Dancing With The Elephant

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  • Lisha: Es sieht so aus, als kämen eine Menge der Clips aus der The Jacksons Varieté Show direkt aus diesem Film. Aber ich sehe auch eine Menge Dinge in Michael Jacksons Performance, die möglicherweise näher auf seine Verbindung zu Fred Astaire eingehen. Vor einigen Jahren hatte ich das Glück, einer herausragende Präsentation der Tanzhistoriker Bonnie Brooks und Raquel Monroe mit dem Titel „Das postmoderne Genie von Michael Jackson“ am Columbia College in Chicago beizuwohnen. Sie beschrieben Michael Jacksons Tanzperformances als eine virtuelle Geschichte des Tanzes und hoben hervor, wie er so viele verschiedene Einflüsse auf eine solch makellose und originelle Weise verschmolzen hat, dass man sie einfach nur „genial“ nennen kann. Einer der faszinierendsten Clips, die sie verwendet haben, um das zu veranschaulichen, war eine Performance der Nicholas Brothers aus dem Film Stormy Weather. In dem The Jacksons Clip oben (etwa beginnend bei 2:25) bemerkte ich, dass der Treppenaufgang, die Rampe und die Teilungen am Ende dem Ende der Nicholas Brothers Performance ziemlich ähnlich waren:


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    Willa: Oh, und auch die Drehungen! Wow, Lisha, wenn du sie nebeneinanderstellst kannst du diese Einflüsse wirklich sehen. Und laut Fayard Nicholas hat Fred Astaire ihm erzählt: „Das ist die größte Tanznummer, die ich je auf Film gesehen habe.“ (Hier ist ein Link zu dem Fayard Nicholas Interview. Der Kommentar ist fast am Ende – nach etwa 7 Minuten).


    Weißt du, eine Sache, die mich an all dem beeindruckt, Lisha, ist, dass Stormy Weather locker auf dem Leben von Bill “Bojangles” Robinson basiert, dem eleganten, aber ausdrucksstarken Tänzer, der dabei half, bezüglich Tanz und Choreographie im Film Pionierarbeit zu leisten. Zum Beispiel tanzte er mit Shirley Temple in einer Reihe von sehr berühmten Filmen in den 30er Jahren – und übrigens glaube ich, dass war das erste Mal, dass ein schwarzer Mann jemals auf der Bühne oder im Film mit einer weißen Frau getanzt hat. Die Nicholas Brothers zollen Robinson in Stormy Weather Tribut und Fred Astaire zollt ihm Tribut in The Band Wagon (das ihn namentlich erwähnt) und in einer sehr problematischen Nummer, Bojangles of Harlem, aus dem Film Swing Time. Bill Robinson hat also sowohl die Nicholas Brothers, als auch Fred Astaire beeinflusst und dann haben sie Michael Jackson stark beeinflusst, der, wie du sagst, „eine virtuelle Geschichte des Tanzes“ umspannt.


    Lisha: Es scheint, Bill Robinson war ein großer Einfluss für alle diese Künstler. Fred Astaires Arbeit basiert, zumindest teilweise, auf der schwarzen Stepptanztradition, wie Brenda Dixon Gottschild in "Waltzing in the Dark: African American Vaudeville and Race Politics in the Swing Era" ("Walzer tanzen im Dunkeln: Afroamerikanische Vaudeville und Rassenpolitik in der Ära des Swing") anmerkt. Wir wissen, Michael Jackson war ebenfalls von der schwarzen Stepptanztradition beeinflusst – er tanzte sogar mit den Nicholas Brothers im Jahr 1977 und hat möglicherweise auch mit ihnen geübt:


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    Die Frage ist also, wer sich in all diesen Beispielen wessen Kultur aneignet? Stepptanz hat sowohl Wurzeln in europäischen, als auch in afrikanischen Traditionen. Vieles wurde darüber gesagt, wie Michael Jackson Anleihen von Fred Astaire und Hollywoodmusicals gemacht hat, aber wenig wird darüber gesagt, wie vieles weiße Performer schwarzen Tänzern verdanken, solchen wie Bill Robinson und den Nicholas Brothers.


    Willa: Das ist ein ausgezeichnetes Argument, Lisha. Also wenn Michael Jackson Fred Astaire bezüglich seines Tanzes zitiert, deutet er dann zurück auf eine weiße oder schwarze Tradition? Die Antwort darauf ist ziemlich kompliziert, wie du andeutest.


    Lisha: Zur selben Zeit, als Hollywood schwarze Performer unterdrückt hat, hat es auch an deren Talenten verdient. Die Anthropologin Elizabeth Chin schrieb einen unglaublichen Essay für das Journal of Popular Music Studies mit dem Titel "Double Consciousness and the Uncanny Business of Performing While Black" ( "Michael Jacksons Panter Tanz: Doppelbewusstsein und das unheimliche Geschäft des Performens während des Schwarzseins"). Sie sieht in dieser Hinsicht eine direkte Verbindung zwischen Stormy Weather und Michael Jacksons Panter Tanz als einem Traumballett, das „Teil eines andauernden Kampfes seitens afroamerikanischer Künstler, ihre Arbeit gemäß ihren eigenen Vorstellungen zu präsentieren.“


    Willa: Chin’s Artikel ist faszinierend, besonders die Art und Weise, wie sie das Traumballett betrachtet, von dem sie glaubt, es entwickelte sich mit Stormy Weather und hat seinen vollständigsten Ausdruck vielleicht in dem Panter Tanz erreicht. Sie sieht das Traumballett als einen Ort, an dem schwarze Künstler aus weißen Stereotypen gewissermaßen ausbrechen und ihre eigenen Träume und ihre eigene Sichtweise ausdrücken konnten – obgleich diese Träume und Sichtweisen, wie Chin einräumt, einem weißen Publikum schmackhaft gemacht werden mussten.

    Aber ich bin nicht sicher, ob Jackson in dem Panter Tanz seine Träume und seine Wut gezügelt hat – zumindest nicht ausreichend für manch weiße Befindlichkeiten, was ein Grund dafür ist, dass es einen solchen Aufschrei verursacht hat, als es erstmals ausgestrahlt wurde.


    Lisha: Ich stimme dir da zu. Wenn Michael Jackson seinen Hut aufsetzt und in das “Spotlight” tritt, um einen hyper-sexualisierten, hyper-kriminalisierten Stepptanz zu performen, „performt“ er seine Rasse und sein Geschlecht auf eine sehr komplexe Art, die, wie ich glaube, die Überzeugungen, Wahrnehmungen und Erwartungen weißer Zuschauer zur Schau stellt. Wieder verkörpert er die Textzeile aus Is it scary: “I’m gonna be, exactly what you want to see.”/ "Ich werde genau das sein, was du sehen willst." Während er die alptraumhaften Vorstellungen der dominanten Kultur von schwarzen Männern als hyper-sexualisierte Kriminelle und Entertainer abspielt, drückt er auch seine Wut über diese Überzeugungen und Erwartungen aus. Der Tanz ist unglaublich schön, aber er ist auch extrem intensiv und unbequem. “Niederschmetternd” ist das Wort, das der Amerikanistik Professor Eric Lott verwendet hat, um den Tanz zu beschreiben.


    Willa: Das ist eine gute Beschreibung.


    Lisha: Aber ich denke Chin macht eine exzellente Bemerkung, wenn sie Gene Kellys “übermütiges Pfützenplanschen” in Singin’ in the Rain mit “dem stampfenden und schreienden Jackson” in dem Panter Tanz vergleicht. Die schwarze Traumlandschaft wird als Rückeroberung von Raum interpretiert, die weiße Tänzer sich von schwarzen Steppern angeeignet hatten, etwas, von dem ich denke, Kelly merkt es vielleicht in seiner Performance mit den Nicholas Brothers in The Pirate an:


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    Willa: Das ist ein großartiger Clip, Lisha! Und Ich stimme zu, dass Gene Kelly insbesondere den Nicholas Brothers Tribut zu zollen scheint, ebenso wie der Tradition des schwarzen Tanzes generell – eine Tradition, von der sowohl er, als auch Fred Astaire für ihre Arbeit ausgiebig gezehrt haben.


    Und das erinnert mich wieder einmal an die problematische Nummer Bojangles of Harlem, die Astaire offensichtlich als Tribut an Bill Robinson performt hat. Daran ist am verstörendsten, dass er in Blackface (Schwarzgesicht) performt und das ist kein irgendwie verborgener Film, den nie jemand gesehen hätte. Sie ist aus Swing Time, den viele Kritiker, Roger Ebert eingeschlossen, als die beste seiner Zusammenarbeiten mit Ginger Rodgers sehen. Ich konnte keinen Clip von der gesamten Nummer finden, aber hier ist sie in zwei Teilen:


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    Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich das gesehen habe. Ich war sprachlos und so enttäuscht, dass er es gemacht hat. Es fühlt sich zutiefst beleidigend an, es fast 80 Jahre nachdem es gefilmt wurde, anzusehen und ich kann dieses Gefühl nicht abschütteln. Und ich frage mich, wie es sich für Michael Jackson angefühlt hat das zu sehen, wissend, wie sehr er Fred Astaire bewundert hat?

    :herz: Michael Jackson - forever the King of Pop. A genre of music. Mainly, a beautiful human being. :herz:
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  • Lisha: Diese Szene ist schmerzlich anzuschauen, soviel ist sicher.

    Willa: Das ist sie wirklich. Aber weißt du, wenn wir den Clip sorgfältiger betrachten, gibt es da einige sehr interessante Details, die verkomplizieren könnten, wie wie das interpretieren – besonders diese Silhouetten, die in dem zweiten Clip hinter ihm tanzen. Diese Silhouette scheinen die schwarzen Tänzer darzustellen, die vor ihm gekommen waren – speziell Bill Robinson, der “Bojangles”, der im Titel erwähnt – und diese Silhouetten sind größer als er. Tatsächlich überragen sie ihn, was psychologisch Sinn ergibt. Schließlich können unsere Lehrmeister uns ebenso einschüchtern wie inspirieren.


    Diese Silhouetten scheinen auch bessere Tänzer zu sein als er es ist (obwohl er natürlich beide Rollen spielt). Tatsächlich müht er sich an einer Stelle ab, mit ihnen mitzuhalten. Später beweist er, dass er gut gelernt hat und ein fähiger Tänzer ist – in der Tat scheint er sie letztlich an die Wand zu tanzen. Aber ironischerweise kann selbst das als ein Zeichen dafür gelesen werden, wie über-ehrfurchtsvoll er ihnen gegenüber ist. Es erinnert mich an Harold Bloom’s “Anxiety of Influence" ("Angst vor Einfluss"), in dem er darüber spricht, wie Künstler dazu neigen, ihre unmittelbaren Vorgänger unterzubewerten, einfach um sich selbst ein wenig Raum zum Atmen zu geben. Die Tatsache, dass Fred Astaire die Notwendigkeit verspürt hat, sich selbst im Wettbewerb mit diesen Figuren der Vergangenheit zu beweisen, offenbart nur, wie sehr sie in seiner Vorstellung bedrohlich näherrücken.


    Es ist also interessant darüber nachzudenken, wer in dieser Nummer in den Vordergrund gestellt wird. Fred Astaire befindet sich davor, also scheint er es zu sein, aber ich für mich persönlich, kann dennoch meine Augen nicht von diesen Silhouetten abwenden und sie führen tatsächlich die Choreographie größtenteils an. Wenn wir diese Nummer also als eine Reflexion von Fred Astaires Geist betrachten, dann geht da eine Menge vor sich in dieser Performance – sehr viel mehr, als wir auf den ersten Blick denken.


    Lisha: Wow, das ist wirklich interessant und verleiht der Idee, dass dies als eine von Herzen kommende Hommage an Bill Robinson gesehen werden kann, sehr viel mehr Glaubwürdigkeit, trotz der Tatsache, dass die Blackface Sache so enttäuschend ist, wie sie nur sein kann. Genau wie bei Limehouse Blues ist es schwer, die Nummer als Ganzes abzutun, so sehr es scheint, dass wir das tun sollten. Wenn du die Live Performance von Smooth Criminal aus den Bad, Dangerous, und HIStory Welttourneen ansiehst, ist es ziemlich eindeutig, dass Michael Jackson selbst der Szene ein OK gibt. Er verwendet diese Silhouetten selbst, möglicherweise um sich selbst damit symbolisch in die Geschichte des Tanzes einzufügen und um Astaire Tribut zu zollen.


    Willa: Das ist ein wirklich gutes Argument, Lisha! Und eine sehr interessante Art und Weise das zu interpretieren. Du hast recht, er verwendet diese Silhouetten oft – auf Tournee, wie du sagst, und in dem Video You rock my world und in einer sehr interessanten und nuancierten Performance von Dangerous bei den MTV Awards 1995. Hier ist ein Clip:


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    Lisha: Ich wüsste nicht, dass ich jemals wirklich über diese Silhouetten in dieser Performance nachgedacht hätte oder darüber, wie sie von sowohl Smooth Criminal und Fred Astaire entliehen wurden. Was für mich so interessant daran ist, ist, dass ich über diese Performance normalerweise mit Bezug zu Judy Garlands Get Happy in Summer Stock sehe:


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    Aber nun, wo du es erwähnt hast, hat er diese Performance mit so vielen Fred Astaire Zitaten bespickt, dass man es nicht anders sehen könnte.

    Willa: Wow, Lisha, das ist unglaublich! Da gibt es wirklich starke Ähnlichkeiten zu Get Happy, oder? Besonders in dem Intro. Ich hatte das nicht in Verbindung gebracht – zu konzentriert auf Fred Astaire, schätze ich. Auf Astaire wird sich die gesamte MTV Dangerous Performance hindurch bezogen – von den Lyrics und den gesprochenen Zeilen, die dirket die Girl Hunt Ballet Nummer in The Band Wagon zitieren; über Anspielungen zu Smooth Criminal, wie du zuvor bemerkt hast, Lisha, das Michael Jacksons künstlerische Antwort auf Girl Hunt Ballet war; bis hin zu diesen großen Silhouetten etwa nach 3:30 Minuten.


    Wie die Silhouetten in Bojangles of Harlem, bewegen sie sich unabhängig von Michael Jackson, während er vor ihnen tanzt. Aber während diese Silhouetten Fred Astaire herauszufordern und gar gegen ihn rebellieren zu scheinen, nicken die Silhouetten hinter Michael Jackson ihm anerkennend zu und scheinen ihn zu unterstützen und zu ermutigen. Für mich legt das nahe, dass er sich mit seinen Vorgängern sehr viel mehr verbunden und auf einer Linie gefühlt – mehr in Frieden mit ihnen – als Fred Astaire das tat.


    Lisha: Es scheint, viele große Michael Jackson Momente können zu Fred Astaire zurückverfolgt werden, wie der Deckentanz in Ghosts, der mich an You’re All the World to Me aus Royal Wedding erinnert:


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    Fred Astaires Treten und Glas zerbrechen in One for My Baby aus The Sky’s the Limit verweisen für mich auf die Glas zerschmetternden Tritte in One more Chance oder auf die Klangeffekte am Anfang von Jam zu Beginn des Dangerous Albums:


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    Willa: Oh interessant, Lisha! Ich habe nie zuvor diese Verbindungen gemacht.


