Dancing With The Elephant

  • Aber es ist interessant für mich, wie die Fans, die Kritiker und die Öffentlichkeit im Allgemeinen dazu tendieren, auf ihn so unterschiedlich zu reagieren, und ich frage mich, ob es mit dem emotionalen Engagement zusammenhängt. Du weißt ja, Michael Jackson kann dich wirklich weit bringen, wenn du ihn nur lässt, aber du musst es wollen, dass er dich mit sich nimmt.


    Wie wahr!! :herz::herz::herz::blume:


    Man muss sich wirklich hingeben, ihn machen lassen. Er macht es gut, wunderbar, er passt auf dich auf - aber machen lassen musst du ihn. Dann nimmt er dich mit ins Universum und noch vieeeeeeel weiter... :Tova: Aber drauf einlassen muss man sich halt!


    Danke Lilly, für deine wunderschönen Übersetzungen :beten::blume:


    With much love :Tova::victory:

  • ...ich denke, Michaels poetische Wortwahl ist einfach der einzig passende Ausdruck seiner selbst, der ganze Mann ist doch Poesie. :herz: ..seht ihn euch an, in diesem Brunnen Interview z.b. Er schreibt die Texte so, wie er es auch empfindet, wenn er die Welt betrachtet...das ist diese Magie, die er in allem sieht, und die kommt in seiner Sprache zum Ausdruck. Sogar in seinen Reden benutzt er manchmal solche poetische Sprache - (ich hab mir oft überlegt, wer wohl jetzt noch so poetische Reden hält). ..und man muss sich dem hingeben, man muss mit dem Herzen hören...weil das die Ebene ist, die diese Sprache problemlos versteht.

    Zitat

    Du weißt ja, Michael Jackson kann dich wirklich weit bringen, wenn du ihn nur lässt, aber du musst es wollen, dass er dich mit sich nimmt.

    ...oh ja..es gibt bestimmt viele Menschen, die eine Art "emotionale Sperre" eingebaut haben...irgendetwas, was sie davon abhält, Michaels Musik und seine Texte wirklich an sich ran zu lassen, vielleicht müssen Kritiker auch alles "sachlicher" sehen, und nicht auf Gefühsebene, und sicher lieben sie ihn auch nicht unbedingt. :-D
    :herz:

    Zitat

    wir sehen ihn anders, weil wir ihn lieben. Bei einem Künstler so komplex und herausfordernd wie er ist, bin ich nicht sicher, ob es überhaupt möglich ist, ihn auch nur ansatzweise zu verstehen oder würdigen zu können, ohne ihn zu lieben und sich ihm hinzugeben („give into“ him). Und wir tun es.

    :wolke1::wolke1: ..es greift immer alles ineinander..du liebst ihn, verstehst ihn, liebst ihn noch mehr und gibst dich ihm gerne hin....verstehst ihn noch besser und liebst ihn noch mal mehr...usw...endless... :wolke1:

  • Die Trilogie: Sie sehen dich nicht so, wie ich dich sehe
    17/05/2012


    Willa: Also Joie, als Michael Jackson und seine Mitarbeiter sich für die This is it Konzerte in London vorbereiteten, kreierten sie einige spezielle Filmsegmente, die während der Darbietungen von Bad / They Don’t Care about US, Smooth Criminal, Earth Song und Thriller / Ghosts / Threatened auf der riesigen Leinwand hinter der Bühne gezeigt werden sollten. Kenny Ortega schloss diese Filme oder Teile von ihnen in den Film This is it ein, und sie sind sehr interessant – wie kleine Charakterskizzen oder Kurzgeschichten innerhalb eines größeren Films.


    Ich bin wirklich fasziniert von diesen Kurzfilmen und wie sie in die Konzerte mit einbezogen werden sollten. Ich bin ganz besonders fasziniert von diesem einen Moment in This is it, genau an der Stelle, als Thriller in Ghosts überleitet, wo wir Michael Jackson zu Thriller tanzen sehen, da können wir eine Ratte erkennen, die auf einen Eisenzaun klettert, und dann diese riesigen Geisterfiguren, die während Ghosts auf Publikum herunterschweben.


    Dieser Moment ist so interessant für mich, denn wenn ich diejenigen Werke bestimmen müsste, die für mich am ehesten Michael Jacksons Ästhetik beschreiben, würde ich sagen Ben, Thriller und Ghosts. Ich ertappe mich selbst immer wieder, auf diese Werke zurückzukommen, wenn ich für mich selbst Michael Jacksons Gedanken und seine Strategien zur Übermittlung dieser Gedanken zu verdeutlichen versuche. Für mich sind sie die Trilogie im Zentrum seines Glaubenssystems und seiner Ästhetik. Und für einen kurzen Moment in This is it scheinen sie zusammenzukommen – fast als würden sie die Hände ineinander verschränken.


    Joie: Ok Willa, ich will ehrlich sein und sagen, dass du mich hiermit ein wenig verblüfft hast. Bitte erkläre mal, was du mit „der Trilogie“ meinst, denn ich habe meine Schwierigkeit damit, diese drei Werke miteinander zu verbinden, weil für mich hat – jedenfalls oberflächlich gesehen – der Song Ben sehr wenig mit den Kurzfilmen Thriller und Ghosts zu tun.


    Willa: Also gut, für mich war Michael Jackson immer sehr interessiert an „Unterschieden“ – wie wir sie bestimmen, wie wir sie wahrnehmen und wie wir auf sie reagieren. Weil er Schwarz war und weil die Vereinigten Staaten so auf Rasse fixiert sind, neigen wir dazu, sein Werk in Hinsicht Rassenvorurteile zu interpretieren – und es stimmt, dass es sehr wichtig für ihn war, Gedanken zu Rasse und Voreingenommenheit in Frage zu stellen. Aber ich denke, er sprach ebenso über Unterschiede auf einer mehr allgemeinen Ebene, und arbeitete an der Überwindung dieser Grenzen oder Unterschiede basierend auf Rasse, Alter, Geschlecht, Sexualität, Religion, Nationalität, Behinderungen, Größe, Gewicht, Reichtum, sozialem Status oder sogar einfach dem vagen Gefühl, dass jemand „verrückt“ oder „freakig“ oder auf unbequeme Art seltsam in gewisser Weise ist.


    Und ich sehe dies definitiv in Ben – diesen Antrieb, zu hinterfragen, wie wir Unterschiede wahrnehmen und kennzeichnen, und die Vorurteile, die oft daraus resultieren, anzuzweifeln. Im Grunde genommen ist Ben eine Geschichte über eine Ratte, die von den meisten Menschen verachtet wird, einfach weil sie eine Ratte ist. Aber sie ist befreundet mit einem Jungen, der fähig ist, hinter diese Vorurteile zu sehen und ihn für das zu lieben, was in ihm ist. Wie der Junge singt:


    Ben, die meisten Menschen würden dich abweisen
    Ich höre nicht auf ein Wort, das sie sagen
    Sie sehen dich nicht so, wie ich dich sehe
    Ich wünschte, sie würden es versuchen
    Ich bin sicher, sie würden noch mal darüber nachdenken
    Wenn sie einen Freund wie Ben hätten


    Es hat schon andere Werke gegeben, die versucht haben, Ratten und Mäuse in gefällige Charaktere zu verwandeln – zum Beispiel Stuart Little oder Ratty in Wind in the Willows oder Ralph in Beverly Clearys The Mouse and the Motorcycle Stories oder Mrs. Tittlemouse in den Geschichten von Beatrix Potter.


    Joie: Oder Mrs. Frisby and The Rats of NIMH von Robert C. O’Brian. Ich liebe das Buch!


    Willa: Oh, das ist ein großartiges Beispiel! Oder etwas eher Neueres, da gibt es Ratatouille oder The Tale of Despereaux (Der kleine Mäuseheld). Aber das Interessante ist, dass in all diesen Werken diese Charaktere akzeptabler gemacht wurden, indem man sie weniger nagetier-mäßig und mehr vermenschlicht hat – mit anderen Worten, indem man sie aus unserer Sicht „normaler“ gemacht hat. Sie tragen menschliche Kleidung. Sie steuern ein Boot oder fahren ein Motorrad. Sie leben in Häusern für Menschen und kochen für Menschen bestimmtes Essen und erledigen menschliche Haushaltspflichten. Hier ist ein Bild von Mrs. Tittlemouse:


    08.jpg


    Aber Ben ist ganz anders. Der Junge weiß, dass Ben eine Ratte ist, weiß, dass sie deswegen als andersartig gekennzeichnet ist, aber er liebt sie genauso wie sie ist. In all diesen anderen Werken ist dieser starke Antrieb zu spüren, diese kleinen Nager süß und ansprechend und „normaler“ zu machen – menschlicher. Aber dieser Antrieb fehlt völlig bei Ben. Der Junge scheint nicht die Notwendigkeit zu sehen, Ben zu ändern, um ihn akzeptabler zu machen. Er zieht ihm keine Kleidung an oder gibt ihm ein Spielzeugmotorrad oder vermenschlicht ihn auf irgendeine Weise. Es ist sehr viel einfacher als das. Er liebt Ben, Ben liebt ihn, und das ist alles.


    Joie: Ok, ich erkenne, was du sagen willst. Und du hast Recht; er versucht die Ratte überhaupt nicht zu vermenschlichen. Eigentlich ist es genau das Gegenteil. Wie du sagtest, weiß er, dass Ben eine Ratte ist und dass er „anders“ ist. Aber davor hat er keine Angst und er ist auch nicht eingeschüchtert durch diese Unterschiede. Stattdessen begrüßt er die Unterschiede und liebt Ben ohnehin. Es ist eine Lehrstunde, von der wir alle lernen können – über Liebe und Toleranz. Obwohl wir alle unterschiedlich sind, bedeutet das nicht, dass wir uns gegenseitig nicht trotzdem mit Anstand und Respekt behandeln können.


    Willa: Genau, und ich mag die Art, wie du das gesagt hast: „er begrüßt die Unterschiede“. Er sagt nicht, die Unterschiede würden nicht existieren. Das tun sie – wir sind alle wunderbar unterschiedlich. Stattdessen sagt er, dass diese Arten von oberflächlichen Unterschieden nicht darüber bestimmen sollten, wie wir aufeinander reagieren und darüber denken. Er weiß, Ben ist eine Ratte, aber er kennt auch sein Herz, und das ist das, was wichtig ist. Er ist immer noch fähig, ihn zu „sehen“ und ihn aufrichtig zu kennen und zu lieben. Anstatt also zu versuchen, Ben akzeptabel zu machen, indem er ihn ändert und „normal“ macht, fordert er uns auf, unsere Vorurteile zu überwinden und Ben auf die Art, wie er ist, zu akzeptieren. Er singt: „Sie sehen dich nicht so, wie ich dich sehe / Ich wünschte, sie würden es versuchen“.

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Joie: Das lässt mich gerade über ein Video des Rappers Adair Lion (a video I recently came across ) nachdenken. Der Song heißt auch Ben und, obwohl er Homosexualität anspricht, könnte die Botschaft des Songs auch von Rassismus, Sexismus oder anderen Formen von Vorurteilen handeln. Er sampelt Michael Jacksons Ben kurz in dem Song, und ich denke, dass Michael es wahrscheinlich gemocht haben würde.


    (Bemerkung: Adair Lions Video ist auf Youtube unglücklicherweise wegen des Copyright blockiert. Wir werden versuchen, möglichst einen anderen Link einzustellen.)


