Willa: Das ist ein interessanter Punkt, Lisa, und wir erkennen diese Voreingenommenheit bezüglich des "einsamen Genies" sogar jetzt in kritischen Reaktionen auf Prince und Michael Jackson zum Beispiel. Prince wird als das einsame Genie gesehen, das allein in seinem Studio hockt und die meisten der Instrumente auf seinen Alben selbst spielt, während Michael Jackson eher der gemeinschaftlich Arbeitende war und auch eher als kommerzieller Künstler wahrgenommen wurde. Seine Einstellung schien zu sein, dass wenn ein Musiker, der sich seinem Instrument widmet, es besser spielen konnte als er: Warum sollte er dann nicht den Besten dazu holen?
Lisha: Da ich Musikerin bin stimme ich dem ganz sicher zu! Aber der Mythos des einsamen, verrückten Genies ist solch ein geschätztes, kulturelles Symbol, dass ich auf viele Arten denke, wir haben immer noch Beethoven-Mania!
Wie Warhol trieb Michael Jackson die Vorstellung der Zusammenarbeit zum Äußersten. Auf Dangerous zum Beispiel, dem ersten Album, für das Jackson als selbst ausführender Produzent arbeitete, lies er über 18 Monate lang drei Produktionsteams gleichzeitig arbeiten, um das Endprodukt zu erstellen. Ich weiß nicht, ob wir jemals wieder diese Art von Produktionswert sehen werden. Die Leute, die an den Aufnahmen arbeiteten, sprechen über die unglaubliche Aufmerksamkeit gegenüber den Details, in die sie verfielen und den Willen eines jeden Beteiligten den ganzen Weg mitzugehen, um am Ende das beste, menschenmögliche Ergebnis zu erhalten.
Und obwohl Jackson berüchtigt für seine Detailbesessenheit war, so war er doch auch sehr flexibel darin, dem kreativen Input, der innerhalb dieses Systems entstand, Raum zu geben. Bruce Swedien zum Beispiel, ein Aufnahmeingenieur, bekam Credits für das Schreiben an Jam. Bill Bottrell, ein Produzent / Techniker, kreierte den Rap und viele der Rock-Country-Instrumentals auf Black or White.
Also war Michael Jackson aufgeschlossen gegenüber den Ideen und dem Talent um sich herum, und er nutzte dies wahrlich zu seinem Vorteil. Warhol scheint diese Fähigkeit ebenso gehabt zu haben – Hilfe, Ideen und Inspiration aus vielen verschiedenen Quellen anzunehmen. Offenbar war es ein Kunsthändler, Muriel Latow, der den Vorschlag machte, er solle doch erwägen, so etwas Alltägliches und Gewöhnliches wie eine Suppendose zu malen – der Rest ist Geschichte.
Und ich war überrascht zu erfahren, dass Andy Warhol tatsächlich jeden Tag seines Lebens Campbell’s Suppe aß; es ging also nicht nur um postmoderne Ironie und um Kritik an der Konsumkultur, wie ich gedacht hatte. Seine Mutter hatte immer Campbell’s Suppe für ihn, als er ein Kind war, und es schien ihm wirklich eine Menge bedeutet zu haben – Wärme, Versorgtsein, Mutterliebe. Er malte seine Realität, und ich sehe diese Gemälde anders, seit ich das über ihn verstanden habe und wie das im Gegensatz zu seinem kühlen, gleichgültigen Image steht.
Willa: Oh, ich sehe das genauso – es hat mich immer getroffen, welch tröstliches Gefühl von seinen Campbell’s Suppen-Bildern ausgeht. Sie werden oft als ironisches Statement gedeutet, wie du sagst, und ich kann das in intellektueller Hinsicht erkennen, aber das ist nicht das, wie sich das auf emotionaler Ebene für mich anfühlt. Da ist ein wirkliches Gefühl der Wärme und Beruhigung. Es ist so, als wollte er sagen, dass die Leute den Trost, den sie einst in den bekannten Symbolen der katholischen Kirche fanden – den Bildern von der Jungfrau Maria zum Beispiel – heute durch die vertrauten Symbole der Konsumkultur wie den Campbell’s Suppendosen erhalten. Während also die Künstler der vergangenen Jahrhunderte religiöse Symbole malten und formten, richtete er seinen Fokus auf die neue Bilddeutung der Konsumenten. Es ist ein brillanter Einblick.
Lisha: Es ist wahrlich ein brillanter Einblick, die Vermählung des Kostbaren mit dem Alltäglichen. Das ist etwas, was wir in jedem Aspekt in Michael Jacksons Werk erkennen, von den hochwertigen Produktionen, die er in das abgewertete Genre des Pop einbringt bis zu den handbestickten Couturejacken, die er mit T-Shirts und Levi’s 501 Jeans trug. Kunst und Mythos durch sein berühmtes Image zu erschaffen ist nur ein weiteres Beispiel.
