Dancing With The Elephant

  • Zitat

    Michael hat dafür gesorgt, dass man als Genießer seiner Kunst wirklich ein Leben lang Grund genug hat, seine Werke immer wieder, immer weiter, zu untersuchen.


    Genau, und jede Erklärung seinerseits hätte auch immer nur einem geholfen, hätte nur eine Facette erfasst. Wenn man jetzt allmählich die Vielschichtigkeit seines Werkes erkennt, dann....also, mir viel dieser AUsdruck ein, dass man jemanden immer da abholen muss, wo er steht, und genau das schafft Michael, der eine genießt die schöne Musil, der andere den Tanz, den Rhythmus......usw....und jeder kann finden, was er gerade braucht, wenn er sich ein bißchen Mühe gibt, steht aber eine Erklärung im Raum, dann ist die Interpretation abgeschlossen und das Kunstwerk nicht mehr so lebendig.


    Und ein weiterer Nebeneffekt der Komplexität ist, wie Willa und Joie und in gewissem Maße auch wir hier machen, dass manchmal nur gemeinsam etwas entdeckt werden kann, das ist auch ein Ergebnis! ("Gerade die anspruchsvolleren Dinge..."...ich bin soooo froh über die Übersetzungen, das würde ich ohne nicht alles nachvollziehen können... :Tova: )


    Zitat

    Am Anfang hatte ich immer Angst, dass „Michael mal zu Ende ist“, dass irgendwann alles gesagt ist, dass man alles durch hat, alle Bücher und Artikel gelesen. Diese Angst habe ich nicht mehr – ich finde, es wird immer besser. Gerade die anspruchsvolleren Dinge, die jetzt alle im Entstehen sind, das Gute braucht eben ein bisschen Zeit zum Reifen. :perfect:


    Diese Angst, und die sich jetzt breit machende Erleichterung kenne ich auch, aber mittlerweile habe ich eine neue "Angst", nämlich die, dass mein Leben nicht mehr reicht........ :kicher:


    :herz:


  • Diese Angst, und die sich jetzt breit machende Erleichterung kenne ich auch, aber mittlerweile habe ich eine neue "Angst", nämlich die, dass mein Leben nicht mehr reicht........ :kicher:


    :herz:


    Nee, dass Michael "mal zu Ende" sein könnte, das habe ich noch nie empfunden, sondern bei der geballten Flut an Informationen, Büchern und Musik schon nach kurzer Zeit, als Michael in mein Leben trat, das Gefühl, dass ich nie genug Zeit habe für irgendetwas. Man stelle sich vor, dass das, was ein langjähriger Fan in 30 Jahren an Informationen gesammelt hat, habe ich in nunmehr 3 Jahren VERSUCHT, aufzuholen. Zusammen mit Familie und Job ein Ding der Unmöglichkeit.


    Manchmal verzweifle ich, und manchmal freue ich mich auf die Zeit, wo ich mich nur noch um mich und meine freie Zeit kümmern muss :kusshand: und dann wird alles noch einmal gelesen, gehört, betrachtet und darüber nachgedacht. :bih:

  • dann....also, mir viel dieser AUsdruck ein, dass man jemanden immer da abholen muss, wo er steht

    Ich finde, das ist ein sehr richtiger und wichtiger Gedanke :daumen: und gerade erst heute Morgen habe ich in anderem Zusammenhang an etwa diese Sache gedacht. Dass eben die Menschen alle, und auch gerade die Nicht-Fans oder Nicht-nur-Fans einen ganz anderen "Entwicklungsstand" haben als wir hier zum Beispiel, aus dem heraus nicht jeder bereits alles begreifen und sich erklären kann. Jeder entwickelt sein Bild von Michael nach und nach und ist zu bestimmten Zeitpunkten vielleicht noch gar nicht reif für dieses oder jenes.


    Dazu passt auch so gut das Gedicht von Emiliy Dickinson :Tova: , das Willa in M Poetica vorangestellt hat


    Tell all the Truth but tell it slant
    Success in Curcuit lies
    Too bright for our infirm Delight
    The Truth's superb surprise


    As Lightning to the Children eased
    With explanation kind
    :herz: The Truth must dazzle gradually
    Or every man be blind :herz:


    Erzähl die ganze Wahrheit, aber erzähl sie schräg
    Der Erfolg liegt darin, die Lügen zu umkreisen
    Zu hell für unser schwaches Vergnügen
    Der Wahrheit grandiose Überraschung


    Wie der Schrecken eines Blitzschlags den Kindern genommen wird
    Durch freundliche Erklärung
    :herz: M
    uss die Wahrheit schrittweise überwältigen
    Oder jedermann würde erblinden :herz:


    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Der Mond wandert
    The Moon is Walking
    29/11/2012


    Willa: Weißt du, Joie, wir haben uns jetzt über ein Jahr unterhalten und haben noch immer nicht über Moonwalker, Michael Jacksons abendfüllenden Spielfilm gesprochen, was irgendwie schockierend ist.


    Joie: Es ist schockierend, nicht? Und es kam uns nie in den Sinn bis vor kurzem.


    Willa: Nun, tatsächlich hatte ich es nun für eine Weile im Hinterkopf, wo es einfach vor sich hin brodelte, aber es fühlte sich irgendwie nie ganz bereit an.


    Joie: Ich denke, wir sind mehr oder weniger drum herum getanzt, weil wir nicht sicher waren, über welchen Weg wir es angehen sollten, weißt du?


    Willa: Du könntest Recht haben. Da gibt es so vieles zu besprechen, es ist irgendwie überwältigend! Aber diese Woche habe ich gehofft, wir könnten anfangen Moonwalker zu betrachten und ich denke, ein guter Ort, an dem man starten kann, ist seine Zusammensetzung.


    Als Moonwalker erstmals veröffentlicht wurde, wurde er grundsätzlich gut aufgenommen, aber er wurde dafür kritisiert, keine zentrale Handlung zu haben, die sich durch den gesamten Film zieht. Die vorrangige Kritik war, dass er eher wie ein Haufen zusammengesetzter Videos wirkte, als wie ein Spielfilm. Und es stimmt, dass Moonwalker wie eine Serie von kurzen Segmenten aufgebaut ist. Mit anderen Worten, er ist mehr ein Gedichtband als ein Roman, aber das bedeutet nicht, dass er keinen zusammenhängenden Aufbau hätte. Zum Beispiel ist Walt Whitmans Leaves of Grass eine Sammlung von Gedichten, aber es hat noch immer eine hochkomplexe Struktur und die hat auch Moonwalker. Er ist jedoch wie Leaves of Grass eher thematisch strukturiert, als sich auf eine zentrale Handlung zu stützen.


    Joie: Das ist eine interessante Gegenüberstellung, Willa – Moonwalker mit Leaves of Grass hinsichtlich des Aufbaus zu vergleichen.


    Willa: Nun, ich halte es einfach für seltsam, dass Kritiker davon auszugehen scheinen, jeder Spielfilm müsste wie ein Roman aufgebaut sein. Es gibt viele verschiedene Wege Ideen und Gefühle über Film auszudrücken – wie Koyaanisqatsi von Philip Glass. Er hat keine Handlung oder Charaktere oder Dialoge, kommuniziert aber dennoch eine gewaltige Botschaft – und er tut das, indem er eine Struktur verwendet, die den Ideen und Emotionen angemessen ist, die er übermitteln will.


    Ein sinnvoller Weg das anzugehen, denke ich, und anzufangen über den Aufbau von Moonwalker auf eine andere Weise nachzudenken – dem nicht eine Handlung „fehlt“, sondern der etwas anderes anstrebt – ist ihn mit The Band Wagon zu vergleichen, einem 1953er Film, den Michael Jackson liebte, mit Fred Astaire in der Hauptrolle und unter der Regie von Vincente Minnelli (Liza Minnellis Vater). The Band Wagon hat so etwas wie eine Handlung, die auf eine faszinierende spiralförmige Weise die Geschichte ihrer eigenen Schöpfung ist, aber die Handlung ist in Wahrheit einfach nur ein Mittel, um die Talente seines Hauptcharakters, Tony Hunter, zu präsentieren. Wie es einer der Drehbuchautoren beschreibt, hat er „gerade so viel Handlung, um ihn eine Menge lustiger und abwechslungsreicher Nummern machen zu lassen“. Vom Aufbau her ist The Band Wagon in erster Linie eine Serie von Kurzfilmen, die thematisch in Zusammenhang stehen, genau wie Moonwalker. Und in der Tat kann Moonwalker als eine künstlerische Antwort auf The Band Wagon interpretiert werden, mit den einzelnen Abschnitten, die sich auf interessante Weise entsprechen.


    Joie: Ich weiß, du sprichst eine Menge über The Band Wagon in deinem Buch, Willa, und ich fand das alles sehr faszinierend. Aber ich hab den ganzen Film tatsächlich noch nie gesehen. Ich habe Stückchen davon gesehen, aber ich hab mich nie hingesetzt und den ganzen Film von Anfang bis Ende angeguckt.


    Willa: Oh Joie, du musst ihn sehen! Weißt du, ich hatte ihn auch nicht gesehen, bis ich angefangen habe, an dem Buch zu arbeiten, aber ich hatte wirklich Schwierigkeiten herauszufinden, worum es in Smooth Criminal ging. Es war, als konnte ich all diese widersprüchlichen Emotionen fühlen, die ich nicht erklären und nicht verstehen konnte. Also machte ich mich auf die Suche nach Hinweisen in The Band Wagon, da es eine große Inspiration für Smooth Criminal war und das schickte mich zurück zu Mickey Spillanes I, the Jury. Und wirklich, diese drei zusammen als eine Entwicklung zu betrachten, hat Smooth Criminal für mich auf Art und Weisen geöffnet, wie ich sie nie hätte vorhersehen können. Ich sehe es heute auf eine komplett andere Weise, die für mich zuvor einfach nicht vorhanden war.


    Also du musst The Band Wagon einfach sehen, Joie. Es ist wirklich ein Spaß – ich denke, du wirst ihn verschlingen – und ich wette, du wirst viele Verbindungen zu Moonwalker sehen. Da sind so viele lustige kleine Bezüge wie Kostüme und Requisiten und Tanzschritte und die beiden Filme sind auch auf ähnliche Weise strukturiert.


    The Band Wagon beginnt auf einer Auktion von einigen von „Tony Hunters persönlichen Gegenständen, wie sie in seinen Hauptrollen verwendet wurden.“ Sein ikonischer Spazierstock, Zylinder und weißen Handschuhe (zwei, nicht einer) stehen zum Verkauf, aber nicht einer bietet. Auf seinem Höhepunkt hatte Hunter einer Reihe von erfolgreichen Broadway-Musicals und Hollywoodfilmen, aber er hatte seit Jahren keinen Hit mehr und die Öffentlichkeit hat das Interesse an ihm verloren. Wir treffen dann Hunter selbst als er Passagiere in einem Zug belauscht, die darüber sprechen wie „er vor 12 oder 15 Jahren gut war, aber die Kolumnisten … sagen er sei fertig.“


    Schließlich kommt er in New York an und er ist angenehm überrascht, als eine Schar Reporter sich am Bahnhof versammelt, um ihm Fragen zu stellen. Jedoch lassen sie ihn fallen, sobald ihr wahres Ziel, Ava Gardner, erscheint. Hunter verfällt dann in eine traurige Interpretation von By Myself, während er leise durch den Bahnhof läuft.


    Die wiederholte Botschaft dieser Anfangsszenen ist, dass Hunter einst durch seine Berühmtheit gehetzt wurde – durch den Andrang von Fans und Reportern und Fotografen, der den Ruhm begleitet – aber ironischerweise nun durch ihre Abwesenheit gequält wird. Es ist sicherlich ein Zeichen dafür, dass seine Karriere sich in ernsthaftem Abstieg befindet und zum einen weiß er es – und das wissen auch die Fans und Reporter.

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    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Joie: Das ist interessant, Willa. Besonders, wenn man es mit den Anfangsszenen von Moonwalker vergleicht. Der Film beginnt, natürlich, mit einem Konzertmitschnitt von Michael, der Man in the mirror performt. Und diese Konzertszenen werden durchsetzt mit berühmten und berüchtigten Aufnahmen aus dem Lauf der Geschichte mit vielen Politikern und Menschenrechtlern und hungernden Kindern und dergleichen. Und wir sehen auch eine Menge Aufnahmen von Fans im Publikum, die schreien und in Ohnmacht fallen und durchdrehen, während sie ihm auf der Bühne oben zusehen.