    Willa: Oh Himmel, Joie, ein wundervolles Video! Danke für’s Zeigen. Und du hast Recht, Adair Lion spricht über Homophobie, aber er stellt auch Parallelen her zu Rassismus und anderen Formen von Vorurteilen – wie als das Weiße Mädchen ihn küssen will und das andere Weiße Mädchen sie davon abhält und ziemlich rabiat dabei wird. Und er stellt diese Verbindungen ausdrücklich in dem Rap dar, wo er sagt:


    Ich vermute der dort drüben
    Er hat gewählt Schwarz zu sein
    Und sie asiatisch
    Und die anderen Weiß
    Und jene gottverdammten Schwulen
    Haben dieses Leben gewählt


    Also spricht er über spezielle Formen von Vorurteilen, aber indem er sie nebeneinander stellt, spricht er ebenso über Unterschiede im Allgemeinen, und das ist sehr Michael Jackson – und passt sehr gut zur Botschaft von Ben, denke ich.


    Ich fühle mich auch sehr angesprochen von den Szenen, in denen das kleine Mädchen versucht, das Geld zu ihrem Geburtstag auszugeben, das ihre zwei Väter ihr gegeben haben. Die Frau im Eisgeschäft weist ihr Geld zurück und weigert sich, ihr eine Eiswaffel zu servieren, und die Frau im Spielzeuggeschäft weist auch ihr Geld zurück und weigert sich, ihr eine Puppe zu verkaufen. Aber dann kommt sie zu dem Tacostand, wo Adair Lion in seiner Rolle arbeitet, und sein Kumpel verkauft ihr nicht nur einen Lutscher, sondern gibt ihr noch zwei extra mit. Es ist eine ganz direkte Botschaft, aber sehr bewegend.


    Und dann endet das Video mit diesem kraftvollen Nachsatz:


    Zufällig ist Ben der Name von jemandem, den ich nie getroffen haben – mein Vater
    Also warum sollte ich jemals über jemanden urteilen, der versucht, zwei zu sein
    Von etwas, was ich niemals hatte?


    Wie du weißt, Joie, ist Ben etwas sehr Besonderes für mich, und wenn ich ganz ehrlich bin, haben ich ziemlich gezögert, dieses Video anzusehen, weil mir das Original so viel bedeutet. Ich vermute, ich hatte Angst, dass er es irgendwie nicht angemessen behandelt oder trivialisiert hat. Aber im Grunde hat es mich zum Weinen gebracht. Ich bin nicht sicher, warum es mich so betroffen macht – vielleicht, weil ich etwa im selben Alter war wie das kleine Mädchen, als ich zum ersten Mal Ben gehört habe – aber vielleicht auch, weil dieses Video so aufrichtig und ehrlich wirkt.


    Joie: Es ist ein ziemlich fesselndes Video; da hast du Recht. Und die Tatsache, dass er Michael Jacksons Ben darin verarbeitet hat, macht es für mich um so kraftvoller, denn dieser Song sagt uns alles darüber, hinter die Unterschiede zwischen uns allen zu sehen.


    Weißt du Willa, die süße Stimmung in Michael Jacksons Stimme, in der er diesen Song singt ist so überwältigend rein und echt. Und ich frage mich manchmal, ob er – erst 14 Jahre alt – verstanden hat, welch enorme Botschaft er mit diesem Song transportiert hat. Es fühlt sich ganz sicher sehr aufrichtig an, wenn du ihm zuhörst. Der Song wurde von Don Black geschrieben und von Walter Scharf komponiert, und er war der Titelsong für den Film Ben im Jahr 1972 (der Fortsetzung des Films Willard von 1971 über eine Killerratte). Ursprünglich war der Song für Donny Osmond geschrieben worden, aber der war auf Tour und zu der Zeit unabkömmlich. Also war Michael im Grunde genommen zweite Wahl, um den Song aufzunehmen – was mich einfach durcheinander bringt, weil, so wunderbar Donny Osmond auch ist, ich mir keinen anderen als Michael vorstellen könnte, der dies singt.


    Willa: Oh ich weiß, und offenbar konnte Michael Jackson das auch nicht! In einem Interview (an interview with Life After 50) vor einigen Monaten sagt Donny Osmond, dass er ihm erzählt habe, dass Ben ursprünglich für ihn geschrieben worden sei, und Michael Jackson sagte: „Red‘ keinen Unsinn!“ Er konnte es nicht glauben, und ich kann es auch nicht. Ben und Michael Jackson sind in meinen Gedanken so sehr verbunden.


    Und man merkt ihm an, dass Ben für ihn sehr viel bedeutet hat. Du kannst es in seiner Stimme hören und daran, wie oft er darauf zurückgekommen ist. Er sang es jahrelang in seinen Konzerten, und er nahm es auf fast jedes seiner Compilation Alben, einschließlich The Best of Michael Jackson, Anthology, Number Ones, The Ultimate Collection und The Essential Michael Jackson.


    Joie: Das stimmt! Er kehrte darauf immer wieder und wieder zurück.


    Willa: Ja wirklich. Und als Kind nahm er sogar einige Ratten als Haustiere auf. Hier ist ein Bild:


    MICHAEL-JACKSON-WITH-RAT.jpg


    Wahrscheinlich am bedeutsamsten ist, wie oft das Thema von Ben in seinen späteren Werken wiederkehrte – nicht nur um Vorurteile den Unterschieden gegenüberzustellen, sondern auch, um das Vorurteil mit der Wahrnehmung zu verbinden. In Ben singt er: „Sie sehen dich nicht, wie ich dich sehe.“ In Can You Feel It singt er:


    Kannst du erkennen, was untergeht?
    Öffne deinen Geist …Denn wir alle dieselben
    Ja, das Blut in meinen Adern fließt auch in dir

    The truth must dazzle gradually
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    Emily Dickinson

    Einmal editiert, zuletzt von Lilly ()

  • In Another part of me fragt er: „Kannst du es nicht sehen / Du bist nur ein anderer Teil von mir?“ Zum wiederholten Mal erzählt er uns, dass Vorurteile gegenüber Unterschieden einfach eine Sache der Wahrnehmung sind oder vielmehr eine kulturell hervorgerufene Fehlwahrnehmung. Diese Vorurteile sind nicht echt und natürlich – Kinder werden nicht mit ihnen geboren – sie sind einfach ein Teil unserer sozialen „Konditionierung“. Und ich denke, wir können erkennen, wie er diese Fehlwahrnehmung auf dramatischste Art durch die Änderung seiner Hautfarbe in Frage stellt. Er bewies auf eine Art, die nicht geleugnet werden kann, dass wir ungeachtet der Rasse alle miteinander verbunden sind. Wir sind alle herrlich verschiedene, einzigartige Individuen, aber wir sind alle ein Volk. So wie er sagt: „Ja, das Blut in meinen Adern fließt auch in dir“.


    Joie: Willa, ich denke, das ist eine wundervolle Beobachtung, und ich stimme dir vollkommen zu. Ich glaube, die Botschaft von Ben war offensichtlich sehr wichtig für ihn. Wie du herausgestellt hast, kehrte er immer wieder zu dieser Botschaft zurück, in variierenden Formen, viele Male seine gesamte Karriere hindurch. Ist wäre nur fair zu sagen, dass die Botschaft dieses Songs ihm dazu verhalf, den Mann zu formen, der er wurde – die Songs, die er über Einheit und Akzeptanz geschrieben hat, das humanitäre Wirken, das zu unterstützen er sich entschlossen hat, die bescheidene, liebende Art, in der er sein Leben lebte. Ich denke, Ben hatte wahrscheinlich einen sehr tiefgründigen Effekt auf ihn.


    Willa: Weißt du, das ist interessant, denn ich habe mich schon oft gefragt, was genau Ben für ihn bedeutet hat – und ich denke, du liegst richtig. Ich glaube, Ben hatte wahrscheinlich ein tiefgründigen Effekt auf ihn oder vielleicht verhalf es ihm, etwas auszudrücken, das er sowieso schon fühlte. Ich weiß, er spürte sehr viel Gefühl für Ben – du kannst das sagen, wenn du einfach nur seiner Stimme beim Singen dieser Lyrics zuhörst – aber ich frage mich, ob er sich nicht auch selbst mit ihm identifiziert hat. Im Grunde genommen wird Ben nicht akzeptiert, einfach weil er als anders gesehen wird, und das ist etwas, mit dem Michael Jackson genauso gekämpft hat. Sogar als sie ihn vergöttert haben, behandelten die Leute ihn als unbequem anders.


    In einem Interview (1980 interview with 20/20) erzählt seine Mutter der Reporterin Sylvia Chase:


    „Wo immer er auch hingeht, jeder kommt her, um Michael Jackson zu sehen – weißt du, sie wollen ihn sehen, wie er aussieht – und er sagt, er fühlt sich wie ein Tier in einem Käfig.“


    Als Sylvia Chase ihn darüber befragt, sagt er: „Das tue ich, ständig. Gut, ich sollte nicht ‚ständig’ sagen, aber mir ist schnell etwas peinlich. … Wenn ich, weißt du, bei ganz alltäglichen Leuten bin und das ganze Zeug, dann fühle ich mich fremd. Wirklich.“ Sie sagt daraufhin: „Es gibt einige Leute, die glauben, dass, weil du immer auf der Bühne warst, daher musstest du niemals mit der wirklichen Welt zurecht kommen.“ Er antwortet:


    „Das stimmt in vielerlei Hinsicht. Das ist wahr in gewisser Weise. Aber es ist schwierig in meiner Situation. Ich versuche es manchmal, aber die Leute benehmen sich nicht auf diese Art mir gegenüber, weil sie mich anders sehen. Sie reden nicht so mit mir, wie sie es mit ihrem Nachbarn machen würden.“


    Er sagt also, die Leute würden sich ihm gegenüber nicht in einer gewöhnlichen, für sie typischen Art verhalten, „weil sie mich anders sehen“. Und wenn er das 1980 gefühlt hat – vor Thriller, vor Vitiligo, vor den Anschuldigen 1993 und vor dem Prozess 2005 und den schreienden Schlagzeilen über Wacko Jacko – stell dir vor, wie er sich erst später gefühlt haben muss.


    Joie: Du hast so Recht; seine Isolation ist nur noch gewachsen, als sein Ruhm größer wurde. Ich bin sicher, dass er sich wahrscheinlich sehr ‚wie ein Tier in einem Käfig‘ gefühlt hat.


    Willa: Oh, es ist einfach unvorstellbar, was er aushalten musste. Und es gibt noch eine andere Verbindung zwischen Ben und Michael Jackson, über die ich seit einer ganzen Zeit nachgedacht habe, aber noch nicht zu einem Schluss gekommen bin, und das sind die Gründe, warum sie als so fremdartig gesehen wurden. Und während ich immer noch versuche, das herauszufinden, denke ich, dass es sehr viel mit kulturellen Tabus demgegenüber zu tun hat, gewisse Grenzen zu überschreiten.