    Lisha: Michael Jackson hat Fred Astaire eindeutig bewundert und nachgeahmt, also reden wir über das hin- und hergerissen sein! Astaire in Blackface in der Bojangles Nummer zu sehen ist eine heftig unbehagliche Erfahrung, viel heftiger, als ihn diese chinesische Rolle darstellen zu sehen. Es würde einer sehr langwierigen und intensiven Diskussion bedürfen, um all die Gründe auszupacken, warum das so ist.

    Willa: Ich stimme absolut zu. Ich fühle mich bei dieser Nummer hin- und her gerissen, sogar irgendwie beschämt, sie anzuschauen, aber zugleich denke ich, dass das eine wichtige Diskussion ist, die wir führen sollten. Und glücklicherweise gibt es eine Expertin für dieses Thema, die bereit ist, zu uns zu stoßen und uns zu helfen, das alles durchzusprechen.


    Harriet Manning hat eben ein Buch herausgegeben, "Michael Jackson and the Blackface Mask" ("Michael Jackson und die Blackface Maske"), das einige dieser Belange, mit welchen wir uns heute herumgeschlagen haben, untersucht. Bisher habe ich erst die ersten beiden Kapitel gelesen, aber was ich gelesen habe, ist faszinierend und es zeigt einen ganz anderen Weg auf, sowohl die Blackface Tradition – die sowohl in den USA, als auch im Vereinten Königreich mehr als ein Jahrhundert lang extrem populär war – als auch Michael Jackson in Beziehung zu dieser Tradition zu sehen. Und Harriet hat überaus netterweise zugestimmt, mit uns darüber zu sprechen. Also hoffe ich, du wirst wieder zu uns stoßen, Lisha, wenn wir dieses unbequeme Thema etwas weiter untersuchen.


    Lisha: Ich würde es lieben! Harriets Buch klingt faszinierend und sie ist genau die Art von Expertin, die wir für dieses Thema brauchen. Ich freue mich wirklich darauf ihr Buch zu lesen und wirklich mehr in die Thematik einzutauchen. Als eine Menschenfamilie haben wir immer noch viel Heilung, die wir für dieses Thema erbringen müssen, vor uns.

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  • Erinnerst du dich....dass Ägypten in Afrika ist?


    Nov 21


    Joie: Nun, Willa … Ich habe darüber nachgedacht, wie wir bereits in unserem dritten Jahr mit diesem Blog sind und über all die wunderbaren Posts, die wir gemacht haben und die erstaunlichen Unterhaltungen, die wir hatten. Weißt du, wir haben über so viele verschiedene Aspekte von Michael Jacksons Künstlertum gesprochen, von seinen Songs und Kurzfilmen bis hin zu seiner Wirkung auf eine ganze Generation von Menschen und von seinen Beiträgen zu Musik, Mode, Popkultur und Menschlichkeit. Und während all dieser Unterhaltungen gibt es tatsächlich ein Thema, das wir wirklich überhaupt nicht angeschnitten haben und ich bin verblüfft, dass wir es übersehen haben. Ich spreche von Remember the Time, sowohl dem Song selbst, als auch dem Kurzfilm. In all den Unterhaltungen, die wir in den vergangenen zwei Jahren geführt haben, haben wir es, glaub ich, nicht oft erwähnt. Oder haben wir?


    Willa: Nein, haben wir nicht und es ist eines der großartigen Werke, um darüber zu sprechen! Aber wir haben über viel unglaubliche Arbeit nicht gesprochen – Kurzfilme wie Beat it und Billie Jean und Scream, ebenso wie weitere visuelle Kunst und Musik und Tanz. Ganz zu schweigen von den unveröffentlichten Songs und Filmen oder der klassischen Musik, die er komponiert hat, die noch nicht einmal aufgenommen wurde. Er hat ein riesiges Schaffenswerk hinterlassen.

    Joie: Also, Remember the Time ist in der Tat einer von Michaels großartigsten Kurzfilmen, meiner Meinung nach. Zum Teil, weil er so eine wundervolle und unterhaltsame Besetzung hat – Eddie Murphy, Iman, und Magic Johnson glänzen alle einfach in ihren Rollen in diesem Video.

    Willa: Das ist wahr und die Beziehungen zwischen ihnen und den Charakteren, die sie spielen, ist auch interessant. Zum Beispiel Imans Rolle, eine ägyptische Königin, ist verheiratet mit Eddie Murphys Rolle, dem Pharao. Aber du bekommst den Eindruck, dass sie in Wirklichkeit Michael Jacksons Rolle will, ein magischer/musikalischer mysteriöser Mann mit vielen verborgenen Talenten. Der Pharao bemerkt dies und fühlt sich davon sehr bedroht, also ruft er seine Wächter. Doch während sie herumlaufen und diese mysteriöse Figur jagen, ist er abgehauen und verbringt eine leidenschaftliche Zeit mit der Königin in ihren Privatgemächern.


    Das ist alles ziemlich witzig, wenn du dich daran erinnerst, dass Eddie Murphy sich in den 1980ern in Saturday Night Live und seinen regelmäßigen Comedyauftritten bei der Delirious Tour und anderen wiederholt über Michael Jackson lustig gemacht hat, indem er nicht gerade subtil angedeutet hat, dass Michael Jackson nicht „männlich“ genug wäre. Aber wenn du Remember the Time ansiehst, bekommst du den Eindruck, dass seine „Frau“ dem nicht zustimmt.

    Joie: Das ist witzig, Willa. Ich habe diese Verbindung nie zuvor gemacht. Natürlich habe ich diese Eddie Murphy Sketche immer und immer wieder gesehen, aber ich habe über sie nie in Bezug auf das Remember the Time Video nachgedacht. Das ist interessant.

    Willa:
    Es ist interessant, nicht wahr? Weißt du, sie schienen sich gegenseitig sehr zu respektieren, beruflich, aber es verschärfte sich manchmal – genauso wie es da eine Feindseeligkeit zwischen ihren Charakteren in diesem Film gibt. Und es verschärft sich definitiv auch zwischen dem Magier/Musiker und der Königin. Es wird als verbotene Liebschaft dargestellt, aber es steckt mehr dahinter als das. Die Königin verlangt danach, unterhalten zu werden und als die ersten beiden Performer ihr nicht gefallen, lässt sie sie hinrichten. Dann also versucht es der Magier/Musiker und er fühlt sich zu ihr hingezogen, aber er scheint auch irgendwie böse mit ihr zu sein – und man kann verstehen warum.


    Joie: Hmm. Tatsächlich bin ich mir in beiden Punkten nicht sicher, ob ich weiß, was du meinst. Was Eddie Murphy betrifft, fühlt es sich für mich überhaupt nicht so an, als verschärfe sich etwas an ihrer Freundschaft. Ich denke, sie schien wirklich aufrichtig zu sein. Diese alten Sketche, über die du zuvor geredet hast, Michael hat einmal gesagt, dass er denke, sie wären wirklich witzig und er wäre beeindruckt von Eddies Singstimme, wenn er ihn nachmacht. Also ich denke überhaupt nicht, dass sich da was verschärft hat.

    Willa: Nun, du hast recht – Eddie Murphy hat eine wundervolle Stimme...

    Joie: Und in dem Video, die Interaktion zwischen Michaels Rolle und der von Iman – Ich empfinde es nicht so, dass er böse mit ihr ist. Für mich ist die Handlung, die von dem Video geschaffen wird, eine von verlorener Liebe. Sie teilen offensichtlich eine gemeinsame romantische Geschichte miteinander, sie ist überrascht, ihn dort in dem Palast zu sehen, den sie nun mit ihrem Ehemann, dem Pharao, teilt und er fragt sie unmerklich (oder vielleicht nicht so unmerklich), ob sie sich an „sie“ erinnert – wie sehr sie verliebt waren, was sie einander bedeutet hatten. Ich sehe ihn nicht böse sein mit ihr.

    Willa: Das ist lustig, dass wir das alles so unterschiedlich sehen, Joie! Mein Gefühl ist, dass Eddie Murphy Michael Jackson sehr für sein Talent und sein Charisma und seine massenhaften Umsätze respektiert hat, aber er hat ihn überhaupt nicht verstanden. Laut Randy Taraborrelli, hat Murphy ihm einmal erzählt: „Ich liebe Michael, aber er ist seltsam.”


    Joie: Nun, es tut mir leid, aber ich schenke nichts, was Taraborelli sagt, viel Glauben.

    Willa: Nun, ok, aber es ist wahr, dass Eddie Murphy Michael Jackson oft in seinen Comedy Sketchen lächerlich gemacht hat. Ich erinnere mich, vor langer Zeit einen Sketch bei Saturday Night Live gesehen zu haben, bei dem er eine Michael Jackson Puppe hielt und im Grunde darüber sprach, wie unmännlich sie wäre. Und dann am Ende des Sketches, zog er der Puppe die Hosen aus, wies darauf hin, dass sie keinerlei männliche Geschlechtsteile hätte – als ob Puppen das generell hätten – und sagte etwas darüber, dass sie anatomisch korrekt sei. Es hat mich ziemlich schockiert, um ehrlich zu sein, einfach wie grob es war. Ich konnte keinen Clip davon finden, also habe ich es vielleicht schlimmer in Erinnerung, als es war, aber so wie ich mich erinnere, hatte es einen sehr verhöhnenden Ton an sich.


    Ich denke, Eddie Murphy hat Dinge wie diese in erster Linie getan, weil er ein echter Kerl ist, ein Mannsbild im traditionellen Sinne des Wortes und er verspottete Michael Jackson dafür, dass er damit nicht konform ging – dafür, dass er versuchte neu zu definieren, was es bedeutet „ein Mann zu sein“, wie wir darüber mit Bad in einem Post letzten Herbst gesprochen haben. Aber während Michael Jackson kein Macho im traditionellen Sinne gewesen sein mag, so hatte er doch eine unheimliche Macht, die er auf milde Art und Weise ausübte. Wir sehen einen flüchtigen Eindruck davon in diesem Clip von den American Music Awards 1989:


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    Es ist ein lustiger Clip, aber es ist interessant, dass Eddie Murphy anfängt, ihm mit dem Mikrofon zu helfen „als würde ich für ihn arbeiten oder so“ und sich dann selbst stoppt, als wäre es unter seiner Würde: „Warte, was mache ich da?“


    Aber sogar noch interessanter ist, denke ich, dass sie sich selbst, ihre Karrieren und ihre kulturelle Funktion auf unterschiedliche Weisen sehen. Eddie Murphy sieht sich selbst als Entertainer, während Michael Jackson beides war, ein Entertainer und ein Künstler – und das ist ein riesiger Unterschied. Ein Entertainer versucht, sein Publikum zu befriedigen und ihnen das zu geben, was sie wollen – wie die Entertainer, die versuchen der Königin in dem Video zu gefallen. Und als ein Entertainer, denke ich, dachte Eddie Murphy Michael Jackson wäre “seltsam” indem er das nicht tat – indem er uns nicht einfach das gab, was wir wollen.


    Aber Michael Jackson hatte ebenso die Vision eines Künstlers als eines Entertainers und Künstler versuchen nicht immer uns zu gefallen. Tatsächlich fordern sie uns manchmal heraus oder machen uns wütend oder machen es uns unbequem oder formen gar unsere Wünsche um und zwingen uns, uns zu fragen, was wir wirklich wollen und warum – gewissermaßen wie sein Charakter es mit der Königin macht. Er unterhält sie nicht einfach – er wühlt sie auch auf.


    Joie: Ich verstehe, was du versuchst zu sagen, Willa. Aber ich denke,es ist ein bisschen anmaßend von uns zu behaupten, wir wüssten mit Sicherheit, wie Eddie Murphy sich selbst, seine Karriere oder seine kulturelle Funktion sieht. Ich halte es für sicherer zu sagen, du glaubst, das ist es, wie er Dinge sieht, aber du weißt es nicht wirklich. In der Tat denkt Eddie Murphy nach allem, was wir wissen, vielleicht über sich und seine Karriere überhaupt nicht in Bezug auf seine „kulturellen Funktion“ nach. Dieser Gedanke ist ihm vielleicht noch nie in den Sinn gekommen. Es ist einfach eine Idee, die du ihm überstülpst.

    Und ich wäre bereit, darauf zu wetten, dass Eddie Murphy sich selbst für einen Künstler hält. Schließlich hat er zwei Alben auf seinem Konto und arbeitet derzeit an einem dritten. Er hat Hintergrundgesänge für andere Künstler geliefert und er hat mehrere Songs in dem Film Shrek gesungen. Hier ist ein Link zu seiner neuen Single, ein Reggae Lied namens Red Light featuring Snoop Lion.

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  • Willa: Du hast Recht, Joie, ich sollte Dinge vorsichtiger behaupten. Ich weiß nicht, wie er sich selbst sieht, aber aufgrund der Projekte, die er in der Vergangenheit gemacht hat, ist mein Gefühl, dass er mehr ein Entertainer als ein Künstler ist. Und ich sage das größtenteils, weil er in seiner Arbeit normalerweise beflissen zu sein scheint, es seinem Publikum recht zu machen und uns nicht wirklich herausfordert oder unsere Wahrnehmungen und Überzeugungen auf irgendeine Art und Weise verändert. Seine Comedy Auftritte können manchmal ganz schön ausgefallen sein – ich würde sagen, er fordert sein Publikum mehr durch seine Comedy als durch seine Musik oder Filme heraus – aber er bewirkt nicht annähernd die Art von tiefen kulturellen Veränderungen, die Michael Jackson bewirkt hat. Michael Jackson fordert uns andauernd auf so viele unterschiedliche Arten heraus – wie wir über Rasse und Geschlecht, Geld und Macht und globale Ungleichheit, Tiere und Ökosysteme und die natürliche Welt, Kinder und Heirat und familiäre Beziehungen, ebenso wie Romantik und Sexualität und Leidenschaft denken. In der Tat gibt es Momente, in welchen er uns zwingt uns zu fragen, warum wir die Dinge begehren, die wir begehren.


    Ich sehe all das auf interessante Art und Weise in Remember the Time durchgespielt. Imans Charakter, die Königin, ist gelangweilt und launisch und grausam. Sie will einen Entertainer, der sie unterhalten wird und als die ersten beiden Entertainer ihr nicht gefallen, lässt sie sie beiläufig töten, wie bereits erwähnt. Es ist auf lustige Art dargestellt, aber es ist doch abschreckend.


    Dann taucht Michael Jacksons Charakter auf, aber er ist soviel mehr als nur ein Entertainer. Er sieht nach nicht viel aus, als er zunächst in seinem einfachen Umhang und in Sandalen erscheint und der Pharao macht sich irgendwie lustig über ihn – genau so wie Eddie Murphy selbst sich über Michael Jackson lustig gemacht hat: „Und was ist es, was du zu tun gedenkst?“ Aber diese unscheinbare Figur hat verblüffende Fähigkeiten – wie Michael Jackson selbst – und er übertrifft und trotzt ihren Erwartungen.


    Zuerst verwandelt er sich selbst in eine unbestimmte Figur, die sowohl moderne schwarze Jeans als auch einen transparenten ägyptischen Rock trägt. Es ist die Art Rock, die man ägyptische Figuren auf antiken Wandgemälden tragen sieht und tatsächlich mag ich ihn irgendwie wirklich, aber es ist nicht gerade sehr machohaft im herkömmlichen Sinne. Aber dann bemerkt der Pharao, dass seine Königin ernsthaft von dieser neuen Art von Mann angetörnt ist und ihm fallen praktisch fast die Augen raus bei dem Anblick! Und bald darauf sehen wir Michael Jacksons Rolle von einem Ring aus tanzenden Haremsdamen umgeben – nicht schlecht für einen Kerl in einem Rock...


