlegend in Frage gestellt, was es bedeutet „ein Mann zu sein“, wie er es in Beat it und Bad bespricht, und er weigerte sich, sein Anderssein auf „angemessene“ Weise auszudrücken. Er war nicht „angemessen“ heterosexuell oder angemessen schwul oder angemessen maskulin oder feminin oder ordnungsgemäß Schwarz oder Weiß. Und er zahlte einen riesengroßen Preis dafür. Das liefert starke Argumente dafür, dass das der Grund ist, warum die Belästigungsvorwürfe „an ihm haften geblieben“ sind – weil er die Normen für Geschlechterrollen und Sexualität herausgefordert hat. Und niemand hat ihn verteidigt, von den eigenartigen Theorietypen zur Linken über die Baptisten aus dem Süden zur Rechten bis zu jedermann dazwischen. Er hatte keine andere Anhängerschaft als seine Fans, weil er sich weigerte, sich in ordentliche vorgefertigte Kategorien einzupassen, die für die Identitätspolitik jedes Schlags akzeptabel waren.

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    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Joe: Ich stimme vollkommen mit dir überein, Willa. Das ist Teil von dem, was James Baldwin aussagt in seinem Essay Freaks and the American Ideal of Manhood. Michael weigerte sich, das zu sein, was die Leute von ihm zu sein erwarteten. Er hielt den traditionellen Drehbüchern von Rasse, Geschlechterrollen und Sexualität stand. Ich sah vor kurzem einen Rohschnitt von Spike Lees neuer Dokumentation für Bad 25, und das Bad Video unter Regie von Martin Scorsese blieb wirklich bei mir haften.


    Willa: Oh, das stimmt! Spike Lee hat dich als Berater hinzugezogen, richtig? Joie und ich wollen wirklich gern mit dir darüber sprechen!


    Joe: Ja, es war eine großartige Erfahrung. Spike ist einer meiner Helden – ich habe so viel Respekt vor seiner Arbeit. Er hat mich mehrere Male nach Brooklyn geholt. Bei einem dieser Male gingen wir in ein Kino in Manhattan und sahen uns eine zweistündige Rohfassung der Dokumentation an. Der Teil mit dem Bad Video war einfach phänomenal. Ich hatte Gänsehaut. Ich denke, es ist solch ein mutiger, kühner, komplexer Film, und er untersucht viele dieser Themen, die wir diskutieren, auf wirklich grundsätzliche Art und Weise. Der Refrain „Who’s bad?“ handelt in vielerlei Arten von Akzeptanz und Solidarität. Aber er handelt auch von trotzigem Widerstand und davon, die Bandbreite der Möglichkeiten für einen Schwarzen Mann in Amerika auszuweiten. Bedenkt, er zeigt nicht nur, dass er noch mit seinen Freunden in Harlem (und in der Erweiterung, der Black Community) zusammen ist; er sagt auch der Weißen Entertainment Industrie: „Ihr könnt mich nicht auf einen Typ reduzieren. Ich weigere mich, in eine von den vier oder fünf Schubladen zu passen, in die ihr Schwarze Leute steckt.“ Also, es ist ein wirklich bemerkenswerter Kurzfilm in vielerlei Hinsicht.


    Joie: Es ist ein bemerkenswerter Kurzfilm, und Willa und ich arbeiten gerade an einer Bad Serie zu Ehren des Jubiläums des Bad Albums.


    Aber was du gerade sagst über die Weigerung, in eine der Schubladen zu passen, die für Schwarze Menschen vorgesehen sind, erinnert mich gerade an einen anderen Artikel in Featuring Michael Jackson: Bist du das Biest, das du dir vorstellst: Der kulturelle Missbrauch von Michael Jackson (Am I the Beast You Visualized: The Cultural Abuse of Michael Jackson). Ich liebe diesen Artikel einfach, weil er beleuchtet, wie Jackson durch die Massenmedien in seinem Land behandelt wurde, und für mich hat dieser Artikel mehr als jeder andere das Potential, Nicht-Jackson-Fans darüber aufzuklären, wer er war und was er durchmachen musste. Wenn du schreibst, ist es dann deine Absicht, andere über Jackson aufzuklären oder schreibst du ganz einfach deine Gedanken nieder?


    Joe: Es freut mich zu hören, dass ihr an einer Bad Serie arbeitet! Ich bin sicher, sie zu lesen, wenn es soweit ist. Um deine Frage über meine Absichten beim Schreiben zu beantworten: Es ist wirklich eine Reihe von Dingen. Ich versuche, den Leuten Michaels Werke nahezubringen, die bisher nicht in solchen Kategorien über ihn gedacht haben. Also ja, da ist definitiv eine „erzieherische“ Komponente dabei. Ich möchte, dass die Leute Michael und seine Werke auf eine neue Art und Weise sehen und erfahren. Ich glaube, für den Durchschnittsmenschen ist er immer noch mehr ein berühmter Unterhaltungskünstler als ein wirklicher Künstler und Mensch, obwohl sich das gerade ändert. Mein Ziel war immer, zu versuchen, die Vielfalt, Tiefe, Kraft und Vitalität seiner Werke zu zeigen und zu dokumentieren, wie er als Künstler vorging. Wenn ich schreibe, dann ist mein hauptsächliches Ziel, zu versuchen, Michael Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – denn ich bin der Meinung, dass er sehr herablassend und abweisend von den meisten Kritikern und Journalisten behandelt wurde. Nun, die Kehrseite versucht nun, ihn in eine Art Halbgott zu verwandeln, oder wie einige Fans es getan haben, ihn zu beschlagnahmen aus verschieden „Gründen“. Was ich zu tun versuche, ist, mich auf die Bandbreite und Verschiedenheit und die facettenreiche Natur seiner Kunst zu konzentrieren. Ich versuche, mich gegen diese Erzählungen zu stellen, die ihm seine Humanität oder seinen rechtmäßigen Platz als einen der größten Künstler des 20. Jahrhunderts absprechen wollen. Dieser letzte Teil ist für einige Künstler vielleicht nicht so wichtig, aber er ist es für Michael, denn dafür steht er.


    Willa: Und das ist …? Er repräsentiert so viele Dinge für so viele Menschen, so dass Ich mich frage, ob er dieselbe Sache für dich repräsentiert wie für mich, oder für dich, Joie.


    Joe: Gut, du hast Recht damit, dass er viele Dinge für viele Menschen repräsentiert, aber was ich meine, wenn ich das sage, ist, dass Michael Jackson einen besonderen Ort andeutet. Wer er war und wo er herkam hat eine Bedeutung dafür, wie er akzeptiert und gelesen wurde. Für mich repräsentiert er, in seinem Leben, seinem Werk, seinem Kontext, in dem er erschafft, den „Anderen“, was etwas ist, das ich in jenem Stück untersuche. Hier ist ein Ausschnitt:


    In They Don’t Care About Us sagt er für die Entrechteten und Erniedrigten aus. „Sag mir, was wurde aus meinen Rechten,“ singt er, „Bin ich unsichtbar, denn du ignorierst mich?“ Little Susie zieht die Aufmerksamkeit auf die Notlage der Vernachlässigten und Verlassenen, es erzählt die Geschichte eines kleinen Mädchens, dessen Gaben unbemerkt bleiben, bis sie zu Hause auf dem Boden der Treppe tot aufgefunden wird („Heb sie vorsichtig hoch“, singt Jackson, „Oh, das Blut in ihrem Haar“); Earth Song bietet eine epische Klage im Namen des Planeten und seine verletzlichsten Bewohner (repräsentiert durch die leidenschaftlichen Rufe des Chors „Was ist mit uns?“) Durch solche Songs (genauso wie durch sein Leben und seine Persönlichkeit) wurde Jackson eine Art globaler Repräsentant des/der „Anderen“. Die Massenmedien allerdings schätzten Jacksons Andersartigkeit nie, ebenso wie sie nicht die „anderen“ schätzten, von denen er in seinen Songs sprach. Lieber erfanden sie eine Geschichte, die simpel und lukrativ war – Jackson als exzentrischer „Freak“ – und darin steckten sie nahezu drei Jahrzehnte fest, während sie schrittweise den Einsatz erhöhten.


    Willa: Oh, ich bin absolut der gleichen Meinung, dass er „für die Entrechteten und Erniedrigten aussagt“, wie du es ausdrückst, und denjenigen ohne Stimme eine Stimme gibt. Und er hinterfragt nicht nur, wie wir über Andersartigkeit denken, sondern wie wir darüber fühlen, und das auf eine sehr kraftvolle Weise. Das ist etwas, das mich zu seinen Werken von Anfang an hingezogen hat, seit ich als kleines Mädchen zum ersten Mal Ben gehört habe. – es ist eines der Dinge, über die wir gerade gesprochen haben, dass ich ganz tief fühlte, es aber erst sehr viel später artikulieren konnte. Typischerweise ist das Andere unsichtbar oder, wenn wir es sehen, dann ist es verwirrend, peinlich, bedrohlich. Aber er fordert uns auf, uns selbst in dem Anderen zu sehen und Mitgefühl zu haben, so wie in Ben und so vielen seinen späteren Songs – und uns sogar befreit zu fühlen durch die Möglichkeiten, die das Andere repräsentiert, wie wir es auch in Ghosts erkennen und in vielen seiner späteren Werke genauso.


    Aber wisst ihr, während er auf viele Arten den Außenseiter repräsentiert, wurde er auf andere Arten als der ultimative Insider gesehen. Im Grunde begann die Gegenreaktion gegen ihn vor den Skandalen und Vitiligo und den „exzentrischen Seltsamkeiten“, wie er sie in Is it scary selbst nennt. Und als die Gegenreaktion damals in den 80ern begann, war es nicht deswegen, weil er „freaky“ war. Es war genau das Gegenteil. Es war, weil er zu sehr als Mainstream gesehen wurde, zu konventionell, zu sehr auf Abverkäufe fokussiert und nicht darauf, die Musik zu revolutionieren – mit anderen Worten, er wurde zu sehr als Establishment gesehen. Und wie du es so gut in deinem Artikel dargestellt hast, indem du Dangerous mit Nevermind vergleichst, wiesen die Kritiker Dangerous nicht zurück, weil es zu grenzüberschreitend war, sondern weil sie nicht erkennen konnten, wie grenzüberschreitend und anders und kühn es wirklich war.


    Also ist sogar seine Andersartigkeit zweideutig, und wir sehen dieselbe komplexe Dualität, sogar Vieldeutigkeit, die wir so oft in ihm sehen. Er ist Insider / Outsider, Christ / Buddhist / Islamisch / Jüdisch, Umweltschützer / Materialist / Künstler.

