They Don't Care About Us

  • Ein Artikel aus SpiegelOnline von 25.06.2014


    Ich möchte den Artikel mit euch teilen, es zeigt einmal mehr, dass MJ Fürsorge und Unterstützung auch auf lange Sicht Dinge beeinflusst und dass er sich immer und überall bemühte Menschen zu helfen. :daumen:


    Der Ausblick ist atemberaubend: Unter mir erstrecken sich bei strahlend blauem Himmel die Traumstrände Copacabana und Ipanema, die weite Bucht von Guanabara, links der Zuckerhut und rechts die Christusstatue. Es ist der 11. Februar 1996, und ich befinde mich in einer hochgelegenen Favela im Süden der Elf-Millionen-Metropole Rio de Janeiro namens Dona Marta. Sie zählt zu den gefährlichsten Stadtvierteln der Welt.
    Der Weg zur Dona Marta ist so steil, dass wir unseren Van, vollgepackt mit Video- und Foto-Equipment, auf den letzten Metern anschieben müssen. Wir, das sind Fotograf Fryderyk Gabowicz und ich, der "Bravo"-Reporter. Unsere Mission: eine exklusive Reportage vom Dreh des neuen Michael-Jackson-Videos "They don't care about us", das - passend zum Text des Protestsongs gegen soziale Ungerechtigkeit - hier von Starregisseur Spike Lee ("Malcolm X") aufgenommen werden soll.
    "Willkommen in der Welt der Armen"
    Entlang der engen, verschachtelten Gassen und Treppen herrscht ein trostloses Bild: Rostige Blechhütten und schmucklose Betonbunker, in denen die Bewohner auf dem Sandboden schlafen. Die 12.000 Menschen, die hier auf engstem Raum zusammengepfercht leben, kämpfen täglich ums Überleben. Elektrisches Licht, regelmäßige Müllentsorgung oder ein funktionierendes Abwassersystem gibt es nicht, entsprechend ist der Gestank.
    Jackson weiß genau, worauf er sich einlässt. Er selbst hat Dona Marta für den Videodreh ausgesucht. Aus Sicherheitsgründen kommt er per Helikopter, der auf einem staubigen Sportplatz am höchsten Punkt der Favela landet. Die Bewohner drängeln sich, um einen Blick auf den Sänger zu erhaschen. Als sie ihn erblicken, jubeln sie: "Mi-chael! Mi-chael!" Ein Junge hat ein Badehandtuch mit "Bad"-Motiv aus dem Fenster eines unverputzten Backsteinhauses gehängt.
    Eine Hundertschaft schwerbewaffneter Militärpolizisten steht Spalier. Hier im sozialen Brennpunkt herrscht Gewalt, und dem "King of Pop" darf natürlich nichts zustoßen. Doch die Menschen begrüßen Jackson friedlich: "Willkommen in der Welt. Nicht in der wunderschönen, sondern der bescheidenen Welt der Armen", ist auf einem selbst gemalten Banner zu lesen.
    Das Geheimnis der weißen Socken
    Eskortiert von seinen Bodyguards, kraxelt Jackson vorsichtig die steilen, unebenen Stufen hinab, bis zur Mitte des Hügels. Dort befindet sich eine notdürftige Krankenstation - ein 20 Quadratmeter großer Raum mit einem Behandlungsstuhl. "Kinder werden hier geboren und Schusswunden behandelt", wird mir in sachlichem Ton erklärt. Willkommen in der Welt der Armen. Die Station dient Jackson heute als Garderobe.
    Er wählt für den Dreh einen Casual Look - ausgewaschene Jeans, weißes T-Shirt mit Peace-Zeichen und Logo der brasilianischen Percussiongruppe Olodum, die auch im Video zu sehen ist. Dazu die obligatorischen weißen Socken, Slipper und eine Ray-Ban-Sonnenbrille. Einst verriet mir Jackson selbst das Geheimnis hinter diesen weißen Socken und seinen Hochwasserhosen: "Damit man meine Tanzschritte bei jeder Show bis in die letzte Reihe sehen kann!"
    Ich warte vor der Krankenstation und beobachte, wie drei Hubschrauber des Fernsehsenders "TV Globo" aufziehen. Sie bleiben direkt über uns in der Luft stehen. Die TV-Paparazzi erhoffen sich von da oben exklusives Filmmaterial, denn zum Dreh hier unten sind sie nicht zugelassen. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Man könnte meinen, hier würde eher eine Fortsetzung von "Apocalypse Now" entstehen als ein Michael-Jackson-Clip.
    Tanz auf dem Dach
    Bei dem Höllenlärm wird sich Jackson niemals aus seiner Garderobe trauen, denke ich mir, während sein Double Darrick Morgan noch für das Einleuchten der Szene bereitsteht. Doch weit gefehlt: Der Sänger kommt heraus, gänzlich unbeeindruckt von der Szenerie. Er scheint nur sein Video im Sinn zu haben.
    Rund um den Drehort haben sich Schaulustige versammelt, sitzen dicht gedrängt auf Mauern, hängen halb aus Fenstern. Michael winkt ihnen zu, zu manchen geht er hin, umarmt sie. Schließlich klettert er auf das Flachdach der Krankenstation, wo riesige Boxen installiert sind, aus denen nun der Song "They don't care about us" gegen den Helikopterlärm andröhnt.
