Joie: Es ist zweifellos mein Lieblingsartikel in dem Buch. Ich liebe die Art und Weise, wie du ohne Anstrengung die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den beiden aufzeigst. Du schreibst:
„Michael Jackson, die prägende Popikone der 80er, kreierte unterdessen mit Dangerous ein Album, das so viel – oder wenig – mit Pop zu tun hat wie Nevermind. Die stilistischen Unterschiede sind offensichtlich genug. Nevermind ist im Punk Rock und Grunge verwurzelt, während Dangerous in erster Linie auf R&B und New Jack Swing basiert. Jedoch führten beide grobkörnige, neue Klänge beim Massenpublikum, das müde vom Glanz der 80er war, ein – Jacksons war urban, industriell, von der Straße beeinflusst, während Nirvanas rauer, schmuddeliger Garagenrock war. Jackson und Cobain kultivierten auch ihr Image als „Outsider“ (Außenseiter) – verwundete, empfindsame Seelen, die im Widerspruch zu der korrupten Welt um sie herum standen. Sowohl Nevermind, als auch Dangerous sind versetzt mit einem ähnlichen Gefühl der Angst und Entfremdung, mit vielen Songs, die als eine Art bekennende Dichtung funktioniert. Vergleiche Cobains Lyrics von Lithium – Ich bin so glücklich / Denn heute fand ich meine Freunde / Sie sind in meinem Kopf (I’m so happy / Cause today I found my friends / They’re in my head) – mit Jacksons aus Who Is It – Ich bin verdammt / Ich bin der Tote / Ich bin die Qual in diesem sterbenden Kopf (I am the dammed / I am the dead / I am the agony inside this dying head).“
Dann machst du weiter und vergleichst den Black or White Short Film mit dem Smells Like Teen Spirit Video, wobei du herausstellst, dass es ungefährlich war, nicht bedrohlich gegenüber Jacksons, dessen Video für umtriebig gehalten wurde:
„Ironischerweise war es der ‚Establishment Popstar‘, nicht die Außenseiter Grunge Band, dessen Musikvideo zensiert wurde, nachdem die Öffentlichkeit aufgeschrien hatte wegen des kontroversen Schlussteils. Smells Like Teen Spirit unterdessen hatte so hohe Drehzahlen, da es nur ein überschwängliches Lob auf MTV benötigte, so dass sie eine „komplette neue Generation als Käufer gewonnen hatten“.
Oberflächlich gesehen schienen sie solch vollkommen gegensätzliche Instanzen zu sein; ich glaube nicht, dass irgendjemand über diesen Punkt streiten würde. Michael Jackson und Nirvana konnten nicht weiter voneinander entfernt sein, musikalisch gesehen. Aber trotzdem findet man eine Verbindung zwischen den beiden, und es funktioniert. Ich bin neugierig, sind dir diese Gemeinsamkeiten zwischen Dangerous und Nevermind sofort ins Auge gesprungen?
Joe: Vielen Dank für die freundlichen Worte über dieses Stück. Es hat Spaß gemacht, das zu schreiben. 1991 war wahrscheinlich das aufregendste Jahr für mich in Bezug auf Musik. Vor 1991 hörte ich meistens Songs aus dem Radio oder die Alben meiner Eltern. Ich hatte eine kleine Sammlung von eigenen Kassettenaufnahmen. Aber 1991 war das Jahr, in dem ich besessen wurde von Musik, und es war der Beginn meiner lebenslangen Faszination von Michael Jackson. Ich erinnere mich genau an all diese großen Alben, die herauskamen – Dangerous, Achtung Baby, Use Your Illusion, Cooleyhighharmony, Diamonds and Pearls, Ten, Nevermind – und ich liebte jedes von ihnen. Ich kann mich immer noch lebhaft erinnern, wie es war, dies alles in meinem örtlichen Plattenladen zu kaufen und es dann zu öffnen – das Gefühl der Entdeckung und Aufregung, der Geruch des Begleitheftes, die Erwartung, sie endlich in die Stereoanlage einzulegen. Mein Bruder und ich sparten monatelang Geld, um eine Boombox (Ghettoblaster) für 50 Dollar zu kaufen. Und das war eine ganz andere Erfahrung damals, denn wir saßen dann nur in unserem Zimmer ohne irgendeine Ablenkung und hörten zu. Ich erinnere mich, das Dangerous Album bekommen zu haben und wieder und wieder Black or White gehört zu haben.