    Und dann, als der Song zu einem Abschluss kommt, hören wir plötzlich verschiedene Audioclips von Szenen aus dem Lauf seines Lebens: wie er mit seinen Brüdern als die Jackson 5 in der Ed Sullivan Show vorgestellt wird, wie ein Song im Radio angekündigt wird, dass er Elizabeth Taylor einen Schrein in seinem Zuhause errichtet hätte, wie er ins Krankenhaus gebracht wurde, als sein Haar am Set des Pepsi Werbespots Feuer fing, wie Thriller als das meistverkaufte Album aller Zeiten angeführt wird, als er der erste Künstler wurde, der sechs Nummer Eins-Singles aus einem Album hervorbrachte. Wir hören sogar die Stimme von Präsident Ronald Reagan, der ihn für seinen großartigen Erfolg lobt.


    Und wir hören all das, während eine Kamera durch etwas schwenkt, das vermutlich ein Ankleideraum oder ein Schlafzimmer ist und wir sehen glitzernde Kostüme, den paillettenbesetzten Handschuh, alte Familienfotos und solche stehen neben Grammy Awards und MTV Awards und Bildern von ihm mit Diana Ross und Quincy Jones. Sogar ein bezaubernder Schnappschuss von Baby Michael, der auf einer Couch sitzt und die beabsichtigte Botschaft ist klar – dieses Leben der Berühmtheit, des Ruhms und der Musik ist alles, was diese Person jemals gekannt hat. In der Tat ist der Song, den wir direkt als nächstes hören Music and Me, eine schmerzliche Erinnerung daran, dass Michael Jackson und Musik tatsächlich eine lange Zeit zusammen gewesen sind.


    Willa: Das ist interessant, Joie. Ich habe zuvor nicht so darüber gedacht. Mir war der Fokus auf seine Berühmtheit bewusst, aber ich habe nicht über die Tatsache nachgedacht, dass sie sich über einen so großen Teil seines Lebens erstreckte, beginnend mit der Kindheit – dass „dieses Leben der Berühmtheit, des Ruhms und der Musik alles ist, was diese Person jemals gekannt hat“, wie du sagtest.


    Joie: Es ist interessant, nicht? Es ist fast die genau entgegengesetzte Situation von der, in welcher Tony Hunter sich in diesem Zug wiederfindet. Michaels Karriere, auch wenn sie vor sehr langer Zeit begonnen hatte, ist noch immer in vollem Gange und er wird noch immer gehetzt mit diesem ‚Andrang von Fans und Reportern und Fotografen, der den Ruhm begleitet‘, wie du vorhin gesagt hast.


    Willa: Das ist wahr. Also ist er in einer sehr unterschiedlichen Phase seiner Karriere als Tony Hunter und während uns The Band Wagon die Probleme zeigt, denen ein Künstler gegenübertreten muss, wenn seine Karriere im Niedergang begriffen ist, zeigt uns Moonwalker, dass es auch Probleme gibt, wenn er auf seinem Höhepunkt steht. Er untersucht das ausführlicher in den Speed Demon- und Leave Me Alone-Abschnitten, die auf den Anfangsteil folgen. Wir haben über beide im September gesprochen – speziell wie er das komplizierte Thema von Ruhm untersucht und wie er ihm wunderbare Möglichkeiten bot, aber auch eine schwierige Bürde für ihn war.


    Und ich interessiere mich sehr für das, was du gerade über die Anfangsmontage von „berühmten und berüchtigten Aufnahmen aus dem Lauf der Geschichte“, wie du es nanntest, gesagt hast. Indem er auf diese Art beginnt, setzt Moonwalker Kunst in einen ganz anderen Kontext als The Band Wagon das tut. Er deutet an, dass es nicht nur um Michael Jackson als Person, Entertainer und kulturelle Ikone geht. Da stehen noch andere Aspekte auf dem Spiel – Probleme von globaler Wichtigkeit, die wirklich etwas im Leben der Menschen ausmachen.


    Joie: Das ist sehr richtig, Willa. Und ich denke, vielleicht ist die Botschaft hier, dass Musik einen wirklichen Einfluss auf diese Themen von globaler Wichtigkeit haben kann. Oder vielleicht, dass der Künstler, der die Musik macht – da er derart verbunden ist mit seinem Publikum – die Macht hat, diese globalen Aspekte zu beeinflussen. Indem er den Einfluss der Kunst als Mittel der sozialen Veränderung nutzt.


    Willa: Genau, und natürlich wissen wir, dass er ein ganz starkes Empfinden dafür hatte, dass Kunst die Menschen nicht nur zusammenführen, sondern dass sie uns auch veranlasst unsere Wahrnehmung und Meinung zu hinterfragen und dass uns die Dinge auf eine andere Art sehen lässt. In diesem Abschnitt also wirft er einige wirklich philosophische Fragen über die Aufgabe von Kunst auf. Und es gibt auch dazu eine direkte Entsprechung in The Band Wagon – zum Beispiel in der unverkennbaren Nummer That’s Entertainment:


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    Wie wir deutlich in diesem Clip sehen können ist das hauptsächliche Thema hier „ernsthafte Kunst“ gegenüber „unterhaltender Kunst“, und wie Nina in einem Kommentar vor ein paar Wochen herausgearbeitet hat, gab es spezielle historisch bedingte, kulturelle und sogar politische Gründe für das, was damals solch ein bedeutendes Thema war:


    Der Filmwissenschaftler Rick Altman, der ein sehr hilfreiches Buch geschrieben hat („The American Film Musical“), stellt fest, dass eine der gesellschaftlichen Funktionen von Musicals die ist, Wege zu anzubieten, durch die Millionen von Amerikanern, viele von ihnen Immigranten der 30er, 40er und 50er Jahre aus Europa – als das Genre in seiner Blütezeit war - sich ALS Amerikaner wiedererkennen und ihren Sinn für ihre nationale Identität und Gemeinschaft festigen konnten. Also werden, um dies zu erreichen, in der Erzählung eine Anzahl sich gegenüberstehender Begriffe aufgeführt. Im „Show Musical“ (einer größeren Untergattung) ist oft der Gegensatz zwischen „hoher“ und „geringer“ Kultur der Schlüssel zur ganzen Geschichte. Filme wie The Band Wagon zeigen einen Kontrast auf – und einen Wettbewerb – zwischen Formen, die aus der klassisch europäischen Tradition stammen (wie Ballett, „künstlerischem“ Ausdruckstanz, Symphonieorchester, Streichquartett, etc.) gegenüber Dingen wie amerikanischen populären Formen bestehend aus Swing, Jazz, Pop und Showmelodien selbst! Auf diese Art und Weise wird The Band Wagon (und sogar noch mehr Singin’ in the Rain) zu einer Art Werbefilm für Hollywood und für das amerikanische Show Business selbst. Natürlich weiß der „gute alte Amerikaner“ wer am Ende gewinnt …

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  • Wie also Nina festgestellt hat, ist der „Schlüssel zu der ganzen Geschichte“ in The Band Wagon – und zu vielen anderen Musicals dieser Zeit – der Wettbewerb zwischen (amerikanischer) populärer Unterhaltung und (europäischer) ernsthafter Kunst. Natürlich sah sich Michael Jackson dieser Trennung von Unterhaltungskunst und ernsthafter Kunst genauso gegenüber. Ich denke, sein Werk wurde von den Kritikern fehlinterpretiert und schrecklich unterbewertet, weil es „nur“ als Unterhaltung gesehen wurde, und so blieb ihnen versagt, die Kunst in seinem Werk zu erkennen.


    Joie: Ich liebe diesen Kommentar von Nina!


    Willa: Ist er nicht großartig?


    Joie: Es unterstreicht wirklich das Thema von ernsthafter Kunst gegenüber Unterhaltungskunst. Und du hast Recht. Michael Jackson sah sich diesem Thema ständig während seiner Karriere gegenüber und sein Werk wurde oft als „nur“ Unterhaltung kritisiert oder als zu kommerziell, wenn du so willst. Aber in Moonwalker – und nicht nur im Eröffnungsabschnitt, sondern wirklich während des gesamten Films – scheint er sich darauf zu konzentrieren, mit seiner Kunst den Wandel zu bewirken, über den er in Man in the mirror singt.


    Willa: Das tut er wirklich – wir sehen das von den Eröffnungsaufnahmen von Moonwalker bis zu der unvergesslichen Interpretation von The Moon is Walking von Ladysmith Black Mambazo während des Abspanns. Er ist sehr viel mehr daran interessiert, die kulturelle Funktion von Kunst zu untersuchen und wie Kunst für tiefgreifende kulturelle Veränderungen dahingehend genutzt werden kann, wie wir einander wahrnehmen und miteinander umgehen. Wie du so gut gesagt hast, Joie „den Einfluss der Kunst als Mittel der sozialen Veränderung nutzen“. Wir sehen diesen Gedanken sich ständig wiederholend in Moonwalker – zum Beispiel in Badder, das Kinder zum Thema hat, die die Kraft der Kunst einsetzen, um sich gegen Gangs behaupten zu können.


    Joie: Das ist ein sehr interessanter Abschnitt in Moonwalker, Willa. Dieser gesamte Badder-Abschnitt. Ich glaube, die meisten Leute mögen diesen Teil wirklich, weil er nicht so ist, wie du erwartest, wenn die Kamera hochfährt von den silberbeschlagenen Boots über das mit Schnallen und Gürteln versehene Kostüm bis hinauf zum Gesicht. Es ist ein kleiner Schock zu sehen, wie dieser süße kleine Junge dich ansieht. Aber der interessante Teil ist für mich, dass sie dann das gesamte Bad Video nachempfinden mit der Besetzung durch diese erstaunlichen, tanzenden Kinder.


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    Weißt du, ich habe immer gedacht, dass es wirklich süß ist und Spaß macht, es anzusehen. Aber seit ich mit dir rede, weiß ich, dass Michael fast jede künstlerische Sache aus einem speziellen Grund getan hat. Also frage ich mich … was geht denn wirklich vor sich in diesem Abschnitt von Badder? Was ist hier die Botschaft oder die Lektion?


    Willa: Nun, das ist jedes Mal eine komplizierte Frage, aber ein Weg, um sich dem zu nähern besteht darin, es mit dem zu vergleichen, was in The Band Wagon vorgeht, denn wieder einmal gibt es da eine direkte Entsprechung. Während der Badder-Abschnitt in Moonwalker tanzende Kinder zeigt, die wie Erwachsene gekleidet sind und die singen und tanzen wie Erwachsene, gibt es in der Triplets Nummer in The Band Wagon erwachsene Schauspieler, die als Babys verkleidet sind und die singen und tanzen wie Babys. Aber wenn wir uns die Lyrics ansehen, erkennen wir, dass sie überhaupt nicht wie Babys sind:


    Wir machen alles gleich
    Wir sehen gleich aus
    Wir sind gleich angezogen
    Wir gehen gleich
    Wir sprechen gleich
    Und außerdem
    Wir hassen einander sehr
    Wir hassen unser Volk…
    Wie ich wünschte, ich hätte ein Gewehr
    Ein kleines Gewehr
    Das wäre lustig
    Um die anderen beiden zu erschießen
    Und der einzige zu sein


    Es ist ein lustiger Teil, aber mit einem überraschend brutalen Text, und im Grunde ergibt sich der Humor aus der Ironie dieser kleinen, lispelnden Kinder („A wittle gun“ statt little gun), die solch blutige Gedanken gegenüber ihren Geschwistern hegen. Hier ist ein Videoclip:


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    Also nimmt Triplets eine Situation auf, von der wir normalerweise denken, sie sei sicher und unter Kontrolle – drei Babys in Hochstühlen - , versieht dies mit einer unerwarteten Note von Gewalt und untersucht den komischen Aspekt dieser Sache. Aber natürlich hatte sich zu der Zeit, als Michael Jackson Moonwalker drehte, die Welt verändert. In vielen Wohngegenden war Gewalt durch Gangs an der Tagesordnung, Kinder waren gefangen mitten im Kreuzfeuer, und die Vorstellung von Kindern, die blutige Gedanken haben, war nicht länger lustig. Also nähert er sich dem Thema Kinder und Gewalt auf eine ganz andere sehr viel ernsthaftere Art und Weise an.