    Denk darüber nach – warum sind Ratten für die meisten Menschen so abstoßend? Ich denke, es ist deswegen, weil sie Grenzen überschreiten oder vielmehr, weil sie in diesem eigenartigen Zwischen-Ort leben, in dem sich zwei deutlich abgegrenzte Kategorien überschneiden. Im Grunde genommen, wenn wir über Ratten nachdenken, denken wir grundsätzlich nicht daran, sie würden in Wäldern oder auf Wiesen und an Flüssen leben. Stattdessen denken wir, sie leben in Kanalisationsrohren und auf Müllhalden und in Kellern von Häusern oder in Ruinen. Mit anderen Worten, wir denken bei ihnen daran, dass sie am Rand der Zivilisation leben an Orten, die weder vollständig wild noch komplett zivilisiert sind. Sie existieren in diesem eigenartigen Niemandsland, in dem die Grenzen zwischen dem, was wild ist und was zivilisiert ist, verwischt werden. Wir neigen dazu, diese Idealvorstellungen eindeutig unterscheidbar und getrennt halten zu wollen, aber Ratten verwischen diese Grenze und bedrohen unsere Auffassungen von Zivilisation und Wildnis – und es ist diese Bedrohung, die sie so abstoßend macht.


    Und auf vielerlei Arten tat Michael Jackson dasselbe. Er lebte in diesem Niemandsland zwischen Schwarz und Weiß, maskulin und feminin, schwul und straight, vornehm und kleinbürgerlich, liberal und konservativ, Kind und Erwachsener, christlich und jüdisch und islamisch und buddhistisch, zwischen Soul und Blues und Disco und Rock, Sänger und Tänzer und Filmemacher und Philosoph. Er hinterfragte so viele künstliche, kulturell konstruierte Grenzziehungen. Und er überschritt nicht nur diese Grenzen. Er lebte in diesem Zwischen-Ort, wo sich diese Kategorien auf unbequeme Art überlappen und demonstrierte, dass diese Grenzen künstliche Konstrukte sind. Und das war sehr bedrohlich für viele Menschen, besonders für jene, die diese Kategorien klar definiert und getrennt behalten wollten.


    Joie: Ok, Willa. Das war nun ein weiterer ‚Wow‘-Moment für mich! Du hast gerade die Punkte miteinander verbunden und all die Parallelen zwischen Michael Jackson und dem Thema des Songs Ben gezogen, und es ergibt völlig perfekten Sinn. Und du hast Recht; die Leute flippen typischerweise total aus bei Ratten, und es ist, weil wir dazu neigen, von ihnen zu denken, sie würden am Rand der Gesellschaft leben. Aber Ratten sind in Wirklichkeit ziemlich cool. Die meisten Leute sind für gewöhnlich sehr erstaunt, wenn sie erfahren, dass Ratten wirklich gute Haustiere abgeben. Im Grunde sind Ratten bessere Haustiere als Mäuse, denn sie tendieren nicht dazu, zu beißen. Sie sind sehr intelligent, soziale Tiere, die leicht gezähmt werden können, und die meisten Besitzer vergleichen ihre Kameradschaft mit der eines Hundes!


    Also werden wir diese Diskussion nächste Woche mit dem fortsetzen, was Willa ‚die Trilogie‘ nennt mit einem Blick auf den Kurzfilm Thriller. Und ich muss sagen, Willa, ich sehe immer noch nicht, in welcher Beziehung Ben zu den Kurzfilmen Thriller und Ghosts für dich steht. Eventuell sehe ich Ghosts irgendwie auf diese Art, weil dieser Film davon handelt, anders zu sein. Aber ich vermute, ich denke auf diese Weise überhaupt nicht von dem Thriller Video. Ja, Michael Jacksons Rolle verändert sich darin ständig von einem Teenager Jungen in einen Werwolf in einen Zombie und wieder zurück, aber ich denke bei diesem Video nicht an „Unterschiede / Anderssein“. Aber das werden wir nächste Woche besprechen.



    herz.gif herz.gif herz.gif

    The truth must dazzle gradually
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    Emily Dickinson

  • wir sind alle wunderbar unterschiedlich.

    :hmhm: Oh, das hat mich an eine Stelle aus dem Robin Hood - Film mit Kevin Costner und Morgan Freeman erinnert. :daumen: Etwa ab 0:15... :applaus:
    bInhlINp6Gw&feature=relmfu


    Er lebte in diesem Zwischen-Ort, wo sich diese Kategorien auf unbequeme Art überlappen und demonstrierte, dass diese Grenzen künstliche Konstrukte sind. Und das war sehr bedrohlich für viele Menschen, besonders für jene, die diese Kategorien klar definiert und getrennt behalten wollten.

    Genau! :clapping: So oft, viel zu oft, ist uns die Tatsache der menschengemachten Künstlichkeit gar nicht klar, wir halten diese Grenzen und/oder Kategorien für natürlich und ewig, aber das ist sooooo falsch... Außerdem ist es wichtig, sie immer wieder zu hinterfragen, schon allein deshalb, weil sie im Wandel der Zeit immer wieder mal veralten bzw. gar keinen Sinn mehr machen... Oder aber man sollte sich fragen, für wen sie warum Sinn machen, also für wen es warum Sinn macht, gewisse Grenzen aufrecht zu erhalten. :dd:

    :herz: Michael Jackson - forever the King of Pop. A genre of music. Mainly, a beautiful human being. :herz:
    es ist, was es ist... sagt die liebe


  • Zitat

    Er sagt also, die Leute würden sich ihm gegenüber nicht in einer gewöhnlichen, für sie typischen Art verhalten, „weil sie mich anders sehen“. Und wenn er das 1980 gefühlt hat – vor Thriller, vor Vitiligo, vor den Anschuldigen 1993 und vor dem Prozess 2005 und den schreienden Schlagzeilen über Wacko Jacko – stell dir vor, wie er sich erst später gefühlt haben muss.


    ...dadurch, dass Michael sich seit seiner Kindheit immer "anders" vorkam, wie ein Tier im Käfig, oder ein Fisch im glas..immer beobachtet, und auch nicht so lebte, wie "normale" Kinder/Jugendliche, konnte er sich wohl ziemlich früh darein versetzen, was es heißt "anders" zu sein, anders behandelt zu werden...(Er sagte doch auch mal, dass man ihn sogar fragte, ob er eigentlich auch aufs Klo geht ..) - Das mit diesem "Anders sein" bei ihm dann irgendwann negative Dinge verbunden wurden, kam ja erst später, aber einfach das Gefühl zu haben, isoliert zu sein, ein Aussenseiter....hatte er sicher immer. Ich denke, deshalb konnte er sich immer in andere Aussenseiter, die auch von der Gesellschaft irgendwie zwischen neugierig und misstrauisch beguckt wurden, oder sogar abgelehnt wurden, hineinversetzen, und hatte niemals Berührungsprobleme mit Menschen, die "anders" waren, oder anders aussahen. Ich denke z.B. auch an diese Geschichte mit dem Elefantenmenschen..ob er nun die Knochen kaufen wollte oder nicht, er konnte sich mit der Figur identifizieren, das sagte er auch (ich glaube es war bei Oprah..)
    „Ich liebe die Geschichte des Elefantenmenschen. Sie erinnert mich sehr an mich selbst. Ich konnte mich darin wieder finden und ich habe darüber auch geweint, denn ich habe mich in dieser Geschichte auch selbst wieder erkannt. Aber ich habe mich nie um die Knochen des Elefantenmenschen bemüht, was sollte ich denn schon damit anfangen?“.
    ..er sah auch da nicht das Äussere, er sah, wie es im Inneren von diesem Menschen aussah...genauso, wie er sich auch in jedes Kind hineinversetzen konnte, und niemals Berührungsängste hatte, wie sicher viele Menschen es hätten, rein, weil sie vom Äusseren erstmal abgeschreckt wären..z.B. bei Dave Davis, dem verbrannten Jungen...und viele andere Menschen, mit denen Michael einfach tief mitfühlte, aus eigener Erfahrung...

  • Die Trilogie: Nein, ich meine, ich bin anders
    24/05/2012


    Joie: Also Willa, letzte Woche haben wir eine Diskussion begonnen über etwas, das du Die Trilogie nennst, und es hat mit der Art deiner Beziehung dreier Werke Michael Jacksons – Ben, Thriller und Ghosts - zu tun, und mit deinem Gefühl, wie sie alle auf eine gewisse Art zusammenpassen und mehr oder weniger Michael Jacksons Ästhetik bilden. Letzte Woche konzentrierten wir uns auf den Song Ben und welche kraftvolle Botschaft für Akzeptanz dieser Song in sich trägt. Diese Woche habe ich gehofft, dass wir einen Blick auf den Kurzfilm Thriller werfen können und darüber reden werden, wie dieser für dich zu der Idee der Trilogie passt.


    Willa: Okay, wie wir bisher schon besprochen haben, erkenne ich den primären Fokus von Michael Jacksons Kunst und Leben darin, dass er die uns voneinander trennenden Unterschiede hinterfragt. Er wurde von einer Vision von uns allen als einem Volk getrieben, trotz der Einteilungen in Rasse, Geschlecht, Nationalität, Sexualität, Alter, Religion, Behinderung oder irgendwelcher anderer Unterschiede, die dazu benutzt werden, Menschen in unterschiedliche Lager aufzuteilen. Wir erkennen das Song für Song, Video für Video, genauso wie in Interviews und Reden und in den Wohltätigkeitseinrichtungen, die er unterstützte. Allerdings, für mich gibt es drei Werke, die besonders wie Leuchtfeuer erstrahlen und wirklich die künstlichen Grenzen, die uns trennen, in Frage stellen, und diese drei sind Ben, Thriller und Ghosts.


    Joie: Das ist wirklich interessant, Willa, denn wie ich letzte Woche schon sagte, habe ich den Kurzfilm Thriller nie als etwas gesehen, das die ‚künstlichen Begrenzungen’ anspricht, wie du die Unterschiede zwischen uns allen nennst. Es interessiert mich wirklich sehr, zu hören, wie du dies siehst.


    Willa: Gut, es wird subtil behandelt – im Grunde ist es fast so, als würde er die Botschaft auf eine unterbewusste Art übermitteln – aber alle drei dieser Werke stecken die Grenzen zwischen uns auf neue und überzeugende Arten ab, und ich erkenne das ganz besonders in Thriller.


    Wie wir alle wissen, spielen sowohl Thriller als auch Ghosts im Genre Horrorfilm. Aber interessanterweise antwortete Michael Jackson, als Alex Colletti ihn in einem MTV Interview 1999 (1999 MTV interview) fragte „Warst du ein Fan von Horrorfilmen?“:


    Ob du es glaubst oder nicht, ich fürchte mich davor, unheimliche Filme anzusehen. Ganz ehrlich, ich mag es gar nicht so sehr, sie anzusehen. Ich habe nie gedacht, dass ich einmal an so einer Sache beteiligt sein würde.


    Und Horror hervorzurufen, scheint nicht sein Ziel bei diesen zwei Kurzfilmen gewesen zu sein. Da scheint noch etwas anderes vor sich zu gehen.


    Wenn wir uns Thriller sorgfältig ansehen, entdecken wir, dass es eine ganz spezielle Art von Horrorfilm ist. Er handelt nicht von mutierten Spinnen oder Schlangen, oder von einem riesigen Affen, der auf das Empire State Building klettert, oder von Dinosauriern, die durch ihre DNA wieder zum Leben erweckt werden. Er handelt nicht von einem besonders tödlichen Tornado oder einer Flutwelle oder einem Asteroid, der dabei ist, die Erde zu treffen. Er handelt auch nicht von außerirdischen Fremden, die die Weltherrschaft übernehmen wollen oder von einer geheimnisvollen Infektion, die die Bevölkerung auslöscht. Er handelt nicht von einem mörderischen Verrückten mit einer Kettensäge oder einem Gewehr oder einem unstillbaren Appetit auf seine Mitmenschen. Er handelt nicht von einer uralten Vorhersage, dass die Welt in zwei Wochen untergehen wird oder vom Beginn des 3. Weltkrieges oder einem nuklearen Holocaust oder einem Kollaps der Umwelt. Es ist nicht mal ein Monsterfilm in der gleichen Art wie Godzilla oder Creature from the Black Lagoon.


