Ich habe heute mal wieder hier nachgelesen, und da ist mir aufgefallen, dass wir ja immer so argumentieren, dass „Tiere auch fühlende Wesen" sind. Mir fiel das gerade auf, weil ich gestern Abend in dem Buch von Karen Duve (Anständig essen) erst einen Abschnitt gelesen habe, der mir gut gefallen hat, weil sie den Spieß umdreht. Sie sagt, die Menschen sollten nicht vergessen, dass sie auch Tiere sind. Wir sind Tiere!!! Mensch stellt sich ja immer gern über alle anderen, so als höheres Wesen, und Karen Duve holt uns da auf eine ehrliche und sehr humorvoll-ironische Art wieder runter von dem Thron. Was ich so gut an ihr finde ist, dass sie alle ihre Schwächen zugibt und sie uns zeigt (und manches ist für mich richtig schlimm zu lesen, z.B. beschreibt sie, wie sie mal ihr Huhn getötet und gegessen hat), sie ist sehr ehrlich und nicht unfehlbar, wie wir alle. Sie gibt hier im wahrsten Sinn den „Man in the Mirror“.
Man hört ja auch oft, man würde Tiere „vermenschlichen“ (wenn man ihre Gefühle respektiert), hier ist es umgekehrt, wir sollten uns mal gedanklich „vertieren“.
Hier mal ein paar Ausschnitte aus dem Kapitel Familienbande (ist auch eine gute Argumentationshilfe für andere „Tierfreunde“, die Sache mal aus dieser Perspektive zu sehen, finde ich):
„Kein ernstzunehmender Zoologe würde nämlich heute noch wagen, dem Menschen eine absolute Sonderstellung außerhalb des Tierreichs einzuräumen. Der Mensch ist ein Tier, zweifellos ein kluges Tier, aber doch vor allem ein Tier. Und zwar ein Wirbeltier. Schauen Sie sich ruhig mal ein Röntgenbild Ihres eigenen Rückens an – alles voller Wirbel. Ein wichtiges Indiz dafür, dass wir es hier mit einem Wirbeltier zu tun haben. Genauer gesagt mit einem Säugetier. Schauen Sie ruhig mal unter Ihr T-Shirt. Noch genauer: „Im zoologischen System gehört der Mensch zu den Säugetieren in die Ordnung der Herrentiere.“ So steht es im Brockhaus. Affen sind wir, und zwar Primaten, Unterordnung Trockennasenaffen. Was denn auch sonst? Gehen Sie ruhig mal wieder in den Zoo und schauen Sie bei ihren inhaftierten Vettern und Cousinen vorbei. Teufel auch, sind die uns ähnlich!“
„Abgesehen von einigen entschlossenen und bibelfesten Gegenrevolutionären zieht es heute niemand mehr in Zweifel, dass unsere Vorfahren Affen waren. Den Umkehrschluss – dass wir folglich auch Affen sind – ignorieren wir geflissentlich. Gäbe es einen grundlegenden, objektiv beweisbaren Unterschied, einen unüberbrückbaren Abgrund zwischen Menschen und anderen Tieren, so ließe der sich an der DNS ablesen. Die sagt aber genau das Gegenteil: Mensch und Tier – alles eine Soße. Darum muss es einen auch nicht verwundern, wenn einem der Arzt das gleiche Schmerzmittel verschreibt, das uns letzte Woche der Tierarzt für den Hund mitgegeben hat. Die Rechtfertigung für Tierversuche lautet, dass man Tieren alles antun darf, weil sie etwas völlig anderes als Menschen seien. Aber Medikamente ließen sich nicht erfolgreich an Mäusen, Ratten, Hunden, Schweinen, Affen usw. testen, wenn es nicht zahlreiche und wesentliche Gemeinsamkeiten zwischen ihnen und uns gäbe. Das Auge eines Kaninchens, in das man eine scharfe Salbe schmiert, verätzt genauso schnell wie das eines Menschen.“