    Joie: Ich muss sagen, Willa, es erschreckt mich ein wenig, diesen Triplets Clip anzusehen, weil die Worte ihres kleinen Liedchens so grausam sind. Es ist wirklich befremdlich, und ich denke, das kommt von dem, was du gerade sagtest. Die Welt war eine ganz andere damals, als The Band Wagon gedreht wurde und diese Art von Humor wurde nicht auf dieselbe Art gesehen wie heute. Sehr interessant.

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  • Willa: Das ist es, nicht wahr? Es gibt eine ähnliche Beziehung zwischen Girl Hunt Ballet und Smooth Criminal, welches jeweils die vorletzten Nummern in The Band Wagon und in Moonwalker sind. Girl Hunt Ballet endet mit Fred Astaire als Darsteller, der die Frau erschießt und tötet, zu der er gesagt hat, er wolle für sie sorgen und sie beschützen, was ziemlich schockierend ist. Hier ist ein Video Clip:


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    Aber was wirklich schockierend ist, ist die Tatsache, dass, wenn du wirklich einmal innehältst und darüber nachdenkst, diese Nummer eine Komödie ist – genau wie die mörderischen Kinder der Triplets. Und wieder überarbeitet Michael Jackson das neu, macht es dunkler, ernsthafter und komplizierter, indem er uns auffordert, uns Sorgen zu machen um die ermordete Frau. Er fragt immer wieder und wieder: „Annie, bist du ok?“


    Wir könnten einen ganzen Monat damit verbringen, nur über die vielen Parallelen und Gegensätzlichkeiten zwischen Girl Hunt Ballet und Smooth Criminal zu reden, aber Nina zeigte uns vor ein paar Wochen einen Clip, der einige dieser Verbindungen beleuchtet – nicht nur zu Smooth Criminal, sondern auch zu You rock my world und Dangerous. Und ebenso gibt es einige unterschwellige Andeutungen in Billie Jean.


    Joie: Das ist so interessant, Willa. Weißt du, bevor wir mit unseren Unterhaltungen anfingen, habe ich niemals gewusst, dass Michael so viele Inspirationen aus The Band Wagon hat. Im Grunde liebe ich die alten Filme und Musicals, aber ich habe diesen ganzen Ähnlichkeiten einfach keine Aufmerksamkeit geschenkt, bevor du anfingst, mich darauf hinzuweisen. Und nun, da du es getan hast, ist es einfach nur faszinierend!


    Willa: Nicht wahr? Es setzt mich immer wieder in Erstaunen, wie er aus so vielen Quellen Inspirationen erhielt – und nicht nur auf oberflächliche Art, sondern auf eine Art und Weise, die dich spüren lässt, einfach wie bewandert er in all diesen verschiedenen Genres war und wie sehr er sich mit ihnen beschäftigte. Nicht lange, nach er gestorben war, sprach Kobe Bryant einige Male darüber, wie Michael Jackson ihn dazu brachte, Klassiker wie Fred Astaire Filme und andere große Hollywood Musicals anzusehen. Hier ist ein Clip von einer Pressekonferenz:


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    Und wenn du dir wirklich diese Filme ansiehst und sie mit Michael Jacksons Werken vergleichst, dann erkennst du, wie tiefgreifend sie ihn beeinflusst haben. Nina hat dies bereits öfter kommentiert – wie hier (like here), als sie Say, Say, Say mit Singing in the Rain verglichen hat.


    Joie: Das ist sehr aufschlussreich. Ich hätte diesen Vergleich wohl niemals vorher gezogen.


    Willa: Oh, ich habe viel aus Ninas Kommentaren gelernt. Weißt du, sie ist eine Filmemacherin und Künstlerin (sie hat einige wirklich interessante Michael Jackson Collagen gemacht) und auch Professorin für Filmstudien, und sie scheint einfach eine Fülle von Wissen über Filmemachen und Filmgeschichte in ihren Fingerspitzen zu haben.


    Das bringt uns zum jeweiligen Finale. The Band Wagon endet mit einer emotionalen Wiederholung von That’s Entertainment. Also scheint die abschließende Botschaft von The Band Wagon zu sein, dass Tony Hunters Karriere im Niedergang begriffen ist, dass er aber immer noch ein Star ist, immer noch ein talentierter Entertainer, geliebt und respektiert von seinen Kollegen – und das schließt seinen Co-Star, eine klassisch ausgebildete Ballerina der „ernsthaften Kunst“, die sich in ihn verliebt hat, mit ein. Also verstärkt das Finale auf mehreren unterschiedlichen Ebenen die Botschaft, dass Unterhaltung in seiner Bedeutung als populäre Kunst uneingeschränkt über ernsthafte Kunst herrscht.


    Joie: Nun, die abschließende Botschaft, die ich von Moonwalker erhalte ist die, dass populäre Kunst, und vielleicht Musik ganz speziell, universell ist. Sie vermag die Menschen zusammenzubringen – Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, allen Nationalitäten, allen Rassen, allen Altersgruppen und allen wirtschaftlichen Bereichen. Und der finale Song, denke ich, illustriert diese Botschaft sehr gut. Es ist Michaels Interpretation von Come together von den Beatles, und es ist einfach vollkommen. Ein Rock Song geschrieben vom unvergleichlichen Duo Lennon und McCartney und mit Perfektion gesungen vom größten Entertainer der Welt, der ganz zufällig ein schwarzer Mann war. Kommt zusammen / Come together, in der Tat.


    Willa: Das ist interessant, Joie. Die Überschrift sagt irgendwie alles, oder?


    Joie: Weißt du, das tut sie wirklich. Und so ist es auch bei dem Titel That’s Entertainment.


    Willa: Das stimmt! Sie fassen beide die zentralen Themen des Films in dem Titel des letzten Songs zusammen. Wie interessant!


    Und dann fügt Moonwalker noch eine kleine Dreingabe hinzu, indem uns Ladysmith Black Mambazo während des Nachspanns The Moon is Walking singt. Ich liebe einfach die Stimmung dieses Songs und die Art, wie sie es darbieten, und ich liebe die Art, wie die Hintergrundbilder sich hin- und her verändern zwischen Szenen aus Smooth Criminal und den Sängern von Ladysmith Black Mambazo in zeitgemäßen Kostümen, als wären sie ebenso ein Teil von Smooth Criminal. Und ich liebe den sich wiederholenden Refrain „Komm und sieh‘, der Mond tanzt“ / „Come and see, the moon is dancing“. Für mich fühlt es sich so an, als würden sie es bezeugen.


    Weißt du, Michael Jacksons Filmcharakter ist so verbunden mit dem Mond (schließlich heißt der Filmtitel Moonwalker), dass für mich persönlich diese Zeile wie ein Zeugnis des Einflusses von Kunst ist – seiner Kunst. Vielleicht hat er es gar nicht so gemeint – wahrscheinlich mochte er einfach nur den Gleichklang der Worte Moonwalker und The Moon is Walking. Aber das ist das, was mir in den Sinn kommt, wenn ich höre „Beeil dich, mein Bruder / Beeil dich, meine Schwester / Komm und sieh‘, der Mond tanzt“ / „Come along, my brother / Come along, my sister / Come and see, the moon is dancing“. Sie sind Zeugen der Kraft seiner Kunst.




    :herz: Come together of biba & Lilly :herz:

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  • Auf der Suche nach diesem Staunen in meiner Jugend
    Searching for that Wonder in My Youth
    12/12/2012


    Willa: Also Joie, letztes Jahr in den Weihnachtsferien hatten wir einen besonderen Post über Michael Jacksons enge Verbindung zur Kindheit und ihren Zusammenhang zur Kreativität. Nun gehen wir wieder auf die Weihnachtssaison zu, und ich habe mir gedacht, dass es Spaß machen würde wieder über die Kindheit zu reden.


    Joie: Es würde ganz bestimmt Spaß machen wieder über die Kindheit zu reden, Willa. Und du weißt ja, es gibt einen Song / Video, über den / das wir bisher niemals wirklich gesprochen haben. Ich weiß fast nicht, wo ich anfangen soll. Ich bin irgendwie so aufgeregt!


    Willa: Oh, Childhood? Du hast Recht, wir haben einige Male Lyrics daraus zitiert, aber wir haben darüber nicht wirklich in der Tiefe gesprochen. Es ist lustig – das ist ein weiterer Michael Jackson Song, der die Leute sich wirklich unwohl fühlen lässt, und ich bin mir nicht ganz sicher, warum. Er ist nicht wütend wie das You rock my world Video. Er zwingt uns nicht, uns mit den „dunklen Gedanken in unserem Kopf“ auseinanderzusetzen wie Threatened oder Money. Er hinterfragt nicht unsere schwierigen sozialen Probleme wie The lost children oder schmerzhafte Geschichten wie Little Susie. Es ist einfach ein sehr schöner Song mit einem sehr schönen Video, aber er stört manche Leute wirklich. Ich denke, manche Nicht-Fans sind irritiert, weil sie denken, er sei nicht ehrlich, aber ich denke auch, manche Fans sind irritiert, weil er zu ehrlich ist.


    Joie: Das ist interessant, Willa, und ich verstehe, worauf du hinaus willst. Es ist wirklich so, dass dieser Song einige Leute sich unbehaglich fühlen lässt. Und er ist nicht wütend oder dunkel, wie du sagst. Aber er ist sozusagen ‚schonungslos’, in ziemlich derselben Art wie in jenen Songs, die du erwähnt hast. Aber auf eine ganz andere, sehr persönliche Art und Weise.


    Weißt du, ich war mit Nicht-Fans zusammen, als dieser Song lief und das Gefühl, das ich dabei hatte, ist, dass er sie wirklich dazu bringt, kurz innezuhalten und sie nachdenken lässt. Sie hören seine Worte und sie denken wirklich nach über das, worum er sie bittet:


    Bevor du mich verurteilst
    Versuch’ wirklich, mich zu lieben
    Sieh’ in dein Herz, dann frag’ …
    Hast du meine Kindheit gesehen?


    Und der Vortrag dieses Songs ist so einfach und tief empfunden, dass ich denke, man kann einfach nicht anders, als davon angesprochen zu sein – wenigstens für ein paar flüchtige Augenblicke – ob du nun ein Fan bist oder nicht.


    Willa: Ich denke, das stimmt, Joie, aber ich denke auch, dass es so tief empfunden ist, dass es für einige Zuhörer schon wieder unangenehm ist. Weißt du, als Dr. Susan Fast vor einigen Wochen bei uns war, erwähnte sie das Fehlen von Ironie bei Michael, und Eleanor schrieb daraufhin eine sehr interessante Reaktion:


    Ich habe darüber so viel nachgedacht. Michael ist nicht „cool“, er ist zu heiß, er ist aufrichtig, er ist ernsthaft, er empfindet die Worte, die er singt, ganz tief. Die Wirkung seiner Werke ist nicht geistiger Natur, sondern absolut emotional. Wir hören seinen Herzschlag, wir spüren seinen Herzschlag – er macht uns den Rhythmus der Gezeiten in unseren eigenen Körpern bewusst. Er ist der Beste im Ausdrücken und Hervorrufen eindrucksvoller Gefühle – das ist es, was ihn von anderen abhebt – und das ist der Unterschied zwischen einem großartigen Künstler und einem cleveren Künstler. Er erhebt sich nicht über das Thema und kommentiert es, er ist mittendrin, er ist ein Teil davon – er ist Teil von „uns“ in TheyDon’t Care About Us.


    Erst wenn man ein wenig Distanz von dem emotionalen Eindruck gewonnen hat, kann man beginnen, die unglaubliche Kunstfertigkeit und das Genie zu würdigen, die in sein Werk eingehen. Künstler, die nur auf der geistigen Ebene arbeiten, lenken die Aufmerksamkeit so oft auf sich selbst – „Oh, was für ein cleverer Junge / Mädchen ich doch bin“ – sie sind kühle Beobachter, außerhalb der Auseinandersetzung und darüber schwebend – aber Michael führt die Aufmerksamkeit auf das Thema selbst – in Earth Song, in They Don’t Care About Us, etc.