Aber was mich irgendwie immer beunruhigt ist, dass sogar damals, 1991, als ich ein Kind war, Michael Jackson zu mögen als seltsam angesehen wurde. Alle meine Freunde standen auf Rock und Grunge – was ich ebenfalls mochte. Aber wenn man auf Michael Jackson zu sprechen kam, dann hatten sie das Gefühl, er wäre ein Freak oder zu feminin oder „schwul“. Für mich jedoch, aus welchen Gründen auch immer, war es so, dass ich sogar damals etwas Ähnliches zwischen Jackson und Cobain hören und sehen konnte. Sie kamen aus ganz unterschiedlichen Richtungen, aber da war diese Verwundbarkeit an ihnen. Wenn man mal die ganzen Images und das Marketing und das Gruppendenken, das populäre Musik oft umgibt, außer Acht lässt, dann sind da einige bemerkenswerte Ähnlichkeiten in dem, was sie ausdrücken. Bei all diesem Unsinn über Jackson, er sei bloß ein Popstar oder Entertainer, hatte ich das Gefühl, dass das, was ich an Tiefe und Breite auf Dangerous hörte, dem keine Rechnung trug. Natürlich konnte ich das zu jener Zeit noch nicht wirklich artikulieren. Aber mit den Jahren, als ich Musikkritiker erlebte, die Nirvana großzügig lobten und Michael Jackson ablehnten und diese sehr vereinfachten Behauptungen darüber aufstellten, Nevermind würde das Ende für Jackson und alles, wofür er stand, sein, da dachte ich immer, gut, wartet eine Minute – lasst uns das analysieren: Vielleicht sind die Künstler und Alben nicht genau das, was die populäre Mythologie vorschlägt. Also war es wirklich ein Versuch, ihre historischen (und geschmacksbezogenen) Rollen neu zu bewerten.
Willa: Das ist so interessant, Joe, denn ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Ich habe Michael Jacksons Musik geliebt, seit ich neun Jahre alt war, und ich fühlte einfach Dinge in seinen Songs, die ich nicht in Worte fassen konnte. Es brauchte Jahre – etwa 20 Jahre – bevor ich zu verstehen begann und es in Worte fassen konnte, was so unwiderstehlich für mich war.
Und Joie hat Recht – dein Nirvana Artikel ist faszinierend, besonders wie er uns zwingt wirklich darüber nachzudenken, was es bedeutet, kulturelle Normen zu hinterfragen. Wer forderte wirklich das System auf seiner tiefsten Ebene heraus: der „düstere“ Grunge Rocker oder der „harmlose, nicht-bedrohliche“ Popstar? Wie du in deinem Artikel zeigst, Joe, kann Wahrnehmung sehr irreführend sein. Und ich will Kurt Cobain in keinster Weise irgendwie verleumden. Vielmehr rede ich über die von dir so gut beleuchteten Unterschiede darüber, wie jeder von den beiden wahrgenommen wurde.
Ich bin auch fasziniert davon, dass deine Freunde Michael Jackson als „Freak oder zu feminin oder ‚schwul’“ abgewiesen haben, denn ich hatte lange Zeit das Gefühl, dass die Herausforderung sozialer Normen über Geschlechterrollen und Sexualität die am meisten grenzüberschreitende Sache war, die Michael Jackson jemals getan hat. Weißt du, es gibt eine Menge Rockstars, die Make-up und Kleidung auf eine androgyne Weise tragen, aber dann wieder eine Art von Über-Maskulinität zum Ausdruck bringen, sogar Frauenfeindlichkeit, durch ihre Lyrics und ihr persönliches Leben, das uns alle wissen lassen soll, dass wir es hier mit richtigen Männern zu haben. Wir können es im Punk Rock über Heavy Metal bis zu Hip Hop erkennen. Es ist, als wollten sie sagen: Es ist okay, mit Geschlechterstereotypen ein bisschen zu spielen, wenn du am Ende des Tages mit einem Haufen Groupies schläfst oder Frauen „Bitches“ nennst und beweist, dass du im Herzen ein wirklicher Mann bist.
Michael Jackson hat das nie getan. Er hat grundlegend in Frage gestellt, was es bedeutet „ein Mann zu sein“, wie er es in Beat it und Bad bespricht, und er weigerte sich, sein Anderssein auf „angemessene“ Weise auszudrücken. Er war nicht „angemessen“ heterosexuell oder angemessen schwul oder angemessen maskulin oder feminin oder ordnungsgemäß Schwarz oder Weiß. Und er zahlte einen riesengroßen Preis dafür. Das liefert starke Argumente dafür, dass das der Grund ist, warum die Belästigungsvorwürfe „an ihm haften geblieben“ sind – weil er die Normen für Geschlechterrollen und Sexualität herausgefordert hat. Und niemand hat ihn verteidigt, von den eigenartigen Theorietypen zur Linken über die Baptisten aus dem Süden zur Rechten bis zu jedermann dazwischen. Er hatte keine andere Anhängerschaft als seine Fans, weil er sich weigerte, sich in ordentliche vorgefertigte Kategorien einzupassen, die für die Identitätspolitik jedes Schlags akzeptabel waren.