Magazin für Theologie und Ästhetik
Michael Jackson Der Erlöser als synthetisches Medienprodukt?! Gerd Buschmann |
1. Michael Jackson - doketischer Messias Kaum ein anderer Popmusiker stilisiert sich, - in den Epiphanien seiner Live-Konzerte -, so sehr als eine Art Gott wie Michael Jackson (M.J.).[1] "Zum geschlechts- und rasselosen ´Weltmythos avanciert, lädt sich diese Ikone der Populärkultur durch die Identifikation mit der Jesus-Gestalt religiös auf. Die messianische Selbststilisierung ist auf Vergötterung angelegt."[2] Höchst kreativ reinszeniert er, - wie andere Popmusiker -, mit mythologischem Material das Heilige und seine Popkonzerte nehmen Formen gottesdienstlicher Handlungen an.[3] Dabei wird der gottesdienstliche Ritus mit gnostisch-doketischen Inhalten angereichert. Im Dualismus von Licht und Finsternis erscheint der Erlöser-Messias als unwirklicher, weltfremder Mensch, der privat auf seinem für Kinder eingerichteten, geheimnisvollen Anwesen Neverland lebt, einem Wunderland des Peter Pan, androgyn und irreal im Moonwalk daherschreitet, ein synthetisches Medienprodukt, das die Luft dieses Planeten nur gefiltert atmen kann, mit kosmetischen Operationen Hautfarbe und Gesichtsausdruck maskenhaft geändert hat, sich nicht berühren läßt und sein Angesicht verhüllt: eine Gestalt nicht aus dieser Welt, sondern aus der jenseitigen Lichtwelt. "Am Ende des Konzerts verschwindet er, wie es sich für einen Gott des 20. Jahrhunderts gehört: düsengetrieben, himmelwärts."[4] Keineswegs ganz Fleisch werden wollender Sohn Gottes (Joh 1,14) will er als Übermensch aus der auserwählten Schar der Zeugen Jehovas (M.J.s Mutter gehört den Zeugen Jehovas an) als Offenbarer wichtige Botschaften verkünden:[5]
M.J. widmet diese CD dem sanften, blauen Planeten, der Mutter Erde: "Dedicated to the world, my love!", "Planet earth, gentle and blue, with all my heart, I love you."[9] Ihm ist es ein grundsätzliches Anliegen, "das Schicksal der ganzen Menschheit zum Besseren zu wenden."[10]Der Titel Will you be there?, der "mit einem unbearbeiteten Ausschnitt aus dem vierten Satz der Neunten Symphonie Beethovens, und zwar der ersten Stelle `Ihr stürzt nieder, Millionen` (T. 631-646)"[11] beginnt, formuliert ein klagendes Gebet, verweist biblisch am ehesten auf Josua 3,9-17 (vgl. Ps 114,3) und Ps 8,5 und bildet formal mit den Elementen "bittend-fragende Aufforderung" ("Hold me ... will you be there?"), "Verwurzelung der Klage in der Lebensgeschichte" ("everyone´s taking control of me"), "Eingeständnis des Zweifels" ("a man should be faithful"), "Vergewisserung des Heils" ("I will be there") und "abschließendes Gelöbnis" ("I´ll never let you part") ein Klagelied des Einzelnen[12], wie aus den Psalmen bekannt. Bei der Live- und Video-Version[13] des vieldeutigen Songs, - wer ist gemeint: Gott[14], die M.J.-Jünger, ... ?, - breiten sich die Flügel einer Engelsgestalt über dem zusammengebrochenen M.J. aus, die Fan-Gemeinde jubelt ihrem "Heiland" zu, in "call and response"-Liturgie stilisiert sich M.J. als Leidender und Überforderter ("I´m only human"), der, ähnlich Jesus in Gethsemane (Mk 14,32-42par: Bleibt hier und wachet mit mir!), Treue und Nachfolge der Jünger einfordert: "Will you be there?" Erst aus der Opferpose M.J.s heraus verleiht die letzte Strophe solchen Leiden einen heilsbringenden Charakter: "I´ll never let you part for you´re always in my heart." So entsteht die messianisch stilisierte Verheißung "I will be there" des Erlösers M.J., "der in seinem Leiden die Leiden der Menschheit stellvertretend auf sich nimmt."[15] Das Spezifische liegt darin, daß die Erlösung gerade von einem Leidenden kommt, von einem Erlöser, der von sich behauptet: "but I´m only human." "Glaubt man dem Text, so stammt die erlösende Musik von einem Leidenden, der nach Halt und Liebe sucht in einem Leben voller Versuchungen und Prüfungen, voller Leiden und Bedrohungen - einem Leben, das ihn in Verwirrung und Angst versetzt (vgl. Songtext)."