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  • Joe: Teilweise sehe ich das auch so, Willa. Ich pflichte dir definitiv bei, dass diese wechselnden Spannungen und Paradoxa wesentlich für Jackson und sein Werk sind. Aber ich bin nicht der Meinung, dass er erst später in seiner Karriere „anders“ und „exzentrisch“ wurde. Auf der Höhe seiner Karriere war er, wie er in seiner berühmten Rolle in Thriller sagt “nicht wie die anderen Jungs“. Farrakhan kritisierte ihn 1984 für sein „weibliches Auftreten, seinen verweichlichten Ausdruck“. Viele Leute dachten, er sei schwul, beginnend in den späten 70ern und dass er Hormone nehmen würde wegen seiner Stimme. Und natürlich, wie die Rassentrennung auf MTV und im Radio deutlich machte, war er ein junger Schwarzer Mann, der in einem Industriezweig arbeitete, der fast vollständig von Weißen Männern dominiert wurde. Also für mich ging es bei der Gegenreaktion nicht darum, dass er zu sehr dem Mainstream angehörte; ich denke, das Establishment fühlte sich unwohl und bedroht durch seine Macht und seine Andersartigkeit. Das Paradoxe daran ist für mich, dass er es fertigbrachte so populär zu sein trotz dieses Andersseins.


    Willa: Okay, es ist eine komplizierte Frage. Du hast Recht damit, dass es Leute gab, die Kommentare über ihn in den 80ern machten, aber es gibt immer Leute, die Kommentare abgeben, besonders jemand wie Louis Farrakhan, der seine Karriere damit bestritten hat, schockierende Dinge zu sagen. Es werden heute Dinge über Justin Bieber und über ziemlich jeden Prominenten da draußen gesagt. Aber so wie ich mich daran erinnere, war das nicht die vorherrschende Erzählung über Michael Jackson in den 80ern. Wenn überhaupt wurde er als zu rein und eingegrenzt gesehen, zu konventionell – ein Leichtgewicht. Wie er auch 1988 in Moonwalk schrieb:


    „Ich denke, ich habe ein superbraves Image in der Presse, und ich hasse das. …Jeder hat viele Facetten, und ich bin da nicht anders.“


    Und die Frage seines Status als Insider / Outsider ist sogar noch komplizierter. Wie du so eindrucksvoll in dem Eröffnungsartikel zu deinem neuen Buch Unübertroffen: Rasse, Repräsentation und die missverstandene Kraft von Michael Jacksons Musik (Second to None: Race, Representation, and the Misunderstood Power of Michael Jackson’s Music) betont hast, erhielt er nie die Anerkennung, die er verdient hat. Deine Liste mit Rolling Stone Album Covers ist ein eindeutiges Beweisstück – ich war schockiert darüber. Und dann gibt es da die bekannte Geschichte, wie Off the Wall ignoriert wurde bei den Grammys. Also in diesem Sinn wurde er an den Rand gedrängt und war etwas wie ein Außenseiter.


    Aber auf der anderen Hand hatte er sehr viel Macht in 1980er Jahren – die Macht eines Insiders – und er wusste, wie er sie nutzen musste. Typisch dafür, wenn wir an einen Außenseiter denken, denken wir an jemanden ohne Macht und ohne Stimme – jemand, der ungehört und unsichtbar bleibt denen gegenüber, die die Macht haben. Niemand nimmt ihre Anrufe an, und sie sitzen verlassen in der Lobby, wenn sie versuchen, an einem Meeting teilnehmen zu können. Das war nicht Michael Jacksons Position in der 80ern. Jeder nahm in den 80ern seine Anruf entgegen. Ob sie ihn mochten oder nicht, sie hatten immer noch mit ihm zu rechnen. Er war schlicht zu mächtig, um ignoriert zu werden.


    Aber wie wir durch seine Musik sehen können, identifizierte er sich immer noch stark mit denen ohne Stimme, und so lieh er ihnen seine Stimme. Er nutzte seine Stimme – die Stimme eines Insiders – um für jene zu sprechen, die draußen stehen gelassen wurden, um ihre Anliegen und Standpunkte auszudrücken. Er wusste, wie es sich anfühlte, übersehen und an den Rand geschoben zu werden, jedoch verstand er auch, wie Macht funktionierte, aus der Sicht des Insiders. Und diese Doppelsicht auf den Insider / Outsider ist faszinierend für mich. Es ist Teil dessen, was seinem Werk eine solche Tiefe und Schattierung verleiht.


    Joe: Ich denke, wir sind hier größtenteils auf derselben Seite, obwohl wir die Gegensätze vielleicht ein wenig unterschiedlich umrahmen. Ich stimme zu, dass er populär, erfolgreich und mächtig war, aber ich fühle mich immer noch nicht wohl damit, ihn als einen „Insider“ zu beschreiben. Sogar auf dem Gipfel seiner Akzeptanz durch den Mainstream, als er mit Reagan im Weißen Haus auftaucht, ist er eindeutig nicht ein Teil jener Welt. Er ist anders (in der Tat, fast das genaue Gegenteil von Reagan).


    Ich habe eine Biografie über Michael Jackson, geschrieben von Dave Marsh mit dem Titel In die Enge getrieben: Michael Jackson und der Crossover-Traum (Trapped: Michael Jackson and the Crossover Dream), das 1985 veröffentlicht wurde. Marsh repräsentiert die Art von kultureller Übereinstimmung, die aus den Reihen der etablierten Journalisten und Rockkritiker der 80er kommt, und der Ton ist sehr herablassend, arrogant und verächtlich. Michael wird ganz eindeutig nicht auf die Art ernst genommen wie es, sagen wir mal, bei Bruce Springsteen der Fall ist. Die Ironie ist (und das ist das, was ich versuche, in dem Dangerous Stück und dem Atlantic Stück herauszustellen), dass Kritiker wie Dave Marsh sich selbst betrügen, indem sie glauben, dass sie und ihre traditionellen Weißen hetero-normierenden Rockstars die „Outsider“ sind, während sie diejenigen sind, die sich in sehr viel konservativeren Rollenbildern wiederfinden, diejenigen sind, die auf Magazinen erscheinen, diejenigen sind, die keinen Ärger damit haben, in Fernsehshows und ins Radio zu gelangen, diejenigen sind, die von Kritikern und Managern umgarnt werden.


    Also ja, Michael war ein Insider in der Hinsicht, dass sein Erfolg ihm etwas Geld und eine enorme Plattform verschaffte – und er war ein kühner Geschäftsmann, der die Industrie verstand und einige ihrer größten Machthaber überlistete. Aber als er erstmal irgendwann einige dieser Rollen getauscht hatte, wie Baldwin es ausdrückt, hatte er eine enorme Zielscheibe auf seinem Rücken, weil er niemals wirklich als Teil dieses Systems akzeptiert worden war. Seine Macht und seine Stellung waren immer unsicher. Er musste Hürden im Fernsehen, Radio und in den Printmedien überwinden – kein Zugang davon war von vornherein gegeben in den frühen 80ern. Aber die Ironie ist, dass sogar, als er dies getan hatte und Millionen Platten verkaufte und ständig auf MTV rotierte, er kulturell als „anders“ positioniert war – und, natürlich, intensivierte sich das in den Jahren, die folgen sollten.


    Willa: Ich erkenne, was du sagen willst, und ich denke, du liegst richtig – wir sind grundsätzlich auf derselben Seite. Ich vermute, es hängt einfach davon ab, wie wir einen Insider definieren. Weißt du, eine Menge Leute dachten auch von Reagan, dass er ein Außenseiter war, weil er nicht Teil des Washingtoner Establishments war, nicht auf die „richtigen“ Schulen gegangen war oder keinen Juraabschluss hatte – er war ein Schauspieler, und ein geschiedener Schauspieler dazu. Die alte Garde seiner eigenen Partei akzeptierte ihn lange Zeit nicht. Und ich weiß nicht, ob irgendjemand sich seiner Position jemals so sicher sein kann, dass er nicht befürchten müsste, er könnte seinen Status einmal verlieren. Präsidenten können die nächste Wahl verlieren; Industriemagnaten können ihr Geld verlieren; Rockstars können ihre Fanbase verlieren. Der Status als Insider ist für jeden unsicher, und die tief sitzende Angst, die durch diese Unsicherheit ausgelöst wird, ist Teil dessen, was das ganze System am Laufen hält, denke ich.


    Aber ich stimme unbedingt zu, dass Michael Jackson eine Außenseiter-Sensibilität besessen hat, ganz sicher wesentlich mehr, als die meisten Rockkritiker, die ihn verurteilt haben – Kritiker, die sich selbst so positioniert haben, dass würden sie gegen das System wüten, während sie es darin doch ganz bequem hatten und es für sie funktionierte. Was eine besondere Ironie in sich birgt, wenn sie so herablassend und verächtlich über Michael Jackson als Repräsentant des Establishments sprechen.


    Joie: Gut, ich denke, diese Debatte zwischen euch beiden war faszinierend, und ich kann mich nicht entscheiden, für welche Seite ich mich entscheide. Ich denke, ihr beide habt berechtigte Punkte angeführt, und ich stimme euch beiden zu. Ich denke, Joe hat Recht, wenn er sagt, dass ihr grundsätzlich auf derselben Seite seid.


    Joe, Willa und ich begrüßen es wirklich sehr, dass du dir wieder einmal die Zeit für ein Gespräch mit uns genommen hast, und ich bin begeistert Featuring Michael Jackson in meine persönliche Bibliothek aufnehmen zu können. Es ist eine wunderbare Sammlung und, wie immer, so zum Nachdenken anregend. Ich habe ganz ehrlich das Gefühl, dass du im Kampf darum, die Unterhaltung über Michael Jackson zu ändern, an vorderster Front stehst, und dafür danke ich dir.


    Willa: Ich auch. Danke, Joe.



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    Emily Dickinson

  • Zitat

    Danke, liebe Lilly, Du bist ein riesiger Schatz :drück:


    das kann man gar nicht oft genug sagen...deshalb auch von mir...
    einer eher stillen Genießerin mal ein riesen Dankeschön :blume:


    LG Smooth :hkuss:

  • jaa..ich freu mich auch :jubel: Danke Lilly :kiss: endlich gehts weiter..ich liebe sie sehr, diese "Gespräche" und dieses hier ist auch wieder klasse...