    Dieser Magier/Musiker fordert auch beide heraus, besonders die Königin – die Frau, die seine Vorgänger getötet hat. Nachdem er sich verwandelt, streicht er seine Ärmel glatt und reckt sein Kinn hervor, als ob er sich in einen Kampf begibt. Dann wischt er seinen Mund mit dem Handrücken ab – genauso wie er es zuvor in Bad getan hat, um den Straßenschlägern zu sagen „Ihr macht einen Fehler“ und in Ghosts ehe er dem Bürgermeister und den Dorfbewohnern sagt, dass auch sie einen „Fehler machen“. Folglich ist dieser Charakter weit mehr als ein Entertainer, der versucht seinem Publikum zu gefallen. Es ist sehr viel komplexer als das.


    Joie: Nun, das ist eine interessante Interpretation, Willa. Und ich stimme dem zu, was du zuvor darüber gesagt hast, wie unterschiedlich wir das sehen, denn das tun wir wirklich. Ich glaube, dass dieser Film einfach die Geschichte widerspiegelt, von der der Song erzählt und die Königin wird heiß und es plagt sie, als sie ihren früheren Liebhaber erkennt, der dort steht und sie fragt, ob sie sich an die Zeit erinnert, die sie zusammen verbracht haben. Der König ist offensichtlich verärgert darüber und er beschließt ihn töten zu lassen, als er einmal die Verbindung sieht, die dieser seltsame Mann zu seiner Frau hat. Wie ich gern sage, manchmal ist eine Zigarre einfach eine Zigarre und nicht alles hat immer einen Bezug, eine symbolische Bedeutung.


    Willa: Naja, das stimmt, Joie, aber für mich gibt es da eine Menge verwirrender kleiner Details, die nicht wirklich passen, wenn das hier nur eine Liebesgeschichte ist. Wie zum Beispiel, warum beginnt er das Video damit uns zu zeigen, dass die Königin eine Mörderin ist? Das ist nicht besonders romantisch! Und warum baut er es so auf, dass sie mit jemand anderem verheiratet ist? Und warum verbringt er so wenig Zeit mit ihr? Er verbringt tatsächlich mehr Zeit damit, mit den Haremsdamen zu tanzen, als er mit ihr verbringt. Das passt auch nicht wirklich zu einer Liebesgeschichte.


    Joie: Ich denke nicht, dass er versucht uns zu zeigen, dass die Königin eine Mörderin ist. Ich glaube einfach, dass er versucht uns die Kultur und die Zeit zu zeigen, in welchen dieser Kurzfilm angesiedelt ist! Und sie ist mit jemand anderem verheiratet, weil sie die Königin ist. Ich weiß nicht, warum er entschieden hat, diesen speziellen Kurzfilm in diesem speziellen Setting anzusiedeln. Wäre es romantischer, wenn er ihn in einer heutigen Kirche angesiedelt hätte, wo er eine Hochzeit unterbricht, um die Braut zu fragen, ob sie sich erinnert, wie sehr sie einander einmal geliebt haben? Vielleicht. Und dann hätte er etwas Zeit damit verbringen können, mit der Hochzeitsgesellschaft zu tanzen, statt mit den Haremsdamen!


    Willa: Aber Königinnen müssen nicht verheiratet sein! Elizabeth Taylors Cleopatra war eine mächtige ägyptische Königin, die leidenschaftliche Affären sowohl mit Julius Cäsar (gespielt von Rex Harrison) als auch Marcus Antonius (gespielt von Richard Burton) hatte und sie war mit keinem von beiden verheiratet. Und du weißt, Michael Jackson muss diesen Film gesehen haben, so sehr wie er alte Filme und Elizabeth Taylor liebte.


    Aber mein Punkt ist, wenn er aus Remember the Time einfach eine hitzige Romanze hätte machen wollen, hätte er das leicht tun können, aber er tat es nicht. Ich meine, da ist eine Liebesszene enthalten, aber insgesamt fühlt es sich für mich einfach nicht so an, als sei es in erster Linie eine Liebesgeschichte. Es erscheint mir, dass er wieder einmal diese Doppelbeziehung andeutet, die wir so oft in seinen Songs und Videos sehen, von einem Mann mit seiner Geliebten ebenso wie von einem Performer und seinem Publikum. Wir haben über diese Doppelbeziehung zuvor in Posts über die My Baby Songs (Songs wie Heartbreak Hotel, Wanna Be Startin’ Somethin’, Dirty Diana und Dangerous) oder auch die Invincible Songs (wie Invincible, Don’t Walk Away, Butterflies, Whatever happens, and Speechless) und in Videos wie You Rock My World, Who Is It und Give In to Me gesprochen. Immer wieder sehen wir ihn dieses doppelte Erzählmuster erschaffen, das auf einer Ebene über die Beziehung zwischen einem Mann und seiner Geliebten spricht, aber auf einer anderen Ebene über die Beziehung zwischen einem Performer und seinem Publikum spricht.

    Und für mich wird diese doppelte Beziehung in Remember the Time vielleicht deutlicher dargelegt, als in jedem anderen Video – immerhin spielt er beide Rollen wirklich gleichzeitig. Er ist sowohl ein Mann, der versucht, sich wieder mit einer früheren Geliebten zu verbinden und ein Entertainer, der versucht, sein Publikum zu befriedigen, alles zur gleichen Zeit. Ich glaube nicht, dass wir das in irgendeinem anderen Video sehen.


    Und wenn wir uns dem Video auf diese Weise nähern – sowohl als verlorene Liebschaft, als auch als eine Geschichte über einen Performer und sein Publikum – dann ergeben all diese Dinge, die mich zuvor wirklich gestört haben, einen perfekten Sinn. Zum Beispiel kann ich verstehen, warum er die Königin als launisch und grausam darstellt, denn Publika sind wirklich launisch und grausam. Sie lieben Charlie Chaplin oder Shirley Temple oder Michael Jackson oder Justin Bieber den einen Tag und dann verspüren sie ein großes Vergnügen daran, sie am nächsten Tag zu zerstören. Und ich kann verstehen, warum er sich seinen Mund mit dem Handrücken abwischt, als wäre er drauf und dran in eine Schlacht zu ziehen, denn ich kann mir vorstellen, dass es sich häufig, wenn er mit einigen Angehörigen seines Publikums, insbesondere Kritikern, umgehen muss, wie eine Schlacht angefühlt haben muss.

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  • Joie: Ok, Willa, wenn du es auf diese Weise erklärst, kann ich sehen, worauf du hinaus willst. Und deine Interpretation macht in der Tat sehr viel Sinn. Ich kann die Doppelbeziehung sehen, von der du sprichst, mit der Königin, die hier das wankelmütige Publikum repräsentiert. Du hast vielleicht absolut Recht. Diese Doppelbeziehung ist eine, die Michael immer und immer wieder verwendet hat, um seine Sicht der Dinge rüber zu bringen und zu versuchen, den Rest von uns über unser Verhalten aufzuklären. Es war eine Art „stell dir vor“-Taktik für ihn und eine, die ihm gute Dienste erwiesen hat, denke ich. Ich frage mich, ob andere Künstler sie so effektiv nutzen.


    Willa: Das ist eine gute Frage, Joie. Ich weiß, dass es recht üblich für Künstler – besonders Dichter – ist, die Beziehung zwischen einem Künstler und seiner Muse als eine Liebesbeziehung darzustellen, aber ich weiß nichts über die Beziehung zwischen einem Künstler und seinem Publikum. Hmmm … das ist interessant.


    Aber weißt du, ich sage nicht, dass das der einzige Weg ist, sich diesem Video anzunähern. Ich bin von dieser Interpretation wirklich fasziniert, aber ich fühle mich, als hätte ich sie zu stark vorangetrieben. Da sind auch viele andere Wege, sich ihm zu nähern. Zum Beispiel würde ich gern zu einer Frage zurückkommen, die du früher aufgeworfen hast, als du sagtest: „Ich weiß nicht, warum er entschieden hat, diesen speziellen Kurzfilm in diesem speziellen Setting anzusiedeln.“


    Das ist eine wirklich gute Frage – warum hat er beschlossen, dieses Video im alten Ägypten anzusiedeln? Es erinnert mich an etwas, das er in einem Interview mit Jesse Jackson im März 2005 gesagt hat:


    Michael Jackson: Ich liebe Afrika wirklich und ich liebe die Menschen von Afrika. … Ich verbringe mehr von meinem Urlaub in Afrika, als irgendwo sonst auf der Welt. … Sie zeigen nie die zuckerweißen Sandstrände und die gibt es dort. … Sie zeigen niemals, wie schön der Ort ist und es ist wirklich atemberaubend schön! Und ich will dieses Bewusstsein stärken mit dem, was ich tue und das ist mein Traum seit vielen, vielen Jahren. ...


    Jesse Jackson: Du weißt, wir wissen um die Hochzeiten von Rom, weil wir sie im Film sehen.


    Michael Jackson: Das stimmt.


    Jesse Jackson: Wir wissen um die Glanzzeiten des Britischen Reichs und des Königshauses. Wir sehen es im Film. Oder von Paris. Wir sehen nicht viel von Afrika im Film. Wir sehen Afrika als Leid und Afrika als Probleme. Wir sehen es nicht als diesen phänomenal reichen Kontinent aus Sand und Meer und Öl und Ressourcen. ...


    Michael Jackson: Die Welt ist eifersüchtig auf Afrika seit vielen Jahrhunderten, weil die natürlichen Ressourcen phänomenal sind! Das sind sie wirklich. Und es ist die Wiege der Menschheit. Unsere Geschichte, vieles von unserer biblischen Geschichte findet genau dort in Afrika statt. Und König Tut, all diese großen Zivilisationen, das ist genau dort in Afrika. Ägypten ist in Afrika! Und sie versuchen immer, die beiden auseinanderzuhalten, aber Ägypten ist Afrika.


    Es war so wichtig für ihn. Wir sehen diese Faszination für ägyptische Kunst und Kultur sich durch sein ganzes Erwachsenen leben ziehen und ich frage mich, ob das teilweise von einem Drang herrührt, Ägypten als Teil der schwarzen Geschichte und Kultur zurückzuerobern.


    Es ist in diesem Zusammenhang interessant, über die Tatsache nachzudenken, dass das ägyptische Königspaar, gespielt von Eddie Murphy und Iman, schwarz ist. Wir sehen das normalerweise nicht – zum Beispiel war Elizabeth Taylors Cleopatra weiß. Aber in Remember the Time sind die ägyptischen Hoheiten schwarz. Tatsächlich ist die ganze Besetzung schwarz. Mir fällt kein anderes Michael Jackson Video ein, in dem das zutrifft. Und ich frage mich, ob er es teilweise deswegen so aufgebaut hat, um die Idee zu bekräftigen, die er in dem Jesse Jackson Interview ausdrückt: “Ägypten ist in Afrika … Ägypten ist Afrika.“


    Joie: Das ist ein großartiges Zitat und ich stimme dem komplett zu, was er in diesem Zitat sagt, „sie“ versuchen immer Ägypten von Afrika zu trennen, aber das kann man nicht machen. Und ich denke, du hast Recht, wenn du annimmst, dass das hier Teil seines Motivs war – ein Bewusstsein zu schaffen oder zu versuchen, uns darüber aufzuklären, dass Ägypten Afrika ist.

    Willa: Weißt du, ich habe nie zuvor darüber nachgedacht – dass Ägypten oft aus Afrika ausgeklammert wird – ehe ich dieses Interview gehört habe. Das ist wirklich interessant und es fügt eine ganz neue Dimension zu Michael Jacksons anhaltenden Interesse am antiken Ägypten und ägyptischer Kunst hinzu. Zum Beispiel sehen wir es in der Bashir Dokumentation, als er so enthusiastisch über den ägyptischen Sarkophag spricht und wir sehen es in diesem Portrait auf dem HIStory Album, das einer Skulptur des Pharao Khafre und seinem Schutzgott Horus, der oft als Falke erscheint, nachempfunden ist:




    Interessanterweise wird diese Skulptur von Khafre und Horus von vielen Wissenschaftlern als Vorlage für die Sphinx betrachtet.


    Joie: Ich hielt das immer für ein sehr interessantes Bild von ihm. Die Ähnlichkeit ist bemerkenswert, finde ich.


    Und es ist interessant, nicht? Wie die westliche Welt versucht, die großartige Zivilisation von Ägypten von den dunkelhäutigen Menschen, die es erbaut und regiert haben, zu trennen. Und das ist genau die Art afrikanischer (und afroamerikanischer) Geschichte, von der Michael Jackson immer sehr angezogen zu werden schien und für die er sich immer sehr zu interessieren schien. Die Geschichte, über die er uns immer zu unterrichten versuchte.


    Willa: Das ist wahr, Joie, und er fährt in Remember the Time auf subtile Art und Weise fort uns zu unterrichten.


    ZYCufWb0Pmo

    :herz: Michael Jackson - forever the King of Pop. A genre of music. Mainly, a beautiful human being. :herz:
    es ist, was es ist... sagt die liebe


  • Remember the Time - Coming to America


    In einem der Kommentare in DwtE wird der Zusammenhang zwischen RTT und Coming to America (Der Prinz aus Zamunda), Regie John Landis, angesprochen, in dem Eddie Murphy einen Prinz spielt.


    http://sandrarose.com/2012/04/…ackson-remember-the-time/


    Ich fand das ganz interessant, habe den Film vor kurzem noch gesehen. Der Titel Coming to America ist für mich doppeldeutig: Denn für Schwarze heißt es einmal, dass sie früher als Sklaven nach Amerika kamen und die Person im Film kommt nun als Prinz, als ein Herrscher. Michael nimmt mit Eddie Murphy als Herrscher in RTT Bezug auf diesen Film. Den Titel sehe ich in diesem Sinn auch zweideutig: Einmal als Frage innerhalb der Liebesbeziehung und vielleicht auch auf die Frage "Erinnere dich, weißt du noch, wo wir herkommen?" bezogen. Ägypten gehört zu Afrika - um Sklaven als geschichtslose Menschen darzustellen, hat man aber immer von Schwarzafrika gesprochen und bestimmte Länder, besonders Ägypten, herausgenommen.*) Denn Ägypten hat eine alte Hochkultur und das vertrug sich gar nicht mit den "Argumentationen" der Befürworter der Sklaverei, die die Bewohner Afrikas als kulturlos und Barbaren dargestellt sehen wollten.


    In CtA werden einige Anspielungen auf die Sklavenvergangenheit gemacht, so z.B. nennt der Mann im Friseurladen den Prinz (beide von Eddie Murphy dargestellt) "Kunta Kinte" (ein Hinweis auf die Fernsehserie Roots der 70er Jahre). Der Schauspieler John Amos, der im Film Lisas Vater spielt, hat auch den erwachsenen Kunta Kinte dargestellt. Madge Sinclair (Mutter von Prinz Akeem) spielte in Roots Kintes Frau.


    Die beiden Filme im Zusammenhang sind in meinen Augen wie eine Gegenüberstellung der Einwohner Afrikas als Sklaven und als Herrscher.


