Willa: Und wie man dem Interview mit Diane Sawyer entnehmen kann, war das sein Ziel. Denn er sagt zu ihr: „Ich wollte jedermanns Aufmerksamkeit.“
Eleanor: Meine hat er ganz sicher bekommen! Mit Zuversicht und indem ich beim Studieren dieses Films auch zwischen den Zeilen gelesen habe, gab er mir sowohl ein tieferes Verständnis für ihn als Mensch und Visionär, als auch für das Ausmaß der Herausforderungen, denen er ausgesetzt war. Letztendlich sehe ich darin einen Beweis für seinen unbezwingbaren Willen und seine beständige Hoffnung auf die Zukunft.
Als Objekt einer Verleumdungskampagne, die jeden anderen zerstört hätte, von der Polizei brutal behandelt und vom Staatsanwalt von Santa Barbara gehetzt und schikaniert – Angriffe, die oberflächlich betrachtet, mangels Beweisen gegen ihn, aber einer Masse von Beweisen, die für ihn sprechen, keinen Sinn ergeben – analysierte er sie im Zusammenhang mit der Kulturgeschichte, um die wirklichen Hintergründe herauszufinden. Mit HIStory bekommen wir das Ergebnis dieser Analyse. Mit HIStory dreht er den Spieß für seine Ankläger um, er kriminalisiert die Gesellschaft, die versuchte, ihn zu kriminalisieren.
Indem eine Bildsprache, die mit ‘dem Reich des Bösen’ in Verbindung steht, benutzt wird, aber Bildern des Mannes gegenüber gestellt ist, dessen größtes Verlangen es war, die Welt zu heilen, vergleicht HIStory die Werte Michael Jacksons mit den Werten der Menschen, die gegen ihn agieren und enthüllt den Ursprung dieser Werte. Einen modernen Helden präsentierend, liefert HIStory ein überzeugendes Argument dafür, dass die bösartigen Angriffe auf Michael Jackson aus der Angst entstanden, dass er – als Person und mit seiner Kunst – alle Voraussetzungen untergrub, die eine imperialistische Gesellschaft unterstützen. Eine Gesellschaft, deren Funktion auf Trennung anstelle von Vereinigung basiert, oft auf der Grundlage von Rasse.
HIStory entlarvt die Attacken auf Michael Jackson als politisch und kulturell, deren rücksichtslose Art in sich selbst Beweis seiner politischen und kulturellen Macht und dem Ausmaß der Bedrohung ist, die er für den Status Quo repräsentierte – und weiterhin repräsentiert – eine Macht und Bedrohung, die Susan Woodward in ihrem interessanten Buch Otherness and Power: Michael Jackson and His Media Critics (‘Anderssein und Macht: Michael Jackson und seine Medienkritiker’) erkannte und analysiert.
Willa: Ich habe durch Susans Buch auch viel gelernt. Sie wird sogar bald hier sein, um mit mir darüber zu sprechen. Aber zurück zu dem, was du über HIStory gesagt hast. Es stimmt, dass es das erste Album ist, was nach den Anschuldigungen von 1993 herauskam, und mit dem HIStory Teaser startete die Veröffentlichungskampagne des Albums. Und wow… er machte es sehr deutlich, dass er sich nicht von all dem, was über ihn gesagt wurde und was die Polizei und Presse ihm angetan hatte, beschämt zum Schweigen bringen lassen würde. Der HIStory Film ist mutig und trotzig, soviel ist sicher. Aber es ist interessant, dass du ihn auch als direkte Herausforderung der zu Grunde liegenden politischen und kulturellen Ideologie siehst – nicht nur der Anschuldigungen an sich, sondern auch wie das Einfließen dieser Anschuldigungen in die bereits existierenden Vorurteile die kulturelle Wut auslöste, die darauf folgte. Darüber würde ich gerne mehr erfahren.
Eleanor: Willa, ich bin tatsächlich auch sehr glücklich, meine Gedanken zu teilen. Wie du erwähnt hast, kamen mir diesen Sommer, als ich an meinem Buch arbeitete – und über die Beziehung von Imperialismus zu Rassismus, insbesondere über die Rolle, die imperialistische Werte bei der Behandlung Michael Jacksons spielten, nachdachte – die ‘imperialen’ Bilder des History Teasers in den Sinn.
In meinem Buch geht es allgemein darum, wie die Macht von Mythen die Lebensweise einer Gesellschaft formt, und insbesondere über die Macht des Schöpfungsmythos in der Genesis, um die imperialistische Lebensweise durch das Anerziehen eines Glaubens an einen körperlosen, über das Materielle hinausgehenden Gott, zu formen und zu bewahren.
Die Genesis trennt Gott und das Heilige von der Natur und der materiellen Welt, erhebt ihn darüber, stellt ihn an die Spitze, und erschafft die Menschheit nach seinem Bild, eine transzendente Weltanschauung und ein Wertesystem kreierend, das auf Trennung und Hierarchie basiert, und die Menschheit von der Natur und den Körper vom Geist trennt.