    Joie: Okay, du hast jetzt eine wirklich gute Aussage getroffen, aber jetzt habe ich Angst, dass du mich zusammengekauert auf meiner Couch mit einigen DVD’s und einer großen Schüssel Popcorn sehen willst!


    Willa: Das ist lustig! Wir sollten mal irgendwann eine Movie-Nacht zusammen machen, obwohl ich dich warnen muss – ich bin ein Feigling bei gruseligen Filmen. Aber wenn wir uns Thriller von Nahem ansehen, entdecken wir, dass es eine ganz spezielle Art von Horrorfilm ist: Es ist eine Geschichte über einen hübschen Teenagerjungen, der Grenzen überschreitet. Zuerst übertritt er die Grenze zwischen Wolf und Mensch, aber er überschreitet diese Grenze nicht vollständig. Er wird nicht zum Wolf. Stattdessen stoppt er mittendrin und lebt in diesem Zwischenraum, in dem er sowohl Wolf, als auch Mensch ist. Er wird ein Wolfsmensch, ein Werwolf. Später bringt er die Grenze zwischen den Lebenden und den Toten durcheinander, und wieder befindet er sich in diesem eigenartigen Zwischenraum, in dem er sowohl Lebendiger, als auch Toter ist. Er wird einer von den Untoten, ein Zombie.


    Joie: Ok. Ich denke, ich kann erkennen, worauf du hinaus willst. Grundsätzlich willst du sagen, dass du das Gefühl hast, Michael Jacksons Rolle in Thriller sei eine Art symbolisches Annehmen der Unterschiede zwischen uns, über die wir letzte Woche gesprochen haben, als wir uns den Song Ben ansahen. Im Thriller Video befindet sich sein Charakter mitten in diesen Unterschiedlichkeiten und überschreitet absichtlich die Grenzen.


    Willa: Ganz genau. Das ist exakt das, auf das ich hinaus wollte, und du hast Recht – es knüpft wundervoll an Ben an und weitet die Gedanken aus, über die er in dem Song singt. Aber ich denke, da geht noch eine ganze Menge mehr vor sich.


    Julia Kristeva ist eine Literaturtheoretikerin, die ebenfalls Psychoanalytikerin ist, und sie glaubt, dass Menschen eine tiefe psychologische Bedrohung darin sehen, wenn bestimmte Arten von Grenzen verwischt oder in Frage gestellt oder auf gewisse Weise überschritten werden. Sie beschreibt in Powers of Horror: An Essay on Abjection, dass wir unsere Identität erschaffen und definieren, wer wir sind, dadurch dass wir Grenzen bilden zwischen dem, was wir sind und was nicht-wir sind, so dass alles, was die Grenzen einzureißen droht, auch unser Selbst durch Auflösung bedroht – es bedroht unsere Identität auf der fundamentalsten psychologischen Ebene. Zum Beispiel sagt sie, dass dies der Grund dafür ist, warum wir solch einen Ekel gegenüber menschlichen Abfallprodukten verspüren, nämlich weil er die Grenze zwischen dem Körperinneren und dem Äußeren überschritten hat, zwischen uns und nicht-uns, und uns dazu zwingt, zu realisieren, dass diese Grenzen durchlässiger sind, als wir sie gern hätten, und das empfinden wir auf einer tiefen, ursprünglichen Ebene als Bedrohung.

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

    2 Mal editiert, zuletzt von Lilly ()

  • Joie: Nun, das ist wirklich interessant! Ich habe niemals vorher von ihr gehört, aber würde das Buch gerne lesen. Es klingt faszinierend.


    Willa: Oh, es ist faszinierend, und es lässt mich wirklich dieses Thema des Grenzenüberschreitens auf eine völlig andere Art sehen – nicht einfach als soziales / politisches Thema, sondern ebenso als ein machtvolles psychologisches Thema. Sie spricht auch über Leichname, und warum sie uns so entsetzen:


    Wenn Kot die andere Seite der Grenze kennzeichnet, den Ort, wo ich nicht bin und der mir erlaubt, zu sein, dann ist der Leichnam, der am meisten ekelerregende aller Abfallprodukte, eine Grenze, die sich über alles hinaus ausgedehnt hat. Es ist nicht mehr länger das Ich, das abweist, sondern das „Ich“ ist abgewiesen. Die Grenze ist ein Objekt geworden. Wie kann ich ohne eine Grenze existieren?


    Also sieht Kristeva unsere Abscheu gegenüber Leichnamen als das extremste Beispiel unserer ursprünglichen Angst, die uns zu überwältigen droht, wenn die Grenzziehung zwischen uns und nicht-uns scheitert. Sie sagt: „Wie kann ich ohne Grenze existieren?“ Es bedroht unsere bloße Existenz, psychologisch. Es bedroht das, was wir sind, das „Ich“, das ich als mich selbst definiert habe. Und ich denke, das erklärt, warum Leichname in zwei von Michael Jacksons bedeutendsten Werken eine so wichtige Rolle spielen, obwohl er eigentlich gar keine Horrorfilme mag. Der Grund dafür ist, dass er uns direkt mit unseren tiefsten Ängsten über die Auflösung dieser Grenzen auf ihrem ursprünglichsten Level konfrontiert.


    Aldebaran beschrieb ein faszinierendes Beispiel dieser tiefsitzenden Art des Überschreitens von Grenzen in einem Kommentar vor einigen Wochen, als sie über einen Artikel im The Guardian (an article in The Guardian) sprach. Wie Aldebaran es beschrieb, handelt der Artikel


    ... von einer gemischtrassigen Familie, die Zwillinge hatte – ein Zwilling war Schwarz geboren und der andere Weiß. Interessanterweise war es der Weiße Zwilling, der in der Schule schikaniert wurde, und zwar so sehr, dass seine Eltern ihn dort herausnahmen. Es ist ein sehr interessanter Artikel über die gegenwärtigen Rassengrenzen. Die Kinder mobbten den Weißen Zwilling, weil sie dachten, dass er in Wirklichkeit Schwarz wäre, jedoch Weiß erschien – ganz auf die gleiche Art wie MJ und der Tänzer Arthur Wright. In der Schule verlangten die Lehrer, dass der Weiße Zwilling sich selbst als Schwarzen zeichnete – es war unglaublich.


    Wenn wir uns diese Situation durch die Linse von Kristevas Gedanken ansehen, ergeben die Taten der Schikanen in der Schule auf perfekte Art einen Sinn. Sie mobbten nicht den „Schwarzen“ Zwilling, denn er sah Schwarz aus, er blieb innerhalb seiner korrekten Kategorie, und deshalb bedrohte er nicht ihre Identität. Er war „gefahrlos“ Schwarz. Aber der andere Zwilling hatte dieselben Eltern und denselben genetischen Hintergrund und war deswegen als „Schwarz“ bei den anderen Kindern und sogar bei den Lehrern gekennzeichnet, aber er sah Weiß aus. Offensichtlich stellte das Verwischen dieser Grenzen zwischen Schwarz und Weiß eine tiefe psychologische Bedrohung für diese Schulkinder dar, denn er sah aus wie einer von ihnen, aber sie hatten das Gefühl, dass er nicht einer von ihnen war. Sie reagierten auf diese Bedrohung, indem sie die Grenzen zwischen sich und ihm verstärkten – mit anderen Worten, sie schikanierten ihn, um ihm (und sich selbst) gegenüber ganz klar zu verdeutlichen, dass er nicht-sie war.


    Und natürlich, wie Aldebaran verdeutlicht hat, dies ist „so etwas Ähnliches wie bei MJ“. Er hinterfragte Rassengrenzen sogar, bevor sich Vitiligo bei ihm entwickelte, und er verwischte viele andere Begrenzungen ebenso. Und das rief eine gewaltige Gegenreaktion hervor, vergleichbar mit der Gegenreaktion gegenüber dem Weiß-Schwarzen Zwilling.


    Joie: Oh ja, das ist sehr wahr; das hat er getan. Und ich vermute, dass wir das Argument haben, dass Kristevas Theorien auf alle Formen von Rassismus angewandt werden können – diese „wir gegen sie“-Mentalität oder diesen Denkprozess, der uns immer in Schwierigkeiten bringt.


    Willa: Ja, das stimmt, oder auf Antisemitismus oder Frauenfeindlichkeit oder Homophobie oder Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit) oder jegliche Art von Vorurteilen, die uns voneinander trennen. Und wie brechen wir als Kultur daraus aus? Es gibt keinen logischen Grund, warum die Grenzen auf diese Art und Weise gezogen wurden – es gibt an diesen Grenzen nichts Reales oder Wahres oder Natürliches – aber das bedeutet nicht, dass sie nicht existieren und nicht eine große psychologische Macht haben. Ich denke, das ist das Problem, das in Thriller angepackt wird. Wir könnten Monate damit verbringen, dies vollständig zu untersuchen, aber ich denke Thriller funktioniert auf einer tiefen psychologischen Ebene, indem es uns ganz direkt mit der Angst und dem Horror konfrontiert, den wir gegen alles und jeden verspüren, der die Grenzen überschreitet, die wir dazu nutzen, um uns selbst zu definieren.


    Zum Beispiel wurde zu der Zeit, als Thriller herauskam Michael Jackson als Sexsymbol in der Größenordnung von Elvis oder den Beatles oder Frank Sinatra angesehen. Es war ein noch nie dagewesener Fall für einen Schwarzen Mann, in solch einer Position zu sein, zum Teil weil die Vereinigten Staaten ein tief rassistisches Land sind mit strengen Restriktionen gegen sexuelle Anziehung zwischen Schwarzen Männern und Weißen Frauen. Ein Element dieses Rassismus ist eine jahrhundertealte kulturelle Erzählung, dass Schwarze Männer sexbesessen seien, dass sie ihre animalischen Triebe nicht kontrollieren könnten, dass sie im Grunde Vergewaltiger seien. Statistisch gesehen wird eine Weiße Frau eher von ihrem (Weißen) Freund als von einem (Schwarzen) Fremden von der Straße vergewaltigt, und diese Botschaft ist mittlerweise exakt bestätigt worden. Aber in den frühen 1980er Jahren, als Thriller veröffentlicht wurde, war es für junge Weiße Frauen eine gewohnte Situation, dass sie gewarnt wurden, nicht allein herumzulaufen, besonders nicht an ihnen unbekannten Orten, weil sie durch einen (Schwarzen) Angreifer überfallen werden könnten.


    Was also bedeutet es, ein Schwarzes männliches Sexsymbol in einem Land zu sein, das Schwarze Männer als unfähig bezeichnet, ihren sexuellen Drang zu zügeln? Das ist eine unglaublich komplizierte Situation, in der man dann ist, und das ist eines der Themen, mit denen uns Michael Jackson in Thriller konfrontiert. Der Film beginnt mit einem Teenagerjungen und einem Mädchen, die ein Date haben. Es ist wichtig, dass der Name des Jungen Michael ist, also gibt es eine Identifikation zwischen der Rolle auf der Leinwand und Michael Jackson selbst, das ist maßgeblich. Es würde nicht auf die gleiche Art funktionieren, wenn sein Name William oder Gregory wäre.