    Und btw noch eine ganz andere Gemeinsamkeit mit einem weiteren von Michaels Filmen: Die Tanzszene am Anfang des Films soll eine schnelle Version des Tanzes in Thriller sein:

    DfKgb2L7nnM


    *) Auszug aus Susan Arndt "Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus", Frage 59 "Wo liegt Schwarzafrika?"
    "Schwarzafrika liegt da, wo sein arabischer Norden aufhört, beschreibt also Afrika minus Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Westsahara und Ägypten. Letzteres von Afrika abzukoppeln, war für Europa vonnöten, weil die ägyptische Hochkultur sich nicht mit den kolonialistischen Behauptungen über Afrikas "Barbarei" in Einklang bringen ließ. Frantz Fanon brachte die Notwendigkeit dieser Rechnung auf den Punkt: "Auf der einen Seite versichert man, dass das Weiße Afrika die Tradition einer tausendjährigen Kultur habe, dass es mediterran sei und Europa fortsetze, dass es an der abendländischen Kultur teilhabe. Das Schwarze Afrika bezeichnet man als eine träge, brutale, unzivilisierte - eine wilde Gegend." So konnte leicht der kolonialistische Mythos, Afrika sei geschichtslos, transportiert werden.Auch der aus dem Englischen entlehnte Alternativbegriff "subsaharisches Afrika" unterstellt eine Homogenität, die geschichtslos daherkommt und kulturelle, religiöse, ökonomische sowie politische Pluralität negiert.

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Du gibst mir ein Gefühl wie … Du lässt mich fühlen wie …
    You Make Me Feel Like ... You Make Me Feel Like ...
    05/12/2013


    Willa: Also, diese Woche wenden wir uns einem ziemlich schwierigen Thema zu: Michael Jacksons nonverbalen Lauten, das heißt genauer gesagt, den Geräuschen, die er mit seiner Stimme macht und die keine Worte ergeben. Jedoch können diese Laute trotzdem eine große Bedeutung in sich tragen oder eindrucksvolle Emotionen hervorrufen oder seinen Songs eine enorme Dramatik oder Struktur hinzufügen. Im Grunde kannst du damit den schlagenden Beweis dafür abliefern, dass seine nonverbalen Laute eines der Elemente sind, die ihn als Sänger von anderen abheben. Aber es ist nicht einfach über sie zu sprechen, eben einfach weil sie „nonverbal“ und deshalb außerhalb von Sprache sind. Wie redest du über etwas, das „nonverbal“ ist?


    Joie kann diese Woche nicht bei uns sein, aber ich bin begeistert, dass sich mir zwei unserer Freunde anschließen, die sehr an Klängen und Worten interessiert sind: Lisha McDuff, eine professionelle Musikerin und Musikwissenschaftlerin und Bjørn Bojesen, einem Dichter und dem Autor des Buches En Undersøgelse af Fænomenet Rim (Eine Studie über das Phänomen des Reimens für jene unter uns, die kein Dänisch sprechen.) Ich danke euch sehr, dass ihr hier seid! Dies ist ein anspruchsvolles Thema, und ich bin so dankbar, dass ich euch hier habe, damit wir uns gemeinsam damit auseinandersetzen können.


    Also, ich dachte mir, ein guter Weg dieses Thema in den Griff zu bekommen, würde sein, einige spezielle Einzelfälle zu betrachten, bei denen Michael Jackson nonverbale Laute einbringt. Der Rolling Stone schrieb beispielsweise dies über Don’t Stop ´til You Get Enough in seiner Tribute-Ausgabe, nachdem er starb:


    Mach’ eine Liste der Top Ten der „Oooooh!“ Ausrufe in der ganzen Geschichte, und dieser Hit enthält mindestens sechs von ihnen.


    Zum einen muss ich dem Rolling Stone aus ganzem Herzen zustimmen! Also, welche anderen Beispiele fallen dir noch ein, die dich entweder als klassischer Michael Jackson Sound anspringen oder auf der anderen Seite ein Zeichen für die breitgefächerte Variation der Vokalisationen sind, die er nutzte?


    Bjørn: Ouch, das ist schwer! Gibt es überhaupt einen MJ Song, in dem er nicht irgendwelche „nicht-Wörter“ benutzt? Ich denke, der Klang, den die meisten Menschen mit Jackson verbinden ist „aoow“ (wie zu Beginn von Black or White), dicht gefolgt von „hee-hee“. Aber das sind nur Vermutungen! Wenn ich einen bestimmten Song herausnehmen soll, dann mag ich es wirklich, wie er Blame it on the Boogie beginnt: „hee-hee-hee-hee.“


    Willa: Oh, eine gute Wahl! Ich liebe das auch, besonders die Art, in der die „hee“s hoch beginnen und zunehmend tiefer werden, fast als würde er Tonleitern mit seiner Stimme singen.


    Bjørn: In so vielen anderen seiner Songs klingen seine NVVs (non-verbal vocalizations) schmerzvoll, aber hier ist es reine Freude. Du weißt sofort, welcher Song es ist und wer ihn singt. Wie du, Willa, mit Joie in einem Post vor ein paar Monaten enthüllt hast, wurde der Song auch von dem Engländer Mick Jackson gesungen. Es ist erstaunlich die zwei Versionen zu vergleichen und zu hören, wie „unser“ MJ diesen Song zu seinem eigenen macht, nur indem er einiges kristallenes „Kichern“ hinzufügt!


    Lisha: „Kristallenes Kichern“ - was für eine poetische Art das Nonverbale in Worte zu fassen, Bjørn! Es ist so großartig einen Dichter hier zu haben. Ihr beide habt wirklich einige wunderbare Beispiele zur Sprache gebracht - NVVs, die ebensolche Symbole für Michael Jackson sind wie der einzelne paillettenbesetzte Handschuh und der schwarze Fedora. Natürlich kannst du dasselbe über die „hiccups“ in seiner Stimme bei Billie Jean sagen und die „hoos“ in den Ad Libs beim Earth Song. Diese Vokalklänge sind so sehr sein Markenzeichen, dass wir sie einzig und allein Michael Jackson zuordnen. Es würde schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein, einen Impersonator zu finden, in dessen Darstellung sie nicht enthalten sind.


    Bjørn: Oder in einer MJ Parodie! Chris Tucker hat 2007 ein absolut unvergessliches „hee-hee“ in Conan O’Briens Talkshow abgegeben:


    http://www.redbalcony.com/?vid=21117



    Lisha: Chris Tucker ist wirklich komisch! Und ihm entgeht nichts, oder? Das „hee-hee“ ist ein todsicherer Hinweis auf Michael Jacksons Identität - es ist ein Klang, der zu einem Synonym für Michael Jackson geworden ist. Und diese Laute waren ein solch eindrucksvoller Teil seiner Performances, nicht wahr? Ich liebe Vincent Patersons Geschichte in Bad 25 so sehr, in der er erzählt, was passierte, als Michael Jackson mit voller Stimme „hoo“ auf dem Set von The way you make me feel ausstieß:


    _jf_EhlOXKU


    Willa: Was für eine wundervolle Beschreibung! Paterson sagt „Alles stoppte. Wir mussten mit dem Drehen aufhören, weil die Leute einfach erstarrt waren - sie erstarrten buchstäblich auf der Bühne.“ Und ich glaube es sofort! Dieses hohe, klare, kraftvolle „hoo“ ist so fesselnd, sogar wenn man es nur von dem Video hört - einem Video, das ich schon hundert Mal zuvor gesehen habe. Ich kann es mir nur vorstellen, wie es für die Leute auf dem Set gewesen sein muss, als sie es live und zum ersten Mal hörten.


    Was also, denkst du, macht diese nonverbalen Laute so unwiderstehlich? Er hätte ja stattdessen zum Beispiel Klänge von einem Instrument nutzen können oder er hätte Klänge gesungen haben können, die wir als Worte hätten erkennen können. Was macht diese Laute so eindrucksvoll und so ausdrucksvoll?


    Lisha: Gute Frage, und ich frage mich, ob irgendjemand wirklich weiß, wie er die Antwort dazu formulieren soll! Studenten der populären Musik reden, basierend auf einem berühmten Essay von Roland Barthes, gerne über die „Maserung der Stimme“, und das kann uns eventuell einen Hinweis geben. Wenn du an die Maserung eines Stück Holzes denkst, zum Beispiel, dann gibt es da eine individuelle Charakteristik an diesem Holz, das einen ästhetischen Wert haben kann. Dasselbe kann man über eine Stimme sagen, obwohl es außerordentlich schwer zu definieren ist und einem die individuelle Präferenz leicht in die Quere kommen kann.


    Bei der Maserung der Stimme wird an alles gedacht, was eine Stimme faszinierend macht, was jedoch jenseits aller Dinge liegt, die man vielleicht über den Gesang erlernen könnte, wenn man Gesangsstunden nehmen würde. Es liegt jenseits des schönen Klangs, einer guten Technik und ausgezeichneter Atemkontrolle - obwohl in dem oben aufgeführten Beispiel all diese Dinge ebenfalls präsent sind.


    Willa: Das ist solch ein faszinierender Gedanke, Lisha. Ist die Maserung der Stimme Teil dessen, was eine individuelle Stimme so einzigartig macht? Was ich meine, ist, dass zum Beispiel bei We are the World, sogar, obwohl jeder in einem irgendwie ähnlichen Stil, ähnlicher Tonlage, Lautstärke, Ton und Tempo singt - all diese Charakteristika, an die wir normalerweise denken, wenn wir über Klang reden - die Stimmen trotzdem so unterscheidbar und individuell sind. Du musst dir gar nicht das Video ansehen, um zu wissen, wer gerade singt - es ist aufgrund der jeweiligen Stimme ganz offensichtlich. Ich denke nicht, irgendjemand würde Willie Nelsons Stimme mit der von Ray Charles oder Bruce Springsteen oder Bob Dylan beispielsweise verwechseln, und sie würden ganz sicher nicht Diana Ross’ Stimme mit Cyndi Laupers verwechseln. Ist das Teil der „Maserung“?

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  • Lisha: Nun, im Grunde ist es noch ein klein wenig anders. Wie du herausgestellt hast, hat jede Stimme ihre ganz eigene Klangqualität und keine zwei Stimmen sind gleich. Das ist der Grund dafür, dass du dich am Telefon nicht immer mit Namen melden musst - du kannst einfach sagen „Hey, ich bin’s“ - und wenn die Person dich gut kennt, weiß sie ganz genau, wer gerade anruft. Der musikalische Ausdruck dafür ist „Timbre“ (Klangfarbe); es ist die individuelle Beschaffenheit oder Klangfarbe der Stimme.


    Die „Maserung der Stimme“ geht noch über das Timbre hinaus, was etwas mit der ästhetischen Qualität und der Fähigkeit der Stimme zu tun hat, über die reine sprachliche Funktion oder traditionelle musikalische Erwartungen hinauszugehen. Es sind all jene undefinierbaren Qualitäten, die dazu zählen, dass jemand einen Song in einer sehr eindrucks- und bedeutungsvollen Weise darbringen kann, während wir andere nur bewundern und dann hinter uns lassen - sogar wenn ihre Darbietungen ganz ausdrucksvoll und technisch einwandfrei sind. Sie treffen dich einfach nicht da, wo du stehst, um es mal so zu sagen. Wie ich es verstehe, besagt der Ausdruck „Maserung der Stimme“, dass er die Art und Weise beschreibt, wie die Stimme auf die Sprache und die Musik einwirkt – er ist jenseits des Bereiches der definierbaren musikalischen Elemente oder der sprachlichen Funktion angesiedelt.


    Das Beispiel, das du mit We are the World gegeben hast, ist hervorragend dafür geeignet, um dies zu erklären. Wenn du an Stimmen denkst wie die von Willie Nelson, Ray Charles, Bruce Springsteen oder Bob Dylan – das sind keine schönen Stimmen im traditionellen, pädagogischen Sinn. Ihr Gesang stimmt nicht mit den Normen für großartige stimmliche Technik überein, wie es bei einigen anderen der Fall ist. Jedoch, innerhalb dieses gesamten erstaunlichen Chors herausragender stimmlicher Talente sind genau diese Vier unter den am meisten respektierten – ich würde sogar sagen „am meisten verehrten“. Es ist die „Maserung der Stimme“, die möglicherweise der Kraft ihrer stimmlichen Darbietung Rechnung trägt. Sie sind sehr geradlinige und überzeugende Sänger, fähig einen Song auf eine Art darzubieten, die wirklich an den Zuhörer gerichtet ist.


    Bjørn: Das ist wirklich interessant, Lisha! Ich habe noch nie über Stimmen auf diese Art nachgedacht, und das Maserungskonzept hilft wirklich dabei, einige Dinge zu klären. MJ’s „Maserung“ also, seine Art seine Stimme in der Musik einzusetzen, erklärt möglicherweise die Kraft seiner NVVs. Vielleicht erklärt es sogar, warum sein verbaler Gesang so viele Menschen über die reine Bedeutung der Worte hinaus berührt?


    Lisha: Ich denke, zumindest ist das ein Ansatz, wie man darüber denken könnte. Es gibt da etwas sehr Fesselndes an Michael Jacksons Stimme, das nicht so leicht zu definieren ist. Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum so viele TV Talent Shows zwangsläufig eine Michael Jackson Episode bringen. Es ist eine ziemliche Herausforderung für die Juroren und die Kandidaten, darüber nachzudenken, warum Michael Jacksons Darbietungen so außerordentlich schwierig zu treffen sind.


    Bjørn: Das ist ein guter Punkt, Lisha! Einer der Gründe, warum diese aufstrebenden TV Stars sich nicht mit MJ decken, ist, denke ich, dass da mehr an seinem Gesangstalent ist als die Qualität der Stimme selbst.


    Lisha: Ganz genau.


    Bjørn: Im Gedenken an Michael Jackson vierten Todestag hat Joe Vogel eine wirklich wunderbare Beschreibung von MJ gepostet, wie er eine NVV in einer Situation genutzt hat, in der er nicht gesungen hat. Er zitiert Howard Bloom, der Mitte der 80er Jahre ein Publizist für die Jacksons war. Bloom war gerade dabei den Jackson Brüdern einige Künstlerportfolios zu zeigen, so dass sie sich eventuell einen Künstler für ihr nächstes Albumcover aussuchen konnten:


    Wir waren alle auf einem Haufen an einer Seite eines Poolbillardtisches gegenüber vom Art Director versammelt. Michael stand in der Mitte. Ich stand ihm am nächsten, links von ihm. Und die Brüder standen an jeder Seite um uns herum. Der CBS Art Director reichte das erste der Portfolios Michael entgegen. Er öffnete die erste Seite, ganz langsam … nur so viel, dass er vielleicht ein Inch des Bildes sehen konnte. Als er das Kunstwerk auf sich wirken ließ, begannen seine Knie sich zu beugen, seine Ellbogen krümmten sich, und alles, was er sagen konnte, war „oooohhhhh“. Ein weiches, orgasmisches „ooooh“. Anhand dieser einen Silbe durch seine Körpersprache, konntest du spüren, was er gerade sah.


    Willa: Oh, ich kann mir das vorstellen, Bjørn! Es enthüllt wirklich, wie ausdrucksstark Michael Jackson sein konnte, ohne Worte, sowohl durch seine Stimme, als auch durch die Gestik - „seine Knie begannen sich zu beugen … und alles, was er sagen konnte, war ‚oooohhhhh‘“. Was für ein großartiges Bild!