    ...und in den Kommentaren dazu habe ich einen entdeckt, den ich gerne unterschreiben würde..aber geht ja nicht, deshalb kopiere ich den mal her:
    Caro Attwell /Kommentar:
    It seems more and more to me as I delve into Michael and his work, that he was a very complicated and complex man – no wonder most people around him didn’t understand him – but you all help me to fathom him out, and boy is there much to fathom!! the more I read the more I am fascinated, and inspired and totally in awe of him – he truly was and is a very special person. Yes he was human, but boy was he divine as well, or what!! Teilhard De Chardin wrote of us being ‘spirits having a human existance’ and for me that sooo applies to Michael and his art. He spoke to Oprah about art being the interface between man and the Divine and that is exactly what he achieves if you are open to see it. It must have been so difficult for him to live his extraordinary life, and I have so much respect and admiration for his perseverance and courage on so many levels.


    "Es wird mir immer klarer für mich, während ich in Michael und seine Arbeit eintauche, dass er ein sehr komplizierter und komplexer Mensch war - kein Wunder, dass die meisten Menschen um ihn herum ihn nicht verstanden. - aber ihr alle helft mir dabei, ihn zu begreifen/ergründen, und da gibt es vieles zu ergründen! Je mehr ich lese, desto faszinierter, inspirierter und voller Bewunderung bin ich -er war wirklich ein ganz besonerer Mensch. Ja, er war ein Mensch, aber "boy" er war auch göttlich! De Chardin schrieb über uns das wir "Geistwesen mit einer menschlichen Existenz" seien, und für mich trifft das so genau auf Michael und seine Kunst zu. Er sagte zu Oprah etwas darüber, dass Kunst die Verbindungsstelle zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen ist, und das ist genau das, was er erreicht hat, wenn du offen genug bist, es zu sehen. Es muss für ihn so schwer gewesen sein dieses aussergewöhnliche Leben zu leben, und ich habe großen Respekt und Bewunderung für sein Durchhaltevermögen und seine Courage auf sovielen Ebenen."


    ..ja, dem möchte ich mich gerne anschliessen... :Tova:


    Zitat

    Joe: Ich nehme an, die eine Ausnahme davon ist das Bonuskapitel über Michaels Kindheit, das ein Teil des Originalmanuskriptes für Man in the Music war. Wir haben es letztendlich gekürzt, da das Buch sich auf MJ’s Karriere als Solokünstler konzentrierte.

    ...dieses schöne Kapitel aus dem Featuring Michael Jackson Buch habe ich mal angefangen zu übersetzen...kommt dann, wenns fertig ist...

    2 Mal editiert, zuletzt von maja5809faithkeeper ()

  • Juhuuu, fein!!! Es geht weiter!!! Danke Lilly, dass Du Dich gleich wieder in die Arbeit gestürzt hast, um
    uns hier schöne Lektüre fürs Wochenende dazulassen! Ich lese die Diskussionen der beiden unheimlich
    gerne, sie helfen mir einfach oft, die Dinge auch mal aus anderer Sicht zu sehen und das macht es manchmal
    einfacher, zu verstehen.


    Und Maja: ich freu mich auf das Kapitel genauso! Ich hab Joes Buch noch gar nicht mal angefangen zu lesen...
    menno, ich hab nie genug Zeit für irgendwas!!! Da helfen solche Übersetzungen sehr!


    Dankeschön Ihr zwei Fleißigen!!! :klatschen::hkuss::dafuer:

  • Oh supi, es geht weiter :jubel:
    Ich habe die Gespräche von Willa und Joie ganz schön vermißt :stuhl:
    :danke: liebe Lilly, daß Du gleich wieder los legst und uns das übersetzt :ildm:


    :cheerlead::cheerlead:

    badgirl5st1wvickg.jpg
    Vielen Dank liebes Blümchen!
    "Der Preis des Ruhms kann hoch sein. Ist er den Preis wert?
    Man bedenke, daß man wirklich kein Privatleben mehr hat."

    Michael Jackson (Moonwalk)

  • Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Michael:
    Du hast sie dazu gebracht, es wichtig zu nehmen
    29/08/2012


    Willa: Hi Joie. Da sind wir also wieder! Hattest du einen schönen Sommer?


    Joie: Yeah, es war schön. Wir haben keinen richtigen Urlaub gemacht oder so, aber wir haben einige großartige Wochenenden am See verbracht.


    Willa: Oh, das klingt gut! Ich weiß, wie sehr du den See liebst. Ich habe einen großen Teil des Sommers beim Campen und Wandern mit Teenagern und Pre-Teens (Kinder im Alter zwischen 9 und 12 Jahren) verbracht, was ein Wahnsinnsspaß war, und Joie, ich muss dir unbedingt diese Geschichte erzählen. Ich war in Mesa Verde, das solch ein erstaunlicher Ort ist mit diesen wunderschönen 700 Jahre alten Felsenwohnungen. Etwas sehr Beruhigendes, Friedliches und sehr Spirituelles umgibt diese Behausungen.


    Jedenfalls fuhr ich am zweiten Tag oben auf der Hochebene entlang, während Earth Song aus meiner Stereoanlage erklang, und es war ein wundervoller Morgen, es schien einfach alles perfekt. Und dann blickte ich zu meiner Linken und sah vier wilde Mustangs neben uns her laufen! Wir bewegten uns eine ganze Weile Seite an Seite, aber schrittweise kamen sie immer näher, also verringerte ich etwas das Tempo, und eins von ihnen lief vor mir her, drehte sich herum und stand vor mir, wobei es seinen Kopf auf und ab bewegte. Es war überwältigend! Später sprach ich mit einem der Führer, und er sagte, dass es etwa 150 wilde Pferde in Mesa Verde gäbe, aber sie würden normalerweise unten in den Canyons grasen. Hin und wieder allerdings würden sie nach oben auf die Hochebene kommen. Es war so unglaublich! Nun denke ich jedes Mal, wenn ich Earth Song höre, an diese wilden Pferde.


    Joie: Wow! Oh, ich wette, das war wunderschön, Willa. Also, wie laut lief deine Anlage im Auto? Vielleicht konnten sie den Earth Song hören, und sie mochten ihn!


    Willa: Ich weiß nicht, ob sie es gehört haben, aber jemand anderer hat es. Ich hatte drei Kinder bei mir – vorne einen 16-jährigen und hinten einen 14- und einen 12-jährigen. Der 14- und der 12-jährige waren ziemlich aufgeregt, aber der 16-jährige blieb die ganze Zeit ausdruckslos – er scheint gerade durch seine „coole“ Phase zu gehen. Aber am nächsten Tag kam er zu mir und fragte: „Was war das für ein Song, den du gestern gespielt hast? Der so ging wie dies hier …“ und dann sang er den langen „ah, ah, ah“ Teil vom Earth Song, jede Note – du weißt, den Teil im Video, wo jeder seiner Hände in die Erde gräbt. Das hat mich umgehauen. Also, sogar obwohl er in dem Moment keine große Emotion gezeigt hat, denke ich, er hat’s kapiert. Etwas ist auf jeden Fall passiert.


    Heute also wäre Michael Jacksons 54. Geburtstag gewesen, und ich habe versucht, mir dafür etwas Bedeutungsvolles auszudenken, um seiner zu gedenken. Also habe ich angefangen, mich zu fragen, was Michael Jackson selbst wohl getan hätte, um an den Geburtstag eines Menschen zu erinnern, den er verehrt, und das erinnerte mich an den Song, den er für Sammy Davis, Jr. aus Anlass von dessen 60. Geburtstag schrieb und vortrug:


    IjmalHcQh54


    Er führte ihn nur ein einziges Mal auf, und es wird selten erwähnt, aber es ist so bewegend. Die Lyrics sind sehr ausdrucksstark und der Ausdruck auf dem Gesicht von Sammy Davis, Jr., als er Michael beobachtet, wie er diese Worte singt … Du kannst genau sehen, wie viel es für ihn bedeutet.


    Joie: Das stimmt, Willa; dem Ausdruck auf seinem Gesicht nach zu urteilen kannst du genau sagen, dass er einfach so bewegt ist durch Michaels Worte. Und ganz ehrlich, wenn du hinhörst, ist es nicht schwer zu verstehen, warum. Es ist eine sehr emotionale und persönliche Botschaft, die Michael in diesem Song vermittelt. Und du kannst wirklich die Tiefe seiner Emotion spüren, als er diesen besonderen Song für eines seiner Idole vorträgt. Diese Worte, die er singt, bedeuten ganz offensichtlich sehr viel für ihn. Es ist ziemlich bewegend.


    Willa: Das ist es wirklich, und es ist auch eine sehr stilisierte Darstellung, soweit das Sinn macht – es scheint fast wie ein Auftritt aus einer anderen Zeit zu sein. Es ist, als würde er Sammy Davis Jr. nicht nur durch seine Lyrics würdigen, sondern ebenso auch durch diese sehr stilisierten Gesten. Er verkörpert auch ikonische Posen, die ganz eindeutig seine eigenen sind, aber sie scheinen sich auf perfekte Weise mit jenen aus der Vergangenheit zu synchronisieren, so dass es so scheint, als würde er durch seine Darstellung demonstrieren, wie sehr seine Bewegungen sich in diese Tradition des Tanzes und der Gesten derer, die vor ihm gegangen sind, einfügen.


    Joie: Oh ja, ich stimme dir zu; ich denke, viele seiner Bewegungen während dieses Auftritts sind so sehr eine Reminiszenz an Sammy Davis, Jr. und an die Art, wie er sich bewegt hat. Also hast du Recht, es ist, als würde er durch den Song selbst auch sich Anerkennung zollen, aber ebenso auch durch seine Bewegungen.


    Weißt du Willa, ich habe den Song eine ganze Zeit lang nicht gehört, aber weißt du, was mir am meisten auffällt, wenn ich diesen Clip jetzt ansehe? Ich kann mir nicht helfen, aber ich muss an all diese jungen Künstler da draußen denken, die plötzlich zu Michael aufsehen und ihn als einen ihrer größten Einflüsse zitieren. Künstler wie Justin Bieber und Chris Brown und andere. Sie alle sehen zu Michael als einem ihrer Helden auf, genauso wie Michael zu Sammy Davis und James Brown und Jackie Wilson aufgesehen hat.