    Er ist nicht zynisch, er möchte die Welt heilen – und trotz allem glaubt er daran, dass die Welt geheilt werden kann. Er glaubt an die Liebe – nicht an Sentimentalität. Er glaubt an eine tiefe Verbindung zwischen den Menschen, und er macht sich dieses Gefühl der Verbundenheit zunutze. Auf der geistigen Ebene agierende Künstler sagen oft „Ich bin kein Teil dieser Szene, und, wenn du meine Werke schätzt, kannst du dir selbst auf die Schulter klopfen, denn das bedeutet, dass du auch irgendwie überlegen bist.“ So etwas ist nicht Michaels Botschaft.


    Das ist ein langes Zitat, aber es drückt wunderschön einige wirklich wichtige Gedanken aus, denke ich. Eleanor macht klar, dass Ironie uns eine emotionale Distanz zum Thema verschafft – ein wenig Raum zum Atmen – und Michael Jackson macht das nicht. Er nutzt subtilen Humor in Videos wie Beat it, Thriller, Black or White und Ghosts, um die Stimmung zu erhellen, aber er gibt uns nicht die emotionale Distanz, die die Ironie bietet. Am nächsten kommt er der Ironie noch bei Leave me alone, denke ich, aber das ist eher ungewöhnlich für ihn. Er lässt uns die Themen nicht objektiv und leidenschaftslos betrachten, aus einer sicheren Distanz. Und besonders bei Werken wie Childhood, denke ich, hätten sich viele Zuhörer wohler gefühlt, wenn er das getan hätte.


    Aber ich finde, Eleanor drückt etwas sehr Wahres und Wichtiges aus, wenn sie sagt „Er ist der Beste im Ausdrücken und Hervorrufen eindrucksvoller Gefühle – das ist es, was ihn von anderen abhebt – und das ist der Unterschied zwischen einem großartigen Künstler und einem cleveren Künstler.“


    Joie: Das ist ein sehr interessantes Zitat von Eleanor, Willa, und sie hat Recht. Er ist der Beste im Ausdrücken und Hervorrufen eindrucksvoller Gefühle. Niemand macht das besser; und ich denke, das kommt daher, dass er selbst die Dinge so stark spürt. Sogar unser Freund Joe Vogel schreibt darüber in seinem Buch Earth Song: Inside Michael Jackson’s Magnum Opus:


    Die meisten Menschen lesen oder sehen die Nachrichten beiläufig, passiv. Sie werden gefühllos gegenüber den schrecklichen Bildern und Geschichten, die auf dem Bildschirm erscheinen. Solche Geschichten jedoch bewegten Jackson regelmäßig zu Tränen. Er verinnerlichte sie und spürte körperlichen Schmerz dabei. Wenn Leute ihm sagten, er sollte doch einfach sein eigenes Glück genießen, wurde er wütend. Er glaubte vollkommen an John Donnes Philosophie, dass „niemand eine Insel ist“.


    „(Die Durchschnittsperson),“ erklärte er, „sieht Probleme ‚da draußen‘, die gelöst werden müssen … Aber ich fühle nicht auf diese Art – die Probleme sind nicht wirklich ‚da draußen‘. Ich spüre sie in mir. Ein weinendes Kind in Äthiopien, eine in einem Ölteppich herzergreifend kämpfende Seemöwe … ein vor Schreck zitternder Teenager-Soldat, der Flugzeuge vorüberfliegen hört: Geschehen diese Dinge nicht auch in mir, wenn ich sie sehe und über sie höre?“

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Willa: Was für ein großartiges Zitat, Joie! Und wenn er sagt „die Probleme sind nicht wirklich ‚da draußen‘. Ich spüre sie in mir“, dann weißt du, dass es wahr ist, denn durch seine Kunst teilt er diese Gefühle mit, und wir spüren sie ebenso in uns. Wenn wir den Songs wie Earth Song oder They Don’t Care About Us oder Speechless oder Childhood zuhören, dann fühlen wir den Schmerz und die Wut und die Freude, das Gefühl der Ungerechtigkeit oder das Erlebnis des Staunens, dass er spürt. Das ist das, was mich vollkommen gefangen nahm, als ich zum ersten Mal vor 40 Jahren Ben hörte, und es nimmt mich immer noch gefangen und bewegt mich.


    Joie: Ganz genau! Aber mir gefällt, was du gerade über Michael gesagt hast, der nicht zulässt die Dinge leidenschaftslos zu betrachten. Das ist eine sehr wahre Feststellung. Er war nie jemand, der um den heißen Brei herumredet in seinen Werken, stattdessen wählte er die ganz direkte Annäherung. Und du liegst richtig, wenn du sagst, dass besonders bei diesem Song – weil er so sehr persönlich ist – diese Annäherung die Leute sich sehr unbehaglich hat fühlen lassen. Wir erwarten normalerweise nicht von unseren Unterhaltungskünstlern, dass sie direkt vor uns ein neues Feld erschließen, aber das ist genau das, was in Childhood geschieht. Besonders in diesen Lyrics:


    Niemand versteht mich
    Sie sehen es als solch seltsame Exzentrizität
    Weil ich herumalbere
    Wie ein Kind
    Aber verzeih‘ mir


    Die Leute sagen, dass ich nicht okay bin
    Weil ich diese einfachen Dinge liebe
    Es ist mein Schicksal
    Meine Kindheit wiedergutzumachen, die ich niemals kannte


    Willa: Wow, das ist eine anschauliche Art, das zu beschreiben, Joie, aber ich denke, du hast Recht – wir erwarten nicht, dass Künstler „direkt vor uns ein neues Feld aufmachen“, wie du so schön gesagt hast, und so fühlt es sich auch an. Es ist, als wäre er in tiefer Trauer wegen „der Kindheit / die er niemals kannte“.


    Es fühlt sich auch so an, als würde er versuchen, jenen zu antworten, die ihn dafür kritisieren seine verlorene Kindheit zu „kompensieren“, wie er es ausdrückt, und sie auffordert, Verständnis dafür aufzubringen, wie er fühlt. Und wirklich, was für eine schmerzvolle Situation muss das sein, wenn deine tiefsten Verletzungen in der Presse verbreitet und kritisiert werden.


    Aber, weißt du, was mir auffällt, wenn ich das Video ansehe ist, dass die Lyrics des Songs intensiv persönlich sind und das Video nicht. Dies ist ein weiterer Fall, in dem das Video die Gedanken, die in dem Song ausgedrückt werden, erweitert und verkompliziert. Wenn man den Song hört, würde man erwarten, dass das Video Material aus der 2300 Jackson Street und den langen Stunden im Studio bei Motown enthalten würde, und vielleicht Szenen von den Jackson 5 und aus der Ed Sullivan Show. Aber das Video handelt nicht von seiner Kindheit – zumindest nicht direkt – oder der Kindheit einer fiktiven Person. Es ist sehr viel subtiler und komplizierter als das: Es geht um Vorstellungskraft und um die Kindheit als eine Zeit erhöhter Vorstellungskraft.


    Joie: Weißt du, ich habe genau dasselbe gedacht. Das Video ist überhaupt nicht das, was man darüber denken würde. Und es ist so, als würde er hier absichtlich in die entgegengesetzte Richtung gehen, anstatt uns kleine Einblicke in seine eigene unvollkommene Kindheit zu zeigen, was das wäre, was wir erwarten würden. Und ich glaube, er hat das wahrscheinlich getan, einfach weil der Song selbst so persönlich ist.


    Willa: Oh, das ist interessant, Joie. Ich habe darüber auf diese Art noch gar nicht nachgedacht, und das ergibt sehr viel Sinn. Aber ich denke auch, dass er versucht einen komplexen Gedanken auszudrücken, der sehr wichtig für ihn ist.


    In dem Video sehen wir Michael Jackson allein in einem Wald sitzen, während eine Flottille von Segelbooten voll mit Kindern über ihm durch den Himmel segelt. Er kann sie sehen, aber er kann sich ihnen nicht anschließen. Er bleibt auf dem Boden zurück. Ein Junge kommt auf ihn zu und steht neben ihm, und er kann auch die Kinder in ihren Segelbooten sehen. Eines der Kinder in den Booten – ein älterer Junge – streckt seine Hand aus, um ihn einzuladen mitzukommen, und der Junge auf dem Boden schwebt nach oben und klettert an Bord. Aber Michael Jackson bleibt auf dem Boden zurück. Er möchte sich ihnen anschließen – du kannst spüren, wie verzweifelt er sich ihnen anschließen möchte – aber er kann nicht, entweder weil er nicht eingeladen wurde oder weil er aus dieser Phase herausgewachsen ist oder weil er durch die Härten seines Lebens gezeichnet ist. Wir wissen nicht warum.


    Er ist an keinem schlechten Ort – er befindet sich in einem üppigen, wunderschönen Wald, und das ist von Bedeutung, denn er verbindet Bäume mit Phantasie. Ich denke da an seinen Baum der Phantasie auf Neverland, von dem er sagt, dass er viele seiner Songs dort geschrieben habe. Er ist also an einem Ort der Phantasie und der Kreativität – erwachsener Kreativität - aber das unterscheidet sich von den Erfahrungen, die die Kinder in den Segelbooten über ihm machen. Er möchte so gern auch in so einem Segelboot sein, aber er kann nicht dahin gelangen. Anders als der Junge, der so mühelos nach oben geschwebt ist, bleibt er an die Erde gebunden.


    Joie: Das ist eine wunderschöne Zusammenfassung des Videos, Willa. Und ich denke, du hast Recht. Er möchte ganz offensichtlich verzweifelt zu den Kindern, aber er kann nicht. Und, wie du gesagt hast, können wir das auf viele Arten interpretieren – er war nicht eingeladen, er ist der Phase entwachsen, er war durch die Härten des Lebens gezeichnet. Aber dass er sich ihnen nicht anschließen konnte, muss nicht nur an diesen Faktoren gelegen haben, sondern könnte auch an „uns“ gelegen haben. Oder genauer an „ihnen“. Ich spreche nicht über die Kinder, aber die Leute, die ihn über die Jahre für dieses Kompensieren kritisiert haben. Vielleicht kann er nicht nach oben schweben zu den Kindern in den Segelbooten, weil er durch all die Negativität und Spekulation über die Art auf dem Boden gehalten wird, dadurch, wie er sein Leben lebte und durch seine Verbundenheit zu Kindern und seinen Wunsch und die vielen Anstrengungen, an dem kindlichen Staunen festzuhalten, das so besonders und wichtig für ihn war.

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    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Willa: Wow, Joie, auch darüber habe ich noch nicht nachgedacht, aber du hast Recht – er musste nach den Anschuldigungen sehr viel vorsichtiger in seinem Umgang mit Kindern sein, und er wurde sich seiner auch sehr viel bewusster und vielleicht auch befangener wegen seiner „eigenartigen Exzentrizitäten“, wie er laut den Lyrics, die du zitiert hast, singt: „Die Leute sagen, dass ich nicht okay bin / Weil ich diese einfachen Dinge liebe“. Also wahrscheinlich spielte diese Negativität auch eine Rolle, wie du sagst.


    Joie: Und wie du gesagt hast ist es offensichtlich, dass er sich ihnen verzweifelt anschließen möchte, aber er ist traurig und irgendwie untröstlich, dass er dazu nicht fähig ist.


    Willa: Es ist seltsam, gerade weil er so unglaublich kreativ war und solch eine lebhafte Vorstellungskraft hatte, sogar als Erwachsener. Wenn die Boote repräsentieren sollen, dass du durch deine Vorstellungskraft davongetragen wirst, dann scheint es offensichtlich zu sein, dass er mit an Bord sein sollte – schließlich segeln sie zum Mond, und er ist der Moonwalker! Aber das ist es nicht, wo er sich selbst positioniert. Er platziert sich auf dem Boden, während er sehnsüchtig nach oben sieht, wie sie vorübersegeln, und ich frage mich, was genau es ist, von dem er denkt, dass es ihm fehlt?


    Vielleicht ist es gar nicht nur die Vorstellungskraft der Kinder, sondern die Tatsache, wie vollständig sie in die Welt der Phantasie eintauchen. Ich kann mich erinnern, dass ich mich als Kind komplett in Büchern verloren habe. Ich bin so vollständig von einer Geschichte vereinnahmt worden, dass ich alles um mich herum ausgeblendet habe, und wenn ich wieder „zu mir kam“, musste ich manchmal entdecken, dass der Rest der Klasse schon halbfertig war mit einem Rechtschreibtest oder etwas Ähnlichem, und ich musste mich beeilen, das aufzuholen. Ich war vollkommen abwesend, wenn ich in ein Buch vertieft war – es fühlte sich wirklich an, als wäre ich in einer anderen Welt – und es war immer verwirrend, wieder zu Bewusstsein zu kommen in dieser Welt. Ich landete einfach wieder auf dem harten Boden der Realität, wenn ich mich in einer Welt der Rechtsschreibtests und Mathematikaufgaben wiederfand, wo ich mich doch gerade noch mit den Hauptpersonen des Buches in allen Arten von Abenteuern befunden hatte.