    Und ich bin fasziniert von dem, was du gerade gesagt hast, Lisha, über Willie Nelson, Ray Charles, Bruce Springsteen und Bob Dylan - wie „ihr Gesang nicht mit den Normen für großartige stimmliche Technik übereinstimmt“, aber ihre Stimmen trotzdem sehr ausdrucksstark sind. Das erinnert mich an die Eröffnungszeilen eines Artikels


    http://www.villagevoice.com/20…/the-man-in-the-distance/

    den ich vor einer Weile in Village Voice gelesen habe, wo der Kritiker Frank Kogan schrieb: „Eine seltsame Sache an Michael Jackson ist, dass er eine total atemberaubende Stimme hat, aber er legt es nicht darauf an, uns damit in Erstaunen zu versetzen. Überhaupt nicht.“


    Ich stimme mit vielem von Kogans Artikel nicht überein, aber hier bin ich mit ihm einer Meinung. Michael Jackson hatte „eine total atemberaubende Stimme“, wie Kogan sagt, aber er stellte sie nicht zur Schau - das war nicht sein Fokus. Im Grunde war es eher so, dass er manchmal seine Stimme rau klingen ließ oder staccato-artig oder dass er seine Stimme auf einige andere Arten einsetzte, bei denen verborgen blieb, wie schön sie einfach war, wodurch er aber vielleicht enorme Emotion und Bedeutungstiefe vermittelte, finde ich. Und ich frage mich, ob dies auf den Gedanken der „Maserung“ zurückzuführen ist, über die du gesprochen hast, Lisha.


    Später mehr ...

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    Einmal editiert, zuletzt von Lilly ()

  • Bob Dylan


    Ich liebe Bob Dylans Part bei We are the World.... :perfect:


    Diese Vokalklänge sind so sehr sein Markenzeichen, dass wir sie einzig und allein Michael Jackson zuordnen.


    Er war wirklich lange der Einzige, der so gesungen hat, oder? Und wurde auch ewig dafür verspottet... Das tiefe Gefühl ist einfach zu heavy für viele Menschen... :-D Aber mittlerweile hör ich seine Art NVVs immer öfter bei Sängern wie Timberlake, Brown, Ne-Yo u.a. :clapping:

    :herz: Michael Jackson - forever the King of Pop. A genre of music. Mainly, a beautiful human being. :herz:
    es ist, was es ist... sagt die liebe


  • Zitat

    Ich liebe Bob Dylans Part bei We are the World.... :perfect:


    ..dann ist das hier ja "dein video".. :-D



    …ich fand es auch interessant, dass im Making of von WATW gesagt wurde, dass es garnicht so leicht war, mit Dylan… weil Dylan zuerst einfach nicht wie Dylan klang. Und man musste noch paar Takes machen, bis Bob Dylan sich dann auch endlich so anhörte, wie Bob Dylan. (das ist in dem Video nicht drin, aber auf der DVd wird das irgendwo gesagt…)

    2 Mal editiert, zuletzt von maja5809 () aus folgendem Grund: ..kann man dieses "selbstkorrekturbesserwisser"Programm eigentlich auch abschalten? das macht ja mehr Fehler, wie ich selbst :)

  • Lisha: Ich denke, es ist genau das, Willa. Der Musik zu dienen war immer Michael Jacksons oberste Priorität. Mir fällt ganz ehrlich kein einziges Beispiel dafür ein, wo er vielleicht der simplen Zurschaustellung seines virtuosen stimmlichen Talentes nachgibt, obwohl er dies sicherlich hätte tun können, wenn er gewollt hätte.


    Willa: Das stimmt. Wir wissen, dass Michael Jackson sehr gewissenhaft mit seiner Stimme umging. Er arbeitete jahrzehntelang mit einem Stimmtrainer, Seth Riggs, und er absolvierte vor einem Konzert oder eine Aufnahmesession akribisch eine Stunde oder länger Stimmübungen, um seine Stimme vollständig zu öffnen. Er wollte sicherstellen, dass der wunderschöne Tenor und diese reinen, klaren, hohen Töne erreichbar für ihn waren, wenn er sie brauchte. Aber seine Konzerte und und Alben sind keine Zurschaustellung schöner Noten. Seine Konzentration lag immer darauf, Gedanken und Emotionen zu vermitteln, etwas Bedeutungsvolles zu transportieren - so wie er es bereits sagte, als er noch ein Kind war: „Ich singe es nicht, wenn ich es nicht auch so meine.“ Und manchmal bedeutet das, eine „kristallene“ Note zu treffen, wie du es genannt hast, Bjørn, und manchmal eben nicht.


    Lisha: Manchmal hält er seinen Gesang zugunsten der musikalischen Betonung zurück. Money ist das perfekte Beispiel dafür, ebenso Blood on the Dance Floor. Die Strophen werden eher gesprochen als gesungen, und er setzt seine Stimme nur sehr wenig ein, manchmal ist es fast ein Flüstern, was solch eine perfekte Wahl ist. Die Stimme selbst trägt so viel Bedeutung in diesen Beispielen, obwohl es so ziemlich das Gegenteil einer „Zurschaustellung von schönen Noten“ ist.

    Ich denke auch, das geht zurück zu dem, was Bjørn über Michael Jackson gesagt hat, der ein ekstatisches „oooohhhhh“ von sich gegeben hat, als er das erstaunliche Kunstwerk sah. Es scheint für mich so zu sein, dass Menschen ein Bedürfnis haben sich durch ihre Stimme Ausdruck zu verleihen. Wenn du dir deinen Zeh stößt oder dich in der Küche verbrennst, ist die erste Sache, die du tust ein „ow!“ oder „ouch!“ auszustoßen. Oder wenn dein Team gewinnt oder dein Lieblingssänger eine erstaunliche Vorstellung gibt, dann möchtest du „yyyeess!“ „woo-hoo!“ oder „yeah!“ schreien. Intensive Trauer oder Schmerz wird mit Schluchzen oder klagenden Lauten verbunden. Einer großen Überraschung folgt meistens ein hörbares Atemgeräusch. Ekelgefühlen wird meistens durch „uh“ Ausdruck verliehen, dem Ausstoß eines scharfen Ausatmens. Es gibt so viele Arten, auf die wir Laute mit unserer Stimme formen, um uns selbst auszudrücken.

    Willa: Das ist ein gutes Argument, Lisha, und vielleicht sind diese Ausrufe so aufrüttelnd und emotional beeindruckend, gerade weil sie prälingual sind – sie passieren reflexartig, ehe wir eine Chance haben zu denken und unsere Gedanken in Worte zu packen, daher erscheinen sie ursprünglicher oder vielleicht irgendwie wahrhaftiger.

    Lisha: Oder sie könnten vielleicht sogar als translingual beschrieben werden – insofern sie über die Funktion von Sprache hinausgehen? Sicherlich hatte Michael Jackson gute Sprachkenntnisse, aber es scheint, als gebe es Momente, in welchen Sprache nicht vollständig leistet, was er vermitteln wollte.


    Bjørn: Ich würde sagen, die Fähigkeit, unsere Emotionen auszudrücken, ist eine der grundlegenden Funktionen von Sprache! Aber ich sehe, was du mit den Worten „prälingual“ und „translingual“ meinst. In den Sprachwissenschaften werden Ausrufe wie „Autsch!“ oder „ja“ Interjektionen genannt. Anders als ein Verb („singen“), ein Nomen („Lied“) oder ein Adjektiv („schön“), können Interjektionen nicht beim Formen von Sätzen teilnehmen. Jede Interjektion ist wie ein eigenständiger Satz. Wenn du deine Hand von einer brennend heißen Herdplatte nimmst, brauchst du keinen Satz wie „Das tat weh!“ formulieren. Ein „Autsch!“ sagt alles.


    Manche Interjektionen sind Lautmalereien oder Nachahmungen von Lauten in der Welt, die uns umgibt. Wie wenn ein Kind auf eine Kuh zeigt und „Muh!“ sagt. Andere Interjektionen sind mehr spontane Ausdrücke von Gefühlen und das ist es, wo ich eine direkte Verbindung zu Michael Jacksons NVVs sehe. Wie du in deinem Buch aufgezeigt hast, Willa, war eine von MJ’s Triebfedern als Künstler sein Verlangen uns zu zeigen, wie Meinung unsere Wahrnehmung beeinflusst. Wir sehen eine Kuh, denken einige Millisekunden lang und gelangen dann zu dem Schluss „Das ist eine Kuh“. Auf diese Weise hilft Sprache uns dabei, unsere Eindrücke zu organisieren und etwas Halt im Fluss der Wahrnehmung zu gewinnen. Der Preis dafür ist jedoch, dass jedes Mal, wenn wir Sprache verwenden, um einen Satz zu formen, wir auch ein Urteil über die Welt sprechen. Bis zu einem gewissen Grad bilden Interjektionen eine Ausnahme dazu.


    Willa: Oh, das ist interessant, Bjørn. Ich habe das so noch nie gesehen – dass Interjektionen wertfrei sind.


    Bjørn: Wenn du noch nie zuvor eine Kuh gesehen hättest und dann deine erste Begegnung mit einer hättest, würdest du darauf vielleicht reagieren, indem du ein überraschtes „Oh!“ ausstößt – ganz wie die romantischen Dichter.


    Ich denke, MJ’s Verwendung von NVVs hat alles mit einer Notiz bezüglich des Songschreibens zu tun, die er einmal für sich selbst geschrieben hat: fühle, fühle, fühle, fühle, fühle...




    Seine NVVs sind so kraftvoll, weil sie direkt von seinen Gefühlen kommen, ohne das Einschreiten von analytischem Denken, um diese Gefühle in Worte zu fassen. Ein Baby schreit, ein Löwe brüllt. Diese Klänge bewegen uns augenblicklich, weil sie natürlich oder ursprünglich sind. Es sind sehr impulsive, fast instinktive Reaktionen auf Emotionen wie Angst, Freude oder Erstaunen. Sie kommen direkt vom Herzen und MJ wusste das (oder fühlte es, sollte ich sagen).

    Willa: Das ist eine wirklich wichtige Idee, Bjørn, und ich denke, es trifft den Kern, warum diese nonverbalen Lautgebungen so kraftvoll sein können. Es ist nicht nur, dass wir nichts weiter als „Au!“ zu sagen brauchen, wenn wir unsere Hand am Ofen verbrennen. Wenn es zu sehr schmerzt, können wir nichts weiter sagen – alles, was wir tun können, ist stöhnen oder keuchen oder uns still auf dem Boden krümmen. Sprache funktioniert angesichts extremer körperlicher oder emotionaler Schmerzen nicht mehr – oder angesichts extremer Freude, wie Michael Jackson in Speechless beschreibt.


    Für mich ist das beste Beispiel dafür das Intermezzo in Smooth Criminal. Etwas schreckliches geschieht mit Annie – wir sind nicht sicher was, aber die Andeutung ist, dass sie von Michael, dem Smooth Criminal, erschossen wird (genau wie die Blonde von Fred Astaires Rolle in The Band Wagon erschossen wird und Charlotte von Mike Hammer in I, the Jury - den beiden Werken, auf denen Smooth Criminal basiert). Michael zielt mit seiner Hand wie mit einer Kanone und schießt die Dachfenster kaputt, wir hören den Klang eines Kanonenschusses, und Glas von den zerstörten Dachfenstern bricht auf alle im Nachtclub herunter. Und wichtigerweise gibt es da auch einen Bruch im Verlauf des Videos und in der Sprache selbst.


    Es ist wie eine psychotische Unterbrechung, in der Michael gezwungen ist, dem, was er getan hat, ins Auge zu sehen und den Schmerz dessen zu fühlen und es gibt keinen Gesang oder Tanz oder Dialog in diesem Abschnitt – nur Stampfen und Stöhnen. Es fühlt sich für mich an, als hätten wir einen Ort von solch intensiver Emotion betreten, dass Sprache hier nicht funktionieren kann. Es ist, wie wenn du deine Hand am Herd verbrennst und es zu sehr wehtut, um in Worten zu sprechen oder wenn du emotionalen oder körperlichen Schmerz derart extrem verspürst, dass du nicht sprechen kannst. Wir betreten diesen ursprünglichen, vorsprachlichen Ort in Smooth Criminal, nachdem Annie erschossen wurde.


    (Übersetzung von biba)

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  • Lisha: Aber ist Michael nicht der Kerl in dem weißen Hut während des Kurzfilms und des gesamten Films Moonwalker? Ich habe ihn immer als den Retter, nicht als den Täter in Smooth Criminal wahrgenommen. Ich denke die lange NVV „ooooo“ hilft, dies zu verdeutlichen. Sie drückt den Schmerz und die Qual aus, er fühlt, dass Annie nicht „ok“ ist – die Sache, die ihn motiviert zu kämpfen und in erster Linie die Ordnung wiederherzustellen.


    Es gab sogar ein Sega Genesis Heimvideospiel über Michael Jacksons NVVs, Michael Jacksons Moonwalker, das dies wirklich gut verbildlicht. Der „Ego-Shooter“ in diesem Spiel ist nicht mit Kanonen oder traditioneller Kampfausrüstung bewaffnet. Stattdessen ist der Spieler mit Michael Jacksons NVVs und seinen ikonenhaften Tanzschritten ausgerüstet. Die Aufgabe ist es, das kleine blonde Mädchen „Katie“ vor dem bösen Mr. Big und seinen Handlangern zu retten:


    wrMcYdnE9h0


    Bjørn: Oh ja, ich kann mich erinnern, dieses Spiel gespielt zu haben! Die synthetisierten „hoows“ klingen schlechter, als eine Unterwasserradioübertragung einer Katze, aber bei niemandem bestehen Zweifel, wer der Gute ist...


    Lisha: Zu lustig, aber du hast Recht, Bjørn! Michael Jackson war seinerzeit anscheinend sehr unzufrieden mit der akustischen Technologie des Spiels. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die „hoows“ manchmal sogar auf eine humorvolle Art eingesetzt werden, wie zwischen den Szenen. Hier ist ein Link zu einem Interview mit Brad Buxer, in dem dieses Thema diskutiert wird (Seite 76):


    http://info.sonicretro.org/Bra…e,_November/December_2009)

    Willa: Das Spiel ist amüsant! Ich habe es noch nie gesehen, und ich erkenne, was du damit meinst, dass Michael der Retter ist. Und ich weiß, was du fühlst, Lisha, bei dem Gedanken, dass Michael Annie erschossen haben soll. Ich weiß es wirklich. Da ist etwas in mir, das gegen diesen Gedanken total rebelliert. Es fühlt sich einfach so falsch an.

    Aber gleichzeitig denke ich, dass das, was Michael Jackson in Smooth Criminal macht, kompliziert ist, aber unglaublich bedeutend. Unsere Kultur ist vollkommen durchdrungen von Geschichten über Gewalt gegen Frauen – oder noch mehr als das, Geschichten, die Männer, die Frauen Gewalt antun, zu Helden verklären. Das ist genau das, was am Schluss von I, the Jury und The Band Wagon passiert. Beide Geschichten konzentrieren sich auf einen abgebrühten Privatdetektiv, der manchmal die Grenze zwischen legal und illegal, moralisch und unmoralisch überschreitet, und in beiden Geschichten erschießt und tötet der Protagonist die Frau, von der er behauptete, er würde sie lieben und beschützen. Und die wirklich grausame Sache ist die, dass er es in beiden Fällen vollkommen gerechtfertigt findet, sie getötet zu haben – und er wird als Held dargestellt oder eher als ein abgebrühter Antiheld, aufgrund dieser Tatsache.


