Joie: Nun, das ist jetzt eine wirklich gute Frage, Bjørn. Und während ich es wirklich genieße, einen Song oder Kurzfilm auseinanderzunehmen und zu versuchen, ihn zu analysieren und seine wahre Bedeutung herauszulesen, so denke ich manchmal auch, dass vielleicht eine Zigarre einfach nur eine Zigarre ist. Was wäre falsch daran, Swahili oder auch irgendeine andere Fremdsprache aus dem einzigen Grund hinzuzufügen, um deiner Kreation ein wenig exotische Würze zu verleihen? Vielleicht dachte er schlichtweg, es höre sich gut an.
Willa: Du hast recht, Joie, es hört sich gut an und es passt perfekt an diese Stelle des Songs. Wir wissen, er war fasziniert von Klängen – gefundene Klänge, hergestellte Klänge, Klänge der Natur, die Geräusche der Stadt, der Klang von Worten – es ist also durchaus möglich, dass er jene Textpassagen einfach aufgrund ihrer Klänge und Rhythmen ausgewählt hat.
Ich bin aber noch immer fasziniert von der Tatsache, dass sowohl Wanna Be Startin’ Somethin als auch Liberian Girl sich auf amerikanische Popkultur und die Unterhaltungsindustrie konzentrieren und wie gewisse Dinge innerhalb dieser Industrie dargestellt oder fehlinterpretiert werden. Beide beinhalten eine afrikanische Phrase, die einem wichtigen Wendepunkt dient – einem, der die gesamte Stimmung der Arbeit verändert. Das erscheint mir bedeutungsvoll. Aber was bedeutet es?
Wie du erwähnt hast, Bjørn, teilt sich “Liberia” den gleichen lateinischen Wortstamm wie “Freiheit.” So wie ich es verstehe, wurde der Name “Liberia” ausgewählt, um zu betonen, dass diese Nation als ein Ort angesehen wurde, an dem ehemalige Sklaven Frieden und Freiheit finden könnten. Also erscheint es mir bedeutsam, dass Michael Jackson Liberia evoziert, aber mehr als eine Idee, denn als physischen Ort, wie du zuvor vorgeschlagen hast. Und für mich wird das verstärkt durch die Tatsache, dass er Swahili einbaut, aber es ist Swahili, das von seinem Ursprungsland losgelöst wurde und nun in einem Hollywoodfilm verwendet wird, das gewissermaßen Hollywood kritisiert.
Die Lyrics zu Liberian Girl deuten etwas ähnliches an, wenn er sagt, ihre Romanze sei „genau wie in den Filmen“ [Anm.: “just like in the movies”}:
With two lovers in a scene / Mit zwei Liebenden in einer Szene
And she says, “Do you love me?” / Und sie sagt: „Liebst du mich?“
And he says so endlessly, / Und er sagt so zeitlos:
“I love you, Liberian Girl” / „Ich liebe dich, liberianisches Mädchen“
Ihre Liebesgeschichte wird also als so etwas wie eine Phantasie dargestellt, etwas, das von Hollywood geschrieben wurde. In all diesen Fällen ist es so, als würde er beides tun, eine Phantasie heraufbeschwören und zugleich sie zu kritisieren und zu sehen, woher sie kommt. In Liberian Girl z.B. evoziert er das Exotische, während er hinterfragt, was es bedeutet, als exotisch abgestempelt zu werden.
Joie: Das ist eine sehr interessante Interpretation, Willa! Manchmal haust du mich wirklich um damit, wie dein Geist arbeitet! Das ist faszinierend!
Willa: Danke, Joie, obwohl ich diesmal völlig daneben liegen könnte – was er tut, ist sehr unterschwellig. Es ist nur so interessant für mich, dass er Liberian Girl mit einer klassischen Szene des „exotischen Afrika“ beginnt, dann aufdeckt, alles ist eine reine Hollywoodfabrikation und dann vorschlägt, dass die wahre Exotik Hollywood selbst ist. Und die Swahili-Passage ist der Wendepunkt, an dem unsere Wahrnehmungen umgekrempelt werden.
Joie: Weiß einer von euch, was der Swahili-Satz bedeutet? Es wäre sehr interessant zu wissen, was sie zu Beginn des Songs sagt.
Bjørn: Gemäß des Albumbooklets heißt es „Ich liebe dich auch – ich will dich auch – meine Liebe.“ (der Google-Übersetzer scheint zuzustimmen, auch wenn es "mpenziwe" mit ”Geliebter” übersetzt.)
Joie: Hä. Ich glaube nicht, dass ich das je zuvor wusste. Ich habe mich einfach immer nach der Bedeutung gefragt. Ich kann nicht glauben, dass es all die Zeit in dem Albumbooklet stand und ich habe es nie bemerkt.
Bjørn: Mach dir keinen Kopf, Joie, ein Albumbooklet ist oft auch bei mir das letzte, was ich studiere! Aber weißt du was? Ich bin einfach sprachlos, dass da eine interessante semantische Entwicklung in dem Song passiert: Er beginnt mit den Regenwaldklängen, die für den normalen Zuhörer keinerlei spezielle Bedeutung haben (aber wer weiß, was die Tiere wirklich sagen?). Dann geht es mit einer Zeile auf Swahili weiter, die für den Großteil des Publikums genau so bedeutungslos ist, wie der Ton eines Vogels. Dann, als letztes, beginnt Michael Jackson in Englisch zu singen und weil wir die Sprache verstehen, hören wir plötzlich keine „Töne“ mehr, sondern bedeutungsvolle Teile von Information... Vielleicht hat Jackson Swahili hinzugefügt, nur um zu betonen, dass die Bedeutung, die wir Wörtern zuschreiben, wirklich beliebig ist und dass wir ebenso in einer Situation sein könnten, in der Swahili die Information trägt und Englisch ein unverständliches aber exotisches Gewürz wäre, ganz so wie die Sprache des Waldes oder sogar die Klänge der Instrumente...