    Joie: Das ist so wahr, Willa. Kinder neigen dazu, vollkommen in ihr Spiel einzutauchen. Ich erinnere mich, dass ich in der Pause mit meiner besten Freundin auf dem Spielplatz war. Wir müssen zu der Zeit in der dritten oder vierten Klasse gewesen sein, glaube ich. Und wir waren so vertieft in unserer selbst erschaffenen Phantasiewelt, dass wir die Klingel nicht gehört hatten. Und plötzlich guckten wir hoch und unsere Klasse war nirgends zu sehen. Sie waren alle schon zwanzig Minuten vorher wieder zurück nach drinnen gegangen!


    Willa: Oh nein! So etwas Ähnliches ist mir auch passiert und es war wirklich peinlich, ich weiß also genau, was du meinst, Joie. Aber es ist lustig, das scheint mir nicht mehr allzu häufig zu passieren. Ich stehle mich immer noch manchmal in Tagträumen weg – wie vor einigen Jahren, als ich den Highway hinunter fuhr, und plötzlich „aufwachte“ und bemerkte, dass ich mit meinem Kopf in den Wolken gefahren war und meine Ausfahrt um etwa 10 Meilen hinter mir gelassen hatte. Es passiert also immer noch gelegentlich, aber nicht so oft. Ich liebe Bücher immer noch, aber ich werde nicht mehr so komplett davon eingenommen und ich blende die reale Welt nicht mehr so aus, wie ich es einst getan habe. Sogar während ich ein großartiges Buch lese, bin ich mir bewusst, dass ich meinen Sohn in 20 Minuten vom Schwimmtraining abholen muss oder mit dem Essen anfangen muss oder die Wäsche falten oder was auch immer, und ich werde nicht so vollkommen „weggetragen“ durch meine Phantasie wie es der Fall war, als ich jünger war.


    Vielleicht ist es also das, worüber er spricht? Denn er hat sogar als Erwachsener solch eine schöpferische Phantasie und war immer noch so intensiv kreativ – sehr viel kreativer als der Durchschnitt – und das muss er gewusst haben.


    Joie: Yep, das sehe ich auch so. Und als Erwachsene haben wir einfach so viel Verantwortung und andere Prioritäten, nicht wahr? Ich meine, als Kind ist unsere einzige Priorität herauszufinden, wie die Welt funktioniert, und wir suchen aktiv nach Wegen dafür, dass dieser Lernprozess Spaß macht. Es ist einfach die Natur eines Kindes. Aber als Erwachsene haben wir diesen Luxus nicht immer, denn so viele andere Dinge belasten uns und beanspruchen unsere Zeit. Vielleicht ist es also das, warum er fest auf dem Boden bleibt, während all die Kinder in ihren Booten über ihm zum Mond schweben. Wie die meisten Erwachsenen hat er einfach nicht mehr die Zeit in seiner Phantasie davon zu schweben.


    Willa: Das ist ein wirklich guter Punkt, Joie, und vielleicht ist das ein weiterer Grund, warum er das Gefühl hatte, dass er keine wirkliche Kindheit hatte – denn er trug sogar als Kind die Verantwortung eines Erwachsenen auf seinen Schultern. Seine Familie wurde finanziell ziemlich abhängig von ihm, als er zehn Jahre alt war. Denk mal darüber nach. Und es gab Leute bei Motown, deren Jobs von ihm abhängig waren. Wenn er es nicht geschafft hätte, das Publikum zu begeistern, dann hätten sie ihre Jobs verloren, und das wusste er. Das ist eine Menge Druck, der auf ein Kind geladen wird.


    Außerdem, wenn er beim Spielen gefallen wäre, sich verletzt hätte und nicht hätte tanzen können, dann hätte das weitreichende Konsequenzen gehabt, und auch das wusste er. Er musste also sehr vorsichtig sein, sogar beim Spielen. Und sein Tag war so durchgeplant, dass er nicht wirklich frei zum Spielen war oder „in seiner Phantasie davon zu schweben“, wie du sagtest, sogar damals nicht.


    Vielleicht ist also das ein Teil von dem, was er als Erwachsener versucht hat auszugleichen – indem er sich selbst die Erlaubnis gab auf Bäume zu klettern (wie riskant!) und Wasserballonkämpfe zu führen und selbstvergessen spielen zu können, auf eine Art, wie er es als Kind nicht konnte. Und sich selbst die Zeit zu gönnen einfach davon zu schweben und in den Tag zu träumen.


    Joie: Und vielleicht ist das die Botschaft dieses Kurzfilms, Willa. Du weißt, wie gerne ich glaube, dass in jedem Michael Jackson Video eine verborgene Botschaft oder Lektion zu finden ist?


    Willa: Ja?


    Joie: Nun, vielleicht ist in diesem Fall die Lektion, dass wir – die Erwachsenen – versuchen sollten uns zu erinnern, wie es ist ab und zu durch unsere Phantasie weggetragen zu werden. Sich zu erinnern, dass das kindliche Staunen, das immer noch in jedem von uns einzelnen steckt nur auf die Gelegenheit wartet, sich in einem Buch verlieren zu können … wegzuschweben in einem Segelboot zum Mond.

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    Emily Dickinson

  • Willa: Oh, ich liebe deine Interpretation wirklich, Joie! Es klingt sehr nach seiner Vision, denke ich, und es erinnert mich an diese wundervolle Schlussaufnahme von den Segelbooten:



    Ich liebe dieses Bild – ich finde, es ist so wunderschön – und darin ist so viel zu sehen. Das letzte Boot wird von einem schwarzen Jungen gesteuert, der seine Hand sehr ernst am Ruder hält, und er fesselt meine Aufmerksamkeit aus einigen Gründen. Zum einen, als wir ihn das erste Mal sehen (bei etwa 2 min. im Video) hat er einen sehr verängstigten Ausdruck in seinem Gesicht. Keins der anderen Kinder scheint überhaupt ängstlich zu sein, aber dieser Junge schon. Auch sitzt er allein in seinem Boot, während die meisten der Kinder in Gruppen zu Zweien oder Dreien zusammen sind.


    Aber eigentlich ist er nicht allein. Er hat zwei Katzen bei sich, und er streichelt sie zur Beruhigung. Und während das vielleicht einfach als Zufall erscheinen mag – schließlich hat eins der anderen Kinder einen Hund – pflegen Katzen in Michael Jacksons Videos etwas Spezielles zu repräsentieren: Wenn er das Bedürfnis verspürt, zu entfliehen, verschwindet er und es erscheint eine Katze. Als ihm zum Beispiel in Billie Jean ein Reporter zu nahe kommt, verschwindet er und ein Tiger erscheint. Als ihn die Wächter des Königs in Remember the Time umzingelt haben, verwandelt er sich in einen wirbelnden Sandhaufen und wird weggeweht, und dann kommt eine Katze und bleibt da stehen, wo die Verwandlung stattgefunden hat. Als er sich in Black or White durch Rassismus unterdrückt fühlt, verwandelt er sich in einen Schwarzen Panther. Weil das solch ein häufiges Motiv in seinen Videos ist, scheint es signifikant für mich, dass dieser angstvolle Junge zwei Katzen bei sich hat, die ihn begleiten und ihm Trost geben. Ist es vielleicht so, dass, auch wenn Michael Jackson selbst sich nicht mit in das Segelboot setzen kann, es dann sein Totemtier kann?


    Joie: Wow! Das ist eine interessante Beobachtung, Willa. Ich habe das niemals zuvor bemerkt, aber ich denke, du bist da einer Sache auf der Spur.


    Willa: Es hat etwas zu bedeuten, oder? Vielleicht auch nicht, aber für mich fühlt es sich bedeutsam an. Und dann segeln die Kinder alle zum Mond, was ebenso metaphorisch mit Michael Jackson verbunden ist – in Titeln wie Moonwalk und Moonwalker, ganz offensichtlich, aber auch subtiler in Schlüsselszenen in Moonwalker und genauso in Dancing the Dream. In Dance of Life tröstet ihn der Mond wie eine Mutter, aber er inspiriert ihn auch und ermuntert ihn zum Tanzen, wie eine Muse.Während wir also Michael Jackson nicht in verkörperter Form in dieser wunderschönen Schlussaufnahme der zum Mond schwebenden Segelboote sehen, hören wir währenddessen doch seine Musik und spüren sein Wesen und seinen Einfluss.


    Joie: Du hast Recht, Willa, wir spüren ‚währenddessen sein Wesen’ sehr … in allem, was er tat. Es ist in jedem Song und in jedem Video, in jeder Tanzbewegung und Live Performance. Du kannst es in jedem Gedicht und jeder seiner Überlegungen zwischen den Seiten von Dancing the Dream spüren. Sein Wesen ist spürbar in jedem Projekt, das er der Welt jemals präsentiert hat.


    Also, Willa und ich möchten diesen Moment nutzen und euch allen Danke sagen für eure ständige Unterstützung, und wir möchten jedem einzelnen von euch sehr Fröhliche Weihnachten , Merry Christmas, Happy Chanukka, Happy Kwansa und unsere besten Wünsche für ein wundervolles neues Jahr wünschen. Schöne Weihnachtsferien alle miteinander!


    Willa: Ich würde gern auch noch um einen Gefallen bitten. Ich hoffe eine zweite Ausgabe von M Poetica mit bibliografischen Anmerkungen und Web Links veröffentlichen zu können, sowie einige Bilder und Informationen, die bei der ersten Veröffentlichung 2011 nicht verfügbar waren. Außerdem möchte ich gern soweit möglich einige Irrtümer und Tippfehler beseitigen, wenn ihr also M Poetica lest und dabei Fehler bemerkt, würde ich mich freuen von euch zu hören. Sendet eure Korrekturen einfach an dancing.with.the.elephant@gmail.com. Vielen Dank!



    :herz: :herz: :herz:

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    Emily Dickinson

  • Oh, was für ein schöner Post!! :wolke1:

    Das Video ist überhaupt nicht das, was man darüber denken würde. Und es ist so, als würde er hier absichtlich in die entgegengesetzte Richtung gehen, anstatt uns kleine Einblicke in seine eigene unvollkommene Kindheit zu zeigen, was das wäre, was wir erwarten würden. Und ich glaube, er hat das wahrscheinlich getan, einfach weil der Song selbst so persönlich ist.

    Vielleicht geht er in dem Video auch in eine neue Richtung, weil er weiß, dass er das kann. Die erwarteten Bilder seiner Kindheit sollten doch viele (zumindest Fans) im Kopf haben, sodass sich darauf aufbauen lässt, ohne sie direkt wiederholen zu müssen. So entsteht eine Art Kommentar seinerseits zu den Bildern, die die Welt da draußen von ihm und seiner Kindheit im Kopf hat, oder? Eine nähere Erklärung, ein Austausch darüber...


    ich blende die reale Welt nicht mehr so aus, wie ich es einst getan habe

    Irgendwie ist das seltsam zu lesen, denn in Wahrheit stimmt es doch nicht, dass wir aufhören die reale Welt auszublenden. Wir blenden nur andere Teile der Realität für andere Gründe aus. Stichwort globale Zusammenhänge und so. Wer oder was für einen wie auch immer gearteten Vorteil meinerseits herhalten muss, blenden wir jeden Tag aus. Ohne Probleme und ohne darin einen Realitätsverlust oder ein illusorisches Dasein zu sehen, geschweige denn zu beklagen. An dieser Art Realitätsverlust leiden wir nicht, sondern genießen ihn eher. Bzw. er macht uns die kranke Welt oft erst erträglich.


    Und sein Tag war so durchgeplant, dass er nicht wirklich frei zum Spielen war oder „in seiner Phantasie davon zu schweben“, wie du sagtest, sogar damals nicht.