    Ich denke, dass Michael Jackson in Smooth Criminal diese Geschichten noch einmal neu erzählt, oder eher „unerzählt lässt“ – er holt sie an die Oberfläche und dann annulliert er sie. Seine Hauptfigur, Michael, ist ebenfalls moralisch zweideutig. Er ist „der Typ mit dem weißen Hut“, wie du sagtest, Lisha, aber er ist auch ein „aalglatter Verbrecher“. Und er ist ein Trauernder – denk an die schwarze Armbinde. Und er ist der Erzähler, denn es ist seine Stimme, die die Geschichte dessen, was da passiert, singt. Und er ist ein Mitglied des Chores, der wie ein griechischer Chor in einem klassischen Drama moralische Äußerungen anbietet („Annie, are you OK?“). Und gewissermaßen ist er auch Annie selbst, da seine Stimme auch ihren Part singt. Also besetzt er viele verschiedene Rollen.


    Ebenso bedeutsam ist, dass Michael nicht annähernd so abgebrüht ist wie Mike Hammer oder Rod Riley, also ist seine Reaktion auf das, was passiert, ganz anders. Mike Hammer und Rod Riley scheinen befreit und fühlen sich bestätigt, als sie diese Frauen töten, aber Michaels Reaktion ist völlig anders. Annies Tod ist für ihn unerträglich. Es erfüllt ihn mit Schmerz – du kannst es in seiner Stimme hören – also haben wir dann diese psychologische Unterbrechung, in der Sprache nicht mehr funktioniert, und alles, was wir hören sind Schreie und andere nonverbale Laute.


    Aber dies ist nur eine Interpretation. Sowohl der Song, als auch das Video sind wirklich mehrdeutig, darauf bezogen, was genau passiert ist, also kann es auf viele verschiedene Arten interpretiert werden. Und ich kann vollkommen nachempfinden, was du meinst, Lisha.


    Lisha: Das ist wirklich faszinierend, Willa. Ich stimme dir vollkommen zu, dass Smooth Criminal eine wichtige kulturelle Aufgabe erfüllt, indem es „Geschichten unerzählt lässt, die Männer zu Helden verklären, die Frauen Gewalt antun“. Nun muss ich dies alles noch einmal neu überdenken!


    Bjørn: Mir gefällt es wirklich, dass du die Klageszene von Smooth Criminal erwähnt hast, Willa. Ich habe ebenfalls darüber nachgedacht und wie sie das tiefe Bedürfnis zeigt, das wir als Menschen haben, uns durch unsere Stimme auszudrücken, gerade wenn wir in solch einem emotional belasteten Zustand sind, in dem wir keine Worte herausbringen, die auf irgendetwas in der Außenwelt gerichtet zu sein scheinen. Wenn Sprache nicht mehr funktioniert, dann fallen auch die Schranken, die wir uns als Menschen gegenseitig bauen. (Nebenbei gesagt, Wissenschaftler haben gerade entdeckt, dass das eine Wort, das den meisten Sprachen auf der Welt gemeinsam ist, der Ausruf „huh“ ist!)


    Ohne all unsere Wörter und Bezeichnungen sind wir nicht länger Franzosen oder Chinesen, Lehrer oder Schüler, Seemann oder Politiker, Erwachsener oder Kind. Wir sind alle nur Seelen (oder Persönlichkeiten oder wie immer man das nennen will), denen es passiert ist, in einer Fülle von verschiedenen Formen und Farben vorzukommen. Jedes Mal, wenn MJ ein „ow!“ ausstößt, erzählt er uns im Grunde „Du bist wie ich, ich bin einfach nur wie du“ (oder in seinen Worten: „Du bist nur ein anderer Teil von mir / You’re just another part of me“).


    Willa: Oh, das ist eine wunderbare Art der Interpretation, Bjørn! – seine NVVs als ein Weg der Überbrückung kultureller Unterschiede.


    Lisha: Das ist interessant, weil wenn wir Interjektionen wie „ow!“ oder „ouch!“ nutzen, dann sprechen wir definitiv Englisch und verhalten uns auf eine Art, die in der Englisch sprechenden Welt kulturell akzeptiert ist. Ich nehme an, andere Sprachen haben andere entsprechende Verhaltensweisen und Ausdrucksformen für das Weinen im Schmerz. Aber beim Klang des langen „oooo“ handelt es sich nicht notwendigerweise um gesprochenes Englisch und es scheint für mich nicht auf eine spezielle Sprache oder Kultur begrenzt zu sein.


    Bjørn: Nun, nach meinen Erfahrungen musst du kein Englisch verstehen, um Michael Jacksons „aoows“ und „hee-hees“ zu begreifen. Du kannst genauso sagen, dass Lachen ein NVV ist - die ganze Welt, von Grönland bis Neuguinea versteht das Lachen am Beginn von Off the Wall (und am Ende von Thriller)! Ich denke sogar, es geht noch weiter, dass er seine NVVs irgendwie dazu benutzt, um die Grenzen zwischen dem Menschsein und der Natur zu destabilisieren. Schließlich sind die Vokalklänge von Tieren nonverbal. (In Black Or White nutzt der menschliche Jackson sowohl verbale als auch nonverbale Laute; in dem Moment, wo er sich in einen Panter verwandelt, kann er nur brüllen.) Ein gutes Beispiel ist auch die Art, wie er die Laute eines Affen in die Musik in Monkey Business einarbeitet.

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

    Einmal editiert, zuletzt von Lilly () aus folgendem Grund: Ouch, habe ein Wort vergessen!

  • Zitat

    Wir wissen, dass Michael Jackson sehr gewissenhaft mit seiner Stimme umging. Er arbeitete jahrzehntelang mit einem Stimmtrainer, Seth Riggs, und er absolvierte vor einem Konzert oder eine Aufnahmesession akribisch eine Stunde oder länger Stimmübungen, um seine Stimme vollständig zu öffnen. Er wollte sicherstellen, dass der wunderschöne Tenor und diese reinen, klaren, hohen Töne erreichbar für ihn waren, wenn er sie brauchte. Aber seine Konzerte und und Alben sind keine Zurschaustellung schöner Noten. Seine Konzentration lag immer darauf, Gedanken und Emotionen zu vermitteln, etwas Bedeutungsvolles zu transportieren - so wie er es bereits sagte, als er noch ein Kind war: „Ich singe es nicht, wenn ich es nicht auch so meine.“ Und manchmal bedeutet das, eine „kristallene“ Note zu treffen, wie du es genannt hast, Björn, und manchmal eben nicht.


    …ich habe dazu noch eine Aussage von Michael (endlich gefunden - nachdem ich nicht mehr genau wußte, wo er das gesagt hatte.. :) )… es geht darum, dass ihm bei Motown immer gesagt wurde, wie er singen sollte, und dass Michael deshalb schon früh darüber "diskutierte"… sicher auch eine Befreiung davon, als er nach Motown endlich "singen konnte, wie er wollte"… auch seine NVVs kommen ja erst mit der Zeit immer mehr zu Geltung - oder zum Einsatz



    Aber wenn so viele Leute dir immer sagen wollten, wie du deine Lieder zu singen und zu machen hast, war es nicht irgend wann frustrierend für dich, und wolltest du es nicht auf deine Weise machen?


    Michael: Ja, oft war das so. Ich hatte einige Dispute mit einigen Produzenten von Motown, gerade um diese Frage. Und es wurde zu einem Haupt-Thema, Barry Gordy kam dazu und wir kamen schließlich klar…es war so, dass Produzenten mir sagen wollten, wie ich einzelne Worte zu betonen hätte...ich sagte, wenn ich die Wörter so präzise ausspreche, nimmt es das Feeling von dem Song weg....es gab ein paar solche Sachen ...aber wir regelten das, ich hatte Recht und bekam es...(lacht) Aber es war auch eine Erfahrung, um daraus etwas zu lernen, ich wusste ja, was er wollte, aber es hätte soviel (von dem song) genommen...


    aus einem Interview von 1980 Michael Jackson Interview mit John Pidegon vom Januar 1980 (Übersetzung)

  • Lisha: Sehr interessant, Bjørn. Und ich würde nicht ausschließen, dass einige von den Affen-Soundeffekten NVVs sind. Wenigstens war es nach Aussage von Bruce Swedien Michael Jackson selbst, der die Heultöne in Thriller erzeugt hat. Etwa 20 Sekunden vor dem Schluss von Monkey Business zum Beispiel (bei 5:26) kommt ein wiederholter „ach-a ach-a ach-a“-Laut, gefolgt von „hoo“ (es ist ganz rechts, wenn du es mit Kopfhörern hörst), was sich anhört wie Michael Jackson, der mit einem Tier / einem Affen herumspielt.


    Monkey Business hat auch eine interessante Gemeinsamkeit mit der Albumversion von Smooth Criminal, und das ist der Klang des Atmens, nur für sich als NVV. Genau vor der Anfangszeile „Well Lord have mercy“ hört man ein dramatisches Lufteinziehen, so nah am Mikro, dass du tatsächlich hören kannst, wie die Luft durch die Lippen und die Zähne eingezogen wird. Und dang! Ist das sexy, auf welche Art er diesen Atem einzieht!


    Willa: Nun nun, Lisha, reiss dich zusammen!


    Lisha: Tut mir leid, Willa, aber es ist schwer zu überhören!


    Willa: Ich weiß, was du meinst. Du kannst seinen Atem fast spüren …


    Lisha: Die Art, wie der Song aufgenommen und technisch erzeugt ist, trägt ebenfalls dazu bei. Du musst in großer Nähe zu jemandem stehen, um so große Detailliertheit in der Atmung wahrzunehmen und solch eine sanfte Stimme zu deutlich zu hören, also vermittelt die Aufnahme selbst schon ein Gefühl der Intimität.


    Wir hören auch Atemgeräusche im Intro von Smooth Criminal. Aber in diesem Fall geht der Atem schneller und schneller, als der Klang des Herzschlages zu rasen beginnt, was eine wirklich angsteinflößende Situation anzeigt. Was kann kulturübergreifender, menschlicher und natürlicher sein als der Atem und der Herzschlag? Ich denke, wir sind alle einer Meinung, dass, ungeachtet unseres kulturellen Hintergrundes, das schnelle Atmen im Intro zu diesem Song Angst und extreme Aufregung anzeigt, während der langgezogene Atem in Monkey Business sehr entspannt und sexy ist.


    Willa: Wow, das ist wirklich interessant, Lisha, dass beide Songs mit seinem Atemgeräusch beginnen, so nah, dass du es fast spüren kannst, aber auch jeweils mit einem ganz unterschiedlichen Effekt – einem Gefühl der Intimität im ersten und einem Gefühl der Aufregung im zweiten. Ich kann etwas Ähnliches am Beginn von Is it scary hören. Es ist, als würde er durchatmen, aber auf eine rhythmische Art, die sowohl intim, als auch beängstigend ist.


    Lisha: Ein brillantes Beispiel! In Is it scary wird dies durchgehend so effektvoll eingesetzt.


    Willa: Genau!


    Lisha: Es fühlt sich an, als würdest du direkt in seinem Kopf platziert sein, bevor der Song überhaupt anfängt. Jedoch, es ist interessant, wie unterschiedlich wir beide Smooth Criminal interpretiert haben, das durch diese NVVs geprägt wird. Um ehrlich zu sein, wir könnten wahrscheinlich so viele verschiedene Deutungen passend zu all diesen Geräuschen finden wie wir verschiedene Interpretationen der Songs finden, innerhalb eines gewissen Spektrums. Ich meine, ich zweifle daran, dass jemand dieses erste Atmen in Monkey Business als Angst und Aufregung und das schnelle Atmen in Smooth Criminal als entspannt und sexy heraushören würde. Aber, die genauen Bedeutungen, die mit diesen Geräuschen zusammenhängen, differieren.


    Trotz der Erwähnung dieser Differenzen in den Interpretationen muss ich Bjørn zustimmen, dass etwas sehr Kraftvolles daran ist, die Sprache in dem Versuch herunterzubrechen, eher unsere Gemeinsamkeiten anzusprechen als unsere Unterschiede. Der gesamte Refrain von Earth Song beispielsweise ist ein NVV, gesungen aus „ah“ und „oo“. Michael Jackson verlässt hier das Sprachliche insgesamt, nicht nur, um die Grenzen zwischen den Menschen zu wegzureißen, sondern auch, um „die Grenzen zwischen den Menschen und der Natur zu destabilisieren“, wie Bjørn so gut gesagt hat.


    Willa: Was perfekt zur Aussage des Songs passt. Das Video verstärkt diesen Gedanken, denn wir sehen vorrangig Bilder aus der Natur während des Refrains. Während des ersten ruhigen Refrains sehen wir hauptsächlich die Zerstörung der Natur. Während der zweiten und dritten Wiederholung sehen wir Menschen, wie sie ihre Hände in die zerstörte Erde graben, sich wieder mit der Natur verbinden und dieser mächtige Wind anfängt … Und dann in dem letzten herrlichen Refrain sehen wir eine Vision triumphierender Natur mit Herden von Tieren, die wieder an ihren rechtmäßigen Platz zurück versetzt werden.


    Bjørn: Außerdem bringen diese NVV Refrains die musikalischen Genres durcheinander … Ich weiß, viele Pop-Fans finden klassische Musik langweilig, weil es da keine menschliche Stimme gibt, zu der sie eine Beziehung herstellen können.(Dies schließt die irgendwie „unnatürlichen“ Stimmen, die man in der Oper hört, ein.) Im Gegenzug finden Liebhaber klassischer Musik Popmusik entbehrlich und kurzlebig, vielleicht weil sie eher auf einer individuellen Stimme (Stimmen) basiert, als auf „zeitloser“ Instrumentierung, die direkt zu dem tieferen Selbst der Menschen spricht und keiner Übersetzung bedarf. Nun, Earth Song funktioniert auf beiden Ebenen, nicht wahr?


    Willa: Absolut, so ist es! Im Refrain von Earth Song ist buchstäblich seine Stimme sein „Instrument“, für mich funktioniert sie sowieso wie ein instrumentaler Abschnitt – aber er erzeugt ihn mit seiner Stimme, wie du festgestellt hast, Lisha. Und die Tatsache, dass sie eher aus nonverbalen Lauten als aus Text besteht, ist ein großer Teil davon, denke ich.


    Lisha: Ich höre die „ah“- und „oh“-Laute nicht als instrumental, sondern die ganze Zeit als Leadstimme! Joe Vogel hat darauf, wie diese NVVs auf mehreren Ebenen wirken, aufmerksam gemacht – als ein Weinen für die Erde, als Menschlichkeit, die als eine ganze menschliche Familie weint und als die Personifizierung der Erde selbst – Mutter Erde schreit ihren Schmerz heraus. Es ist ein atemberaubendes Beispiel für die Kraft von NVVs und Michael Jacksons Vision als Komponist.Aber um von NVVs als einem Teil der musikalischen Bewertung zu sprechen, es gibt einige fabelhafte Beispiele dafür, wie Michael Jackson NVVs als Instrumentierung benutzt. Beispielsweise am Beginn von Wanna Be Startin’ Something, ab 9 Sekunden ist der Teil der Guitar Line im Grunde ein Vermischen der Gitarre und Michael Jacksons NVVs, „duh-tah duh-tah dum.“ Er nutzt seine Stimme als Teil der Begleitung und ich würde meinen letzten Penny darauf verwetten, dass die Stimme zuerst da war, und dass die Gitarrenklänge später gewählt wurden, um die Stimme zu imitieren.Don’t Be Messin’ Round ist eine Goldmine für das Verständnis dafür, wie Michael Jackson NVVs als eine kompositionelle Technik genutzt hat. Du kannst hören, dass der Song nicht ganz beendet ist, an der Art, wie die NVVs ganz allmählich durch die Instrumente ersetzt werden. Ein gutes Beispiel hört man ab 3:58 über die letzten 20 Sekunden des Songs, wo man gut die Gitarre erkennen kann, die die Stimme imitiert.