    Willa: Ich erkenne, was du meinst, Joie. Die Tradition setzt sich auf eine sehr eindrucksvolle Art durch diese neue Generation an Künstlern fort, und Michael Jackson spielte eine sehr bedeutende Rolle darin, diese Tradition zu fördern – er trug das Staffelholz auf einem langen Weg! Aber ich finde auch, dass da etwas ganz Besonderes ist, das Sammy Davis, jr. und Michael Jackson gemeinsam haben, und das ist, wie sie beide die Rassenschranken durchbrochen und dafür einen hohen Preis gezahlt haben. Wie Michael Jackson auf so bewegende Art singt:


    Du warst da, bevor wir kamen
    Du nahmst den Schmerz auf dich, du nahmst die Schande auf dich
    Sie bauten Mauern vor dir auf, um deinen Weg zu blockieren
    Du hast sie niedergerissen, du hast den Kampf gewonnen


    Es war nicht richtig, es war nicht gerecht
    Du hast es ihnen allen gezeigt
    du hast sie dazu gebracht, es wichtig zu nehmen
    Ja, du warst da, und der Dank geht an dich
    Nun gibt es eine Tür, durch die wir alle gehen


    Und hier sind wir, vor aller Augen
    Um die Besten zu sein, so gut wir können
    Ja, ich bin hier
    Weil du da warst

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

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  • Ich denke, er singt ziemlich eindeutig über den Rassismus, dem Sammy Davis, Jr. ausgesetzt war. „Es war nicht richtig“ und „Es war nicht gerecht“, wie Michael Jackson singt, aber er hat es ausgehalten. „Du nahmst den Schmerz auf dich, du nahmst die Schande auf dich“. Und deswegen geht „der Dank an dich / Nun gibt es eine Tür, durch die wir alle gehen“. Ich denke, dass das „wir“, über das er in diesen Zeilen spricht, speziell Schwarze Künstler meint, deren Leben und Karriere ein wenig leichter verlief, weil Sammy Davis, Jr. den Anfang gemacht hat.


    Joie: Ja, ich bin vollkommen der gleichen Meinung. Und ich glaube auch, dass es nun viele Schwarze Künstler da draußen gibt, die exakt dasselbe über Michael Jackson denken. Immerhin, wenn er nicht gewesen wäre und die Rassenschranken zum Beispiel auf MTV niedergerissen hätte, hätte es Hunderte anderer Schwarzer Künstler gegeben, deren Videos niemals auf diesem Sender gespielt worden wären. Ähnlich ist es damit, dass, wenn es nicht Michaels erstaunlichen Crossover Erfolg durch das Thriller Album gegeben hätte, dann Hunderte von Schwarzen Künstlern niemals auch nur den Geschmack eines ähnlichen Erfolges hätten probieren können.


    Willa: Ich denke, dass ist sehr wahr und wirklich bedeutend, Joie, und ich hoffe, sie sind in der Lage, auf die Art und Weise Kraft aus Michael Jacksons Leben und Karriere zu ziehen, wie er Kraft aus der Geschichte derer gezogen hat, die vor ihm gegangen sind. Weißt du, als die Dinge so schlecht für ihn liefen nach den Belästigungsvorwürfen und während des Kampfes mit Sony und des Prozesses 2005, da zitierte er die Kämpfe all jener, die vor ihm gegangen waren und schien Trost und Kraft aus ihrer Geschichte zu ziehen.Und das lässt mich über den Titel dieses Songs nachdenken. Du weißt ja, im letzten Frühjahr sprachen wir über Will You Be There und Kris, Eleanor und Nina hatten eine sehr interessante und sehr bewegende Unterhaltung in den Kommentaren über die besondere symbolische Verbindung zwischen I’ll Be There und Will You Be There. Kris schrieb:


    …da ist dieses Kind, das begann, uns mit der reinsten, engelhaftesten Stimme zu berühren und uns erzählte „Ich bin da“ „Ruf einfach meinen Namen, ich werde da sein, um dich zu trösten“, usw. Und er wurde zu diesem Mann, der sich selbst darin wiederfand, indem er sich wirklich ehrlich fragte „Wirst du für mich da sein“, und es war so traurig, wie so oft schien die Antwort ‚Nein’ zu sein. Die zwei Seiten derselben Münze, und die Wahrheit, die sie über sein Leben erzählen, sind sehr ergreifend für mich.


    Ich weiß, was Kris meint – es ist auch für mich sehr ergreifend. Aber ich habe kürzlich darüber nachgedacht, dass da ein dritter Song zu dieser Serie gehört: You Were There.


    Ich habe vor Kurzem gedacht, dass es eine kleine Gruppe gab, die ihn immer unterstützt und ihm Stärke und Mut gegeben hat, wenn er es brauchte, und sie beinhaltet Sammy Davis, Jr., James Brown, Chuck Berry, Jack Johnson, Mohammad Ali, Jesse Jackson und Nelson Mandela – mit anderen Worten, die Schwarzen Künstler und Kämpfer und politischen Figuren, die vor ihm da waren, die vor ihm diesen Weg gegangen sind und dieselbe Art von Vorurteilen und Hetzjagden und Spott erfuhren, der er sich gegenüber sah. Wenn man sich diese Liste ansieht, ist es ziemlich schockierend, wie viele von ihnen entweder im Gefängnis waren oder wie vielen mit Gefängnis gedroht wurde, ohne dass sie eigenes Verschulden daran trugen – sie waren ganz einfach zu einflussreich, als dass man sie ertragen konnte – und ich denke, Michael Jackson zog Kraft aus diesem Wissen.


    Joie: Hmm. Das ist ein interessanter Gedanke, Willa. Die Idee, dass dieser Song mit den anderen beiden Songs, über die Kris, Eleanor und Nina diskutiert haben, eine Art Trilogie bildet. Eigentlich wäre ich sehr interessiert daran, ihre Gedanken über deine Feststellung zu hören – also Ladies, wenn ihr dies lest, schaltet euch ein.


    Weißt du, Willa, ich denke, das Beste an diesem Song ist, dass er so aufrichtig und tief empfunden ist. Es ist wirklich einfach ein süßer, kleiner Song, findest du nicht auch? Ich meine, er wurde nie aufgenommen und niemals zum Kauf oder Downloaden angeboten, soweit ich weiß. Michael führte ihn nur dieses eine Mal, von dem ich weiß, auf und trotzdem, glaube ich, die meisten Fans – sogar sehr viele der neuen Fans – sind vor einiger Zeit darauf aufmerksam geworden. Ich glaube, das kommt daher, dass es immer eine Art „Fan Favorit“ war, und so machte es von Fan zu Fan die Runde. Ein bisschen wie wenn Neuigkeiten von etwas wirklich Großem sich durch Weitersagen mehr als durch herkömmliche Bekanntmachung verbreiten. Ich denke, das sagt viel aus über diesen süßen, kleinen Song.


    Willa: Das stimmt, er ist wundervoll, obwohl ich denke, es ist eine ziemlich schneidende Kritik am Rassismus – was überraschend ist bei solch einem „süßen, kleinen Song“, wie du sagst. Wie so oft bei seinen Werken, können wir es interpretieren und darauf auf so vielen unterschiedlichen Ebenen reagieren.


    Joie: Das ist sehr wahr, und es ist eine „ziemlich schneidende Kritik am Rassismus“ – wie du sagst. Aber es ist auch einfach wirklich süß und ehrlich, wie er einen Love Song mit der Würdigung und dem Dank gegenüber seinem Idol singt. Auf welche Weise du es auch siehst, es ist ein sehr eindrucksvoller, unaufdringlicher kleiner Song.


    Willa: Und ein wundervolles Geburtstagsgeschenk für eines seiner Vorbilder.


    So, du weißt, Joie, dies ist Michael Jacksons Geburtstag, aber es ist irgendwie auch unserer – unser erster Post wurde am 27. August im letzten Jahr geschrieben. Und Joie, ich möchte dir einfach nur sagen, wie sehr ich unsere Unterhaltungen genossen habe. Es macht so viel Spaß, mit dir zu arbeiten, und wie viel Wissen du über alles, was Michael Jackson betrifft, hast! Ich bin ständig erstaunt darüber, wie viel Informationen du nur in deinen Fingerspitzen hast und über all die Historie in deinem Kopf.


    Joie: Das ist lustig, Willa. Vielleicht fühlt sich mein Kopf deshalb ständig so überfüllt an; es sind die ganzen MJ Statistiken, die darin herumschwirren! Aber im Ernst, ich habe unsere Unterhaltungen auch genossen. Ich habe so viel gelernt durch die Gespräche mit dir. Es war ein sehr interessantes Jahr.


    Willa: Das war es wirklich. Also herzlichen Glückwunsch zum ersten Geburtstag, Joie! Und ich danke dir sehr dafür, dass du daraus eine so wundervolle Erfahrung gemacht hast.


    Joie: Herzlichen Glückwunsch, Willa!




    Edit
    Ich habe gerade mal auf Wikipedia nachgelesen: Sammy Davis Jr. wurde am 8. Dezember 1925 geboren und ist am 16. Mai 1990 gestorben (also 6 Monate nach diesem Auftritt von Michael). Demnach war dies aber nicht der 60. Geburtstag von Sammy Davis (er war zu dem Zeitpunkt im November noch 63), aber er hatte im November 1989 sein 60-jähriges Bühnenjubiläum.

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    Emily Dickinson

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  • Ich weiß nicht, wie oft ich dieses Video schon gesehen habe … Es ist was ganz Besonderes für mich! Es hat mir damals 2009 unter anderem den „anderen Michael“ gezeigt, den ich bis dahin nicht kannte, den bescheidenen Menschen mit dem großen Herz und der reinen Stimme, die ohne großes Orchester am schönsten ist . Und von Anfang an hatte ich das Gefühl, dass er damit sein Bewusstsein für sein Erbe deutlich macht und seine eigene Geschichte mit der eines seiner „Vorfahren“ verflochten hat.


    Dem einzigen Bild, das ich jemals „von Michael“ gemalt habe (2009), und das jetzt hinter mir an der Wand hängt, habe ich diesen Text als Rahmen gegeben – weil ER das ist!


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  • Wir feiern Bad: Du willst ein Mann sein
    05/09/2012


    Willa: Also Joie, im vergangenen Juni haben wir begonnen, über den Kurzfilm Bad zu sprechen, aber wir hatten nicht wirklich die Gelegenheit, in die Tiefe zu gehen. Es scheint, als hätten wir gerade erst mit der Unterhaltung begonnen, als wir schon wieder aufhören mussten, und es gibt noch so viel, über das wir reden können!


    Joie: Das stimmt, Willa. Es fühlte sich nicht so an, als wenn wir beim Video selbst so richtig in die Tiefe gegangen wären, nicht wahr?


    Willa: Wirklich nicht. Wir hatten angefangen, darüber zu reden, dass es damals kein wirkliches Forum gab, um den vollen 16-minütigen Film sehen zu können, und das ist ein bedeutender Aspekt.