Und wie du schon vorher gesagt hast, Willa, brachte Michael Jackson die Vorstellung vom Image einer Berühmtheit auf ein völlig neues Level. Ich kann nicht einmal ansatzweise erkennen, wie man dagegen einen Einwand erheben könnte. Ich bin sicher, du hast das Interview 60 Minutes ( interview) mit Karen Langford, Michaels Archivarin, gesehen, in dem sie einige seiner früheren Notizen zeigt, die nun das „MJ Manifest“ genannt werden. Es war Michael Jacksons erklärtes Ziel, dass „MJ“ eine komplett andere Person, eine gänzlich neue Rolle sein sollte, für die er große, ehrgeizige Pläne hatte.
Willa: Das ist komisch, Lisha – ich habe auch an das Manifest gedacht. Hier ist das, was er schrieb:
MJ wird mein neuer Name sein. Nicht länger Michael Jackson. Ich möchte in eine völlig neue Rolle schlüpfen, möchte einen völlig neuen Look. Ich werde eine vollkommen andere Person sein. Die Leute sollen nie mehr von mir als dem Kind denken, das ABC und I Want You Back gesungen hat. Ich werde ein neuer, unglaublicher Schauspieler/Sänger/Tänzer sein, der die Welt erschüttern wird. Ich werde keine Interviews geben. Ich werde magisch sein. Ich werde ein Perfektionist sein, ein Forscher, ein Ausbilder, mehr als ein Meister. Ich werde besser sein als jeder große Schauspieler, der seine ganze Kraft einsetzt.
Und du hast Recht. Es zeigt wirklich, wie bewusst er seine neue Rolle erschuf und wie er darüber dachte, über diese "gänzlich neue Rolle" von MJ, nicht wahr?
Lisha: Jedes Album hatte eine neue. Ich werde nie den Schreck vergessen, als ich 1984 im Supermarkt in der Warteschlange an der Kasse stand und nach einem Foto von Michael Jackson suchte, weil es das war, worüber in jenen Tagen jeder redete, und als ich einfach keins finden konnte, musste ich mir von jemandem erklären lassen, dass ich bereits auf ein Foto von Michael Jackson blickte. Es haute mich völlig um, als ich versuchte mein früheres Thriller / Victory Tour-Bild von Michael Jackson gegenüber dem, was ich jetzt sah, in Einklang zu bringen. Natürlich konnte sich niemand auch nur vorstellen, was noch kommen sollte. Er veränderte sich immer wieder, erst in den auf die Rasse bezogenen nicht eindeutigen Protagonisten in Bad, dann in den grenzüberschreitenden Charakter in Black or White auf Dangerous bis hin zu dem farblosen fremdartigen "Anderen" in Scream für das HIStory Album.
Willa: Was einen wichtigen Punkt berührt - dass die Rollen, die Warhol und Michael Jackson erschufen nicht notwendigerweise beabsichtigten anziehend zu sein. Sie waren weitaus komplizierter und provokativer als das. Der Erzähler fragt fast am Beginn der Dokumentation:
Aber wer war Andy Warhol? Auf seiner Reise von Andrew Warhols änderte er nicht nur seinen Namen, sondern schneiderte seine Persönlichkeit nach Maß, um einen mechanischen, fabrikproduzierten Markennamen zu erzeugen, der die Celebrity- und Konsumkultur jener Zeit verkörpern würde.
Dieser "mechanische, fabrikproduzierte" Aspekt seiner "Marke" war nicht besonders attraktiv, wenigstens nicht im traditionellen Sinn. Und das waren auch nicht seine Perücken oder seine rüde materialistische öffentliche Rolle. Aber seine Perücken, seine Rolle und sein Markenname wurden nicht nach traditionellen Schönheits- oder Wirkungsstandards beurteilt, weil es verstanden wurde, dass sie Teil seiner Kunst sind, und so müssen sie auf komplexere Art, eben wie Kunst, interpretiert werden.
Und ich denke, dies ist eine Vorstellung, die sehr viele Kritiker im Hinblick auf Michael Jackson wirklich missverstanden haben. Es wird im Allgemeinen angenommen, dass er in seiner späteren Karriere versuchte etwas Attraktives zu zeigen, etwas Anziehendes für ein Massenpublikum und dass er dabei scheiterte. Aber wenn wir uns zum Beispiel die Lyrics zu Is it scary ansehen, dann erkennen wir, dass er etwas sehr viel Komplizierteres und Interessanteres als das tat. Neben anderen Dingen zwang er uns zur Konfrontation mit unseren Vorurteilen - Vorurteile, die die Presse und die Öffentlichkeit versuchten seinem Gesicht und seinem Körper aufzuerlegen, weil er für "schwarz" stand, für "männlich", für einen "Popstar" oder "nur einen Popstar" - und später, schrecklicherweise, für einen "Freak" und ein "Monster".
Wie ändert sich also unsere Wahrnehmung, wenn wir beginnen, Michael Jacksons öffentliche Rolle als eine künstlerische Kreation zu sehen, so wie wir es auch bei Andy Warhol machen? Und wie deuten wir es, wenn wir uns auf diese Weise annähern?