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Dieses Teenagerpaar fährt in einem Auto und plötzlich geht ihnen das Benzin aus – eine bekannte Masche, um zu „Parken“ oder herumzuknutschen, also sind wir in einer sexuellen Situation – und plötzlich werden wir mit unseren schlimmsten Befürchtungen konfrontiert. Dieser ziemlich verklemmte junge Schwarze Mann verliert die Kontrolle über sich selbst, er kann seine animalischen Triebe nicht mehr steuern, er ist nicht wiederzuerkennen, und er überfällt seine Freundin. Es ist wie eine Vergewaltigungsszene: Sie liegt voller Angst auf dem Rücken, er kommt ihr bedrohlich näher und greift sie an. Wir sehen es nicht, aber wir hören es, und wir sehen die Reaktionen des Publikums, das diese Szene beobachtet, einschließlich dem Freund und der Freundin, die nun mittendrin im Kino sitzen. Sie hält es nicht aus und geht hinaus, und er folgt ihr und erzählt ihr: „Es ist doch nur ein Film.“


    Joie: Wow Willa, ich habe diese Szene noch als etwas gesehen, das eine Vergewaltigung widerspiegeln soll, aber du liegst absolut richtig; es wird auf diese Art ausgelebt, oder? Jetzt fühle ich mich dämlich, dass ich es vorher nie bemerkt habe!


    Willa: Nun, es wird ziemlich unterschwellig angedeutet, und wir können dieses Intro von Thriller auf viele Arten deuten, aber eine Art ist eben zu sehen, dass es direkt die kulturelle Erzählung hinterfragt, dass Schwarze Männer ihre sexuellen Triebe nicht kontrollieren könnten. Und das wird hier so brillant durch einen Zwei-Phasen-Prozess gemacht. Zuerst mal übertreibt es diesen Mythos und bläht ihn auf, bis er riesig ist und unsere Gedanken ausfüllt, so dass wir als Nation gezwungen sind, unseren schlimmsten Befürchtungen von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen. Und dann explodiert der Mythos und zeigt uns, dass er nur eine Täuschung war. Unsere Ängste sind nur ein Mythos, eine falsche kulturelle Erzählung – oder wie Michael uns sagt: „Es ist nur ein Film.“


    Aber ich möchte betonen, dass dies lediglich eine Möglichkeit der Interpretation von Thriller ist, und um ehrlich zu sein, mag ich diese Interpretation nicht besonders. Sie ist zu speziell und fühlt sich für mich zu einschränkend an. Diese Elemente sind definitiv alle darin enthalten, also denke ich, die Interpretation hat ihre Gültigkeit, aber für mich behandelt Thriller noch viel mehr. Verschiedenheit wird ganz allgemein angesprochen, und es funktioniert auf einem tiefen, psychologischen, fast unterbewussten Level. Und was es aussagt – erstaunlich genug – ist, dass Grenzen überschreiten nichts Unheimliches ist. Es macht Spaß! Das ist in meinen Augen die Botschaft von Thriller, und was ist das für eine unglaubliche Botschaft! Es nimmt all diese Ängste, dreht die Oberseite nach unten und kehrt das Innerste nach Außen.


    Thriller ist ein erstaunliches Kunstwerk. Alles daran – die Art, wie die Erzählung strukturiert ist, die Art, wie die zwei zentralen Charaktere wieder und wieder zurückkehren, die Art, wie alles aneinander anknüpft und die Legende des Werwolfs und Zombies miteinander verbindet, die Art, wie es den Song und den Tanz in die Erzählung einbezieht – jedes Detail ist überwältigend und perfekt. Es ist wahrlich ein brillantes Kunstwerk, aber es ist auch ein Kunstwerk, das zu grundlegenden kulturellen Veränderungen angestiftet hat, und wir beginnen gerade erst damit, uns dies in seiner ganzen Tiefe anzusehen. Und ich denke, wir sind noch weit davon entfernt, es wirklich zu verstehen.


    Joie: Ich glaube, damit hast du Recht; wir sind noch sehr weit von den meisten Dingen entfernt, die Michael uns durch seine Kunst zu vermitteln versucht hat. Weißt du, gemäß Merriam-Webster ist eine der Definitionen für einen Wortpropheten: Jemand, der mit mehr als gewöhnlicher spiritueller und moralischer Einsicht gesegnet ist; ganz besonders: ein beflügelter Poet. Ich denke, diese Definition könnte problemlos Michael Jackson beschreiben.


    Willa: Oh, ich liebe das! „Ein beflügelter Poet“ – welch großartige Beschreibung!


    Joie: Das ist hübsch, oder? Und wie ich schon zuvor gesagt habe, glaube ich wirklich, dass jeder Kurzfilm eine Botschaft oder eine versteckte Lektion darüber war, dass wir einander mit Liebe und Respekt behandeln sollten. Ich glaube, das war seine Mission und sein Zweck hier auf dieser Erde, und er hat sein Bestes getan, um diese Mission zu erfüllen. Der Rest hängt jetzt von uns ab.


    Noch eine Randbemerkung: Willa und ich haben einen Clip des Adair Lion Videos „Ben“ gefunden. Wie ich also versprochen habe, ist hier das Video:


    dd-bZTRd4Gc



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    Emily Dickinson

  • Ich habe mir Ben von Adair Lion jetzt schon sehr oft angehört und singe seit zwei Tagen ständig "They don't see you as I do, I wish they would try to". Ich finde, er hat den Song wunderschön verarbeitet und überhaupt nicht verunstaltet, sondern original übernommen. Dass er gerade für dieses und sein Thema Michaels Ben gewählt hat, gibt mir das Gefühl, er hat ihn genau verstanden . Besonders freue ich mich jedesmal, wenn im Video hinter ihm die Poster von Michael hängen . Dies ist eine der wenigen Coverversionen (oder wie immer man das nennt, ist ja eigentlich kein Cover), die ich mag (außer natürlich Covers von Michael selbst ).


    "I wanna take this time und say Thank you to Michael Jackson. Thank you for coming into my life with such a beautiful music. Thank you for bringing me joy and bringing the planet joy. Thank you for giving me escape. Thank you for helping to find me and my dreams." (Will.i.am ... and me too!)

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    Einmal editiert, zuletzt von Lilly ()

  • Danke Lilly!
    Wenn ich das lese, dann komme ich mir echt begriffsstutzig vor. Ich sehe diesen tieferen Sinn nicht ohne Vor-denker wie in diesem Fall Willa und die die sie inspirieren.
    Dieses Überschreiten von Grenzen und der Zusammenhang mit dem Bild vom sexuell 'unkontrollierten' Schwarzen.. Dann diese Gewaltszene in dieser Form zu sehen. Immerhin ist Michael im Film wirklich der Sprit ausgegangen und er wirkt ganz harmlos und dann hat er DAS Geheimnis und erzählt es ihr nicht nur, sondern zeigt es ihr und gefährdet sie damit (das habe ich übrigens nie verstanden, warum er das tut). Dann lösen sich meine Fragen aber auf, weil das Ganze nur ein Film im Film ist. Ehrlich gesagt habe ich die Anfangssequenz deshalb nie tiefer hinterfragt, weil sie nur der Film im Film ist.
    Dann als er das Kino mit ihr verläßt und neben dem Friedhof dann 'wirklich' zum Zombie wird. Was soll uns das sagen? Dass es eben doch nicht nur ein Film ist?
    Ja, der nette Michael, der niemanden was zu Leide tun kann, wird zu einem Zombie und wie sie dann das Mädchen jagen und im Haus stellen is ja ganz schön heftig..
    Auch da bin ich sehr froh als sie aus einem Traum erwacht, der sie nach dem Kinofilm plagt. Wieder kommt der nette Michael und will sie nach hause bringen.
    Puh.. Alles ist gut.
    Dann dreht er sich mit einem Lächeln um und hat diese bösen Pupillen.
    Nichts ist wie es scheint. Wir können uns nie sicher sein.


    Auch wenn ich mir noch nicht ganz klar bin, wie ich diesen Shorfilm in seiner Tiefe verstehe und verstehen 'soll', Willa und Joie haben einen großen Anstoß gegeben, gerade auch durch die tiefenpsychologischen Aspekte zu dieser Geschichte.


    Danke dafür, Sky*

  • Zitat

    Was also bedeutet es, ein Schwarzes männliches Sexsymbol in einem Land zu sein, das Schwarze Männer als unfähig bezeichnet, ihren sexuellen Drang zu zügeln? Das ist eine unglaublich komplizierte Situation, in der man dann ist, und das ist eines der Themen, mit denen uns Michael Jackson in Thriller konfrontiert.


    ...ich dachte, dass dann auch Black Or White, besonders die Schlussequenz, auch in dieser Beziehung zu Thriller und Ghost gehören. Ist es hier nicht noch viel direkter, diese Aussage "es ist nichts, wie es scheint" ? Warum war man denn so entsetzt darüber, Michael in dieser "Rolle" im Pantherdance zu sehen? Weil das eine Seite von Michael war, die er uns hier deutlich zeigt, die er aber nicht haben darf, weil er dieses Image hat, was so völlig anders ist, und dem er selbst auch immer versucht gerecht zu werden. Und es ist eigentlich noch viel ausdrucksstärker, als das Spiel mit Masken, in Ghosts und Thriller - es ist viel echter und unmittelbarer, was er im Pantherdance von sich zeigt.
    Ich musste dabei immer an diesen Satz von Armond White denken, aus The Gloved One Is Not A Chump


    Zitat

    Dieser Solotanz lässt ihn die Frustrationen abwerfen, die sich in 22 Jahren guten Betragens, einer verlorenen Kindheit und eines entfremdeten persönlichen Lebens aufgebaut hatten.


    Und wie wichtig müssen dann für Michael, in diesen "22 Jahren guten Betragens", seine Videos gewesen sein, die ihm diese Möglichkeit gaben, diese Fragen zu stellen und diese anderen Seiten zu zeigen (nicht nur seine, unser aller..), die er normalerweise seinem Image unterordnen musste, um uns immer wieder zu verdeutlichen


    Zitat

    Nichts ist wie es scheint. Wir können uns nie sicher sein.


    :wolke1::herz: „Ein beflügelter Poet“ :herz::wolke1: ..in jeder Beziehung passend...und wirklich,wörtlich...bis in die Fingerspitzen... :love:

    2 Mal editiert, zuletzt von maja5809faithkeeper ()

  • :wave:

    Und es ist eigentlich noch viel ausdrucksstärker, als das Spiel mit Masken, in Ghosts und Thriller - es ist viel echter und unmittelbarer, was er im Pantherdance von sich zeigt.
    Ich musste dabei immer an diesen Satz von Armond White denken, aus The Gloved One Is Not A Chump

    Das stimmt absolut. Deswegen hat es ja auch viel Aufregung verursacht.

    :wolke1: :herz: „Ein beflügelter Poet“ :herz: :wolke1: ..in jeder Beziehung passend...und wirklich,wörtlich...bis in die Fingerspitzen... :love:

    ... bis in die Flügelspitzen.. :loveyou:
    Sky*

  • Die Trilogie: Wir brauchen keine Freaks wie dich
    31/05/2012


    Joie: Also Willa, in den vergangenen zwei Wochen haben wir uns zwei von drei Werken Michael Jacksons angesehen, von denen du sagst, dass sie eine Art Trilogie seiner Ästhetik bilden – Ben und Thriller. Diese Woche lass’ uns übergehen zum abschließenden Teil in dieser Trilogie – Ghosts – und darüber reden, wie es dazu passt und wie alle drei von ihnen mit diesem komplexen Thema des Überschreitens der uns voneinander trennenden Grenzen umgehen. Wie wir alle wissen ist dies ein Thema, mit dem sich Michael oft in seiner Karriere auseinandersetzen musste, und für dich ist dieser Gedanke der Trilogie deshalb sehr wichtig, stimmt’s?