    Wenn man bedenkt, dass Kinder früher (v.a. im Mittelalter und in der Dritten Welt oder in China selbst heute noch) ganz allgemein keine Freizeit zum Spielen bekamen und im Grunde daselbe Leben wie die Erwachsenen lebten, dann MUSS man doch auch darüber nachdenken, dass diese Lebensphase auch nicht grundsätzlich auf die Kindheit zu beschränken ist. Wir können sie dehnen solange wir wollen, wenn wir das möchten. :peterpan:

    :herz: Michael Jackson - forever the King of Pop. A genre of music. Mainly, a beautiful human being. :herz:
    es ist, was es ist... sagt die liebe


  • Zitat

    Wenn die Boote repräsentieren sollen, dass du durch deine Vorstellungskraft davongetragen wirst, dann scheint es offensichtlich zu sein, dass er mit an Bord sein sollte – schließlich segeln sie zum Mond, und er ist der Moonwalker! Aber das ist es nicht, wo er sich selbst positioniert. Er platziert sich auf dem Boden, während er sehnsüchtig nach oben sieht, wie sie vorübersegeln, und ich frage mich, was genau es ist, von dem er denkt, dass es ihm fehlt?


    Zitat

    Und dann segeln die Kinder alle zum Mond, was ebenso metaphorisch mit Michael Jackson verbunden ist – in Titeln wie Moonwalk und Moonwalker, ganz offensichtlich, aber auch subtiler in Schlüsselszenen in Moonwalker und genauso in Dancing the Dream. In Dance of Life tröstet ihn der Mond wie eine Mutter, aber er inspiriert ihn auch und ermuntert ihn zum Tanzen, wie eine Muse.Während wir also Michael Jackson nicht in verkörperter Form in dieser wunderschönen Schlussaufnahme der zum Mond schwebenden Segelboote sehen, hören wir währenddessen doch seine Musik und spüren sein Wesen und seinen Einfluss.


    Danke, für die Übersetzung, Lilly :kiss: ...das war mal wieder ein sehr besonders schöner post :Tova: ...allein diese Interpretation von diesen Booten...das ist so passend. Und mir fiel dazu gleich das Gedicht Children Of the World ein, in dem Michael auch dieses Bild von "treibenden Booten" benutzt:


    “Children of the world, we’ll do it
    We’ll meet on endless shores
    Making sandcastles and floating our boats
    While people fight and defend their point of view
    Forever putting on masks that are new
    We’ll swing the tide of time and do it.”


    ..ich glaube ganz bestimmt, dass er hier auch damit nicht meinte, dass man Papierschiffchen schwimmen lässt, sondern das dieses "floating our boats" sich auch diese Phantasie und Vorstellungskraft bezieht, die Kindern (und Michael :herz: ) so zu Eigen ist. Und auch die Verbindung zum Mond ist da enthalten...er drückt all das darin aus, was für Kinder in ihrer unendlichen, uneingeschränkten Vorstellungskraft möglich ist..


    “We’ll ride a rainbow, a cloud, a storm
    Flying in the wind, we’ll change our form
    We’ll touch the stars, embrace the moon
    We’ll break the barrier and be there soon”


    Wir reiten auf dem Regenbogen, einer Wolke, mit dem Sturm
    Fliegen im Wind, ändern unsere Form
    Wir berühren die Sterne, umarmen den Mond
    wir durchbrechen die Barrieren /Grenzen und werden bald dort sein...


    ..nur, was hier anders ist, als in Childhood, wo Michael am Boden bleibt und all dem nur zuschaut (es sei denn, er ist doch dabei...mit der Katze..) ist es in dem Gedicht so, dass er Teil dieser Welt ist, der magischen Welt der Kinder, denn er spricht immer von "wir" und bezieht sich mit ein....und auch jeden,der sich durch dieses "wir" angesprochen fühlt.
    (ich hab das auch schon im Elephant-Blog kommentiert..wobei es aber nicht so leicht ist für mich, solche Gedanken dann auch noch auf englisch zu formulieren.. :kicher: )

    Zitat

    Er ist der Beste im Ausdrücken und Hervorrufen eindrucksvoller Gefühle – das ist es, was ihn von anderen abhebt – und das ist der Unterschied zwischen einem großartigen Künstler und einem cleveren Künstler.“


    Mit Childhood hatte ich auch lange "ein Problem" :bohr: ..und ich glaube auch, dass es diese Offenheit ist, dass Michael seine Gefühle und Emotionen so "ungeschönt" und direkt präsentiert, uns damit konfrontiert...dass man es lieber garnicht so genau wissen will, oder versucht ist, es als Kitsch oder Übertreibung abzumildern., man möchte diese Gefühle nicht zulassen, weil sie nicht angenehm sind...


    :herz:

    Zitat

    wir spüren ‚währenddessen sein Wesen’ sehr … in allem, was er tat. Es ist in jedem Song und in jedem Video, in jeder Tanzbewegung und Live Performance. Du kannst es in jedem Gedicht und jeder seiner Überlegungen zwischen den Seiten von Dancing the Dream spüren. Sein Wesen ist spürbar in jedem Projekt, das er der Welt jemals präsentiert hat.

    :wolke1::herz:

    Einmal editiert, zuletzt von maja5809faithkeeper ()

  • Und mir fiel dazu gleich das Gedicht Children Of the World ein, in dem Michael auch dieses Bild von "treibenden Booten" benutzt:

    Das ist wirklich gut beobachtet :daumen: . Ich hab’s auch in den Elephant-Kommentaren gelesen.


    Ich frage mich, warum er gerade Boote gewählt hat als Metapher. Er hätte ja auch beispielsweise einen Heissluftballon nehmen können, die schweben ja auch. Warum Boote? Spielen die eine Rolle in Peter Pan? Außer dass Captain Hook Kapitän auf einem Schiff ist? Dieses Bild aus „Peter Pan – The Graphic Novel“ erinnert mich an die Atmosphäre (die Bäume, der Nebel) aus dem Childhood Video:



    Und dieses Buchcover auch (fliegende Kinder vor dem Mond, aber ohne Boot):



    Für mich war Childhood auch immer schwierig zu akzeptieren. Ich hab’ den Text irgendwie als wehleidig und jammernd empfunden.


    Jacksonaktak hat in einem guten Kommentar hierzu sinngemäß gesagt: Dass es schon lustig sei, dass die meisten Popkünstler, so wie Madonna und Prince, vorwiegend über romantische Beziehungen und Sex singen, und niemand findet es langweilig und sagt zu ihnen, dass sie sich weiter entwickeln und auch mal über andere Dinge singen sollten. Aber wenn Michael über die Kindheit singt, dann wird er als „wehleidig“ bezeichnet und er solle „es doch endlich hinter sich lassen“. Es ist fast so, als wollten die Leute sagen „Halt einfach den Mund und unterhalte uns!“ (Just shut up and entertain us!), er hat kein Recht, sich zu beschweren und dann fügt er/sie noch den Text von „Price of Fame“ hinzu, der das alles auch widerspiegelt („Don’t you ever complain“): Beschwer’ dich nicht! Das ist der Preis dafür, berühmt zu sein. Das hat er sicher oft gehört in seinem Leben.


    Er hat sich aber auch nicht beschwert in Childhood. Er bittet doch nur die Menschen, sich einmal in seine Lage zu versetzen.


    Es wird oft gesagt, der Text sei ehrlich, aber ich glaube, das ist es gar nicht mal, denn „normale“ Ehrlichkeit müsste einem ja nicht unangenehm sein. Ich empfinde es eher als ein „Entblößen“ vor unser aller Augen (was eine Form von gesteigerter Ehrlichkeit ist, einfach too much) verbunden mit einer direkten Frage an uns (Have you seen …?): Man möchte gar nicht hinsehen, aber er spricht uns dabei so direkt an – wir müssen also hinsehen – er fleht uns an „Bitte sieh nicht weg und versuch mich zu verstehen“. Für so etwas muss man erstmal offen sein, wenn uns das auf dem falschen Fuß in der falschen Stimmung erwischt, dann schlagen wir betreten die Augen zu Boden.Ich hab’ es beim Hören der CD auch oft übersprungen, weil ich nicht dazu bereit war, es gerade jetzt zu hören. Aber je mehr ich über ihn gelernt habe und je mehr ich ihn verstehe (Try hard to love me), desto mehr habe ich Childhood verstanden. Auch dass er gesagt hat, es sei sein persönlichster Song hat mich zum Nachdenken gebracht. Heute finde ich ihn sehr schön (wenn auch immer noch nicht einfach zu hören) – musikalisch einfach nur Hollywood und der Text …was für eine Mischung – wenn man sich drauf einlässt … Mit dem Video nimmt er uns mit in seine Gedankenwelt, es ist so tief greifend, das kann man nicht einfach so nebenbei hören und sehen, man muss sich dafür erstmal einen Ruck geben und innerlich sage ich mir immer …


    … ja, ich höre dir jetzt zu … :herz:


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    The truth must dazzle gradually
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    Emily Dickinson

  • Mit Childhood hatte ich auch lange "ein Problem" :bohr: ..und ich glaube auch, dass es diese Offenheit ist, dass Michael seine Gefühle und Emotionen so "ungeschönt" und direkt präsentiert, uns damit konfrontiert...dass man es lieber garnicht so genau wissen will, oder versucht ist, es als Kitsch oder Übertreibung abzumildern., man möchte diese Gefühle nicht zulassen, weil sie nicht angenehm sind...

    Man möchte gar nicht hinsehen, aber er spricht uns dabei so direkt an – wir müssen also hinsehen – er fleht uns an „Bitte sieh nicht weg und versuch mich zu verstehen“. Für so etwas muss man erstmal offen sein, wenn uns das auf dem falschen Fuß in der falschen Stimmung erwischt, dann schlagen wir betreten die Augen zu Boden.

    Ihr Lieben, was denkt ihr, warum das so ist? Warum genau sind die Gefühle unangenhem, warum möchte man wegsehen?? Was will man nicht so genau wissen und warum eigentlich nicht? Was wird da in euch angesprochen, wenn ihr das benennen möchtet, könnt. :Tova: Ich fand Childhood nämlich auch lange irgendwie doof (d.h. nicht dass Lied, aber das Video, aber mehr, weil ich die Frisur damals einfach schrecklich fand, ebenso wie die für ihn seltsam spießige Kleidung. Das war einfach nicht Michael Jackson, denn da war nichts von :bad: übrig, wie es schien... ). Vielleicht steckt dahinter aber sogar jeweils daselbe... :dd: Ist es dieses arg Persönliche und die Offenlegung dessen?? Und warum bewerten wir dann Sex bzw. unsere Gefühle dazu heute als weniger persönlich und intim, als z.B. unsere Kindheit?? Oder liegt das nur daran, dass wir zwar eine sexuelle Revolution hatten (und seither reger Austausch zum Thema herrscht), aber noch keine Revolution der Kindheit, womit diese Themen weiterhin Tabu bleiben? Und warum ist überhaupt ein Tabu daraus geworden? Was genau daran ist das Unaussprechliche??? Oder ist das Kindliche gar deshalb Tabu, WEIL wir so "sexversessen" sind??? Geht ja schlecht zusammen, denn als Kind war man zu diesem ach so coolen Selbstverwirklichungsthema "Sex" noch nicht fähig und überhaupt haben wir uns von dem ehemals unzertrennlichen Gespann "Sex und Kind als Folge von Sex" insbesondere seit der Erfindung der Pille befreit. Wir haben Sex seither ja ziemlich neu formatiert, oder? Ich finde es einfach auch interessant, warum überhaupt Kindesmissbrauch auf sexueller Ebene für uns z.B. schändlicher ist, als andere Formen der Gewalt gegen Kinder. Ich sehe rein logisch keinen großen Unterschied in den körperlichen Misshandlungen. Was ist überhaupt das Problem mit Kindern und dem Kindlichen heute? Warum benutzen wir Ausdrücke wie "wie im Kindergarten" oder "werdet mal erwachsen" oder "kindisch" überhaupt als "Schimpfwörter" bzw. als Ausdrücke, die den anderen in gewisser Weise in seiner Art oder seinem Verhalten diskreditieren sollen? Es gibt sovieles an diesem ganzen Themenkomplex, das ich nicht nachvollziehen kann oder zwar Gedanken habe, aber (noch) keine wirklichen Erklärungen.