    Willa: Wow! Ja, das kann man wirklich! Ich habe das nie zuvor bemerkt.


    Lisha: Die NVVs zeigen, wie Michael Jackson durch das Aufzeichnen seiner Stimme Musik „schrieb“ anstatt einen Stift und Papier zu benutzen. Wegen seines außergewöhnlichen stimmlichen Talents war dies ein äußerst effizienter Weg für ihn zu arbeiten. Bei der Überleitung bei 2:38 höre ich „bop-bop bah dup-bah-dup“ als Notenfolge für eine Trompete. Meine Vermutung ist, dass, wenn der Song fertiggestellt worden wäre, wir an der Stelle eine Trompete oder einen Part mit Blasinstrumenten gehört hätten. Eine Notenfolge wie diese hier gesungen zu hören, gibt mir sehr viel Informationen über das, was er hören wollte, viel mehr, als es nur auf Papier geschrieben zu sehen, was immer nur eine Annäherung an den Klang bedeutet.

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  • Bjørn: Jedoch habe ich gelegentlich Behauptungen gelesen, Jackson wäre kein „echter“ Komponist gewesen, weil er keine Noten wie ein klassischer Komponist aufgeschrieben habe. Aber wer weiß, vielleicht war er eigentlich seiner Zeit nur weit voraus, ein Komponist, der bewusst Noten und Papier den Laufpass gibt, weil sie nicht „notwendig“ sind (wie er irgendwo in der Mexico Deposition sagt)?


    Lisha: Das sehe ich auch so. Ich denke von Michael Jackson nicht als einem pre-schriftlichen Komponisten, sondern einem post-schriftlichen. Es ist ein großer Fehler, anzunehmen, „echte“ Komponisten würden „Noten aufschreiben wie klassische Komponisten“. Der traditionelle Weg des Schreibens auf Papier ist nur eine Art Musik zu speichern und zu kommunizieren. Michael Jackson wandte eine äußerst effiziente Methode für beides an, und ich denke, sie ist weitaus cleverer.


    Bjørn: Vielleicht zu clever für die Kritiker? Komposition und Songschreiben ist allerdings ein weiterer Bereich, in dem Michael Jackson gern alles vermischt hat. Manchmal scheint er zum Beispiel absichtlich eine unkonventionelle Aussprache benutzt zu haben. Erinnert euch nur an all diese Diskussionen über Dinge wie „Shamone!“ oder die exakten Lyrics des berühmtesten Dementis der Welt: „The kid is not my son“! („The chair ist not my son“, wie David Letterman herausgehört hatte!) Jackson streunt sehr viel herum in den Grenzbereichen zwischen „Komponieren“ und „Improvisieren“, „Bedeutung“ und „Nicht-Bedeutung“, „Stimme“ und „Instrument“, „Mensch“ und „Natur“ und sogar „Mensch“ und „Maschine“ - wenn er einen Sprachsynthesizer in Leave me alone einsetzt.


    Und um noch einmal auf Don’t Be Messin’ Round zu sprechen zu kommen, denke ich, es ist erstaunlich, in welchem Ausmaß Michael Jacksons Stimme dazu fähig ist, einen eigenständigen freien Raum, der in der Luft und gedanklich bei den Zuhörern liegt, zu erzeugen. Hattest du die Gelegenheit Slave to the Rhythm im Original zu hören, als es geleakt war? In den ersten Sekunden des Songs ist es, als würde MJ Energie aus dünner Luft ziehen und dann mit seinen NVVs für den gesamten Song die Bühne bereiten! Es ist so kraftvoll, seine Sounds hören sich fast an wie physische Objekte. Da ist ein lautes „hoo!“, dann eine Reihe von dominierenden „chuck-chuck-chuck“, ein weiteres „hoo!“, Hiccups und gezerrte „ah!“s gemixt mit zu- und abnehmenden „woahoaow“-Klagen, die ihren Höhepunkt in einem doppelten „hoo! hoo!“ finden. Erst nach 22 Sekunden beginnt der eigentliche Gesang …


    Lisha: Ich liebe diese NVVs in Slave to the Rhythm! Ich habe auch über den Anfang von Workin’ Day and Night nachgedacht und wie er zwei verschiedene NVV-Hooks gleichzeitig erzeugt - „de-dum dah“ und „uh-ah uh-ah“ - die wie separate Percussion Instrumente sind. Der Soundtrack zu Michael Jackson Immortal betont dies besonders. Ich kann sogar eine „chu-chu“ Vokalisierung hören, die sich mit den Percussions verbindet.


    Bjørn: Wo wir schon mal dabei sind – ich habe mir gerade noch mal Speed Demon angehört. Die NVVs dieses Songs sind sehr ungewöhnlich. Wieder einmal vergehen etwa 20 Sekunden ehe der Gesang beginnt. MJ bereitet den Weg mit drei sehr kehligen „chu!“s, gefolgt von einem eigenartigen, fast mädchenhaften „oo!“, wieder gefolgt von einem weiteren Trio von „chu!“s. Nahe am Ende des Songs, gibt er gar einen gesamten NVV-„Monolog“ von sich: „oouh!“ (2:55), „ogh!“ (2:58), (mädchenhaft) „ah!“ (3:00), „urh!“ (3:03), „hoow!“ (3:05). Es erinnert mich an die gedruckten Soundeffekte in Comics („boom!“, „ugh!“, „kapow!“).


    Willa: Da stimme ich dir zu! Und das ist eine großartige Art der Beschreibung, Bjørn.


    Bjørn: Ich frage mich, ob er dieses spezielle „chu!“ extra für Speed Demon erfunden hat? (Es ist so kehlig, es kommt mir vor wie Cockney Englisch oder meine eigene Sprache Dänisch!). In einem gewissen Sinn trägt es den gesamten Song – genauso wie das „dah!“ in Bad.


    Lisha: Meiner Meinung nach wurde das „chu“ absolut für Speed Demon kreiert, als lautmalerische Nachempfindung des Motorradgeräusches. Hör ganz genau hin und du kannst auch ein trommelndes Rüttel- oder Schüttelgeräusch hören, wenn der Rhythmus beginnt, nachdem die Maschine in den ersten Sekunden des Songs hochgedreht wird. Wenn du Kopfhörer trägst, hörst du es 8 mal, dann wandert es auf die rechte Seite für 8 Male, und setzt sich links und rechts abwechselnd fort. Das ist kein vorgefertigter Soundeffekt oder ein anderes Percussion Instrument, sondern ein sehr weiches, geflüstertes, rhythmisches NVV! Und es ist ein komplexes Muster, ich bin nicht mal sicher, ob ich es ohne die Hilfe des isolierten Tracks aufschreiben könnte, aber es klingt wie ein imitiertes Motorschnurren oder –rattern für mich.


    Wir sprachen vorher darüber, wie ausdrucksstark Michael Jacksons NVVs sein können und dass sie so äußerst wirkungsvoll Emotionen vermitteln, aber oftmals werden sie als Soundeffekte eingesetzt oder als instrumentaler Part genauso wie alles andere. Und sie sind oft so dezent und vermischt mit vielen verschiedenen Schichten anderer Sounds, so dass sie nicht unbedingt bemerkt werden. Und sie sind einfach so einfallsreich und fügen dem Sound eine erstaunliche Vielfalt hinzu. Es scheint keine Grenzen zu geben, wenn es um Michael Jacksons Vorstellungskraft geht.


    Ein Lieblingsbeispiel ist für mich Stranger in Moscow. Wenn du ganz genau hinhörst, genau bevor der Gesang anfängt, ist da ein kurzes, geflüstertes „tuh“, auffallend unkonventionell platziert, das einen sehr weichen, stoßenden Ton hinzufügt. Später im Song, direkt nach „when you’re cold inside“ (1:42) wiederholt er diesen weichen Ton, „tuh tuh tuh tuh“, aber es klingt, als würde er einige von ihnen wirklich einatmen, was dem Ganzen eine geringfügig andere Färbung verleiht. Ich meine, wer sonst denkt auf diese Art?


    In der Zeile „how does it feel“ wird das Wort „does“ stark betont und einer der Klänge, die diesen Takt betonen ist ein geflüstertes „huh“, das in den Mix eingearbeitet ist. Aber all diese Details gehen oft unbemerkt unter. Du fühlst einfach nur die Kraft der Musik und wie die Lyrics mit all diesen Klängen eins werden.


    Willa: Nun, sie sind ganz sicher von mir unbemerkt geblieben! Das ist eins der Dinge, die ich so liebe, wenn ich mit euch beiden rede – ihr holt Details ans Licht, die ich selbst niemals bemerken würde. Ich fühle mich manchmal so, als hätte ich diese Songs schon jahrelang gehört und nicht wirklich hingehört. Es ist so faszinierend damit anzufangen einige der Dinge zu hören, die ihr heraushört.


    Zum Beispiel habe ich niemals diese „tuh tuh“ Töne bemerkt, über die du gesprochen hast, Lisha, obwohl Stranger in Moscow sogar einer meiner Lieblingssongs ist und ich es sehr oft höre. Aber du hast Recht – du kannst sie definitiv in mehreren Schlüsselmomenten hören. Ich höre sie am deutlichsten in dem „We’re talking danger … I’m living lonely“ – Teil (bei 3:45). Es ist wie ein explosives Ausatmen, das in regelmäßigen Abständen auftaucht, fast so, als würden wir hören, wie er Gewichte hebt oder eine andere Art harte körperliche Arbeit verrichtet. Und dieser sich wiederholende Klang übermittelt ganz subtil das Gefühl, dass er unter Zwang steht und eine schwere Last trägt. Wenigstens fühlt es sich so für mich an.


    Lisha: Großartiges Beispiel, Willa. Dieses Ausatmen fühlt sich für mich ebenfalls sehr schwerwiegend an, was dem Song musikalisch so viel Gewicht verleiht. Es ist endlos faszinierend all diese Klänge herauszuhören und versuchen zu verstehen, auf welche Art sie eingesetzt werden.


    Oh, und ich kann einfach nicht widerstehen ein weiteres Beispiel dieser sehr subtilen NVVs zu nennen, welches People of the World ist, ein Charity Song, den Michael Jackson 1995 nach einem verheerenden Erdbeben für die Menschen in Kobe, Japan geschrieben und produziert hat:


    okgjxN0TFaE


    Obwohl es auf Japanisch ist und Michael Jackson selbst nicht auf diesem Track mitsingt, ist seine Arbeit als Songschreiber und Produzent unverkennbar. Du kannst buchstäblich hören, wie er dem Song direkt bevor der Gesang beginnt (1:38) und während des Songs als Percussion-Effekt zwischen den Takten mit einem flüsternden NVV Leben einhaucht. Ich bin ein großer Fan dieses Songs.


    Bjørn: Ich kann verstehen, warum. Ich habe ihn bisher nie gehört, und er ist wirklich schön. (Popmusik von anderen Performern lässt mich oft erschaudern, das sollte also Beweis genug sein dafür, dass Michael Jacksons Geist in diesem Song lebendig ist!). Danke für’s Zeigen.


    Lisha: Ich gebe zu, ich bin ihm ein wenig verfallen. Es ist erstaunlich, dass ich das Gefühl habe, als würde ich irgendwie verstehen, was da gesagt wird, obwohl ich kein Wort Japanisch spreche. Ich vermute, das kommt durch die Kraft der Musik und durch den nonverbalen musikalischen Ausdruck.

    :herz: :herz: :herz:

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  • :herz: liches :danke: schön für Eure Übersetzung und Ergänzung mit Zitaten :blume:
    Was für ein Schatz dieses Kapitel wieder ist :love:


    Die einzigartige 'Maserung' der Stimme. Was für ein schöner Vergleich.

    Michael Jackson hatte „eine total atemberaubende Stimme“, wie Kogan sagt, aber er stellte sie nicht zur Schau - das war nicht sein Fokus.

    Ja und ja :-D . Ich gestehe ich bin schon immer auf bestimmte Maserungen in Stimmen abgerauscht. Etwas was in einem klingt und man woahhh schreien möchte, weil es so glücklich macht. Tatsächlich müssen Stimmen dazu nicht mal so perfekt sein wie Michaels.
    Und zum 2. 'Ja'. Diese Betrachtungsweise ist sehr interessant. Ich muss gestehen, mich stört es manches Mal, dass Michaels Gesang hinter dem Arangements und auch Backroundsängern verschwindet. (Allerdings wünsche ich mir meistens auch bei anderen Künstlern ihre Stimmen würden kräftiger abgemischt werden :kicher: ).

    Manchmal hält er seinen Gesang zugunsten der musikalischen Betonung zurück.

    Es gibt Songs da trägt das Crescendo des Chors den Song tatsächlich gewaltig (You are my Life) und ich fand es immer sehr bescheiden von
    Michael, dass er den Künstlern Platz gab ihr Licht strahlen zu lassen und selbst in den Hintergrund trat - trotzdem hätte ich ihn gerne lauter
    im Ohr :-D und drücke den Kopfhörer fester auf die Lauscher. Nach dieser Diskussion, bin ich damit etwas 'versöhnt', auch wenn mich die Acapella
    Versionen sehr glücklich machen, erkenne ich die vielen übereinandergelegten Tracks und Effekte als grandiose Komposition an, bei der Michael jede Sekunde genau so haben wollte.

    ... sind diese Ausrufe so aufrüttelnd und emotional beeindruckend, gerade weil sie prälingual sind – sie passieren reflexartig, ehe wir eine Chance haben zu denken und unsere Gedanken in Worte zu packen, daher erscheinen sie ursprünglicher oder vielleicht irgendwie wahrhaftiger.

    Seine NVVs sind so kraftvoll, weil sie direkt von seinen Gefühlen kommen, ohne das Einschreiten von analytischem Denken, um diese Gefühle in Worte zu fassen.

    Sehr treffend in Worte gefasst, das Wortlose in Michaels Gesang :perfect:

    Es ist wie eine psychotische Unterbrechung, in der Michael gezwungen ist, dem, was er getan hat, ins Auge zu sehen und den Schmerz dessen zu fühlen und es gibt keinen Gesang oder Tanz oder Dialog in diesem Abschnitt – nur Stampfen und Stöhnen. Es fühlt sich für mich an, als hätten wir einen Ort von solch intensiver Emotion betreten, dass Sprache hier nicht funktionieren kann.

    Dieser Gedanke ist für mich auch sehr interessant. Denn diese Sequenz hat mir schon immer sehr zu denken gegeben. Genau daran scheiterte ich wohl auch. Es ist der Part zum Fühlen - nicht zum Denken. (Ich benötige da leider immer mal einen Anstupser, den Kopf auszuschalten.)

    Es fühlt sich an, als würdest du direkt in seinem Kopf platziert sein, bevor der Song überhaupt anfängt.

    Oh ja, das tut es :flirty: Gleichzeitig fühlt es sich an, als sei ich der Atemzug den Michael inhaliert oder aussstößt. :stern:

    Die NVVs zeigen, wie Michael Jackson durch das Aufzeichnen seiner Stimme Musik „schrieb“ anstatt einen Stift und Papier zu benutzen. Wegen seines außergewöhnlichen stimmlichen Talents war dies ein äußerst effizienter Weg für ihn zu arbeiten.