    Willa: Das ist er wirklich, teils weil jedes dieser Werke für sich allein genommen schon so bedeutend ist und teils, weil sie uns im Zusammenhang betrachtet erlauben, die Entwicklung seiner Gedanken zu erkennen.


    In Ben, das im Januar 1972 aufgenommen wurde, nimmt Michael Jackson die Rolle eines Jungen ein, der sich mit einer Ratte anfreundet. Die meisten Menschen sehen Ratten als etwas Ekelhaftes an, als „anders“, also ist diese Freundschaft ein auf sozialer Ebene grenzüberschreitender Akt. Mit anderen Worten ist Ben die Geschichte einer unangemessenen Freundschaft. Aber diese Beziehung wird hier auf so besondere und schöne Art präsentiert, dass wir dazu aufgefordert werden, unsere Wahrnehmung über diese unkonventionelle Freundschaft zu ändern. Bedeutend ist allerdings, dass während der Junge und die Ratte soziale Grenzen überschreiten, sie außerhalb der Grenzen bleiben. Was ich meine ist, dass sie die Grenze überschreiten, indem sie Freunde werden, aber der Junge bleibt ein Junge, und die Ratte bleibt eine Ratte.


    Zwölf Jahre später, im Dezember 1983, veröffentlichte Michael Jackson das Thriller Video, und es erweitert die Gedanken von Ben auf entscheidende Weise. Ein weiteres Mal ist Michael Jackson ein junger Mann, der sozial verbotene Grenzen überschreitet, aber dieses Mal sind diese Grenzen in ihm selbst. Er wird ein Werwolf, der die Grenzziehung zwischen Mensch und Tier verwischt, und dann wird er ein Zombie, der die Grenze zwischen lebend und tot verwischt. Also handelt Thriller nicht von einer „anstößigen“ Freundschaft, sondern von einer „anstößigen“ Person, deren Identität ständig im Fluss ist. Demzufolge verinnerlicht er das Überschreiten von Grenzen und ändert die Art, wie wir diese unkonventionelle Person wahrnehmen und auf sie reagieren, genauso wie wir die verbotenen Grenzen wahrnehmen, die wir in uns selbst spüren und auf sie reagieren.


    Was besonders interessant an Thriller ist, ist allerdings, wie es die Gefühle dieses Themas neu aufbereitet. Grundsätzlich erzählt uns Thriller, dass das Überschreiten von Grenzen nicht unheimlich ist – es macht Spaß! Es ist im Grunde aufregend. Sieh dir die vielen Michael-Charaktere auf der Leinwand an. Welcher davon möchtest du sein? Der verklemmte Michael am Anfang, der so sehr versucht, eine anständige Person zu sein oder der offenherzige Michael, der ausbricht und mit Zombies tanzt? Wie du so passend letzte Woche gesagt hast, Joie, er „lebt mit diesen Unterschieden“, die er in sich selbst spürt – er nimmt die vielen verschiedenen Aspekte seiner Persönlichkeit an, einschließlich der unheimlichen oder beschämenden Teile, von denen gesagt wird, dass wir sie verstecken sollten – und er hat einen Wahnsinnsspaß! Sieh ihn dir nur an, wie er tanzt, und sieh auf sein Gesicht am Schluss, wenn er sich umdreht und uns fixiert mit diesen verrückten Katzenaugen. Er strahlt! Er könnte nicht glücklicher sein. Thriller verarbeitet dies alles so geschickt und unangestrengt, dass wir gar nicht realisieren, was für eine radikale psychologische Verschiebung das ist, aber ich glaube, Thriller funktioniert auf einer tiefgreifenden psychologischen Ebene und fordert damit einige unserer ursprünglichsten Ängste über Unterschiedlichkeit, über „Anderssein“ heraus und neutralisiert sie dann. Und es ist brillant.


    Dreizehn Jahre später, 1996, erschuf Michael Jackson Ghosts und nahm einen weiteren Quantensprung nach vorne. Dieses Mal nähert er sich dem Thema auf eine mehr theoretische Art und deutet spezielle Wege an, auf denen Kunst uns behilflich sein kann, die Grenzen zwischen uns zu überwinden. Mit anderen Worten ist Ghosts nicht nur ein Kunstwerk. Es ist Meta-Kunst – es ist Kunst über Kunst – und in ihm sehen wir den Beweis dafür, dass Michael Jackson eine neue Poetik erschaffen hat.


    Joie: Weißt du, Willa, das ist etwas, was du oft sagst – dass Michael eine neue Poetik erschaffen hat. Kannst du in einfachen Begriffen erklären, was du damit meinst, für diejenigen, die vielleicht nicht verstehen, was du damit sagen willst?


    Willa: Das ist eine wirklich gute Frage, Joie. Es gibt eigentlich viele verschiedene Definitionen, aber was ich meine, ist, dass er eine neue Philosophie von Kunst erschaffen hat oder ein neues Musterbeispiel für den Entwurf von Kunst – einen neuen theoretischen Rahmen dafür, um zu verstehen, was Kunst ist, wie sie funktioniert und was sie zu leisten imstande ist. Weißt du, wenn wir zurückgehen und uns die ganz großen Künstler der Geschichte ansehen – Künstler wie da Vinci, Michelangelo, Vermeer, Monet, van Gogh, Picasso, Warhol – sie haben nicht einfach nur bedeutende Kunstwerke erschaffen. Sie haben auch unsere Definition von Kunst verändert, und das ist es, was Michael Jackson macht. Er erschafft exquisite Kunstwerke, aber er definiert auch ganz neu, was Kunst überhaupt ist und erweitert unsere Gedanken darüber, was durch Kunst möglich ist. Und darum ist er der bedeutendste Künstler unserer Zeit.


    Joie: Ok, also lass uns darüber reden, was in Ghosts vor sich geht und warum du das Gefühl hast, dass es Teil der Trilogie ist. Du sagst, dass Ghosts von Kunst über Kunst handelt, aber wie passt es in diese Thematik des Grenzenüberschreitens?


    Willa: Gut, also wie wir schon besprochen haben ist Ghosts die Geschichte über einen Künstler – einen Maestro – der einem Übergriff der kleinstädtischen Bewohner von Normal Valley ausgesetzt ist. Sie fürchten sich vor ihm, weil er so nervenaufreibend anders ist – sie denken, er ist ein „Freak“, ein „Spinner“ – also nähern sie sich seinem Haus mit Fackeln in der Hand, fest entschlossen, ihn zu vertreiben. Aber etwas Unerwartetes passiert: Der Maestro verwickelt sie in eine Reihe von künstlerischen Erfahrungen, und durch diese künstlerischen Erfahrungen verändert er nicht nur ihr Gefühl für ihn, sondern auch, wie sie über Unterschiede im Allgemeinen denken.


    Also funktioniert Ghosts auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Auf der einen Ebene handelt es sich um reine Unterhaltung und beschäftigt uns mit einer interessanten Geschichte. Auf einer anderen Ebene erschafft es ein Gleichnis für das, was Michael Jackson tatsächlich in seinem wirklichen Leben selbst passiert ist, und erklärt, welchen Plan er als Künstler für die Reaktion auf die Bedrohungen gegen sich durch Tom Sneddon und andere hat. Und auf noch einer weiteren Ebene spricht er über Kunst und zeigt uns, wie Kunst die Wahrnehmung ändern kann und so einen signifikanten sozialen Wandel herbeiführen kann – genauso wie es die Wahrnehmung und das Verhalten der Bewohner von Normal Valley verändern kann.

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    Emily Dickinson

  • Joie: Das ist wirklich sehr interessant, Willa. Weißt du, ich habe es schon mal gesagt, aber ich habe wirklich das Gefühl, es noch einmal sagen zu müssen. Bevor du mich gebeten hast, M Poetica zu lesen und meine Meinung darüber abzugeben, habe ich niemals über Michaels Werk auf solch einem tiefgreifenden künstlerischen Level nachgedacht. Und ich weiß nun, dass es so war, weil ich nicht wirklich die Instrumente oder das Wissen dafür hatte, um es zu tun. Aber ich habe wirklich das Gefühl, dass du mir so viel über Kunst und darüber, wie man Kunst interpretiert, beigebracht hast, und ich bin sehr dankbar dafür. Ich habe jetzt die Möglichkeit, Michaels Werk auf eine Weise zu untersuchen, wie ich es nie zuvor hatte.


    Willa: Glaub mir, Joie, ich weiß genau, was du fühlst. Ich habe Thriller jahrelang ganz einfach als unterhaltsames Video genossen. Im Grunde genieße ich es immer noch auf diese Art, und das ist vollkommen okay. In dem MTV Interview von 1999, aus dem wir letzte Woche zitierten, wird Michael Jackson gefragt, was ein gutes Musikvideo ausmacht, und seine erste Reaktion ist: „Meiner Meinung nach muss es komplett unterhaltend sein.“ Und es ist ihm gelungen: Sein Werk im Allgemeinen, und Thriller im Besonderen, ist wunderbar unterhaltend.


    Aber so sehr ich Thriller einfach als Unterhaltung geschätzt habe, spürte ich mehr und mehr, dass da noch etwas anderes vor sich ging – aber es war irgendwie nicht greifbar. Ich konnte spüren, dass etwas Bedeutsames passierte, aber ich konnte es nicht erklären, nicht mal mir selbst. Bis ich anfing, Ghosts zu analysieren, und dann machte es Klick bei mir. Wie ich früher schon erwähnt hatte ist Ghosts nicht nur ein Kunstwerk – es ist auch ein Kunstgespräch über Kunst und untersucht spezielle Wege, wie Kunst die Meinung der Leute über Unterschiedlichkeit verändern und sozialen Wandel hervorrufen kann. Und als ich das untersuchte und darüber nachdachte, realisierte ich plötzlich, dass die speziellen Prozesse, die er in Ghosts beschreibt, auch in Thriller ablaufen. Also gab mir Ghosts grundsätzlich die Instrumente, die ich brauchte, um Thriller auf eine völlig neue Art zu interpretieren. Für mich öffnete Ghosts einen neuen Zugang zum Denken über Kunst, und diese neue Sicht erlaubte mir, Thriller auf eine Art zu sehen, wie ich es nie zuvor getan hatte.


    Also erschafft Michael Jackson nicht nur eine neue Art von Kunst, die auf neue Weise funktioniert, was erstaunlich genug ist. Er stellt uns auch den theoretischen Apparat zur Verfügung, den wir benötigen, um diese neue Art von Kunst zu interpretieren. Und Joie, es haut mich einfach aus den Socken. Als Künstler ist er so phänomenal intelligent und phänomenal kreativ – einfach jenseits-von-Gut-und-Böse-brillant – und ich denke, wir beginnen gerade erst die Tiefe seiner Werke und die ungeheuren Auswirkungen dessen, was er uns zeigt, zu begreifen.


    Joie: Also, ich stimme dir vollkommen zu, dass er ‚jenseits-von-Gut-und-Böse-brillant‘ ist, wie du es so schön gesagt hast. Ich denke nicht, dass irgendwer das bestreiten würde. Und ich muss sagen, dass ich wirklich deine Beobachtung liebe, dass Ghosts ein ‚Kunstgespräch über Kunst‘ ist. Das ist nicht nur eine wirklich tiefgründige Feststellung, sondern es war auch sehr tiefgründig, ein sehr kühner Schachzug, von Michael Jackson. Ein Video zu kreieren – ein Kunstwerk – das über Kunst spricht und darüber, wie wir sie nutzen können, um die Leute zu erziehen und ihre Meinung über die sozialen Ungerechtigkeiten um uns herum zu ändern. Das ist eine verblüffende Sache!


