Prof. Dr. Roger Willemsen - Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins
Foto: Anita Affentranger
Wir trauern um
Roger Willemsen
† 7. Februar 2016
Wie kein anderer schuf er eine Brücke der Toleranz zwischen Deutschland und Afghanistan und gab Stimmlosen mit viel Courage eine Stimme. Mit seinem Engagement ermöglichte er tausenden Mädchen und Frauen in Afghanistan Bildung, Gesundheit und sauberes Trinkwasser. Er rettete Leben und schuf Existenzgrundlagen.
Ein edler Humanist und Afghanistan-Freund ist aus unserer Mitte gegangen. Er hinterlässt eine nicht zu füllende Lücke. In unseren Herzen, unseren Erinnerungen und Gedanken bleibt er für immer.
Afghanischer Frauenverein e.V.
Faszination Afghanistan
Afghanistan weckte bereits vor längerer Zeit Roger Willemsens Interesse - und im Jahr 2005 war es endlich soweit: Er trat zwei lange Reisen nach Afghanistan an. Im November des Jahres führte ihn sein Weg an der Seite von Nadia Nashir, der Vorsitzenden des Afghanischen Frauenvereins, von Kabul über den Hindukusch bis in die abgelegenen Dörfer des Nordens und an die Ufer des mythischen Flusses Oxus. Er begegnete Fußballerinnen, Nomaden und Weisen, Menschenrechtlerinnen und Häftlingen, ehemaligen Mudschaheddin und Taliban-Funktionären, Kamelhirten und Musikern…
Die Eindrücke von dem Land, den Menschen und dem dortigen Leben, die er auf der Reise gewann, faszinierten ihn so sehr, dass er das Buch "Afghanische Reise" (S. Fischer 2006) verfasste, das ein Bestseller wurde.
Am 22. August 2013 erschien sein Buch "Es war einmal oder nicht - Afghanische Kinder und ihre Welt". Mit dem Erlös des Buches unterstützen Roger Willemsen und der S. Fischer Verlag den Afghanischen Frauenverein. Von seinen Reisen hat Roger Willemsen Hunderte von Kinderzeichnungen, Aufsätzen und Briefen mitgebracht - bewegende Dokumente junger Menschen, deren Alltag der Krieg ist. "In Afghanistan waren die Kinder anders als überall sonst auf der Welt", sagt er. "So empfindlich ich sonst bin, wenn man mit Kindern versucht, Mitleid zu erregen, so konnte ich doch nur kapitulieren vor der Lebensklugheit und Vitalität dieser Kinder."
Im August 2012 reiste Roger Willemsen erneut nach Afghanistan, um sich vor Ort ein Bild von den verschiedenen Projekten zu machen. Aber nicht in Begleitung von Militärs, die ihn fern halten von dem, was er mit den Afghanen teilen will, sondern privat und nicht ohne Risiko. Die Reise führte ihn noch einmal zu den verschiedenen Projekten des Afghanischen Frauenvereins.
Roger Willemsen arbeitete lange mit großem persönlichem Engagement für die Menschen, für die Gerechtigkeit und für den Frieden in Afghanistan. Über 20 Jahre war er Botschafter von Amnesty International. Er unterstützte terre des femmes und saß bei CARE International bis zum Frühjahr 2011 im Kuratorium.
Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins †
Seit April 2006 war Roger Willemsen Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins. Er unterhielt ständige Verbindung mit den Mitarbeitern vor Ort. Ihm ist es zu verdanken, dass 4.000 Mädchen und Frauen zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen können. 60.000 Menschen können täglich mit sauberem Trinkwasser versorgt werden. Ohne ihn hätten 92.000 Menschen keinen Zugang zu medizinischer Versorgung oder Impfungen erhalten. Mit seinem Aufruf "Hilfe zur Selbsthilfe" schenkte Roger Willemsen ihnen die Chance auf eine bessere Zukunft.
Mit unermüdlichem Einsatz engagierte Roger Willemsen sich für den Afghanischen Frauenverein und stand gegen Armut und für Gerechtigkeit ein.
Dank seiner Initiative und seiner privaten Unterstützung in der afghanischen Provinz Kunduz sind bisher rund 420 Brunnen entstanden, weitere befinden sich im Bau. Somit kommen auch arme Bauernfamilien in sehr abgelegenen Dörfern an sauberes Trinkwasser und setzen sich nicht der Gefahr aus bei weiten Fußmärschen ausgeraubt oder von Landminen verstümmelt zu werden.
Darüber hinaus widmete Roger Willemsen sich intensiv dem Brunnen- und Schulenbau sowie der medizinischen Versorgung vor allem im ländlichen Norden des Landes.
