evangelisch: Hörmal | 25.05.2017 | 05:07 Uhr | Bettina von Clausewitz
Du siehst mich - Lieblingsmensch
Es gibt ja diese Leute, die einen gar nicht richtig ansehen, die innerlich immer
auf dem Sprung sind. Das nervt manchmal ganz schön. Beim Händeschütteln
sind ihre Augen schon auf der Suche nach dem Nächsten. Sie fragen: „Hallo,
wie geht’s?“ und sehen! dich gar nicht. Sie wollen auch keine Antwort. Schon
gar nicht, wenn’s dir schlecht geht. Beim Arbeitsmeeting vielleicht oder bei der
Geburtstagsparty. Da stoßen alle am Tisch an - „Cheers!“, „Wohl bekomm’s!“
– aber es ist nur so dahin gesagt, oft ohne Blickkontakt – wer ist gemeint?
„Einen schönen Tag noch“, der Standardspruch sogar an der
Supermarktkasse, ist auch nett gemeint, und doch völlig anonym.
Von daher finde ich das Motto des Evangelischen Kirchentages ziemlich gut
gewählt: (der gestern gerade in Berlin gestartet ist): „Du siehst mich“, heißt es
überall auf den Plakaten. Auch wieder nur so ein Spruch, könnte man natürlich
sagen, dieser knall-orangefarbene Smiley mit leichtem Silberblick. Werbung für
vier Tage kirchliches Festival mit weit über 100.000 Menschen. Wie soll das
gehen, dass der Einzelne zählt?
Dieses Motto ist ein Bibelspruch aus dem ersten Buch Mose (1. Mose 16, 13).
„Du siehst mich“, sagt die ägyptische Sklavin Hagar, die vor der schlechten
Behandlung ihrer Herrin Sarah in die Wüste geflohen ist. Nicht ohne Grund,
denn Hagar ist schwanger von Sarahs Mann Abraham, und das führt zu
gewaltigem Stress, Beziehungsstress, das war damals nicht anders als heute.
Aber Gott schickt seinen Engel zu Hagar, an die einsame Wasserquelle in der
Wüste. Er tröstet sie, nimmt ihr Leid ernst und sagt, wie es weitergehen kann.
Auch wenn er sie wieder nach Hause schickt, in ihr altes Leben. Und doch wird
ab jetzt vieles anders sein. Denn Hagar hat erkannt, dass ihr Leben einen Sinn
hat, dass Gott sie liebt und begleitet.
Zur Zeit ist ein Popsong in den Charts, ein Liebeslied, der für diese Art von
Beziehung einen schönen Begriff gefunden hat: „Lieblingsmensch“, so der
Titel. „Bei dir kann ich ICH sein, verträumt und verrückt sein“, singt die deutschmarokkanische
Künstlerin Namika, „ein Riesenkompliment dafür, dass du mich
so gut kennst.“ Das ist der Contrapunkt zu all den unverbindlichen „Hallo, wie
geht’s“ und den flatternden Blicken. Es ist eher die Erfahrung von Hagar in der
Wüste: „Du siehst mich.“ Von Gott gesehen zu werden heißt, sein
Lieblingsmensch zu sein, mit ihm reden zu können. Ohne sich verstecken oder
verbiegen zu müssen. „Auch wenn ich schweig’, du weißt Bescheid“, heißt es
in dem Lied. „Schön, dass wir uns kennen.“
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