    Willa: Das ist es wirklich. Und in Ghosts sehen wir ganz direkt, wie er eine sehr spezielle Frage über Kunst und die Macht von Kunst stellt: Wie kann ein Künstler Kunst nutzen, um die Meinung der Leute über jene zu ändern, die sie als anders zurückweisen, besonders wenn ihre Antipathie auf falschen Erzählungen und unbegründeten Vorurteilen basiert?


    Wie ich vorher bereits erwähnt habe beginnt Ghosts mit den Bewohnern von Normal Valley, die sich dem Haus des Maestros nähern mit der Absicht, ihn zu vertreiben, weil sie denken, er sei ein Monster, ein „Freak“. Und ihre Emotionen in diesem Moment sind ziemlich kompliziert: sie fürchten ihn, aber sie sind auch aufgeregt und fühlen sich befugt, ihn zu vertreiben.


    Wie wir in einem Post über Ghosts vor einigen Wochen diskutiert haben, reagiert der Maestro auf die Dorfbewohner in einem Prozess in zwei Phasen. Zuerst nimmt er ihre Ängste und ihr Verlangen auf und dann wirft er diese Emotionen auf sie zurück: Er erscheint ihnen gegenüber mit einer Maske, also gibt er ihnen das Monster, als das sie ihn sehen möchten. Aber dann lässt er die Maske herunter und enthüllt, dass es nur eine Täuschung ist. Das ist die zweite Phase. Und diese schnelle Doppelbewegung, dass er zuerst ihre Ängste und Triebe aufbläht und sie dann in sich zusammenfallen lässt, erzeugt bei den Dorfbewohnern eine Art Katharsis und hilft ihnen dabei, ihre Gefühle , die sie auf ihn übertragen, zu neutralisieren.Aber der Bürgermeister möchte diese Ängste nicht neutralisieren.


    Sein Ziel ist genau das Gegenteil – er möchte diese Emotionen schüren und die Dorfbewohner in einem Zustand der Angst und Unruhe halten. Also beginnt er seinen Fall gegen den Maestro aufzubauen: dass dieser ein „Freak“ sei, ein unheimlicher Fremdling, ein Monster, das die Kinder der Stadt mit mysteriösen Geistergeschichten ansteckt. Als Reaktion ruft der Maestro noch einmal die Zwei-Phasen-Bewegung der Verkörperung und des Aufblähens der Emotionen, die sie auf ihn projizieren hervor, um sie dann in sich zusammensinken zu lassen. Zuerst verzerrt er sein Gesicht, macht es grotesk und unheimlich. Hier ist ein Screenshot:



    Dann zieht er sein Gesicht gänzlich herunter, so dass nichts anderes als ein lachender Schädel übrig bleibt. Aber wichtig ist, dass er, nachdem die Dorfbewohner diese Emotionen, die sie auf ihn projizieren, durchlebt haben, den Schädel aufschlägt und sein wahres Gesicht enthüllt und ihnen somit zeigt, dass alles nur eine Täuschung war.

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  • Dann führt er diesen Zweiphasenprozess ein drittes Mal durch, aber dieses Mal ist es ein wenig anders, denn ihre Gefühle haben sich verändert, also haben sich auch jene Gefühle verändert, die sie auf ihn übertragen. Sie sind nicht mehr so ängstlich ihm gegenüber – im Grunde beginnen sie, ihn und seine „freakige“ Tanztruppe zu genießen – aber sie sind sich seiner noch unsicher und möchten immer noch, dass er geht, obwohl sie deswegen im Konflikt sind. Also stellt er diese Emotionen stellvertretend für sie dar: Er zerstört sich selbst und wird vor ihren Augen zu Staub. Aber dann erscheint er wieder und zeigt einmal mehr, dass es nur eine Täuschung war. Also sehen wir zum wiederholten Mal, wie er die Ängste und Sehnsüchte verkörpert und sogar ausweitet, die die Dorfbewohner auf ihn reflektieren und wie er sie dann zerstreut.


    Joie: Ich denke, es ist wirklich interessant, dass er diesen Prozess immer wieder und wieder während des gesamten Kurzfilms wiederholt. Das gibt mir zu verstehen, dass er wirklich versucht hat, eine Aussage zu treffen. Da gibt es etwas, von dem er wirklich möchte, dass wir es verstehen … einen Gedanken, von dem er möchte, dass wir ihn wirklich begreifen und verstehen. Warum sollte er sich sonst immer wiederholen?


    Willa: Das fühlt sich für mich genauso an. Er führt in Ghosts die Serie der Doppelbewegungen dreimal aus – was mir sagt, dass dies wirklich wesentlich ist. Wichtig ist, dass es genau das ist, was er auch in Thriller macht, wie wir letzte Woche besprochen haben. Im Grunde genommen besteht die Handlung in Thriller ebenfalls aus einer Serie von drei Doppelveränderungen – oder eher zweieinhalb, denn die letzte endet ungelöst – und wenn wir uns ansehen, was 1983 passierte, ergibt die Handlung von Thriller auf perfekte Art Sinn. In den frühen 1980er Jahren war er unser erstes Schwarzes Teenidol, das sowohl erregend als auch ungeheuerlich auf viele Menschen wirkte. Also reagierte er darauf, indem er auf der Leinwand zum Monster wurde – zum Werwolf, zum Zombie, zu einem unidentifizierbaren Wesen mit Katzenaugen – und dann neutralisierte er diese Emotionen, indem er uns zeigte „Es ist nur ein Film“.


    Und ich glaube, er reagierte auf die Medienhysterie rund um die falschen Belästigungsanschuldigungen auf genau die gleiche Art. Durch die Illusion der plastischen Operationen machte er sich selbst ungeheuerlich in den Augen der Öffentlichkeit. Aber es ist nur eine Täuschung. Er reflektiert lediglich das, was die Öffentlichkeit auf ihn projiziert, wie er uns sehr deutlich in Is it scary erklärt:


    Ich werde genau das sein
    Was du sehen willst
    Du bist es, der mich verspottet
    Denn du möchtest
    Dass ich der Fremde in der Nacht bin


    Amüsiere ich dich
    Oder verwirre ich dich einfach nur?
    Bin ich die Bestie, die du dir vorstellst?


    Und wenn du
    Exzentrische Seltsamkeiten sehen möchtest
    Werde ich vor deinen Augen grotesk sein
    Lass es alles zustande kommen …


    Bist du also zu mir gekommen
    Um deine Phantasien zu sehen
    Die sich direkt vor deinen Augen abspielen?


    Ein quälender gespenstischer Trick
    Ein schauriger Schwindel
    Und Geister tanzen in der Nacht?


    Wenn du aber gekommen bist
    Um die Wahrheit, die Reinheit zu sehen
    Sie ist hier in einem einsamen Herzen
    Also lass die Vorstellung beginnen


    Also sag mir, ist das Realismus für dich, Baby?
    Und bin ich unheimlich für dich?


    Der Skandal der plastischen Operationen war im Grunde genommen eine Art darstellende Kunst, aber es war eine völlig neue Art der Kunst, anders als alles, was wir bisher gesehen haben. Es war „Realismus“ auf einer Skala, die wir niemals zuvor erlebt haben. Es ist solch eine neue Art der Kunst, dass es erstmal schwer ist, sie als solche zu erkennen, aber es ist ein Kunstwerk mit einem ganz besonderen Zweck und einer besonderen Funktion – nämlich eine falsche kulturelle Erzählung umzuschreiben und eine Entspannung der Emotionen, die diese falsche Erzählung antreiben, anzubieten. Es ist atemberaubend in seiner blanken Kühnheit, aber wenn wir erst einmal unsere Gedanken darauf richten, realisieren wir, dass es auf soliden Prinzipien von Kunst und Psychologie aufgebaut ist – und die Schnittmenge von Kunst und Psychologie, besonders der Gruppenpsychologie, ist ein primärer Fokus von Michael Jacksons Ästhetik. Mit anderen Worten, es ist perfekt auf die künstlerischen Grundsätze ausgerichtet, die er in Ghosts und in allen seinen Werken herausbildet.


    Und Joie, ich kann nicht eindringlich genug sagen, wie wichtig und fundamental sein Werk ist. In M Poetica sagte ich, dass ich sein Gesicht als sein Meisterwerk sehe, und ich glaube das ganz stark. Ich liebe seine Stimme und seine Musik und seinen Tanz und seine Filme – du weißt, wie sehr ich sie liebe – aber sein Gesicht und die Illusionen, die er durch sein Gesicht erzeugt hat, weisen den Weg zu einer neuen Art von Kunst, die das Potential hat, einige unserer am tiefsten verwurzelten kulturellen Erzählungen in Frage zu stellen und neu zu schreiben. Und das ist wahrlich revolutionär.


    Joie: Willa, ich liebe die Art, wie du das sagst: „Es ist atemberaubend in seiner blanken Kühnheit.“ Das ist solch eine wahre Feststellung, wenn es um irgendetwas geht, das mit Michael Jackson zu tun hat. Ich denke, dieser Satz steht sinnbildlich für so ziemlich alles, was mit seiner Karriere und seiner Persönlichkeit zu tun hat. Er war „atemberaubend in seiner blanken Kühnheit!“



    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Der Skandal der plastischen Operationen war im Grunde genommen eine Art darstellende Kunst, aber es war eine völlig neue Art der Kunst, anders als alles, was wir bisher gesehen haben. Es war „Realismus“ auf einer Skala, die wir niemals zuvor erlebt haben.

    Kunst, die das Potential hat, einige unserer am tiefsten verwurzelten kulturellen Erzählungen in Frage zu stellen und neu zu schreiben. Und das ist wahrlich revolutionär.

    „Es ist atemberaubend in seiner blanken Kühnheit.“

    Das kann man wohl sagen! :stern: Mal abgesehen von der Tatsache, wie wenig an den Missbrauchsvorwürfen dran ist und wie extrem verzerrt die Berichterstattung damals war (und zum größten Teil auch heute noch ist), war die Tatsache, dass Michael sich außerdem auch nicht wirklich verändert hatte, mitunter das, was mich dazu gebracht hat, so ziemlich alles, was ich auf dieser Welt glaubte zu wissen, lieber nochmal zu überdenken. :gn: Ich war nie schnell im Aburteilen von Menschen, aber dass ich im Grunde SO WENIG über die (jeweilige) Wahrheit weiß (ich meine, mit wem und wessen Lebensgeschichte beschäftigt man sich schon so intensiv und lange, wie mit Michaels? :schulter: ), also damit hätte ich vorher auch nicht gerechnet und ich kann gut nachvollziehen, wieso wir Fans für Außenstehende so verrückt :doof: wirken können. Wir SIND es, unsere Wahrnehmung ist eine andere, unser Blickwinkel verändert, unsere Realität ist ver-rückt. Zurechtgerückt gefällt mir besser... :ja1: Danke, Michael... :loveyou: Und DANKE, süße :herz: Lilly :herz:, für deine Übersetzung... :kiss: So, dann kann ja mit der Weltveränderung nix mehr schief gehen, oder?! :zl:

    :herz: Michael Jackson - forever the King of Pop. A genre of music. Mainly, a beautiful human being. :herz:
    es ist, was es ist... sagt die liebe


  • Hold Me, Like the River Jordan
    07/06/2012


    Willa: Joie, kennst du das, man hat manchmal lange einen Song im Kopf hat, und er beschäftigt ständig deine Gedanken?