    Mein Fotograf, Zwi genannt, ist ein echter Profi. Er hat sich auf einem wackeligen Wassertank in Position gebracht. Spike Lee ruft "Action!", die Klappe fällt und Michael legt mit seiner Performance los. Er singt, schreit, tanzt, reckt die Faust in die Luft und zerreißt sich am Ende unter dem Johlen der Menge das T-Shirt.
    Zahlungen an den Drogenbaron
    Noch Wochen zuvor war es nicht sicher, ob dieser Dreh überhaupt stattfinden würde: Jacksons Anwälte hatten größte Bedenken angemeldet, die Situation in den Slums war ihnen zu unberechenbar. Doch der Star konnte sehr stur sein, wenn er von einer Idee überzeugt war. Auch der Gouverneur von Rio, Marcello Alencar, hatte mit allen Mitteln - etwa einer Einreiseverweigerung für Jackson, dessen Gefolge und die Filmcrew - versucht, den Dreh zu verhindern. Die Bewerbung Rios als Austragungssort für die Olympischen Spiele 2004 stand damals bevor. Da war ein Musikvideo, in dem ein weltbekannter Sänger soziale Missstände vor Ort aufzeigt, kontraproduktiv.
    Alencar wollte nicht, dass Aufmerksamkeit auf die negativen Seiten seiner Stadt gelenkt wurde, in der es zu jener Zeit wöchentlich 30 Morddelikte gab. Schließlich hatte sich Pelé zugunsten Jacksons eingeschaltet. Und dank der brasilianischen Fußballlegende konnte der Dreh schließlich doch stattfinden. Jedenfalls, nachdem ein weiterer Protagonist um Erlaubnis gefragt worden war: Marcinho VP, Drogenboss der Dona Marta. Durch eine Zahlung in unbekannter Höhe hatte man den Gangster überzeugen können.
    Um die Sicherheit am Set zu gewährleisten, hatte schließlich Spike Lee eine clevere Idee: Neben der Hundertschaft Militärpolizisten verpflichtete er rund 50 männliche Slumbewohner, viele von ihnen aus dem Drogengeschäft, als Securitykräfte. "Passt bitte auf, dass nichts passiert", hatte er sie vor Drehbeginn bei der Ehre gepackt, jedem 50 Dollar und ein Shirt mit der Aufschrift "Michael Jackson Security" in die Hand gedrückt. Das hatte Eindruck bei den schweren Jungs gemacht. In der brandgefährlichen Favela, für Touristen damals eine absolute "No-go-Area", blieb es zumindest für die Zeit des Drehs ruhig.
    Michael-Jackson-Denkmal in der Favela
    Gegen 16.30 Uhr, kurze Drehpause: Manager Bob Jones gibt mir das Okay, jetzt kurz mit Jackson zu sprechen, während sein Designer den Sitz des Outfits prüft. Der Sänger sieht mich kommen, nimmt seiner Visagistin den Make-up-Schwamm aus der Hand und zieht ihn mir schelmisch grinsend zur Begrüßung übers Gesicht. Dann lacht er sich halbtot, umarmt mich freundschaftlich. "Alex", sagt er, "Du bist den ganzen Weg aus Deutschland gekommen, nur um mich zu sehen?" Er meint das wirklich ernst. Ich fühle mich geehrt.
    "Dies ist eines meiner wichtigsten Videos", sagt er. "Es liegt mir am Herzen, die Botschaft von 'They Don't Care About Us' in die Welt zu tragen. Schau nur, wie positiv die Stimmung hier heute ist." Er hoffe, so Jackson, den Menschen in der Dona Marta werde es eines Tages besser gehen: "Sie haben ein Recht darauf!" Schon endet unser Gespräch wieder - der Dreh muss weitergehen.
    Es wird Abend. In der Ferne glitzern die Lichter von Rio. Über fünf Stunden Dreh liegen hinter uns, die Szenen sind im Kasten, ohne Zwischenfälle. Jackson bleibt diszipliniert bis zur letzten Sekunde. Wir klettern die steilen Stufen empor, wo Helikopter und Vans warten. Alle sind erschöpft, auch Michael. Er winkt den Menschen zum Abschied, dann entschwindet er im Helikopter. Zurück ins Rio Palace Hotel, unten an der Copacabana. In eine andere Welt.
    Heute, viele Jahre später, hat die Favela Dona Marta eine eigene Attraktion, die an jenen geschichtsträchtigen 11. Februar 1996 erinnert: den "Platz des Michael Jackson". Dem am 25. Juni 2009 verstorbenen "King of Pop" zu Ehren, der dem Viertel nach dem Dreh finanziell unter die Arme griff, hat man hier, exakt an der Stelle, an der er tanzte, eine Statue errichtet. Touristen trauen sich jetzt hierher und lassen sich mit dem Bronze-Michael fotografieren. Das Armenviertel ist fast so etwas wie eine Vorzeige-Favela geworden, urbanisiert und größtenteils befriedet von der Militärpolizei. Die Hütten sind jetzt bunt bemalt, ein Abwassersystem wurde installiert. Sicher: Ein "Disneyland" ist die Dona Marta noch immer nicht - auch nicht durch Michael Jackson. Aber immerhin: Es gibt jetzt eine Samba-Schule. Das hätte dem Mann, der die Welt zum Tanzen brachte, ganz sicher gefallen.