    Ja, sehr effizient und authentisch. Zwar ist Michaels Art der Aufzeichnung von Elektrizität abhängig (Papier ist zeitloser und überdauert - wenn gut konserviert, unabhängig von Energiequellen oder dem Wandel der Multimediageräte), doch sie ist genauer, wird tatsächlich so konserviert und genau so weitergegeben wie er das in sich hörte.

    Eine Notenfolge wie diese hier gesungen zu hören, gibt mir sehr viel Informationen über das, was er hören wollte, viel mehr, als es nur auf Papier geschrieben zu sehen, was immer nur eine Annäherung an den Klang bedeutet.

    Vielleicht zu clever für die Kritiker?

    Wohl zu innovativ :-D Einige zeigen ja auch mit dem Finger auf Michael, weil er kein Insturment spielte. Dabei spielte er sie alle mit seinem eigenen Instrument.

    Jackson streunt sehr viel herum in den Grenzbereichen zwischen „Komponieren“ und „Improvisieren“, „Bedeutung“ und „Nicht-Bedeutung“, „Stimme“ und „Instrument“, „Mensch“ und „Natur“ und sogar „Mensch“ und „Maschine“ - wenn er einen Sprachsynthesizer in Leave me alone einsetzt.

    Der Mann der keine Grenzen sieht.


    Es hat mir sehr viel Freude gemacht die angeführten Songs NEU zu hören, seinem Atem auf der Spur zu sein, diese Effekte zu würdigen. Manchmal sitzen wir im Auto und sagen. "Mann, hörst Du das? Das habe ich noch niebemerkt." :oho: Gute Musik hat genau das an sich (mal von der Gefhühlsebene abgesehen auf die einen genau das trägt.)
    Messing Around derart detektivisch :lupe: zu hören, macht viel Freude und eröffnet neue Welten. Speed Demon ist auch ein neuer Kick (man fährt noch schneller!). Monkey Business ist jetzt erst mal (wieder) (m)ein Favorite. :isis:

    Deswegen liebe ich diese Diskussionsrunde wirklich und ich bin wirklich sehr dankbar, dass ihr sie hier zugänglich macht. :Tova:


    Es kommen ja auch gerade vermehrt die Multigtracks raus (P.Y.T. WBSS...).
    Für mich der Wahnsinn auf diesen Tonspuren surfen zu dürfen :Bridge:


    Habt eine schöne besinnliche Zeit :gruppenk:

  • ..ich hab' hier noch einen Auszug aus einem Interview mit Seth Riggs - über Michaels Stimme, und auch über seine ikonischen "Zwischenrufe", die eben nicht einfach nur "Geschrei" sind, sondern auch eine gut geübte und beherrschte Stimme brauchen:


    Seth Riggs: Vor allem muss man wissen, dass Michael einen unglaublich großen Stimmumfang hat. Er kann über rund drei Oktaven singen und zwar durch alle Register, ohne dabei ins Falsett zu verfallen. Die meisten Gesanglehrer singen ab einer gewissen Tonhöhe im Falsett, aber ich habe eine Technik entwickelt, mit der man bis zum F”’ und zum G”’ gelangen kann – Michael macht das, und sogar sehr gut. Ich lasse ihn sich einsingen und dann schafft er es von der Stimmlage eines Baritons zum G”’. D.h. Er singt höher als die Königin der Nacht in der Zauberflöte. Michael schafft das und er tanzt sogar dabei. Für seine Aufnahmen braucht er nicht so hoch zu singen, aber es ist sehr wertvoll für ihn, dass er all diese Noten mühelos erreicht, denn so kann er seinen Gesang an die Energie anpassen, die er ins Tanzen steckt.


    Wer gut singen will, muss richtig singen und man muss den Künstler davor schützen, sich gefährlichen Einflüssen auszusetzen und seine Muskeln stärker zu beanspruchen, als eigentlich erforderlich ist. Daran arbeite ich mit Michael. So kann er seine Lieder besser interpretieren und das Publikum kann die Texte besser verstehen, denn die Wörter enthalten mehr reine als deformierte Vokale. Wenn man beim Singen mehr Muskeln einsetzt als nötig, werden die Vokale verzerrt und niemand versteht, was man singt. Michael weiß das alles genau. Ich wünschte mir, dass Michael ein Klassik-Album macht. Ich weiß nicht, ob seine Fans das akzeptieren würden. Aber was für Möglichkeiten sich da auftun!


    Diese kleinen „Yeeps“, „Ow“ und sein berühmtes „aaAAOOoww“ -dafür muss man ausgehend von der Bruststimme ein hohes Register erreichen, aber ohne Bruch. Es handelt sich nicht um einen Schrei und man kann es machen, ohne seiner Stimme zu schaden. Michael verwendet seine Stimme wie ein Schlaginstrument. Wenn man mit Leuten arbeitet, die Besonderheiten hinsichtlich ihrer Stimme oder ihrer Tanztechnik aufweisen, muss man ihnen helfen mit geringstmöglicher Anstrengung den bestmöglichen Klang zu erzielen, und dabei dafür sorgen, dass die persönliche Note erhalten bleibt. Wenn man das nicht tut, klingen letztlich alle gleich.


    Man muss eine gut trainierte Stimme haben, um die verschiedenen Gefühle, Nuancen und Klangfarben hineinlegen zu können. Wenn die Stimme nicht frei und ausgewogen ist, kann man sie nicht an die verschiedenen Songs, die man interpretiert, anpassen. Darum singt Michael Bariton und das sogar sehr hoch, er kann auch Tenor und sogar Sopran singen, er hat eine fantastische Stimme, die er geschickt einsetzt. Er hat seine Stimme nie verloren. Er wird älter, aber das hat keinen Einfluss auf seine Stimme.
    (Auszüge aus: The Voice – Interview M. Danzer mit Seth Riggs)


    Ich glaube, dass natürlich bei jedem Sänger die Stimme sein Instrument ist - aber ausser, dass man damit singen kann, und es in sofern beherrscht, sind die Möglichkeiten mit/auf diesem Instrument zu spielen ja noch viel grösser. Und Michael ist darin wirklich perfekt. Wenn man z.B. irgendwelche Demos von ihm hört, wo noch garnicht der Text vollständig ist, singt/improvisiert der mit seiner Stimme aber schon gefühlsmässig den Inhalt/die Aussage, die der Text mal haben soll. Es ist so, dass man garnicht den genauen Text hören muss, um die Aussage zu verstehen. Bei den Demos auf Bad25, Free oder Don't be Messing round hört man das z.B. gut.

  • Für seine Aufnahmen braucht er nicht so hoch zu singen, aber es ist sehr wertvoll für ihn, dass er all diese Noten mühelos erreicht, denn so kann er seinen Gesang an die Energie anpassen, die er ins Tanzen steckt.


    Ich denke dabei auch daran, dass er dadurch die hohen Töne "leichter" erreicht, denn er könnte ja noch höher singen muss es aber nicht.
    Was ich meine ist: Ein Hochspringer, der 5.30 Meter schaffen kann, braucht sich für 4 Meter nicht wirklich anstrengen um "sauber" den Körper über die Latte zu heben. :sonne:
    So sehe ich Michael und das erklärt mir auch, warum es bei ihm immer so einfach und gelassen und vor allem sauber klingt. :wolke1:

    Jeder Tag an dem Dich jemand liebt ist ein schöner Tag!

    Ich liebe Dich!!!

    Wer lesen kann ist klar im Vorteil (und weiß Bescheid)

  • Es ist mir wirklich ein Bedürfnis, diesen Thread hier "wiederzubeleben".


    Als ich die Beiträge über den HIStory-Teaser gelesen habe, kam ich mir vor, als hätte mich eine Herde wilder Tiere überrannt. Ich habe mich wohl noch nie so geirrt in meinem Einschätzungen über Michael Jackson wie in Bezug auf diese 4 Minuten. Ich gebe es zu: Ich war damals wirklich schwer verwundert und etwas irritiert über diesen Teaser - nicht dass ich damit ein ernsthaftes Problem gehabt hätte, aber offensichtlich hab' ich dieses Video damals so überhaupt nicht begriffen und verstanden. Jetzt hab' ich dieses Video im "Elephant-Blog" nach mehr als 15 Jahren das erste Mal wieder gesehen: :huch:


    Hier ist der Link zum originalen Blog: http://dancingwiththeelephant.wordpress.com/


    Und für alle, denen es auf deutsch lieber ist: http://all4michael.com/2014/11…il-i-triumph-des-willens/


    Das Folgende ist aus dem all4michael-Blog:


    Willa: Das Werk von Michael Jackson, welches mich wohl am meisten verwirrt, ist das Promotion-Video für sein HIStory Album, üblicherweise als HIStory Teaser bezeichnet. Frei nach Helene „Leni“ Riefenstahls Nazi-Propagandafilm von 1934 Triumph des Willens ist es eine wirklich ungewöhnliche Inspiration für ein Michael Jackson Video – ich kann mir eigentlich keine ungewöhnlichere Quelle vorstellen! Seit Jahren denke ich über diesen Promo-Film nach, versuche ihn zu verstehen, erhalte aber nie eine wirklich befriedigende Antwort. Ich bleibe immer mit dem bohrenden Gefühl zurück, dass es mit diesem Film etwas Wichtiges auf sich hat, was ich einfach nicht sehen kann.


    WLWG2UyRXXA


    Deshalb war ich sehr fasziniert von unserer Freundin Eleanor Bowman zu hören, dass sie für ihre 3-teilige Buchreihe The Algorithm of Desire (‘Der Algorithmus der Sehnsucht’) historische Nachforschungen angestellt hat, und dass ihr diese Nachforschungen neue Einsichten in diesen verwirrenden Film gegeben haben. Ich danke dir sehr, dass du bei uns bist, Eleanor! Ich bin gespannt darauf, zu hören was du entdeckt hast.



    Eleanor: Hallo Willa. Danke für die Einladung an diesem wunderbaren, fortlaufenden und wichtigen Gespräch über Michael Jackson teilzunehmen. Es ist jedes Mal ein Vergnügen und ich lerne so viel.


    Du bist nicht die Einzige, die von dem HIStory Teaser verwirrt ist. Ich fand ihn sogar sehr beunruhigend. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint er ein eindeutiger Beweis dafür zu sein, dass MJ ein Größenwahnsinniger war.



    Willa: Was genau die Interpretation vieler Kritiker wiedergibt. Einen dieser Kritiker zitiert Diane Sawyer 1995 in ihrem Interview mit Michael Jackson und Lisa Marie Presley:


    Die Kritiker sagen, es sei „die kühnste, prahlerischste Selbst-Vergötterung, die je ein Pop-Sänger unternahm, ohne eine Miene zu verziehen.“


    GHS_qmZdrSM


    (Dieser Teil kommt im Interview nach etwa 21 Minuten.) Sie fragt ihn auch nach der militärischen Symbolik, auf eine Art, die unterstellt, er unterstütze Nazi-Ideologien, was er verneint. Diane Sawyer zeigt den Film und macht anschließend deutlich, dass sie dem, was diese Kritiker sagen, zustimmt.



    Eleanor: Was keine Überraschung ist. Weder die Kritiker, noch die Medien schienen MJ je zu verstehen. Beispielsweise zu glauben, er tat es „ohne eine Miene zu verziehen“, wie Diane Sawyer behauptet, sagt aus, dass sie das Wesentliche des Films gar nicht begriffen hat. Eine solche Interpretation macht überhaupt keinen Sinn, wenn man bedenkt, wer MJ war und wofür er stand.


    Es bleibt jedoch die Frage, wie wir die Bedeutung des HIStory Teasers, unter Berücksichtigung von dem, was wir über MJ wissen, herausfinden? Denn ihr könnt sicher sein, er hat eine Bedeutung. HIStory ist ein Rätsel, genau wie der Mann, um dessen Geschichte es darin geht, aber eines, was uns manchmal ganz offensichtliche Hinweise gibt. Ich habe herausgefunden, dass die Dinge, die anscheinend auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben, oft auf eine tieferliegende, versteckte Logik hinweisen, wenn man tief genug gräbt.



    Willa: Ja, das finde ich auch. Und manchmal ist es so, dass die Filme, die mich am meisten verwirren, die zuerst sogar entmutigend sind – wie Smooth Criminal und You rock my world – dann, wenn man erst den Schlüssel zu ihrer Interpretation gefunden hat, sehr eindrucksvoll sind.



    Eleanor: Genau. Und der HIStory Teaser ist da keine Ausnahme. Auch wenn er als Trailer für das HIStory Album angekündigt wurde, ist der HIStory Teaser ein eigenständiges Kunstwerk. Es erzählt Michael Jacksons Geschichte, seine Lebensgeschichte, seine Sicht der verzerrten und scheußlichen Geschichte, die zu der Zeit über ihn erzählt wurde, und, worauf das Wort HIStory hinweist, zeigt es, wie Michael Jacksons persönliche Geschichte und seine Situation sich in eine umfassendere Geschichte einfügt und für diese sogar symbolisch ist. Die Filmreferenzen in HIStory, inklusive Triumph des Willens, sind deshalb darin enthalten, weil er glaubte, dass sie für seine Situation relevant sind und uns ein besseres Verständnis dafür ermöglichen würden.


    So wie Dangerous Michael Jacksons Album ist, das sein „Erwachsenwerden“ markiert, wie Susan Fast es in ihrem Buch Dangerous ausdrückt, arbeiten der Film und das Album HIStory seine Position in einem Kontext aus, im Kontext seines eigenen Lebens als Visionär und Künstler, im Kontext der afro-amerikanischen Erfahrung, und im Kontext der imperialen Kultur. Es ist eine vernichtende politische Kritik, eine scharfsinnige Kulturanalyse und eine starke persönliche Erklärung, die zuvor versteckte Komplexitäten, gespeichertes Wissen und verborgene Tiefen aufdeckt.


    Willa, wie du und andere Mitwirkende an deiner Seite oft aufgezeigt haben, bereiten uns Michael Jacksons Widersprüche häufig Unbehagen. Und für mich ist der unpassendste Widerspruch sein Auftreten im HIStory Teaser, umgeben von den Truppen des grausamsten, gewaltsamsten Militärdiktators unserer jüngsten Geschichte. Die Gegenüberstellung von MJ und diesen Bildern hinterfragt unseren Begriff von dem, was er ist und wofür er steht. („Was hat er sich dabei gedacht?“) Ohne Zweifel, HIStory ist riskant. Aber Michael Jackson war risikofreudig.



    Willa: Ja, dem stimme ich zu. Ich denke, es ist eines der Merkmale, die ihn als Künstler auszeichnen.



    Eleanor: Aber Michael Jackson tat nie etwas unbewusst, er muss also gedacht haben, dass der HIStory Teaser bei allem, womit er zu schaffen hatte, das Risiko wert ist. Er musste einen Weg finden, die Aufmerksamkeit der Menschen zu erreichen, und mit dem HIStory Teaser hat er diesen gefunden. HIStory fordert uns heraus – es erregt unsere Aufmerksamkeit – es führt zu Unbehagen oder verblüfft uns so, dass wir bereit sind, unter die Oberfläche zu sehen.

    Wenn jemand mit unvergleichlichem Talent geboren wird und dieses mit unvorstellbarer Disziplin und Leidenschaft vollendet, dann verändert er die Musikwelt für immer.


    Und wenn aus dieser Kunst eine unendlich reine und schöne Seele spricht, dann berührt sie die Herzen der Menschen für immer.