    Joie: Ja. Das kann dich manchmal wirklich verrückt machen! Besonders, wenn es ein Song ist, der dich eigentlich gar nicht kümmert.


    Willa: Genau, wie zum Beispiel ein Werbejingle. Der alte Oscar Mayer Jingle macht das manchmal mit mir, und ich denke tagelang „Oscar Mayer has a way with B-O-L-O-G-N-A“. Und manchmal ist es einfach deswegen, weil er eine eingängige Melodie hat, die mich gefangen hält. Aber manchmal, wenn ich darüber nachdenke, bemerke ich, dass es einen Grund dafür gibt, dass dieser spezielle Song mich gepackt hat. So wie einmal, als ich den Schoolhouse Rock Song über die Präambel zur Verfassung so ziemlich den ganzen Winter lang gesungen habe und dann bemerkte, dass mein Sohn die Verfassung gerade in der Schule durchnahm.


    Joie: Das ist lustig! Es ist erstaunlich, wie das Gehirn manchmal arbeitet.


    Willa: Ja, das ist lustig, nicht wahr? Jedenfalls geht es mir nun seit einigen Wochen mit Will You Be There so. Es war schon immer einer meiner liebsten Songs, aber irgendetwas scheint er mir genau jetzt sagen zu wollen, denn er beschäftigt mich ständig. Obwohl ich hinzufügen muss, wenn schon ein Song in deinem Kopf festsitzen muss, dann ist dies ein furchtbar schöner dafür!


    Joie: Das kann ich nicht bestreiten; was für ein großartiger Song! Dieser würde dich niemals verrückt machen.


    Willa: Oh, er ist so anmutig, von den ersten wunderschönen Noten der Eröffnungslyrics bis zur anschwellenden Orchestrierung. Und dann setzt der Chor ein, mit seiner Stimme, die sich über allem dazwischen webt – ich liebe es einfach. Es erinnert mich daran, an einem Fluss entlang zu laufen und eine Schwalbe dabei zu beobachten, wie sie über dem Wasser herumschwirrt und Insekten fängt. Der Chor ist der Fluss mit seinem großen, vollen, fließenden Klang und Jacksons Stimme die Schwalbe, die darüber herumschwirrt und eintaucht.


    Joie: Hmm. Du zeichnest ein schönes Bild. Und ich stimme zu; es ist ein wunderbarer Song. Und ich liebe einfach die Eröffnungssequenz der kompletten Fassung des Songs mit dem einleitenden Beethoven Präludium. Wunderschön! Weißt du, ich glaube nicht, dass viele Menschen bemerken, dass dieses Stückchen Musik aus Beethovens berühmter Ode an die Freude stammt.


    Willa: Oh, du sprichst also über die Version aus dem Dangerous Album, richtig?


    Joie: Ja.


    Willa: Und ich dachte an die Videos – das vom MTV 10th Anniversary und das aus Free Willy – und sie haben dieses Vorspiel nicht. Und es ist so interessant, dass du es erwähnt hast, Joie, denn ich habe auch über das Intro nachgedacht, aber auf eine ganz andere Art. Ich habe mich auf die Eröffnungszeile aus den Lyrics konzentriert – „Hold me, like the River Jordan“ – und gedacht, wie sehr es nach einem alten Slaven Spiritual klingt. Es hat sogar den Rhythmus eines Spirituals. Du weißt, wie Swing Low, Sweet Chariot mit zwei langen langsamen Noten beginnt, gefolgt von einer langen Pause, und wie es dann nach der Pause das Tempo mit schnelleren Noten aufnimmt? Gut, das ist genau so, wie Will You Be There beginnt. Also, obwohl es ein zeitgemäßer Song ist, ist es so, als wenn ältere Musik durch ihn sein Echo abgibt, und du kannst dir wirklich vorstellen, wie diese Eröffnungslyrics vor 200 Jahren gesungen worden wären.


    Aber nun, da du das Präludium erwähnt hast, bringt mich das wo ganz anders hin. Weißt du, wenn du darüber nachdenkst, ist es wirklich faszinierend, was er in diesem Intro auf der Dangerous Version macht. Wir sollten mit Lisha irgendwann darüber sprechen, um einen professionellen Einblick zu erhalten, aber es beginnt mit einem musikalischen Zitat von Beethoven, wie du sagst, also beschwört er das klassische Genre herauf. Aber dann hören wir die erste Zeile der Lyrics, und sowohl die Sprache, als auch der Rhythmus dieser Lyrics erinnern an ein Spiritual. Das scheint solch ein Kontrast zu sein, aber irgendwie funktioniert es, und es funktioniert auf wunderschöne Art und Weise. Wer sonst als Michael Jackson könnte einen Gegensatz wie diesen zustande bringen und es sich so passend anfühlen lassen? Es klingt wie ein großer Gegensatz, diese zwei weit voneinander abweichenden Genres zusammen zu bringen – du denkst irgendwie, es muss einen Sprung geben von dem einen zum anderen – aber in seinen Händen fühlt es sich vollkommen natürlich an, und genau richtig.


    Joie: Willa, es ist so interessant, dass du das sagst, denn in dem klassischen Stück von Beethoven ist ein Chor, der die Lyrics auf Deutsch singt. Die englische Übersetzung dieser Lyrics geht folgendermaßen:


    Do you bow down, millions?
    Do you sense the Creator, world?
    Seek Him beyond the starry canopy!
    Beyond the stars must He Dwell.


    Ihr stürzt nieder, Millionen?
    Ahnest du den Schöpfer, Welt?
    Such' ihn überm Sternenzelt!
    Über Sternen muss er wohnen.


    Also liest sich dieser Teil der Ode an die Freude sehr wohl wie ein geistliches Lied oder wie ein altes Sklaven Spiritual, wie du sagtest.

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson

  • Willa: Wow, das ist wirklich interessant, oder? Auf mich hat die Musik dieses Chorteils eine ganz andere Wirkung – es fühlt sich für mich überhaupt nicht wie ein Sklaven Spiritual an – aber die Lyrics lesen sich wirklich wie ein geistliches Lied, oder?


    Joie: Ja, das tun sie wirklich. Also, während sie oberflächlich gesehen wie zwei völlig verschiedene und gegensätzliche Richtungen zu sein scheinen, sind sie im Grunde genommen gar nicht so weit voneinander entfernt, wenn du ein wenig tiefer gräbst. Und du hast Recht; wer sonst, wenn nicht Michael Jackson könnte einen Gegensatz wie diesen zustande bringen und ihn so natürlich und authentisch wirken lassen? Joe Vogel sagt in seinem Buch Man in the Music über den Song:


    Das fast achtminütige Stück ist im Wesentlichen eine monumentale Filmmusik, die seine Wurzeln im Schwarzen Gospel hat, aber mit klassischer Musik und Rhythm and Blues verschmolzen ist. Es ist dennoch ein weiteres Beispiel für Jacksons bemerkenswerte Fähigkeit, verschiedene musikalische Stile in Anspruch zu nehmen und sie zusammenwirken zu lassen.


    Diese Fähigkeit, ‚verschiedene musikalische Stile in Anspruch zu nehmen‘ und Unterschiede zusammenzubringen ist meiner Meinung nach das Herzstück seiner Genialität. Er hat das nicht nur mit Musik gemacht, wie wir schon zuvor besprochen haben, sondern er tat das genauso mit Menschen. Alle Farben, alle Nationalitäten und alle Generationen zusammenzubringen.


    Joe bemerkt weiter in seinem Buch, welche Bedeutung Intros für Michael hatten, und zitiert seinen langjährigen Mitarbeiter Brad Buxer. Joe schreibt:


    ‚Er war brillant bei diesen Sachen‘, sagt Brad Buxer, ‚Intros und Outros waren wirklich wichtig für ihn. Die Intros waren fast genauso wichtig wie der Song selbst‘.


    Also wurde dieses wunderschöne Intro mit den engelhaften Klängen des Cleveland Orchestral Chorus, der die sehr hymnenartigen Worte zu Beethovens unglaublicher Neunter Symphonie singt, nicht zufällig gewählt. Ich denke, Michael wusste wahrscheinlich ganz genau, was die englische Übersetzung dieses Musikstückes war und nutzte es absichtlich, denn, wie Brad Buxer betont hat, für Michael waren „die Intros fast genauso wichtig wie der Song selbst“.


    Willa: Das ist faszinierend, Joie, und wir können das wirklich erkennen in Will You Be There. Und weißt du, was du da gerade mitgeteilt hast über die hymnenartigen Qualitäten dieses Beethovenabschnittes lässt mich an die Trennung denken zwischen „hoher“ Kunst und populärer Kunst, über die wir auch schon gesprochen haben, und die Nina in den Kommentaren der letzten Woche erwähnt hat. Es ist so, als würde er beginnen, ein geistliches Lied aus zwei verschiedenen Quellen hervorzurufen – der hohen Kunst von Beethovens Ode an die Freude und der volkstümlichen Kunst eines Sklaven Spirituals – um sie dann zusammenzubringen zu diesem wunderschönen Song.


    Also bin ich der Meinung, dass du genau Recht hast, Joie, wenn du sagst, seine Fähigkeit „Unterschiede zusammenzubringen sei das Herzstück seiner Genialität“. Wie haben das in Black or White gesehen, wie Lisha so verblüffend dargelegt hat, als wir mit ihr vor einigen Monaten sprachen, und wir sehen es hier wieder. Und wie du es schön gesagt hast, Joie, diese Fähigkeit, Grenzen zu überschreiten erweitert sich vom musikalischen Genre bis hin zu Bevölkerungsgruppen: „Alle Farben, alle Nationalitäten und alle Generationen zusammenzubringen.“


    Ich denke, dieses Bestehen darauf, die Grenzen zu überschreiten war teilweise eine bewusste, künstlerische Entscheidung, wie wir auch in den vergangenen Wochen besprochen haben, aber ich glaube auch, dass es einfach die Art war, wie sein Geist funktionierte. Er sah die Grenzen wirklich nicht, die die Welt und uns in kleine separate Kategorien trennen – oder er sah sie, aber weigerte sich, sie anzuerkennen. Er weigerte sich, die Grenzen zwischen Rock und Rap, zwischen klassischer Musik und Spirituals, zu beachten, genauso wie er sich weigerte, die Grenzen zwischen Schwarz und Weiß, männlich und weiblich, jung und alt, christlich, jüdisch, islamisch und buddhistisch zu beachten.


    Joie: Ich stimme dir absolut zu, Willa. Ich denke, das ist einfach die Art, wie sein Geist tickte. Ich denke, er sah all diese Grenzen, die zu erwähnst und beschloss mit voller Absicht, sie einfach komplett zu ignorieren, weil sie überhaupt nicht zählen. Und ich denke auch, die Lyrics dieses Songs bezeugen dies. Für mich handelt dieser Song von Freundschaft und brüderlicher Liebe und davon füreinander da zu sein. Und die Unterschiede zwischen uns zählen einfach nicht. Er singt:


    Halt mich
    Wie der Fluss Jordan
    Und ich werde zu dir sagen
    Du bist mein Freund


    Führe mich
    Als wärst du mein Bruder
    Lieb‘ mich wie eine Mutter
    Wirst du da sein?

    The truth must dazzle gradually
    Or every man be blind
    Emily Dickinson