    Joie: Das ist ein sehr bedeutender Aspekt und ich bin abgelenkt worden von meiner Geringschätzung für das „tatsächliche“ Format, das mein MTV auf dem Gewissen hat, und es tut mir sehr leid. Ich werde versuchen, diesmal beim Thema zu bleiben.


    Willa: Okay, manchmal können diese Abstecher ziemlich bereichernd sein, aber ich würde auch gern die Gelegenheit haben, dass wir uns durch den Film selbst graben können, also hoffe ich, dass wir diese Woche da weitermachen können, wo wir vor ein paar Monaten aufgehört haben.


    Weißt du, es scheint wirklich so zu sein wie jedes Mal, wenn ich einen von Michael Jacksons Kurzfilmen ansehe, dass ich etwas Neues entdecke oder dass etwas in mir nachklingt, was ich vorher nicht gespürt habe oder dass ich eine Verbindung sehe, die ich vorher gar nicht bemerkt hatte. Und als ich Bad das letzte Mal angesehen habe, war ich wirklich getroffen von der Tatsache, dass diese Person in dem Film niemanden hat, dem sie wirklich vertrauen oder auf die sie sich verlassen kann. Wir hören die Stimme seiner Mutter (gesprochen von Roberta Flack), und sie klingt nach einer warmherzigen Person und nach einer liebenden Mutter, aber sie ist bei der Arbeit und nicht anwesend. Wir sehen sie gar nicht. Er scheint mit den anderen Jugendlichen in seiner weiterführenden Schule in Kontakt zu stehen und mit ihnen gut zurechtzukommen, aber es scheint keine wirklich tiefer gehende Freundschaft zu geben. Er scheint auch eine Verbindung zu seinen Freunden in der alten Nachbarschaft zu haben, aber sie setzen ihn stark unter Druck, damit er seine Zugehörigkeit zu ihnen unter Beweis stellt, also kann er sich auf sie auch nicht verlassen.


    Im Grunde genommen ist die einzige Person, mit der er sich im ganzen Film wirklich verbunden fühlt der namenlose Typ in der Bahn. Wie Daryl (und Michael selbst) steht er zwischen zwei Welten – und dies wird buchstäblich dadurch dargestellt, dass sie mit einer Bahn von einem ungewohnten Leben zurück in das Leben fahren, in dem sie aufgewachsen sind. Also befinden sie sich beide physisch und symbolisch zwischen zwei Welten. Dieser Typ im Zug scheint zu verstehen, was Daryl gerade erlebt – dieses gönnerhafte Zeigen von Akzeptanz der anderen Schüler, die ihn nicht wirklich anerkennen – weil er es selbst erlebt hat. Er fragt Daryl: „Wie viele Jungs sind stolz auf dich?“ Daryl zählt im Kopf nach und sagt: „Drei.“ „Treffer,“ sagt der andere, „vier Jungs sind stolz auf mich.“


    Aber dieser verbindende Augenblick dauert nur einen Moment an, und dann ist er gegangen. Interessanterweise ist es so, als wir den anderen Typ das erste Mal sehen, dass er bedrohlich scheint. Er beobachtet Daryl durch geschlitzte Augen, und Daryl fühlt sich unwohl und schaut weg. So ist es eine Erleichterung, als wir bemerken, dass wir diesem Typ trauen können … vielleicht. Wenigstens scheint er so wie jemand, dem wir trauen können, aber können wir es wirklich? Es erhöht also auf gewisse Art unser Gefühl des Zweifels und der Entfremdung und dieses Gefühl, dass da niemand ist, auf den er sich wirklich verlassen kann.


    Joie: Du hast so Recht damit, Willa. Zu Beginn scheint es so, als sei dieser Typ im Zug jemand Bedrohliches, und ein paar Minuten lang wissen wir nicht wirklich, was wir davon halten sollen. Da gibt es ein überhöhtes Gefühl von Beklemmung. Dann, als er aus dem Zug aussteigt, haben die zwei eine Verbindung hergestellt – wie du sagst – auch wenn sie nur flüchtig ist. Und was ich interessant finde, ist, dass er, als er aussteigt, zu Daryl sagt, er solle „ein Mann sein“. Es ist, als würde er ihn auffordern, für sich selbst und für das, an was er glaubt, einzustehen und sich nicht vom Gruppendruck beeinflussen zu lassen. Er spricht eine Art Vorahnung aus, als würde er ihn auf das vorbereiten, was kommen soll.


    Willa: Joie, das ist so interessant! Auf die Art habe ich es nie gesehen. Ich habe diesen Satz immer als Reaktion auf die Erfahrung in der Schule, die beide gemacht haben, und dass sie beide darauf vorbereitet werden, ein privilegiertes Leben zu führen und „der Mann zu sein“, gesehen. Aber du hast Recht – es wirft auch den Schatten auf die Bewährungsprobe voraus, der er in seiner alten Umgebung gegenüberstehen wird, die auf vielerlei Arten eine Art Prüfung seiner Männlichkeit ist. Und das erinnert mich wieder an die Lyrics in Beat it, was in gewisser Weise als eine Art Vorwort zu Bad dient:


    (Du) willst kein Junge sein, du willst ein Mann sein
    Du willst am Leben bleiben, dann tust du besser das, was du kannst


    Hier spricht er auch darüber „ein Mann“ zu sein, aber in diesem Zusammenhang spricht er ganz offensichtlich über den Umgang mit Gangs. Aber es ist kompliziert – bedeutet ein Mann zu sein, Menschen zu verletzen oder selbst verletzt zu werden? Er wirft diese Frage ganz direkt in Beat it auf:


    Du läufst besser weg, du tust besser, was du kannst
    Willst kein Blut sehen, willst kein Macho sein
    Du willst hart sein, tu besser, was du kannst
    Also hau ab, aber du willst böse sein


    Während er also begreift, dass „du ein Mann sein willst“, rät er dazu „kein Macho zu sein“ – obwohl er diese Strophe damit beendet, zuzugeben, dass „er böse sein will“. Also scheint er in beiden dieser Kurzfilme zu fragen, was es bedeutet, böse zu sein, ein Mann zu sein – und entwickelt seine eigenen einzigartigen Antworten daraus.


    Joie: Und indem er das tut, zwingt er andere, ebenso über diese Fragen nachzudenken.


    Willa: Genau.

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    Emily Dickinson

  • Joie: Was bedeutet es denn, böse zu sein? Ein Mann zu sein? Indem er diese Fragen aufwirft, versucht er uns, durch seine Kunst zu erziehen – etwas, was er so wunderbar macht. Und wenn man über die Lyrics zu Bad nachdenkt, ist es fast, als würde er jungen Männern überall erzählen, dass ihre Vorstellungen darüber, was es bedeutet, ein Mann zu sein, falsch sind, denn so singt er:


    Dein Gerede ist billig
    Du bist kein Mann
    Du wirfst Steine
    Um deine Hände zu verstecken


    Weißt du, es ist wie diese alte Redewendung, die deine Großmutter manchmal gesagt hat, wenn du dich schlecht benommen hast – „Wirf keine Steine und versteck‘ dann deine Hände!“ Natürlich, als Kind hast du nie verstanden, was das bedeuten soll; zumindest ich habe es nicht. Nicht, bis dieser Song herauskam, der mich aufrüttelte und dazu brachte hinzusehen und es herauszufinden. Grundsätzlich bedeutet es, dass man anfängt Ärger zu machen oder Dummheiten anzustellen und dann nicht die Verantwortung dafür übernimmt, wenn die Folgen ins Rollen kommen. Und unglücklicherweise gibt es ziemlich viel davon in unserer Gesellschaft – es ist immer der Fehler anderer. Das hat Michael Jackson also angesprochen in Bad und sagt damit, dass das nicht das ist, was ein richtiger Mann tun würde.


    Willa: Weißt du, Joie, ich bekomme immer so viele neue Einsichten aus unseren Gesprächen. Ich habe niemals zuvor diese Redewendung gehört. Ich dachte immer, die Zeile mit dem „Steine werfen“ würde sich auf die Geschichte aus der Bibel beziehen, in der sich eine Menge versammelt, um eine Frau zu steinigen, die Ehebruch begangen hat, aber Jesus stoppt sie und sagt: „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Mit anderen Worten, wir sollten keine „Steine werfen“ – wir sollten uns darauf konzentrieren, unser eigenes Verhalten zu verbessern anstatt das Verhalten anderer zu kritisieren. Aber dann habe ich nie verstanden, was der Teil mit „Versteckst deine Hände“ bedeuten sollte. Aber was du sagst über „Wirf keine Steine und versteck dann deine Hände“ ergibt sehr viel Sinn. Das ist so interessant.


    Joie: Es ist interessant, nicht wahr? Es ist eine dieser alten Redewendungen, die nicht wirklich viel Sinn machen, bis du wirklich inne hältst und über sie nachdenkst. Natürlich, die Bedeutung einiger von ihnen habe ich nie herausgefunden. Wie „Ein Vogel in der Hand ist so viel wert wie zwei im Busch“. Was zum Kuckuck bedeutet das? Das macht mich wahnsinnig! Aber ich werde mich dieses Mal nicht ablenken lassen - versprochen!


    Willa: Okay, ich werde auch brav sein und nicht fragen, was um alles in der Welt „splitterfasernackt“ (Naked as a jaybird - wörtlich übersetzt: Nackt wie ein Blauhäher) bedeutet. Vögel sind nicht nackt …


    Aber egal, es scheint mir wirklich so, dass er eine neue Definition von „böse“ in diesem Film vorschlägt, und dadurch eine neue Definition von Männlichkeit. Zuerst fragt er seine Freunde: „Ihr wollt sehen, wer böse ist?“ und stimmt ihnen zu, bei dem Überfall dabei zu sein. Er stimmt mit ihrer Definition von „böse“ überein. Aber dann ändert er seine Meinung und gibt ihnen (und uns) eine andere Definition – und bietet uns zwei Beispiele dieser neuen Definition an.


    Eine ist sehr subtil – so subtil, dass man sie leicht übersieht. Sie ist in dem Wanted-Poster in der U-Bahn-Station enthalten. Große Buchstaben auf dem Grund des Posters erzählen uns, dass dieser Mann BÖSE / BAD ist – und der Mann auf dem Fahndungsfoto ist Martin Scorsese, der Regisseur von Bad. Das Poster sagt uns außerdem, dass er „Schuldig wegen eines Sakrilegs“ ist. Scorsese arbeitete zu der Zeit an seinem Film Die letzte Versuchung Christi, und er stand deswegen unter starker Kritik, nämlich frevlerisch zu sein. Also scheint er uns damit zu sagen, dass Martin Scorsese „böse“ ist, weil er ein Künstler ist, der soziale Normen hinterfragt.