[16] M.J. stilsiert sich als Erlöser, der selbst der Hilfe bedarf. Das ermöglicht in besonderer Weise für viele Teenager die Identifikation mit diesem Interpreten; auf der einen Seite ist er derjenige, der als Idol (und Erlöser) Orientierung bietet, auf der anderen Seite bietet er sich als Identifikationsfigur an, weil er selbst sich als nach Orientierung sehnender, Liebebedürftiger und Leidender sich stilisiert. Das "dürfte eine wesentliche Ursache dafür sein, daß Michael Jackson zum Mythos werden konnte."[17] Der Titel wird nach dem Vorwurf sexuellen Kindesmißbrauchs gegen M.J. im Frühjahr 1993 von Fans und Medien biographisch auf seine Leidensgeschichte bezogen; die Jugendzeitschrift "BRAVO" stilisiert M.J. zu einer Heilsfigur des ´leidenden Gerechten" durch Analogisierung mit Jesu Passion.[18] Der Titel Heal the world mit dem Refrain[19] "Heal the world, make it a better place, for you and for me, and the entire human race, there are people dying, if you care enough for the living, make a better place for you and for me ..." thematisiert die Bewahrung der Schöpfung, Himmel und Erde, Zukunft und Prophetie und verweist neben Bibelstellen zur Schöpfung besonders auf Micha 4,3 und Jes 2,4 (Schwerter zu Pflugscharen)[20]. Nach der Darstellung aktueller Probleme der Welt in Katastrophenbildern (ganz parallel zum späteren Earth Song-Video) findet eine Wende zum Guten mit stereotypen Hoffnungsbildern statt: vor allem Kinder (aller Hautfarben) führen ein neues Zeitalter herauf, indem sie Soldaten Blumen überreichen. Die Katechese, die diese Video-Clips verwendet, wird schwanken zwischen den Urteilen: illusorische Vertröstung durch Schein-Lösung von Problemen oder angemessene Sensibilisierung für wichtige Probleme und verdeckte Werbefilme für Greenpeace? Aber sicherlich sind solche Aussagen nicht deshalb Blasphemie oder Kitsch, weil sie außerhalb der christlichen Gemeinde gesungen werden; hier zeigt sich so etwas wie eine christlich geprägte "Volksfrömmigkeit", die "die Welt heilmachen" will, nachdem das von der Öffentlichkeit weder Kirchen noch Politik zugetraut wird. Der Video-Clip (Regie: Joe Pytka) zeigt mitleidserregende Kindergesichter aus einem zerstörten Kinderkrankenhaus. Dann wechseln Bilder von Kindern und Soldaten (Ex-Jugoslawien, Nordirland, Palästina). Die Kinder brechen schließlich das Eis des Militärs, reichen Soldaten Blumen, tanzen auf Panzern und halten die brennende Kerze in der Hand: "Schwerter zu Pflugscharen" gelingt. "Heal the world! Die Kinder werden die Welt heilen und verändern, das ist die Idee der Jacksonsen ´Kinder-Bewegung´; nicht die Arbeiter-, nicht die Studenten-, sondern die Kinderbewegung."[21] Denken wir an Mk 10,13-16: "Laßt die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes." 2.2 CD "HISTORY" (1995) 2.2.1 Zum Konzept der CD Mit dem wiederum vieldeutigen Titel, - "HIS" groß und kursiv geschrieben, "TORY" direkt angeschlossen, aber etwas kleiner und senkrecht -, (History? His story? High story?) nimmt M.J. seine Erlöserrolle und Heilszusage aus Will you be there? wieder auf, solidarisiert sich mit allem Leid (Einsamkeit: You are not alone / Stranger in Moscow ; Krieg und Umweltzerstörung: Earth Song; Hunger und Not in den Slums: They don´t care about us), nimmt es schreiend auf sich und überwindet es erlösend in eine immer gleiche Heilszusage. Die CD History konstruiert einen modernen Mythos vom Messias M.J., auf der seine großen Hits der letzten 15 Jahre zusammen mit neuen Songs herausgebracht wurden.[22] Nicht nur das Wortspiel "Story-History", sondern auch der Verweis auf IHN, auf SEINE (Erfolgs-) Geschichte deuten die Verhüllung und Offenbarung des Mythos an. M.J. hat wirklich "Geschichte" gemacht, er ist der "King of Pop", der König unter den Königen. Und "dieser Fremdling, dieser Überirdische steht unter dem besonderen Schutze Gottes. Die Schlußbilder im booklet zeigen junge Menschen mit großen Transparenten, darunter ´God bless Michael´. Und er hat eine Mission, wie ein anderes Transparent zeigt: ´Heal the World, Michael.´"[23] Diese geradezu außerirdische Gestalt kämpft den uralten gnostischen Kampf gegen alles Böse auf der Welt. |