„Nehmen wir – wie in einem beliebten Spiel der Kindersendung „Sesamstraße“ – einmal vier Lebewesen und stellen sie nebeneinander, zum Beispiel einen Schimpansen, einen Gorilla, einen Menschen und eine Würfelqualle. Eins von diesen Wesen gehört nicht zu den anderen. Na, welches ist es? Also drei der Lebewesen haben Arme und Beine und ein Gesicht mit Lippen und Zähnen und Augen und einer Nase, während eines aus einem halbrunden, durchsichtigen Glibberklumpen und schleimigen Fäden besteht. Nun, welches Wesen ist etwas völlig anderes als die anderen drei? Die gängige Antwort lautet: der Mensch. Ist doch klar: Gorilla, Schimpanse und Würfelqualle sind Tiere, und der Mensch … ist eben ein Mensch, nicht wahr? Glauben Sie das im Ernst?Glauben Sie wirklich, ein Schimpanse und eine Würfelqualle hätten mehr miteinander gemein als ein Schimpanse und ein Mensch? Das ist so absurd, als würde eine Würfelqualle behaupten, allein Würfelquallen stünden haushoch über dem Tierreich, während Feuerquallen, Primaten, Salamander und Eichhörnchen alle in einen Topf gehörten. Aber vermutlich ist es genau das, was eine Würfelqualle tun würde, wäre sie in der Lage, wie ein Mensch zu sprechen und sich über die Dinge ein Urteil zu bilden.“
„Einer der Grundpfeiler, auf den wir unsere Vorstellung von der menschlichen Andersartigkeit gründen, ist unsere große Intelligenz. Und das ist ja auch nicht ganz falsch. Mit unseren Fähigkeiten, Rauminhalte zu berechnen, Sudokus zu lösen und über unser eigenes Handeln zu reflektieren, sind wir tatsächlich anders als jedes andere Tier – so wie eine Ameise mit ihren speziellen Fähigkeiten anders ist als jedes andere Tier und ein Krokodil mit seinen speziellen Fähigkeiten anders ist als jedes andere Tier und ein Eichhörnchen mit seinen speziellen Fähigkeiten anders ist als jedes andere Tier. Der Homo sapiens ist halt ein Tier mit einem besonders großen und komplexen Gehirn. Die Frage ist nur, ob unsere Besonderheit uns so haushoch über die übrige Tierwelt stellt, dass wir deswegen mehr Rechte haben als alle anderen, oder ob uns die Fähigkeit zur Reflexion nicht eher mehr Verpflichtungen auferlegt. (Zum Beispiel die Verpflichtung, von unserem großen Gehirn auch Gebrauch zu machen und mal darüber nachzudenken, was wir den anderen Tieren da eigentlich gerade antun.) Eher schlau als intelligent haben wir uns für die erste Antwort entschieden: mehr Rechte. Ein intelligentes Wesen wie den Menschen darf man nicht quälen oder töten, weniger intelligente Wesen (= alle anderen Tiere) schon. Nicht einfach so, da ist das Tierschutzgesetz vor, aber wenn man sie essen oder Medikamente testen will, ist das erlaubt. Wieso eigentlich? Um Angst, Schmerz und Verzweiflung zu empfinden, bedarf es keiner besonderen kognitiven Fähigkeiten. Es ist äußerst fraglich, ob ein Nobelpreisträger der Physik (Bereich Quantenmechanik) in Todesangst mehr leidet als ein eher schlicht gestrickter Geist. Ein Schwein, das mitbekommt, dass es geschlachtet werden soll, schreit und wehrt sich genauso verzweifelt, wie es der Nobelpreisträger in dieser Situation tun würde. Bis heute wird darüber gestritten, ob die psychischen Eigenschaften der Tiere im Wesen oder nur im Grad von unseren verschieden seien. Aber das habe ich mich bei meinen verschiedenen Lebenspartnern auch jedes Mal gefragt, ohne zu einer befriedigenden Antwort zu kommen. Womöglich ist auch die Grenze zwischen Instinkt und Vernunft nicht so eindeutig, wie mancher gern glauben möchte. Wenn man im grünen Atlantik so vor sich hin schwimmt und plötzlich kommt von rechts eine Haifischflosse mit großer Geschwindigkeit auf einen zu, dann macht es wohl kaum einen Unterschied, ob man ein Mensch oder eine Robbe ist. Die Gedanken, die einem dann durch den Kopf schießen, sind womöglich gar keine Gedanken, sondern bloß ein klaffendes Entsetzen, in das man hineinfällt.“