    Ironischerweise könnte man das andere Beispiel aus genau dem gegenteiligen Grund übersehen, weil es so alles durchdringend ist – es ist Michael Jackson selbst. Er singt ständig wiederholend „Ich bin böse“ und er ist es, aber nicht, weil er hart und gewalttätig ist. Stattdessen ist er böse, weil er ein Künstler ist, und er ist ein Künstler eines gewissen Typs – ein Künstler, der uns zwingt, uns selbst und unsere Welt auf eine andere Art zu sehen. Mit anderen Worten, er ist böse auf dieselbe Art, wie es Martin Scorsese ist.


    Michael Jackson scheint in diesem Film zu sagen, dass, gemein zu handeln, eine Waffe zu tragen, Drogen zu verkaufen, einen alten Mann auszurauben, Menschen zu verletzen – dass diese Dinge dich nicht „böse“ machen. Stattdessen bedeutet es, deine Talente zu entwickeln, besonders künstlerische Talente, und dann diese Talente einzusetzen, um wichtige Veränderungen in der Welt, in der Wahrnehmung und den Gefühlen der Menschen hervorzurufen. Michael Jackson und Martin Scorsese werden in der ganzen Welt respektiert, weil sie Künstler sind, mit der einzigartigen Courage, die Künstlern eigen ist. Sie sind unglaublich talentiert und kreativ, und, in Michael Jacksons Fall ganz besonders, haben sie die Beherztheit, eine ganz andere Vision davon, wie ein Leben gelebt werden kann, anzubieten.


    Und das erinnert mich an das, was du gerade gesagt hast über das Steine werfen und dann die Hände zu verstecken, und dass das bedeutet, Dinge aufzurütteln und dann vorzugeben, du hättest sie nicht getan. Weißt du, Künstler und Gangmitglieder haben etwas sehr Wichtiges gemeinsam: Beide handeln regelwidrig (grenzüberschreitend), das bedeutet, sie hinterfragen beide die etablierte soziale Ordnung. Aber während Gangmitglieder es auf eine negative Art tun und dann „ihre Hände verstecken“, machen es Künstler auf eine positive Art und übernehmen Verantwortung und sind stolz auf ihre „Grenzüberschreitungen“. Sie zeigen ihre Hände.


    Joie: Das ist eine sehr interessante Übereinstimmung, Willa. Ich wäre niemals auf diese beiden Dinge gekommen – Künstler und Gangmitglieder – sind sich in irgendeiner Form ähnlich, aber du hast eine großartige Aussage getroffen.

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  • Willa: Sie scheinen sich jeweils am gegenteiligen Ende des Spektrums zu befinden, nicht wahr? Aber sie verschieben beide die Grenzen dessen, was sozial akzeptabel ist, und manchmal regen sie zur Veränderung an. Aber während Gangmitglieder dazu neigen, negative Veränderungen hervorzurufen – mehr Gewalt, mehr Polizei, mehr Unterdrückung, mehr Gefängnisse – können Künstler manchmal positive Veränderungen hervorbringen. Und ich denke, der Unterschied besteht darin, dass Gewalt die Menschen ängstlich und reaktionär werden lässt, so dass sie ihre Gedanken verschließen, während Kunst den Menschen dabei helfen kann, ihre Gedanken und Ideen für neue Arten des Sehens und Erlebens der Welt zu öffnen.


    Joie: Sehr interessanter Vergleich. Aber weißt du, während wir über Gangmitglieder sprechen … es gibt da noch etwas bei diesem Video, das ich immer faszinierend gefunden habe, und das ist die Tatsache, dass der ganze Film in Schwarz-Weiß gedreht wurde, während die Tanzsequenz mit den Gangmitgliedern als lebhafter Farbfilm dargestellt wird.Vielleicht sollte ich hier mal kurz unterbrechen und sagen, dass du und ich im vergangenen Frühjahr schon ein wenig darüber gesprochen haben, wer genau diese „Gangmitglieder“ in diesem ungewöhnlichen Kurzfilm sind, und ich hatte festgestellt, dass ich Daryls drei sogenannte Freunde nicht als Gangmitglieder sehe, sondern als Möchtegern-Schlägertypen. Wenn ich also „Gangmitglieder“ sage, dann beziehe ich mich auf die Tänzer, nicht auf die Freunde.


    Willa: Obwohl sie eine ganz andere Art von Gang darstellen – eine „Gang“ von Tänzern, von Künstlern, was zu der Verbindung zwischen Künstlern und Außenseitern zurückführt, über die wir gerade gesprochen haben. Ich habe über diese Tänzer auf diese Art noch gar nicht nachgedacht bis jetzt, aber sie sie verkörpern auf gewisse Art die Verschmelzung dieser zwei Kategorien. Sie sind eine „Gang“ von Künstlern – sie sind ausgestoßene Künstler – also doppelt grenzüberschreitend.


    Joie: Oh, du hast Recht. Daran habe ich gar nicht gedacht. Aber ich liebe einfach die Art, wie dieser Teil des Kurzfilms vom Rest des Videos durch die lebhafte Farbigkeit abgesetzt ist, und ich frage mich immer, was Michael (oder Scorsese) versucht hat, mit dieser Unterscheidung zu vermitteln? Welche Botschaft versteckt sich hinter dieser künstlerischen Entscheidung? Könnte es vielleicht sein, dass das Elend des Lebens dieser drei Möchtegern-Schlägertypen in dem trostlosen, düsteren Schwarz-Weiß reflektiert wird, und dass Michael ihnen durch die Tanzsequenz zeigt, wie leuchtend und lebendig sie sein könnten, wenn sie ihre Welt der Gewalt und des Elends hinter sich lassen würden? Oder vielleicht ist das auch zu vereinfachend, und ich lese einfach zu viel da hinein.


    Willa: Oh nein, ich denke nicht, dass du da zu viel hinein liest, Joie – überhaupt nicht. Es muss bedeutend sein, denn er wiederholt denselben Wechsel in Ghosts.


    Joie: Oh ja, das stimmt; er nimmt denselben Übergang ebenso in Ghosts vor!


    Willa: Das tut er. Wir sehen die angsterfüllten Dorfbewohner und den rachsüchtigen Bürgermeister, wie sie dem Schloss des Maestros entgegen schleichen, in Schwarz-Weiß, und dann öffnet sich eine Tür und sie sehen einen Raum von Farbe durchflutet, und das ist der Bereich des Maestros. Und ich denke, deine Interpretation dieser Veränderung in Bad funktioniert sehr gut für beide Filme. Wie du sagst „das Elend des Lebens der drei Möchtegern-Schlägertypen“ und der Dorfbewohner in Ghosts ebenso „wird reflektiert in dem trostlosen, düsteren Schwarz-Weiß“. Und wie du weiter sagst „Michael zeigt ihnen durch die Tanzsequenz, wie leuchtend und lebendig sie sein könnten, wenn sie ihre Welt der Gewalt und des Elends hinter sich lassen würden“. Ich finde, das ist eine wunderschöne Art die beiden Filme zu deuten.


    Ein weiterer Weg sich dem anzunähern, ist, auf das berühmteste Beispiel eines Films, der zwischen Farbe und Schwarz-Weiß wechselt, zurückzublicken: Der Zauberer von Oz. Die Szenen in Kansas wurden alle in Schwarz-Weiß gedreht und die Szenen in Oz in Farbe. Michael Jackson war sich dieses Wechsels sehr bewusst und sprach darüber mit Rabbi Boteach, als er beschreibt, wie er die Auffahrt nach Neverland entworfen hat, beginnend mit dem sehr schlichten und einfachen Tor:


    Ich wollte, dass die Leute sie aufschwenken lassen und dass sie wirklich etwas merkwürdig und ramponiert aussehen, so dass du wirklich das Gefühl hast, du kommst auf eine Ranch, und ich möchte, dass wenn du um die Kurve kommst, es sich in einen Farbfilm verwandelt, wie in Der Zauberer von Oz.


    In Der Zauberer von Oz ist Dorothys „wirkliche“ Welt in Kansas Schwarz-Weiß, aber die Welt ihrer Vorstellung – die Welt von Oz – ist in Farbe dargestellt. Und dasselbe gilt ebenso für Bad: die schwarz-weißen Szenen sind „real“, und die Farbszenen stellen Daryls Vorstellung dar.


    Joie: Willa, das ist faszinierend. Daran habe ich vorher nicht gedacht. Die Szenen in Farbe passieren in Daryls Vorstellung, also sind sie als Farbfilm dargestellt! Das ergibt jetzt so viel Sinn.


    Willa: Yeah, aber es funktioniert nicht für Ghosts, wo all die Szenen – sowohl die farbigen, als auch die schwarz-weißen – „real“ sind. Dort scheint der Wechsel etwas anderes zu bedeuten. Die Farbszenen sind „real“, aber es ist eine überhöhte Realität, der durch die Kreativität eines beeindruckenden Künstlers Lebendigkeit verliehen wird – was näher an deine Interpretation herankommt, Joie. Und ich frage mich, ob das nicht auch näher an dem ist, was Michael Jackson genauso für Bad im Sinn gehabt hat. Wie in Ghosts, wissen wir während der Farbszene, dass wir uns in Anwesenheit eines beeindruckenden Künstlers befinden.


    Wie also bei sehr vielen seiner Werke scheint Bad ein weiteres Beispiel von Metakunst zu sein – von Kunst, die über Kunst spricht, einschließlich der Bedeutung von Kunst und der Rolle des Künstlers. Und er scheint zu sagen, dass Kunst persönliche Erfüllung genauso wie sozialen Wandel bringen kann – dass auch wir durch Kunst von einer trüben, grauen, eintönigen Welt aus Schwarz und Weiß zu einer Welt in prächtiger Farbe wechseln können.


    Joie: Das ist ein netter Gedanke, Willa.




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  • ... da gibts ja mal wieder Dinge, die mir nie aufgefallen sind - das mit dem Plakat und Martin Scorsese, was sich auf seinen film sacrileg bezieht..das ist genial und zeigt auch irgendwo humor...wäre mir nie eingefallen, dass dieses plakat eine tiefere Bedeutung hat...