Benefizverstaltungen
Im Laufe der vergangenen Jahre konnte er immer wieder prominente Weggefährten und Künstler aus den verschiedensten Bereichen dazu bewegen mit Wort- und Musikbeiträgen für den AFV aufzutreten. So fanden große und ausverkaufte Benefizveranstaltungen statt, die viele Menschen begeisterten. Als Gäste bei der Gala „Herzenssachen“ in der Oper Köln 2012: Anke Engelke, Bastian Pastewka, Annette Frier, Joachim Król, Iris Berben, Pegah Ferydoni, Franziska Hölscher mit Nils Mönkemeyer und Wiliam Youn, Klaus Hoffmann, Hakim Ludin, Andreas Rebers, Olga Scheps und Vladimir Burkhardt. Bei der Gala „Senda Baschi 2“ in der Oper Bonn 2008: Barbara Auer, Götz Alsmann, Gottfried John, Frank Chastenier, Anna Thalbach, Matthias Brandt, Julia Stinshoff, Hakim Ludin, Hans Dekker und Christian von Kaphengst. Bei der Gala „Senda Baschi 1“ in der Oper Bonn 2007: Charlotte Roche, Bastian Pastewka, Sophie von Kessel, Gert Scrobel, Christine Urspruch, Frank Chastenier, Farhad Darya, John Goldsby, Sigrun Palmadottir, Susanne Blattert, Christoph Waltz. Neben unzähligen anderen Auftritten, z.B. im Kloster Mariensee bei Hannover mit der Lesung „Das müde Glück“ im April 2013, veranstaltete er im April 2013 im Circus Krone in München mit Dieter Hildebrandt, Georg Schramm, Erwin Pelzig, Konstantin Wecker und Band ein wunderbares Kabarett-Programm. Allen diesen wundervollen Künstlern verdanken wir unendlich viel.
Er vermittelte den Menschen in Deutschland ein differenziertes Bild Afghanistans abseits vom Krieg und organisierte zahlreiche weitere Veranstaltungen. Aus seinen Benefiz-Aktionen ist die einzigartige CD Herzenssachen (Verlag Roof music) entstanden.
Für seine engagierte Unterstützung, seine Warmherzigkeit und sein Wesen als Humanist und Afghanistanfreund danken wir ihm von Herzen.
Zur Person
Roger Willemsen, Jahrgang 1955, beendete sein Studium mit der Promotion über die Ästhetik Robert Musils. Er studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie in Bonn, Florenz, München und Wien.
Roger Willemsen arbeitete als Autor, Herausgeber, Regisseur und Dozent. Seine Bestseller wie Afghanische Reise, Der Knacks, Die Enden der Welt oder Momentum wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Im August 2013 erschien sein Buch: „Es war einmal oder nicht – Afghanische Kinder und ihre Welt“. Mit dem Erlös des Buches unterstützen Roger Willemsen und der S. Fischer Verlag den Afghanischen Frauenverein.
Neben der literarischen Arbeit erschienen seine Essays und Kolumnen regelmäßig in der Zeit, im Spiegel und in der Süddeutschen Zeitung. Er schrieb als Kolumnist für “Literaturen” und das „Zeit Magazin.
Er arbeitete nebenher als Nachtwächter, Reiseleiter und Museumswärter. In der Folgezeit zu seiner Arbeit als Assistent für Literaturwissenschaft an der Universität München arbeitete er als Essayist, Literaturkritiker, Herausgeber und Übersetzer, Auslandskorrespondent, Moderator, Produzent seiner eigenen Produktionsfirma „NOA-NOA Fernsehproduktion GmbH“, sowie als Kolumnist und als Regisseur seines Dokumentarfilms „Non Stop - Eine Reise mit Michel Petruccani“.
Er realisiert zahlreiche Bühnenprogramme mit Musikern oder Kabarettisten wie Frank Chastenier, Dieter Hildebrandt oder Anke Engelke und gestaltet regelmäßig Radioformate beim WDR 5 (SpielArt) und NDR Kultur (Willemsen legt auf).
Als Moderator trat er zuletzt aus humanitären Gründen nur noch zugunsten des Afghanischen Frauenvereins auf, wofür wir ihm zutiefst dankbar sind.
Er galt als einer der einfühlsamsten und intelligentesten Köpfe der deutschen Medienlandschaft.
Seit dem Sommersemester 2010 lehrt Roger Willemsen als Honorarprofessor an der Humboldt-Universität Berlin.
Auszeichnungen
Roger Willemsen wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem erhielt er
• die Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft 2015
• den Deutschen Hörbuchpreis für Das Hohe Haus. Ein Jahr im Parlament 2015
• den Erich-Kästner-Preis 2013
• den Prix-Pantheon-Sonderpreis in der Kategorie „Geben und Nehmen“ 2012
• den Julius-Campe-Pries 2011
• den Grimme-Preis in Gold
• den Bayerischen Fernsehpreis
• die Empfehlung von PEN International für die englische Ausgabe der „Afghanischen Reise“
• den ITB Buch Award 2010 für „Die wundersamen Irrfahrten des William Lithgow”
• den Rinke-Preis 2009 für „Der Knacks”
• den Preis der ENIT für das beste Italien-Buch des Jahres 2000
Am 7. Februar 2016 verstarb Roger Willemsen an den Folgen einer Krebserkrankung.
Er hinterlässt eine nicht zu füllende Lücke. Wir werden unsere Arbeit in seinem Sinne fortsetzen.