  • :danke: @mz888:fürs reinstellen mit den schönen fotos
    auch wenn mir schon alles bekannt ist,man kann es nicht oft genug lesen,vielen "neuen" wird es
    darum sehr hilfreich sein.alex gernand (bravo) hat immer sehr respekt-und liebevoll über michael
    berichtet. :danke: auch an alex gernand,solche spezie von mensch wird leider immer seltener.

  • Die Presse ist in den letzten Jahren immer wieder auf Geschichten über Medikamenten Missbrauch, Gerichtsverhandlungen, Finanziellen Problemen und allen anderen wahren oder auch gelogenen Geschichten geritten und MJ noch mehr durch den Dreck gezogen als zu seinen Lebzeiten :bluwimmer: Erinnerungen an guten Tatet wurden zerstört und erstickt, viele Menschen, die sich nicht schon vor 20 Jahren mit MJ befasst haben, bekommen durch die Presse total falschen Eindruck :stuhl: Ich habe mich einfach gefreut mal was positives und, vor allem, neutrales zu finden. Erfrischend, auch wenn es alte und keine unbekannte Geschichte ist. Außerdem ist diese Brasilien Version einfach Wahnsinn, für mich so ziemlich das perfekteste, was MJ je geschaffen hat. Einfach genial :jubel: