Ich habe mal den Teil übersetzt des oben geposteten Joe-Vogel-Artikels, der sich nicht mit der Besprechung der einzelnen Songs beschäftigt, weil ich seine Betrachtungen wirklich SEHR interessant finde.
Ist Michael wirklich Michael? Eine Besprechung des neuen Albums des King of Pop.
Joe Vogel
Author of three books
Posted: December 4, 2010 05:00 AM
Diesen vergangenen Freitag lauschte ich Michael Jacksons mit Spannung erwartetem Album, Michael (Epic), das erwartungsgemäß in den USA am 14. Dezember in den Läden aufschlägt. Ich hatte dahingehend viele Fragen, nicht nur über die Musik selber, sondern auch bezüglich der Entwicklung. Wie wurden die Stücke ausgesucht? Inwieweit wurden sie verändert oder verschönert? Und wie war das Endresultat?
Posthum-Werke sind bekanntermaßen verzwickt. Es gibt im Grunde zwei theoretische Herangehensweisen: 1) präsentiere das Material grundsätzlich, wie es vorgefunden wurde; oder, 2) versuche die Vorstellung des Künstlers zu vervollständigen basierend auf Anweisungen und/oder Eingebung. Jeder Weg geht einher mit seinen eigenen einzigartigen Herausforderungen und Schwierigkeiten.
Für die 2009-Dokumentation, This is it, entschied sich das "Estate" für die erste Herangehensweise. Das Publikum auf der ganzen Welt wurde Augenzeuge der unbearbeiteten Proben, von dem, was ein beispielloses Konzert-Spektakel geworden wäre. Zu der Zeit beschwerten sich einige, dass Jackson nicht gewollt hätte, dass die Leute irgendetwas außer dem endgültigen, abgeschlossenen Ergebnis zu sehen bekommen. Er war ein Perfektionist, der alles für die Darbietung gab; allerdings in dem Filmmaterial schont er oft seine Stimme, begrenzt er seine Tanzschritte und korrigiert Fehler. Das war etwas unbestreitbar Fesselndes und Aufschlussreiches, dem Künstler bei der Arbeit zuzusehen. Es war tragisch, natürlich, dass seine vollständige Vorstellung niemals verwirklicht wurde. Aber für viele Betrachter vermenschlichte es den Sänger, ebenso wie es sein außerordentliches Talent demonstrierte.
Allerdings mit seinem ersten posthum-Album wurde eine andere Herangehensweise benutzt. Alle Songs wurden innerhalb des vergangenen Jahres von verschiedenen Kollaborateuren und Verwalter vervollständigt -- sich erstreckend von Teddy Riley bis Neff-U bis hin zum Co-Nachlassverwalter John McClain. Michael, sagte seine Nachlassverwaltung, hinterließ eine "Leitfaden-Mappe", und sie fühlten die Verpflichtung zu vollenden, was er begann. Es war eine riskante Entscheidung, die eine heftige Gegenreaktion innerhalb vieler des harten Kerns der Jackson-Fans verursachte. Eine ähnliche Kontroverse ergab sich 1995, als Paul, George und Ringe zwei John-Lennon-Stücke ("Free as a Bird" und "Real Love") unter der Fahne der Beatles "beendeten". Für einige Fans konnte es niemals ein "wirkliches" Beatles-Stück ohne Lennons volle Teilhabe geben. Ähnlich, egal wie eng Akon, Lenny Kravitz und andere mit Jackson zusammen arbeiteten, könnten sie niemals vollkommen erahnen, was er auf einem Stück hätte haben wollen?
In einigen Fällen hinterließ Jackson tatsächlich sehr genaue Bemerkungen und Anweisungen. Es ist jenen ebenso wohlbekannt, die sich mit seinem künstlerischen Prozess auskannten, dass er häufig zurückkehrte zu Stücken aus früheren Album-Sitzungen und sie aktualisierte. Versionen von "Blood on the Dance Floor," "They Don‘t Care About Us," und "Earth Song," zum Beispiel, wurden alle ursprünglich während der Dangerous-Sitzungen aufgenommen; aber Jackson fuhr jahrelang fort, an jedem dieser Songs herumzubasteln, bis er empfand, sie seien fertig. Ein Michael-Jackson-Song war niemals vollendet, bis er es auf ein offizieles Studio-Album schaffte.
Diese Zurückkehren-Behandlung ist im Grunde, was seine Kollaborateure bei dem Album Michael versuchten. Sie wollten diese Stücke so frisch, lebendig und maßgeblich wie möglich machen, in dem Glauben, dass es dies gewesen wäre, was Jackson ebenso wollte. Natürlich, am Ende, da niemand von ihnen ein Michael Jackson ist, konnte das Beste nur annähernd sein. Das Album ist folglich eine gemischte Kreation. Zeitweise empfindet man es als wahrhaftig inspiriert und sehr nahe an dem, was Michael selber gemacht hätte; bei anderen Gelegenheiten versteht es sich eher als Tribut, ähnlich den Remixen (Neu-Abmischungen) auf Thriller 25.
Viel von dem wird dem normalen Zuhörer wahrscheinlich gar nicht auffallen, der nur einfach der Musik lauschen will, und entscheidet, ob er sie mag oder nicht.
Da Michael Jackson einer der wichtigsten Künstler des vergangenen Jahrhunderts ist (Einwurf, für mich der wichtigste, wer ist ihm vergleichbar?), ist die Frage, wieviel am Werk, das er hinterließ, abzuwandeln ist, eine sehr ernsthafte. Wie großartig die neue Version von "Behind the Mask" klingt, zum Beispiel, es ist nicht die Version, an der Michael zuletzt arbeitete in den frühen 80ern. Aus keinem anderen Grund als die Geschichte zu dokumentieren würde es folglich wert scheinen, die Originale/Demos ebenso zu veröffentlichen (vielleicht als Bonus-Stücke oder einem Ergänzungs-Album), auch wenn sie nicht perfekt ausgefeilt und aktualisiert sind.
Mit dieser Einleitung an dieser Stelle fahre ich fort mit meiner Besprechung des eigentlichen Albums, welches, im Ganzen, wirklich eine aufregende und erfreuliche Hörerfahrung ist. In der Tat, bei aller Kontroverse über seine Glaubwürdigkeit, ist Jacksons Gegenwart, geht man das Album Lied für Lied durch, unbestreitbar. Seine Angewohnheiten, seine Besessenheit, seine Vielseitigkeit und sein Genie sind bei jeder Drehung allgegenwärtig.
Wer anders könnte so nahtlos übergehen von einer gesellschaftskritischen Hymne zum Tanzbodenkracher, schnellem Hip-Hop zu kosmischen Rock, klassischem Funk zur ergreifenden Volksballade? Wer außer Michael Jackson würde einem Liebeslied einer messerscharfen Kritik an den Medien folgen lassen? Einem erhebenden Gospel-Gesang einer grimmigen Polemik über die Monstrosität der Hollywood-Kultur?
Dies ist letztlich die bedeutsamste Qualität von Michael: es fühlt sich an wie Michael.
Dem "Estate" und Sony sollte eine Anerkennung gegeben werden für das Bewahren von Jacksons Nervosität und Eklektizismus, da sie sich leicht für eine mehr traditionelle Auswahl hätten entscheiden können. (Bei all der Aufruhr über "Breaking News" ich meinte, es war ein ganz kecke Stellungnahme gleich am Anfang hinsichtlich seiner lyrischen Zielscheibe)
Das Album enthält ebenfalls einige nette, ungekünstelte Anklänge, einschließlich Jacksons unglaublich dynamisches Beat-Boxen (vorgeführt am herausragendsten auf "Hollywood Tonight"), und einer Einleitung mit einer Telefon-Botschaft zu "(I Like) The way you love me," in welcher Jackson die Komposition des Songs seinem langjährigen Mitarbeiter Brad Buxer erklärt. Der Punkt bei diesen Beispielen ist, dass Jackson der Künstler und Mensch nicht in einer "Über-Produktion" geschluckt wird, wie einige gefürchtet haben. Trotz aller Einschränkungen zeigt sich von der Eröffnungszeile ("This life don‘t last forever ...") bis zur Schlusszeile ("Ich denke, ich lernte meine Lektion viel zu früh") ein sehr inniges, authentisches, vermenschlichendes Bild.