    (ich hab das auch schon im Elephant-Blog kommentiert..wobei es aber nicht so leicht ist für mich, solche Gedanken dann auch noch auf englisch zu formulieren.. :kicher: )

    Oh maja, du sprichst mir aus der Seele!! Ich würde soooo gern so viel mehr Kommentare schreiben, aber ich brauche viiiiiiiiiiel zu viel Zeit dafür, die ich nicht habe... :flenn: :flenn: :flenn: :flenn:

    :herz: Michael Jackson - forever the King of Pop. A genre of music. Mainly, a beautiful human being. :herz:
    es ist, was es ist... sagt die liebe


  • aber mehr, weil ich die Frisur damals einfach schrecklich fand, ebenso wie die für ihn seltsam spießige Kleidung. Das war einfach nicht Michael Jackson, denn da war nichts von übrig, wie es schien...

    Warum sieht er da so aus, wie er aussieht?


    Er ist ganz simpel angezogen, fast hautfarben, so als wenn er durch nichts von sich ablenken will, denn er sagt damit „So bin ich“. Auch durch die Kleidung und durch die Haare macht er die Zugehörigkeit zu den „anderen“ Kindern deutlich, denn er unterscheidet sich äußerlich von ihnen nicht. Und wie er da sitzt: Die Knie zusammengepresst und die Hände so ungelenk ineinander verschränkt, wo man ihn doch sonst nur „offen“ erlebt, mit ausgebreiteten Armen. Diese Haltung zeigt seine Unsicherheit und hat auch etwas Kindliches. Seine großen, traurigen Augen sagen nur eins: Sehnsucht.


    Ihr Lieben, was denkt ihr, warum das so ist?

    Der Spiegel?! Aber warum ist es so unangenehm?


    Und warum bewerten wir dann Sex bzw. unsere Gefühle dazu heute als weniger persönlich und intim, als z.B. unsere Kindheit?? Oder liegt das nur daran, dass wir zwar eine sexuelle Revolution hatten (und seither reger Austausch zum Thema herrscht), aber noch keine Revolution der Kindheit, womit diese Themen weiterhin Tabu bleiben?

    Das finde ich gar nicht so abwegig … Dass in den sechziger Jahren sich auch das Verhältnis zum Kind geändert hat. Da gibt es so viel, was damit zusammenhängen könnte… Das ist ein Riesenthema, ich wüsste jetzt gar nicht, wo ich anfangen sollte. Aber grundsätzlich ist der Tenor der gängigen Erwachsenenmeinung ja so, dass man irgendwann mal das Kindsein hinter sich lassen und abschließen und doch endlich mal erwachsen werden sollte. Und im Alltag unter Erwachsenen hat man sich wie ein Erwachsener zu benehmen. Da ist es den meisten schon unangenehm, irgend etwas Kindliches zu zeigen. Und vielleicht kommt unser „weggedrücktes Kind“ dann durch erlaubte Ersatzhandlungen zum Vorschein: PC-Spiele und Handys (Apps) sind es heute, aber wir haben doch als Erwachsene immer schon gespielt, nur gut verbrämt als legitimes Spiel (z.B. die intensive Beschäftigung von Männern mit Autos oder noch offensichtlicher die Beschäftigung mit ihrer Eisenbahn), und mit Kindern zusammen, sozusagen als Legitimationsgrund, darf man als Erwachsener sogar Zeichentrickfilme gucken …Heute ist das nichts Besonderes mehr, aber ich kann mich noch erinnern, dass mein Onkel sich am meisten gefreut hat, wenn er früher mit meiner Cousine und mir ins Kino gehen konnte, um Disneyfilme zu sehen. Ich glaube nicht, dass er da allein reingegangen wäre … ;)


    Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob man als Erwachsener einen größeren Spieldrang hat, wenn man als Kind nicht auf seine Kosten gekommen ist. Ich denke eher, dass es grundsätzlich eine menschliche Eigenschaft ist, zu spielen (homo ludens) – es ist notwendig, um kreativ zu sein, um zu forschen, Lösungen für Probleme zu finden und vielleicht auch einfach nur, um zu entspannen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle kreativen Menschen eine Kindheit hatten, in der sie nicht spielen konnten, sondern dass umgekehrt man Persönlichkeitsdefizite hat, wenn man es sich versagt oder es unterdrückt wird.


    Ich erinnere mich auch, dass ich noch mit 14 (!) Jahren mit Puppen gespielt habe, dies aber nicht mehr offen zugeben mochte, weil ich Angst hatte ausgelacht zu werden. Denn das macht man doch nicht mehr in dem Alter. Das ist es für mich: Das ist das, was Michael einfach gemacht hat und meine Scham rührte genau aus diesem Gefühl: Du bist doch schon viel zu alt dafür, das macht man doch nicht mehr! Denn zur gleichen Zeit gab es ja auch schon die Klassenfeten, auf denen man miteinander getanzt hat, das passte ja gar nicht zusammen. Es waren die Erwartungen der anderen, die einen in dem begrenzt haben (und es immer noch tun), was man wirklich will. Michael fiel ja ohnehin aus diesem Raster heraus, in das wir alle passen müssen, er musste ganz andere Erwartungen erfüllen.


    Und diese süßliche Melodie zu dem Text ist auch gerade heraus, eben auch nicht ironisch. Die Melodie unterstreicht und verstärkt den Text, und verstärkt dadurch auch unser Gefühl zu diesem Thema …wir nennen es kitschig, anscheinend wollte er genau diese Gefühle beim Zuhörer hervorrufen.


    Nicht zuletzt erinnert mich das auch an Jochen Ebmeiers letztes Kapitel „Ein Künstler der Jahrtausendwende“: Er beschreibt darin im Schnelldurchgang die Entwicklung des Menschen von einem Wesen, das Arbeit als planvolle Tätigkeit betreibt und darin seinen Lebenszweck sieht zu einem Wesen, das er heute ist, welches auf Arbeit als Notwendigkeit zur reinen Bedarfsdeckung nicht mehr angewiesen ist und im Luxus des Überflusses lebt. Die vergangenen Jahrhunderte hat sich der Mensch über die Arbeit definiert und so die „Normalbiografie“ erfunden (deren Rahmen Michael ja auch schon in jeder Hinsicht gesprengt hat). Durch die Arbeit wurde die Menschheit erst in „Erwachsene“ und „Kinder" eingeteilt, Zitat Ebmeier: Ein vollgültiger Bürger ist nämlich erst der „Arbeiter“: einer, der „Werte“ schafft, der planvolle Tätigkeit zwecks Bedürfnisbefriedigung verrichtet; Kinder also nicht.


    Das Bedrohliche, das so viele in Michael gesehen haben, besteht vielleicht auch darin, dass man erkennen musste / muss, dass dieses Wertesystem so nun nicht mehr uneingeschränkt gilt. Die Unterhaltungsindustrie lebt von einer Verquickung von Kunst, Spiel und Arbeit. Und man musste mit ansehen, dass Michael Jackson diese „wahren Werte“, auch in Geld gemessen, viele viele Millionen und insgesamt ein Milliardengeschäft, mit einer „Entwertung der Erwachsenheit“ erreicht hat, durch „eine galoppierende Entwertung der Arbeit bei gleichzeitiger Aufwertung des Spiels“ („“=Zitate Ebmeier).

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

    Einmal editiert, zuletzt von Lilly ()

  • Zitat Lilly

    Zitat

    Ich frage mich, warum er gerade Boote gewählt hat als Metapher. Er hätte ja auch beispielsweise einen Heissluftballon nehmen können, die schweben ja auch. Warum Boote?


    ..hab ich mich auch gefragt..und ob es vlt. eine Bedeutung hat..irgendeine umgangssprachliche..ich hab mal nachgegoogelt (nach floating boats)...und dann kommt u.a.im urban dictionary:


    whatever floats your boat
    This is a phrase that often means whatever "soothes your soul" or whatever "works best" Aka- Whatever you feel like doing.


    also "was immer deine Seele tröstet"... Dann könnten die schwebenden Boote doch bedeuten, dass es die schönen, tröstlichen Vorstellungen, Wünsche, Träume..Abenteuer der Kindheit sind... und deshalb hat Michael dort "schwebende Boote" verwendet....

  • also "was immer deine Seele tröstet"... Dann könnten die schwebenden Boote doch bedeuten, dass es die schönen, tröstlichen Vorstellungen, Wünsche, Träume..Abenteuer der Kindheit sind... und deshalb hat Michael dort "schwebende Boote" verwendet....

    Wow, das hört sich aber ganz so an, als ob es das Richtige ist. Das passt.


    In den Kommentaren im Dancing with the Elephant hat irgendjemand gesagt, dass man in dem Peter Pan Ride in Disneyland auch in Booten sitzen würde, aber das erklärt ja auch nicht, warum ausgerechnet Boote.



    Deine Erklärung, Maja, ist schön :herz:

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    Emily Dickinson

  • Unter den Covers
    27/12/2012


    Joie: Weißt du Willa, ich habe schon sehr viel über die verschiedenen Cover der Michael Jackson Alben nachgedacht. Ich liebe Albumcover generell, ich denke, sehr oft fängt die künstlerische Darstellung wirklich entweder die Grundhaltung der Band oder die besondere Stimmung, die die Band oder der Künstler mit der Aufnahme zu vermitteln versucht, ein. Zum Beispiel (und ich offenbare hier wirklich gerade mein Alter) waren die Ohio Players ebenso bekannt für ihre provokativen, erotischen Alben wie auch für ihre klassische Funk Music der 70er. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Albumkunst die grundsätzliche Einstellung der Band widerspiegelt.



    Und ebenso hat die Rockband Aerosmith über die Jahre viele verschiedene Typen von Albumcover gehabt und jedes einzelne, denke ich, gibt ziemlich gut die jeweilige Stimmung der Band wider, die sie mit der Aufnahme selbst zu vermitteln versucht. Wie das Cover für ihr Album Pump von 1989. Das Bild stellt zwei alte Pickups dar, bei denen der eine auf den anderen aufgefahren ist. Aber wenn du auch nur ganz kurz auf das Bild blickst, ist die beabsichtigte Botschaft sehr eindeutig, nämlich dass der lyrische Inhalt des Albums voll mit Referenzen auf Sex und Drogen ist.



    Willa: Das ist lustig! Weißt du, ich hab' vor vielen vielen Jahren einen Unfall mit Blechschaden gesehen, bei dem ein VW Beetle auf einen anderen VW Beetle aufgefahren war, und es war genauso – so zweideutig, dass du fast das Gefühl hattest, du müsstest deine Augen davon abwenden. Es sah aus wie zwei Nilpferde bei der Paarung. Ich fuhr gerade mit einigen Freunden zur High School, und wir sind vor Lachen fast auch jemandem hinten drauf gefahren. Es war zu lustig.


    Joie: Das ist wirklich lustig, nicht wahr? Also Aerosmith! Jedenfalls habe ich, wie du weißt, Michaels gesamte Alben in Bilderrahmen, und sie hängen an einer der Wände in meinem Haus. Ich habe sie als Gruppe alle zusammen aufgehängt, also machen sie großen Eindruck, wenn du sie siehst, es ist eigentlich ziemlich cool. Aber wenn ich sie so betrachte, bin ich jedes Mal getroffen davon, wie unterschiedlich sie doch alle sind. Ich denke, er ist einer jener Künstler, die die Coverkunst dazu benutzten eine bestimmte Botschaft passend zum Inhalt des Albums zu vermitteln – fast wie eine Erweiterung der Musik selbst. Du betrachtest die Cover und du kannst dir ziemlich gut vorstellen, was du dann hören wirst.


    Willa: Das ist wirklich interessant, Joie. Ich denke, du hast Recht – er nutzte wirklich die Coverkunst, um einen Hinweis zu geben auf das, was innen drin war – aber ich denke, er nutzte die Coverkunst auch, um eine Vorstellung von sich selbst zu vermitteln und wo er als Künstler stand. Beispielsweise trägt er auf den Coverfotos für Off The Wall und Thriller einen Anzug, und natürlich waren das die zwei Alben, mit denen er versuchte sich selbst als Solokünstler zu etablieren. Durch die künstlerische Gestaltung des Covers gibt er uns subtile Hinweise darauf, dass er als Künstler gereift und nun bereit ist, auf eigenen Füßen zu stehen, und einen Anzug zu tragen hilft dabei, dies deutlich zu machen.