Durch die ganze Geschichte des christlichen Abendlandes hindurch, hat ein Reich nach dem anderen diese Weltanschauung genutzt, um eine Rasse oder Nation als die am perfektesten nach „Gottes Ebenbild“ erschaffene herauszustellen und hat diese dann als die „vollkommenen Menschen“ definiert und sie damit über alle anderen erhoben, sie an die Spitze gestellt und mit ihnen eher das Geistige als das Körperliche verbunden. Diejenigen, die beherrscht wurden, anstatt zu herrschen, wurden definiert als Masse, als Körper ohne Verstand. Sie sind üblicherweise dazu bestimmt, die kulturell weniger wertvolle, körperliche Arbeit zu erledigen und ihnen wird ihr volles Menschsein abgesprochen – sofern sie überhaupt als menschlich definiert werden. In der U.S. Verfassung (Artikel 1, Abschnitt 2) z.B. wird der Wert eines Sklaven nur mit 3/5 des Wertes einer freien Person angesetzt.
Willa: In einem weiter zurück liegenden Post sprachen wir mit dir über die Zusammenhänge dieser Transzendenz-Ideologie und wie sie zu Frauenfeindlichkeit und Rassismus beiträgt. In diesem Post hast du erklärt, wie du ‘Transzendenz’ als zentrales Konzept der jüdisch-christlichen Kultur siehst, und gemeint, dass Michael Jackson regelrecht eine neue Ideologie verkörperte, die der ‘Immanenz’. Es war sehr faszinierend und eines der Gespräche, die meine Sicht der Welt wirklich veränderten. Du hast auch die üblen Konsequenzen dieser Ideologie der ‘Transzendenz’ für Mensch und Umwelt erläutert.
Eleanor: Ja, für mich liegt die kulturelle Signifikanz Michael Jacksons darin, dass er die Inkarnation von Immanenz ist. Indem er eine Alternative zu der transzendenten Weltsicht repräsentiert, ist er auch die Verkörperung anti-imperialistischer Werte. Für mich ist es faszinierend, dass er sich in HIStory auf Triumph des Willens bezieht, das sicherlich effektivste Beispiel einer imperialistischen Propaganda, das je erschaffen wurde.
Ich hatte immer angenommen, Triumph wäre gedreht worden, als das Naziregime auf dem Gipfel der Macht war, und dass es sich um eine direkte Dokumentation einer wichtigen Naziversammlung handelte. Aber in Wirklichkeit wurde es schon viel früher gefilmt, 1934, und die Versammlung wurde extra für den Film organisiert. Riefenstahl hat also nicht die Realität dokumentiert, sondern sie hat sie konstruiert, indem sie die Bilder verwendete, die das Weltbild der Nazis nicht einfach widerspiegelten, sondern die es erschufen. Riefenstahl kreierte den Mythos, der Nazi-Deutschland erschuf und stützte.
Willa: Wow, Eleanor, das ist faszinierend.
Eleanor: Gemäß einem Artikel, der 2003 kurz nach ihrem Tod geschrieben wurde, heißt es: “Bis heute wird keine Dokumentation über den Nationalsozialismus ohne Bilder aus diesem Film veröffentlicht, kein anderer Film hat unsere visuelle Vorstellung darüber, was Nationalsozialismus bedeutete, so geprägt, wie dieser Film.“
http://www.wsws.org/en/articles/2003/09/rief-s15.html
Willa: Das ist sehr interessant, und es passt zu dem, was mich schon lange beschäftigt – die Kraft der Kunst liegt nicht nur darin, die Realität zu reflektieren, sondern sie schafft eine neue Realität.
Im 18. Jahrhundert gab es z.B. gleichzeitig zwei wichtige Trends: Das Entstehen einer neuen, zuvor nicht existierenden Gesellschaftsschicht (der Mittelschicht), und einer neuen Kunstform (dem Roman). In ihrem Buch über die politische Historie des Romans Desire and Domestic Fiction: A Political History of the Novel, erörtert Nancy Armstrong, dass diese neue literarische Form nicht nur die Interessen dieser neuen Gesellschaftsschicht reflektierte, so wie es Wissenschaftler vorziehen, wenn sie über diese Zusammenhänge schreiben, sondern dass der Roman vielmehr dazu beigetragen hat, die Mittelschicht zu erschaffen. Armstrong argumentiert damit, dass der Roman eine Art neues soziales Bewusstsein erschuf, indem die Menschen nicht nur nach ihrem Stand beurteilt wurden, sondern nach der „Beschaffenheit ihres Geistes“, und dieses neue Bewusstsein erschuf die ideologische Basis für soziale Mobilität (Durchlässigkeit) und dadurch die Mittelschicht.
Das ist der gleiche Prozess, den du bei Triumph des Willens beschreibst. Es wird weniger die breite öffentliche Akzeptanz der Nazi-Ideologie dokumentiert, als dass eine Vision davon geboten wird, wie ein Nazi-Triumph aussehen könnte, und unterstützt dadurch gleichzeitig, es zur Wirklichkeit werden zu lassen.
Ich sehe ein sehr ähnliches Bild bei Michael Jackson. Durch sein ganzes Werk hindurch erschafft er nicht nur kraftvolle Kunst, sondern dadurch auch ein neues kulturelles Verständnis, das gesellschaftliche Veränderungen ermöglicht. Er zeigt uns, wie unsere momentanen Gesellschaftsstrukturen versagen, besonders bei denen, die an den Rand gedrängt und machtlos sind und schlägt neue kulturelle Möglichkeiten vor.