Willa: Wow, das ist faszinierend, Bjørn! Und wenn wir den Anfang so interpretieren – als eine Untersuchung, wie wir Bedeutung herstellen – dann gibt es diese Evolution der Klänge entsprechend auch in der bildlichen Darstellung. Wie du sagst, wird der Klang verständlicher, sobald wir uns vom Vogelgesang (etwas, das wir nicht verstehen und nie werden verstehen können) zu Swahili (etwas, das die meisten von uns erst mal nicht verstehen, das wir aber verstehen können, wenn wir uns diesbezüglich etwas anstrengen) zum Englischen bewegen (das für die meisten Amerikaner unsere Muttersprache ist). Und das Bildmaterial beginnt mit dem „Cafe Afrique“-Schild, schwenkt dann heraus zu dieser Casablanca-mäßigen Szenerie und schwenkt dann weiter hinaus, um das Hollywood Filmset zu zeigen. Also werden die Bilder bekannter, sobald wir heraus zoomen – sie sind in gewissem Sinne näher an Zuhause – und unser Verständnis dessen, was wir sehen, verändert sich schrittweise und wir deutlicher: wir sehen dabei zu, wie ein Film gemacht wird.
Bjørn: Dieser Film, wie du sagst, wird auch in den Lyrics erwähnt: “Just like in the movies… / Genau wie im Film... With two lovers in a scene… / Mit zwei Liebenden in einer Szene...”. Also ist vielleicht die Hauptfunktion des Swahili-Satzes, die schiere Andersweltlichkeit dieser cineastischen Phantasie zu unterstreichen, ganz wie die elbischen Sätze in den Herr der Ringe-Filmen oder die Na’vi- Dialoge in Avatar. Ja, ich weiß, Swahili ist eine lebendige Sprache, die von echten Menschen gesprochen wird. Aber dennoch spricht kaum jemand in Liberia Swahili! Wie zuvor deutlich gemacht wurde, ist Swahili eine ostafrikanische Sprache. Seine Muttersprachler leben entlang der Küstenlinie von Kenia und Tansania.
Was an Swahili jedoch faszinierend ist, ist dass es eine wahrhaft internationale Sprache in weiten Teilen Ostafrikas geworden ist! Millionen von Menschen im Kongo, in Uganda, Tansania und Kenia verwenden Swahili, um sich über eine Vielzahl sprachlicher Grenzen hinweg mitzuteilen. Es ist in der Tat das, was für uns einem afrikanischen “Esperanto” am nächsten kommen könnte.
Willa: Wirklich? Das habe ich nicht gewusst.
Joie: Das hab ich auch nicht.
Willa: Es ist faszinierend darüber als ein „afrikanisches Esperanto“ nachzudenken.
Bjørn: Wenn wir es so betrachten, sind die Anfangsszenen von Liberian Girl und dem HIStory Teaser sehr ähnlich: Etwas wird von einer Nicht-Michael-Person in einer kulturübergreifenden Sprache gesagt, ehe MJ selbst die Bühne betritt und seine Englisch sprechenden Zuhörer beruhigt, dass sie nicht völlig “in der Übersetzung verloren gehen“!
Interessanterweise nimmt Stranger in Moscow die gegensätzliche Herangehensweise. Hier werden MJ's laut gesungene englischsprachige Lyrics von dem Flüstern eines anderen Mannes gefolgt, der in der Lingua Franca der kommunistischen Welt des Kalten Krieges flüstert: Russisch.
Willa: Wow, Bjørn, das ist so interessant! Und für mich fühlt es sich so an, als funktioniert das Russische in Stranger in Moscow auch auf eine ganz andere Art. Es bestärkt die aufgekratzte, beunruhigende Stimmung des Songs, als auch das Thema der Entfremdung von seinem eigenen Heimatland.
Joie: Ich stimme dir zu, Willa. Stranger in Moscow war immer eines meiner Lieblingsstücke und ich glaube, das liegt daran, dass es so ein schön aufgebauter Song ist. Aber du hast recht, der Gebrauch von Russisch im Song hebt das Gefühl von Einsamkeit, Isolation und Verzweiflung, das er hier versucht zu vermitteln, wirklich hervor. Die Entfremdung, wie du es nennst. Immer wenn ich diesen Song anhöre, bekomme ich tatsächlich das Gefühl, dass sein einziger Grund, hier Russisch zu verwenden, der ist, uns die negativen Emotionen vollständiger fühlen zu lassen.
Willa: Es fühlt sich so auch für mich an, Joie, und das Gefühl intensiviert sich, sobald wir erstmal herausfinden, was diese russischen Worte bedeuten: „Warum bist du aus dem Westen hier her gekommen? Gestehe! Um die großen Errungenschaften der Menschen zu stehlen, die Leistungen der Arbeiter...“
Joie: Ja. Es ist sehr einschüchternd, nicht? Stell dir vor, du wärst ein Fremder in einem fremden Land, festgehalten von diesen angst einflößenden Beamten und wirst immer wieder mit diesen Fragen angeschnauzt!
Willa: Oder um es etwas näher nach Hause zu bringen, stell dir vor, die Polizei verhört dich: „Warum bist du so nett und großzügig zu diesen Kindern? Gestehe! Um sie anzulocken, sodass du sie missbrauchen kannst...“