    Das mit dem Text:


    You're Throwin' Stones
    To Hide Your Hands


    habe ich mir auch immer versucht zu erklären. Ich kenne natürlich nicht so ein Sprichwort, wo das vorkommt und dachte es wäre so, dass man seine Hände verseckt, in dem man etwas "böses" (gewalttätiges) tut, um zu verdecken, dass die Hände eigentlich dazu gebraucht werden könnten, etwas gutes zu tun..die Hand reichen, zur Versöhnung, zum "geben" (statt zum unrechtmässigen nehmen) z.B..oder sowas. Das es eine Art "künstliche" Beschäftigung für die Hände ist, um nicht "gut" sein zu müssen, weil man dann nicht mehr zur "Gang" passt..also zu der Gruppe, wo man(n) denkt, er müsse daugehören...(versteht ihr, was ich meine? :doof: )


    ...und zu dem Text, bei Beat it und Bad "be a Man"..passt doch irgendwie auch der Teil bei The way You Make Me Feel..wo der alte Mann zu Michael sagt "be yourself"..da geht es doch auch darum "ein Mann zu sein"..sich entsprechend zu verhalten..aber er soll eben lieber einfach "er selbst sein"...

  • You're Throwin' Stones
    To Hide Your Hands


    habe ich mir auch immer versucht zu erklären. Ich kenne natürlich nicht so ein Sprichwort, wo das vorkommt und dachte es wäre so, dass man seine Hände verseckt, in dem man etwas "böses" (gewalttätiges) tut, um zu verdecken, dass die Hände eigentlich dazu gebraucht werden könnten, etwas gutes zu tun..die Hand reichen, zur Versöhnung, zum "geben" (statt zum unrechtmässigen nehmen) z.B..oder sowas. Das es eine Art "künstliche" Beschäftigung für die Hände ist, um nicht "gut" sein zu müssen, weil man dann nicht mehr zur "Gang" passt..also zu der Gruppe, wo man(n) denkt, er müsse daugehören...(versteht ihr, was ich meine? )

    Ich habe hierzu gedacht, dass “Hände verstecken” mit “sich selbst verstecken” gleichgesetzt ist. Wenn man seine Hände offen zeigt, vor allem mit den Handflächen nach oben, dann bedeutet das ja, man hat nichts zu verbergen, ich denke, daraus ist auch das „Hand geben“ zur Begrüßung entstanden (um zu zeigen: Ich habe keine Waffen). Und hinter dem Steinewerfen versteckt man seine Hände, also auch sich als Person, man gibt nichts von sich preis, man ist nicht ehrlich, feige, also gar nicht mutig, sondern sehr unmännlich.

    Wie Daryl (und Michael selbst) steht er zwischen zwei Welten – und dies wird buchstäblich dadurch dargestellt, dass sie mit einer Bahn von einem ungewohnten Leben zurück in das Leben fahren, in dem sie aufgewachsen sind. Also befinden sie sich beide physisch und symbolisch zwischen zwei Welten.

    Was mir noch zu der Fahrt in der U-Bahn einfällt: Dieses Bahnfahren ist im Film vielleicht auch generell so eine Versinnbildlichung des Stehens oder Wanderns zwischen zwei Welten. Maja, du hast doch auch den Film Ziemlich beste Freunde gesehen und hattest mal erwähnt, dass du bei dieser einen U-Bahn-Szene sofort an Michael und Bad denken musstest. Mir ging es nämlich genauso (zumal der Hauptdarsteller ja auch noch so ein Kapuzenteil unter seiner Jacke trug, genau wie Michael ). Ich frage mich, ob das nicht vielleicht sogar von Bad inspiriert war. Der Typ pendelte ja auch buchstäblich zwischen zwei Welten.

    Und das erinnert mich wieder an die Lyrics in Beat it, was in gewisser Weise als eine Art Vorwort zu Bad dient:


    (Du) willst kein Junge sein, du willst ein Mann sein

    Zu „Be a man“: Da muss ich jetzt immer an das denken, was bei den Academia Project Videos gesagt wurde: Dass der Ausdruck Boy herabsetzend und rassistisch gemeint ist (dass die Sklavenhalter so ihre Sklaven genannt haben) und Michael es ja auch oft in seine Texte eingebaut hat (wie in Beat it und Speed Demon). Bei dem Text aus Beat it „Don’t wanna be a boy, you wanna be a man“ klingt für mich auch die Verweigerung gegen diese rassische Herabsetzung durch: Er will nicht nur ein Mann sein, sondern er will, dass ihm das Recht eingeräumt wird, als Mann akzeptiert und bezeichnet zu werden (und nicht als „Boy“). Er steht hier ja auch zwischen einer „schwarzen“ und einer „weißen“ Welt, die für ihn deutlich voneinander getrennt sind.

    ... da gibts ja mal wieder Dinge, die mir nie aufgefallen sind - das mit dem Plakat und Martin Scorsese

    Willas Entdeckung mit dem Plakat ist mal wieder genial. So etwas wäre mir nie aufgefallen. Und das so einzubauen muss Michaels Idee gewesen sein (wäre etwas seltsam, wenn Scorsese selbst so etwas vorgeschlagen hätte). (Ich hab’ mal schnell in Wikipedia darüber nachgelesen: Der Film muss damals wirklich richtigen Aufruhr und Proteste verursacht haben, allerdings hat er Scorsese auch eine Oscarnominierung als bester Regisseur eingebracht. Ist Michael vielleicht durch diese Zusammenhänge sogar auf ihn als Regisseur gekommen? Darüber weiß ich nichts …) Sowieso würde mich der Entstehungsprozess so eines (möglichst aller) Videos interessieren: Was hat der Regisseur eingebracht und was Michael? In meiner Vorstellung ist Michael immer der Regisseur, er hatte das letzte Wort. Ob dazu auch etwas in Spike Lees Film zu sehen ist? Es wurde ja schon mehrmals erwähnt, dass es so tolle Szenen aus dem Bad-Video geben würde .

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Celebrating Bad: Die Musik visuell präsentieren
    12/09/2012


    Joie: Also Willa, jeder weiß ja, dass Thriller das bestverkaufte Album aller Zeiten ist. Aber wusstest du, dass für einen kurzen Zeitraum tatsächlich Bad an zweiter Stelle der bestverkauften Alben stand?


    Willa: Wirklich? Nein, das wusste ich nicht.


    Joie: Bis zum heutigen Tag wird es sogar immer noch als eines der bestverkauften Alben, die jemals gemacht wurden, betrachtet – ich glaube, es ist auf Platz 6 der weltweiten Rangliste – und bis Katy Perry mit ihrem Album Teenage Dream den gleichen Rekord erreichte, war es das erste und einzige Album, das fünf Number One Singles hervorbrachte.


    Willa: Das wusste ich und es ist erstaunlich – besonders für ein Album, das viele im Hinblick auf die Verkaufszahlen als leistungsschwach ansahen. Es zeigt nur, wie hoch die Messlatte gelegt worden war für ein Album, das auf Thriller folgen würde.


    Joie: Diese Leistungen waren 23 Jahre lang unerreicht! Und was ich am meisten an diesem Album liebe, ist, dass Michael über 80 % davon selbst geschrieben hat – neun von elf Tracks auf dem Album wurden von ihm geschrieben.


    Also, worauf ich hier hinaus will, ist dass, obwohl Thriller für viele Leute oft als der Höhepunkt von Michael Jacksons Erfolg gesehen wird (und kommerziell ist das sicher richtig), doch im Grunde das nachfolgende Album Bad den Punkt markiert, an dem wir zu erkennen beginnen, dass der Künstler seine Flügel ausbreitet und künstlerisch, emotional, kreativ und politisch wächst.


    Willa: Das ist sehr interessant, Joie, und etwas, was Quincy Jones ebenso angedeutet hat. Er sagt in der ersten zusätzlichen Aufnahme auf dem Bad, Special Edition Album: „Ich konnte ihn geradezu als Künstler beim Verstehen der künstlerischen Leistung und dem ganzen Zeug wachsen sehen.“ Also da gibt es eine Frage, die ich Quincy Jones am liebsten jedes Mal fragen würde, wenn ich das höre, aber ich werde dich jetzt in die Verlegenheit bringen und frage dich stattdessen: Was siehst du als die größten Zeichen für das Wachstum zwischen Thriller und Bad?


    Joie: Okay, also zuerst mal das, worauf ich gerade hingewiesen habe. Die Tatsache, dass er den größten Teil der Songs darauf geschrieben hat. Bei seinen ersten Alleingängen als Erwachsener, Off the Wall und Thriller, war das nicht der Fall. Er schrieb nur drei der Songs auf Off the Wall und vier auf Thriller. Also denke ich, das zeigt großes Wachstum und Reife, sowohl in künstlerischer, als auch in kreativer Hinsicht.


    Willa: Das ist wahr, und wir können das auch an der Zahl der Videos, die er dazu gemacht hat, erkennen. Er machte je drei für Off the Wall und Thriller, aber er machte acht für Bad – neun, wenn du Leave me alone mitzählst – und neun für Dangerous, also scheint Bad ein wichtiger Wendepunkt für ihn auch in dieser Hinsicht gewesen zu sein.


    Joie: Und auch die Dinge, über die er schreibt. Die Themen der Songs auf Bad zeugen ebenfalls von sehr großer Reife und Wachstum.


    Willa: Ich nehme es an, obwohl Billie Jean emotional so komplex ist und sehr viel Tiefe in Beat it und Heartbreak Hotel und ebenso in Workin’ Day and Night. Es ist nicht so, dass seine vorangegangenen Songs allzu simpel gewesen wären.


    Joie: Durchaus, das ist sehr wahr. Allzu simpel ist nicht das Wort, das ich gebrauchen würde, um seine Texte zu beschreiben. Aber, ich weiß nicht. Das Bad Album scheint für mich einfach ein wenig „erwachsener“ zu sein als seine vorangegangenen Alleingänge.


    Willa: Und mehr eindeutig „er“, weil er so viele der Songs selbst geschrieben hat, wie du schon vorhin erwähnt hast. Weißt du, die Geschichte, die du immer über Bad hörst ist die, dass er sich unter enormen Druck setzte, um Thriller zu übertreffen, und ich bin sicher, dass diese Art von Druck bis zu einem gewissen Grad da war. Ein Nachfolgealbum für Thriller zu erschaffen konnte schon einschüchternd sein, da bin ich sicher.


    Joie: Oh ja, daran besteht kein Zweifel. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich diese Art von Druck anfühlen muss.


    Willa: Ja, ich weiß. Aber wenn man sich dieses Album anhört, dann hat man nicht das Gefühl, dass es von einem Ort der Angst und Unsicherheit kommt. Er klingt sehr selbstsicher, mit einer Botschaft, von der er sich veranlasst sieht, sie teilen zu müssen und mit dem Selbstvertrauen, sie zu teilen. Ich frage mich, ob das ein Teil dessen ist, was du fühlst, Joie, wenn du sagst, dass dies für dich das Album ist, wo er wirklich zu sich selbst findet.


