01.07.2009, Ausgabe 27/09
Michael Jackson – unsterblich tot
Der «Big Boy» hatte überhaupt keine Chance, in der harten Welt der Mega-Deals zu überleben.
Von Arthur Cohn
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Guten Morgen, Michael, wie war die Nacht . . . ? Wer hat ihm diese Frage am letzten Tag seines Lebens gestellt? Und wie war die Antwort? Wir werden sie nie erfahren. Und wenn wir jetzt wissen wollen, wer Michael Jackson eigentlich war und warum sein Leben so früh und plötzlich zu Ende ging, werden wir die Antwort auch nicht so leicht finden. Vielleicht in einigen Monaten, in einigen Jahren oder nie.
Wenn Superstars diese Welt verlassen, ist die Dramaturgie immer gleich: der Schock, die Trauer, der Abschied, Jahre später die Mythen. Ja, man wird in seinen Liedtexten mystische Botschaften entdecken. Ob Marilyn Monroe, James Dean, Elvis Presley sie alle sind unsterblich tot. Aber ist die Trauer um Michael Jackson nicht doch grundlegend anders? Mischt sich hier nicht auch eine gewisse Schuld zur Bewunderung? Hat man das zerbrechliche Musikgenie zu hart in den Medien und der Gesellschaft angefasst? Hat er sich deswegen seinen privaten Rummelplatz genannt «Neverland» gebaut ? Einen Fluchtpunkt, den er sich am Ende nicht mehr leisten konnte?
Ich begegnete Michael Jackson nur zweimal, es waren Galas, und die Stimmung war so fröhlich wie die Glitzerjacketts, die er trug. «I love you», lautete die Botschaft in jedes Mikrofon, das ihm entgegengestreckt wurde. Seine Sprache war die Musik, und kein Popstar vor ihm setzte sie so kraftvoll ein wie er. Doch kann man eine solche Karriere überleben? Stellte sich Jackson in die Tradition von Elvis und Marilyn, die manchmal Todessehnsüchte hatten?
Ich glaube, bei Michael Jackson war es nicht so. Freunde von mir, die ihn intensiv kannten wie Elton John und Liz Taylor –, liebten und verehrten ihn und erzählten mir immer und immer wieder von seinem kindlichen Wesen. Kindlich ist nicht kindisch! Michael wurde zwar fünfzig aber war er mit zwanzig anders? Die Antwort heisst klar, nein, und das beantwortet so viele Fragen. Ein Zwanzigjähriger, der fünfzig ist, hat die Kräfte nicht mehr, die in diesem knallharten Business diskussionslos vorausgesetzt werden.
Ich war mit Lee Solters befreundet. Er war der grösste PR-Agent Hollywoods, war Karrierearchitekt von Barbra Streisand, Frank Sinatra und jahrelang auch für Michael Jackson tätig. Ich erinnere mich an einen Lunch-Termin mit Lee in Beverly Hills. Er kam von einer Sitzung mit Michael Jackson, es ging um Strategien und neue Ideen. Lee war geschafft. «Weisst du, Arthur, das Meeting ging zwei Stunden, und zwei Stunden lang fuhr Michael auf den Rollschuhen im Kreis herum, wir sassen am Tisch. Er fuhr immer um uns herum. Das ist schon ungewohnt.» Solche Worte sagen mehr als manche Würdigung. Meetings auf Rollschuhen! Erwachsene tun das nicht.
Der «Big Boy» als Weltstar eine so junge Seele in der harten Welt der Anwälte und Millionen-Deals. Kann das gutgehen? Offensichtlich nicht. Und doch, die Megastars, die uns zu früh verlassen, sind grundverschieden. Oft verbindet sie nur eine Gemeinsamkeit, die Menschen im Alltagsstress so schwer glauben können: die Tatsache, dass Geld und Erfolg noch lange kein Garant für Glück sind. Die Probleme der Stars sind so verschieden wie ihre Karrieren.
Elvis Presley hat seine Story, Marilyn Monroe ihre. Was damals geschah, hat mir Tony Curtis, einer meiner besten Freunde, erzählt. Marilyn Monroe wollte sich nicht umbringen. Marilyn spielte mit Schlaftabletten eine Art Roulette: Sie nahm so viel, dass sie in die Nähe der Todesgefahr kam, aber nur in die Nähe. Mit ihrer Haushälterin hatte sie eine Abmachung: Schliefe sie noch, wenn die Haushälterin am Morgen komme, müsse sofort ein Arzt ins Haus. Das war oft nötig! Aber an jenem Morgen, so Tony, kam die Haushälterin viel zu spät in die Villa des Diamond-Girls.
Kam jemand zu spät zu Jackson oder kam ein schlechter Arzt zu früh? Die Antwort kennen wir nicht. So ist das Leben der Superstars ein Leben in extremen Spannungsfeldern. Der Erwartungsdruck ist kaum nachvollziehbar: Fans und Businesspartner würdigen nicht ein Lebenswerk, sondern immer nur den jeweils letzten Erfolg. Diesen gilt es zu übertrumpfen. Aber konnte das Jackson, der mit 104 Millionen verkauften CDs von «Thriller» ins Guinness-Buch kam? Konnte er dies jetzt, als Fünfzigjähriger, der so viel Kraft verlor in Prozessen und bei privaten Angelegenheiten, wiederholen? Michael Jackson war die Kerze, die an zwei Enden brannte. Die Antwort gab das Schicksal am Donnerstag.
Arthur Cohn ist der einzige Filmproduzent in der Geschichte Hollywoods, der sechsmal mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Er lebt in Basel und Los Angeles.