    Aber wie du sagst, die Kunst auf dem Cover erzählt uns auch etwas darüber, wie wir uns der Musik, die sich darin befindet, annähern sollen. Für mich drückt der Anzug seinen Wunsch aus, dass wir diese Musik ernst nehmen. Generell ist es so, dass wenn wir jemanden auf einem Albumcover sehen, der einen Anzug trägt, es ein Orchesterdirigent ist und kein Rockstar. Also vermittelt er hier eine ganz andere Botschaft, als wenn er Blue Jeans oder einen Glitzeroverall tragen würde.


    Joie: Du hast Recht, nichts sagt 'Nimm mich ernst, ich bin erwachsen' besser als ein Anzug und eine Krawatte.


    Willa: Ganz genau. Und er möchte auch, dass wir seine Musik ernst nehmen, wie eine Orchesteraufnahme. Gleichzeitig sehen wir im Allgemeinen keinen Dirigenten, der auf dem Boden liegt und uns mit sinnlichen Schlafzimmeraugen ansieht wie es Michael Jackson auf dem Thriller Albumcover tut! Und auf Off The Wall lächelt er, seine Hände sind auf eine lustige, spielerische Art positioniert, und er trägt diese flotte Fliege. Es scheint mir also so, dass hier diese interessante Doppelbotschaft auf beiden Albumcovers ist. Er möchte, dass wir diese Musik ernst nehmen, aber auch damit entspannen und sie genießen und gleichzeitig Spaß damit haben.


    Joie: Willa, ich könnte dir nicht mehr zustimmen. Besonders bei dem Off The Wall Cover. Es ist, als würde er sagen „Ja, ich bin nun erwachsen, also ist diese Musik etwas anders als das, was du gewohnt bist von mir zu hören, aber es ist okay, denn du wirst ein wenig Spaß damit haben.“ Die Art, wie er seine Hände hält ist fast so, als würde er uns sagen „Keine Panik! Ich verspreche, ich bin es immer noch.“ Das ist das Gefühl, das ich bekomme, wenn ich dieses Album Cover sehe und ich kann nicht anders als zu lächeln.


    Und bei Thriller ist es, als würde er den Anzug tragen, damit wir erkennen, dass es immer noch er ist. Aber dieses Mal trägt er nicht die Fliege, sondern ein sexy, stylishes Hemd zu seinem Anzug, und er liegt auf dem Boden mit diesem ''einladenden' Ausdruck auf seinem Gesicht. Es ist wirklich so, als wollte er uns wissen lassen, dass er es immer noch ist (keine Panik), aber auch dass dieses Album etwas erwachsener ist und thematisch ein wenig dunkler als das vorangegangene.


    Willa: Ich verstehe, was du sagen willst, Joie, und ich stimme dir zu, dass er noch ein wenig erwachsener geworden ist, aber ich würde nicht sagen, dass sich das Thriller Cover dunkler für mich anfühlt. Obwohl es definitiv ernsthafter und auch sinnlicher ist. Aber dann klappst du es auf und da ist er mit dem Tigerbaby und lächelt, so dass wir wieder dieses verspielte Gefühl erhalten, sobald wir das Album aufschlagen.


    Und weißt du, während das Off The Wall Cover ein vergnügtes Gefühl vermittelt, gibt es interessante Details, die visuelle Komplexität hinzufügen und ihm genauso einige dunklere Untertöne geben wie die ausgelassenen Highlights. Seine Hände sind teils eingeschränkt durch seine Hosentaschen, aber es ist, als würden sich aus dieser Einschränkung befreien wollen auf diese spielerische, enthusiastische Art. Er lehnt sich mit dem Rücken gegen eine Ziegelsteinmauer, aber dadurch dass sein Name und der Albumtitel auf eine amüsante Schreibweise im Graffiti-Stil über die Ziegel gelegt ist, wird wieder suggeriert, dass die Beschränkung auch hier subtil trotzig durchbrochen wird. Und es ist die Ecke eines Posters zu sehen – nicht viel davon, aber gerade genug, um uns einen kleinen Blick auf blauen Himmel und Wolken zu gewähren, die dem Hintergrund aus Ziegelsteinen gegenübergestellt sind. Also gibt es da diese wiederholte Andeutung von Einschränkung und Ausbruch.

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    Emily Dickinson

  • Joie: Hmm? Ich habe dabei bisher noch nie an Einschränkung und Ausbruch gedacht, aber ich verstehe, was du meinst. Und ich persönlich habe mich immer gefragt, wie wohl der Rest des Posters aussieht, du nicht auch?


    Willa: Das habe ich! Aber das ist einfach ein klassischer Michael Jackson Touch, uns einen kleinen Einblick davon zu geben – ein kleiner Anreißer, damit wir uns fragen, wovon es handelt und etwas über das Cover hinausgehend nachdenken. Für mich deuten die Wolken Phantasie an – eine Flucht in Tagträume – besonders in der Gegenüberstellung zu der Ziegelsteinwand. Es ist ein bisschen von der Art her wie die Szene in Bad, über die wir in diesem Herbst schon verschiedene Male gesprochen haben – du weißt, die große Tanzszene, in der Daryl seinem trostlosen Vorstadtleben entflieht, hinein in die vollkommen farbige Phantasiewelt des Tanzes und der Kunst. Für mich vermittelt beides ein sehr ähnliches Gefühl.


    Dies führt uns zum Cover des Bad Albums – und wow, lass uns über Beschränkung sprechen! Er ist einfach bedeckt von Schnallen und Reißverschlüssen und Druckknöpfen, und das was aussieht wie eine Art mittelalterlicher Keuschheitsgürtel hängt von seiner Hüfte herunter, oder vielleicht Miniatur-Handschellen. Was ist das für ein Ding?


    Joie: Ich weiß nicht, aber es sieht unbequem aus.


    Willa: Das tut es, nicht wahr? Aber seine Jacke ist offen und beide Shirts sind am Hals geöffnet, also gibt es da wieder diese Andeutung von Einengung und Befreiung. Und wir sehen dies ausgedrückt in den beiden Videos, in denen er dieses Kostüm trägt: Bad und Speed Demon. In beiden fühlt er sich in seiner Rolle als Gefangener seiner Lebensumstände – in dem einen durch Armut und Gewalt und in dem anderen durch seinen Ruhm und die besitzergreifenden Medien und Fans – aber beide Charaktere finden einen Weg den Einschränkungen zu entkommen, zumindest in ihrer Vorstellung.


    Joie: Huh, ich habe bisher nie auf diese Art daran gedacht, Willa. Das ist sehr interessant. Und du hast Recht, er trägt dieses Outfit in beiden Kurzfilmen.


    Weißt du, ich muss dir ein Geständnis machen. Ich habe das Bad Cover nie gemocht. Im Grunde ist es dasjenige, das ich von allen Covers am wenigsten mag. Ich hasse einfach all diese Schnallen und Reißverschlüsse und Gürtel. Er sieht so eingesperrt aus und so verschlossen. So unbequem, und ich möchte ihn einfach aus dem Ganzen befreien.


    Willa: Ich wette, das tust du …


    Joie: Sehr witzig. Aber du weißt, was ich meine. Ich möchte ihn befreien, damit er atmen kann! Er sieht aus, als würde er sich in diesem Aufzug die ganze Zeit sehr unbehaglich fühlen!


    Willa: Ganz offensichtlich hat er sich unbehaglich gefühlt. Ich habe einen Bericht über Spike Lees Dokumentation gelesen, in dem Michael Jackson zitiert wird und in dem er über das Outfit sagt: „Ich wünschte ich könnte mich bewegen. Ich fühle mich so eingeschränkt. Dieses Zeug engt mich so ein.“ (Ganz nebenbei, war die Dokumentation nicht großartig? Ich liebe sie! Allerdings wünschte ich, ABC hätte die gesamte Sache gezeigt. Ich habe die ganze Zeit auf diese Zeile gewartet, habe sie aber nicht gehört.)


    Joie: Nun, ich denke, sein Unbehagen zeigt sich auf diesem Cover. Und ich nehme an, dass dieser Look dazu bestimmt war, ihn tough aussehen zu lassen – oder böse / „bad“, wenn du so willst. Aber für mich hat das Bild auf dem Cover den gegenteiligen Effekt. Ich mag diesen krassen, weißen Hintergrund und den Albumtitel in dem grellen Rot der Graffiti-Buchstaben überhaupt nicht.


    In meinen Augen war dieses Cover so einfallslos, und ich denke manchmal nach über die verschiedenen Bilder, die Gerüchten zufolge für das Cover von Bad in Betracht gezogen wurden. Wie das Bild, auf dem sein Gesicht mit schwarzer Spitze bedeckt ist. Ich mag dieses Bild sehr, aber ich kann verstehen, warum sie den Gedanken es für das Cover zu verwenden, über den Haufen geworfen haben, wo es doch das Ziel war, ihn tough wirken zu lassen.



    Willa: Nun, um ehrlich zu sein, ich ziehe das Foto mit der schwarzen Spitze auch vor, und ich wünschte, sie hätten sich dafür entschieden – und offensichtlich war dies auch seine erste Wahl. Aber ich denke, das Bad Cover ist trotzdem ziemlich interessant, eben gerade weil es impliziert, dass er „böse“ ist, während es gleichzeitig genau den „gegenteiligen Effekt“ hat, wie du sagst. Es ist solch eine interessante Mischung von maskulin und feminin, tough und empfindsam, Macho und hübschem Jungen. Und wie wir vor einigen Wochen besprochen haben, hinterfragt er in dem Bad Kurzfilm wirklich, was es bedeutet ein Mann zu sein. In diesem Sinn also ist es ein großartiges Beispiel dafür, was du vorher gesagt hast über Künstler, die „Cover Kunst für die Übermittlung einer bestimmten Botschaft gemäß dem Inhalt der Aufnahme selbst nutzen – fast wie eine Erweiterung der Musik“.


    Joie: Hmm. Gut, wenn man es so sieht, dann nehme ich an, dass es einen Sinn ergibt. Das bringt mich aber nicht dazu, es mehr zu mögen. Also, hast du ein MJ Lieblingsalbum-Cover, Willa?


    Willa: Nein, nicht wirklich. Ich liebe Off The Wall und Thriller, zum Teil weil ich so starke Erinnerungen daran habe, wie ich sie immer wieder und wieder gehört habe als Teenager und junge Erwachsene. Da ist also sehr viel Nostalgie dabei. Aber ich liebe auch das Invincible Cover sehr, besonders im Zusammenhang mit dem Dangerous Cover und den anderen Covers und wie sie alle miteinander interagieren. Im Grunde denke ich, dass es dieses Zusammenwirken ist, das ich am meisten mag.


    Joie: Vielleicht magst du es befremdlich finden, aber für mich ist mein liebstes MJ Albumcover das von HIStory. Ich bin mir nicht genau sicher warum, denn Michael ist nicht mal auf dem Cover zu sehen – es ist nur eine Statue von ihm. Aber ich denke, es hat etwas mit den Farben der Wolken im Hintergrund zu tun, und ich liebe dieses große MJ Symbol, das kaum sichtbar hinter den Wörtern ist. Und ich mag die Art, wie die Kamera die Statue von unten aufgenommen hat, als würden wir zu ihr aufsehen. Es gibt der Statue eine sehr majestätisch-eindrucksvolle Qualität. Und wieder, es vermittelt einem wirklich ein Gefühl für das, was wir auf der Aufnahme selbst zu hören bekommen.


    Willa: Das tut es wirklich. Für mich ist diese Statue solch ein Symbol des Widerstands, mit seinen geballten Fäusten und den eckigen Schultern und dem entschlossenen Ausdruck, und so ist das MJ Symbol hinter der Beschriftung – subtil, wie du sagst, aber schonungslos herausfordernd – und das ist auch eine ziemlich gute Beschreibung des Albums. Denk einfach nur mal an die neuen Songs des Albums: Scream, They Don’t Care About Us, Stranger in Moscow, This time around, Earth Song, … Disk Zwei beginnt wirklich mit einem trotzigen, aber auch so schönem Song nach dem anderen. Ich liebe die Entwicklung von Stranger in Moscow über This time around zu Earth Song. Ich spiele diese Dreiergruppe sehr oft.


    Joie: Ich mag es, wie du das sagst, Willa. Die Statue ist ein Symbol des Widerstands und vielleicht mag ich das Albumcover deswegen so sehr. Es ist so Michael!


    Aber ich möchte noch einmal auf etwas zurückkommen, was du vorher gesagt hast. Du sagtest, dass du es magst, wie die Cover miteinander interagieren. Können wir über deine Feststellung sprechen, wie die Cover miteinander wirken?

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