    Joie: Da bist du auf der richtigen Spur, Willa. Er scheint auf diesem Album eine gewisse Ebene des Selbstvertrauens und sogar der Dreistigkeit erreicht zu haben, also vielleicht ist es das, worauf ich reagiere. Und weißt du, wenn ich über dieses Album nachdenke, ist es wirklich schwierig für mich, einen herausragenden Titel auszuwählen, der diese CD von anderen abhebt oder sie großartig macht, weil wirklich jeder Song ein Meisterstück für sich ist.


    Willa: Ich weiß, was du meinst, und ich frage mich auch, ob das an all den Videos liegt. Du weißt ja, in Moonwalk spricht er über die Videos, die er für das Thriller Album gemacht hat und betont, dass sie nicht einfach als Marketingmaßnahme hinterhergeschickt wurden. Sie waren von Anfang an Teil seiner Vision. Er sagt:


    Die drei Videos, die aus Thriller entstanden sind – Billie Jean, Beat it und Thriller – waren alle Teil meines ursprünglichen Konzeptes für das Album. Ich war entschlossen, diese Musik so visuell wie möglich darzustellen.


    Und Bad ist der Punkt, an dem er wirklich dieses Ziel, die Songs „so visuell wie möglich“ darzustellen, erreicht. Mit Ausnahme der Duette hat er für jeden Song auf dem Album ein Video gemacht, und ich denke, das trägt zu deinem Gefühl, über das du gesprochen hast, bei, Joie, dass „jeder Song ein Meisterstück für sich“ ist. Denn jeder einzelne Song hat sein eigenes Video, jeder einzelne vermittelt einem das Gefühl eines vollständig ausgeführten, multisensorischen Kunstwerkes.


    Weißt du, sogar wenn ich nicht die Videos selbst ansehe, wie es der Fall ist, wenn ich die Songs von Bad aus meiner Anlage im Auto höre, sehe ich trotzdem diese Bilder vor mir. Sie sind für mich jetzt einfach ein wesentlicher Bestandteil eines jeden Songs.

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Joie: Ich bin einer Meinung mit dir, Willa; sie fühlen sich wirklich wie ein „wesentlicher Bestandteil eines jeden Songs“ an, und es ist fast unmöglich, sich nicht den entsprechenden Kurzfilm dazu vorzustellen, wenn du die Songs selbst hörst. Und ich bin sicher, dass das wahrscheinlich genau seine Absicht war, wie die Textstelle, die du aus Moonwalk zitiert hast, belegt. Und wie du vorher schon gesagt hast hat er für sein folgendes Album Dangerous ebenfalls neun Videos gemacht und acht für das HIStory Album, daher glaube ich, dass seine Darstellung der Musik „so visuell wie möglich“ etwas war, was sehr wichtig für ihn war und etwas, worin er sich stark engagierte.


    Willa: Das sehe ich auch so. Ich habe wirklich das Gefühl, dass er den vollständigsten Ausdruck seiner Kunst durch seine Videos erreichte. Dort kommt alles zusammen: die Musik, der Tanz, die unglaubliche Stimme, die bildlichen Hinweise, die Hintergrundgeschichte und die Erzählung – oder wie er die Struktur seiner Videos beschreibt, der Anfang, der Mittelteil und der Schlussteil dessen, was er versucht zu vermitteln.


    Joie: Stimmt. Und es lässt dich wirklich an seine große Liebe zum Film denken. Manchmal glaube ich, dass seine Videos so erstaunlich sind wegen seiner Liebe zum Film. Wie viele Male hat er über den Einfluss des Films gesprochen und über die Fähigkeit, ein Publikum überall hin mitzunehmen, wo du es haben willst, alles durch Film. Und viele Male, das ist das, was seine Videos tun – nehmen sie dich vorübergehend mit an einen anderen Ort. Einen Ort seiner Wahl. Es ist kein Wunder, dass er von ihnen als ‚Kurzfilmen’ sprach statt von Videos.


    Und einfach nur über diese Tatsache nachzudenken macht mich wirklich wütend, dass er nämlich bei Invincible daran gehindert wurde, genau das zu tun. Ich liebe das Album so sehr, und ich hätte so gern erlebt, welche Videos er dafür gemacht hätte. Aber du hast Recht, Bad ist das erste Album, mit dem er sein Ziel erreicht, die Musik so visuell wie möglich zu präsentieren, und genau deswegen wurde sein Name praktisch ein Synonym für Musikvideos.


    Es ist eine interessante Vorstellung, dass niemand anderer es zu jener Zeit wirklich machte. Weißt du, die meisten Künstler nutzten Musikvideos als eine Art Instrument zur Verkaufsförderung, und die daraus entstandenen Videos hatten sehr wenig mit dem Song selbst zu tun. Aber Michael änderte das alles; er ‚warf das Drehbuch über den Haufen’ wie man so schön sagt. Plötzlich waren Musikvideos nicht mehr irgendein abstrakter Zusatz, sondern sie waren eine Möglichkeit, einen Song tatsächlich zum Leben zu erwecken.


    Willa: Und nicht immer auf eine Art, die man erwarten würde – wer würde jemals Liberian Girl hören und sich das Video dazu vorstellen, das er dafür erschaffen hat? Oder The way you make me feel? Oder Speed Demon? Oder Bad oder Smooth Criminal oder Dirty Diana? Genau genommen inszeniert das Dirty Diana Video die Lyrics wahrscheinlich viel genauer als die anderen: Während er über einen Künstler singt, dem ein Groupie näher kommt, entdecken wir, dass er wirklich ein Künstler ist, dem sich ein Groupie nähert.


    Aber sogar das erhöht und verkompliziert die Lyrics auf eine interessante Art. In der Tat gibt es einige sehr interessante Details an Dirty Diana. Er singt beispielsweise über eine Dreiecksbeziehung zwischen sich selbst, My Baby und Diana. Diana will ihn einfach, oder ihre Vorstellung von ihm als berühmtem Rockstar, und es kümmert sie nicht wirklich, ob sie ihn oder My Baby verletzt. An einem Punkt singt er, dass er mit My Baby telefoniert und Diana ins Telefon spricht „Er kommt nicht zurück, denn er schläft mit mir.“ Das ist solch ein Augenblick des Betrugs – stell dir mal vor, wie schmerzhaft dieser Moment für ihn und My Baby gewesen sein muss – jedoch das Konzertpublikum tobt, wenn er das singt. Das Publikum wird verrückt. Und interessant ist – das Getöse der Menge in diesem Moment ist nicht auf dem Album; es ist nur auf dem Video.


    Was die Reaktion der Menge ziemlich klar ausdrückt, ist, dass sie den Song nicht aus der Perspektive von My Baby hören, oder sogar aus seiner Sicht, sondern aus Dianas Perspektive – und wirklich, das ergibt perfekten Sinn, denn sie sind wie Diana. Sie wollen ihn auch, genauso wie Diana. Wir sehen das im Video, wenn er sein Shirt aufreißt. Die Menge wird wirklich wild an diesem Punkt. Er ist ein Objekt der Begierde und sie stellen sich vor, diese Begierde zu stillen, ungeachtet der Konsequenzen für ihn oder sein Privatleben.


    Und im Grunde scheint das die Position zu sein, in der er das Publikum sehen möchte – er will, dass wir ihn begehren, wenn er auf der Bühne ist, und er will, dass wir uns an Diana ausrichten. Wir erkennen das an den Lyrics, in denen er uns dazu auffordert, mit ihr zu fühlen und die Dinge aus ihrer Sicht zu sehen. Also ist das Publikum bei ihr positioniert, was Sinn ergibt. Aber dann am Schluss des Videos macht er diese klassische Michael Jackson Bewegung, die wir in so vielen seiner Videos sehen, mit der er plötzlich die Perspektive wechselt. Wir folgen ihm, als er die Bühne hinunter geht, er öffnet die Tür seines Wagens, und da ist ein sehr verstörender Powerakkord, als er sieht, dass innen eine Frau auf ihn wartet.


    Joie: Das ist eine sehr scharfsinnige Beobachtung, Willa. Ich habe nie vorher die Verbindung zwischen dem Toben der Menge und der Perspektive des Publikums in diesem Video hergestellt. Interessant.


    Willa: Oh, es ist so interessant – was er mit den Perspektiven macht ist einfach faszinierend für mich, und er spielt ständig damit, auf solch komplexe Art und Weise. So etwa, wenn die Perspektive in Dirty Diana wechselt, nimmt alles plötzlich einen ganz anderen Charakter an. Das ist nicht die typische Rockstar / Groupie Phantasie, die wir in so vielen Musikvideos dargestellt sehen. Dies ist die Phantasie, die dem Realismus nachgibt, und plötzlich verändert sich unsere Perspektive, und wir sind gezwungen, die Situation mehr von seinem Standpunkt aus zu betrachten – und sein Standpunkt ist wirklich kompliziert. Es ist immer kompliziert. Er lässt uns niemals mit einer einfachen Antwort zurück.


    Da sitzt also eine schöne, junge Frau in seinem Wagen und will Sex mit ihm, und auf der einen Seite ist das ein angenehmes Problem. Ich meine, wirklich, es gibt Schlimmeres. Aber auf der anderen Seite kennt er sie gar nicht, er weiß nichts über sie – weiß nicht, ob sie freundlich ist oder gemein oder ein verrücktes Huhn – und er hat gerade in den Lyrics beschrieben, wie eine Frau wie diese das Potential hat, ihn und My Baby zu verletzen. Es ist also kompliziert.


    Joie: Es ist kompliziert. Und wie wir schon den letzten Sommer über in der My Baby Serie diskutiert haben, beleuchtet Dirty Diana auf vollkommene Art dieses komplizierte, oft seltsame Thema des Berühmtseins und des Ruhmes. Und es ist auch ein perfektes Beispiel dafür, wie Musik „so visuell wie möglich“ dargestellt wird. Wie du zuvor schon festgestellt hast, erzählen viele der Kurzfilme eine ganz andere Geschichte, als man erwarten würde, wenn man einfach nur den Song selbst hört; aber das ist nicht der Fall bei Dirty Diana. Hier spiegelt der Kurzfilm den Song sehr genau – so wird der Song selbst genau vor deinen Augen zum Leben erweckt. Wenn das keine visuelle Präsentation der Musik ist, dann weiß ich nicht, was es sonst ist!



    The truth must dazzle gradually
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    Emily Dickinson